Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Franz Oster (1869-1933) – der erste Flieger von Tsingtau

Eine biographische Skizze von Wilhelm Matzat, Bonn
 

I. Die Erfolgsstory des Gunther Plüschow

Im Jahre 1916 erschien das Buch des Oberleutnants zur See Gunther Plüschow: "Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau".

Plüschow war der Marinestation Tsingtau als der erste Marineflieger zugeteilt worden und traf im Juni 1914 per Eisenbahn dort ein, sein Flugzeug kam per Schiff im Juli nach. Kaum hatte er sein Flugzeug zusammengebaut, begann der 1. Weltkrieg, und bei der anschließenden Belagerung Tsingtaus durch die Japaner konnte er durch seine Erkundungsflüge den Verteidigern wichtige Informationen über die feindlichen Stellungen liefern. Er entging der japanischen Gefangenschaft, indem er auf Geheiß des Gouverneurs einen Tag vor der Kapitulation mit seinem Flugzeug ausflog und im neutralen China bruchlandete. Von dort schlug er sich in einer abenteuerlichen Odyssee über Shanghai, die USA, Gibraltar, Gefangennahme durch die Briten, Ausbruch aus dem Gefangenenlager in England, Flucht über den Kanal nach Holland bis nach Berlin durch, wo er im Juli 1915 eintraf.

Diese unwahrscheinliche Erfolgsstory ließ sich gut vermarkten. Von den beiden Auflagen 1916 und 1927 seines Buches wurden insgesamt 618.000 Exemplare verkauft, und von der dritten Auflage 1940 noch einmal 142.000, insgesamt also 760.000 Stück. Mit diesem Beinamen: "Der Flieger von Tsingtau" ist Plüschow in die Annalen der Geschichte eingegangen. Eine englische Übersetzung erschien 1922 in London mit dem Titel: "My escape from Donington Hall, preceded by an account of the siege of Kiao-Chow in 1915 (sic!) by Kapitänleutnant Gunther Plüschow, of the German Air Service. Translated by Pauline De Chary."

Noch exotischer ist die Tatsache, daß in London im Jahre 1939 der erste Teil von Plüschows Buch auf Deutsch erschien, mit dem Titel: "Der Flieger von Tsingtau. By Gunther Plüschow. Edited by C.E.Stockton, M.A., Senior Modern Language Master, Bedford School." Gedacht war das Buch als Lesebuch für englische Schüler, die Deutsch als Fremdsprache hatten. Der Text ist in Fraktur-Schrift (!) und hat hinten ein umfangreiches Vokabular. Der Herausgeber, Stockton, schreibt im Vorwort: "Every boy to-day wants to fly. In this book Gunther Plüschow, a brave and resourceful German pilot, tells his adventures. The volume is suitable for pupils in their third or fourth year of German." Der zweite Teil, der Plüschows gelungene Flucht aus dem britischen Gefangenenlager schildert, sollte im nächsten Heft erscheinen. Jedoch wenige Monate später erklärte Großbritannien am 3. 9. 1939 Deutschland den Krieg und der zweite Teil wurde nicht mehr gedruckt.

Plüschows Buch soll auch ins Japanische übersetzt worden sein. 1994 hat dann der Amerikaner Robert E. Whittaker, der seine Jugend in Tsingtau verbrachte, eine militärgeschichtliche Studie über Plüschow veröffentlicht: "Dragon Master. The Kaiser's One-Man Air Force in Tsingtau, China, 1914."
 

II. Der Werdegang von Franz Oster

Plüschow war aber nicht der erste Flieger in Tsingtau – das war Franz Oster!

Franz Oster, der von 1899 bis 1933 in Tsingtau lebte - mit einer Unterbrechung von 5 Jahren durch die Kriegsgefangenschaft in Japan 1914-1920 – war 1899 als Schlosser nach Tsingtau gekommen, hatte dann eine Maschinenfabrik und später Schiffbaufirma gegründet. 1912 holte er das erste Flugzeug nach Tsingtau. Er stammte aus der Gegend von Bad Honnef am Rhein. Eine dortige Lokalzeitung, Bad Honnefer Rundblick vom 5. 6. 1976, veröffentlichte einen von Linda York verfaßten, vierseitigen Artikel über ihn mit dem Titel: "Das Wunder des Fliegens brachte er nach China." Wertvoll sind die Fotos, der Text selber enthält leider eine Reihe von Ungenauig- und Unrichtigkeiten. (Schon Frau Yorks Titel ist falsch: Oster war nicht der erste Flieger in China.) Das ist der Grund, weshalb hier eine biographische Skizze versucht werden soll, die der historischen Wahrheit etwas näher kommt.

Über Franz Oster erschien in der Tsingtauer Wochenzeitung "Deutsch-Asiatische Warte", 4. Jahrgang, 1902, Nr. 8 vom 19. 2. 1902 mit Fortsetzung in Nr. 9 vom 26. 2. ein Artikel mit der Überschrift: "Ein Erfolg privaten Unternehmungsgeistes in Tsingtau". Der Autor ist nicht genannt, aber ohne Zweifel wurde der Artikel von dem (einzigen!) Redakteur des Blattes, nämlich Otto Corbach, verfaßt, der dazu Franz Oster interviewt hatte. Deswegen kann man davon ausgehen, daß die sachlichen Angaben stimmen, denn sonst wäre in den folgenden Ausgaben ein Leserbrief von Oster in der Zeitung erschienen. (Die in Anführungsstriche gesetzten Sätze sind wörtliche Zitate aus dem Artikel.)

Franz Oster wurde am 19. 1. 1869 in Ägidienberg bei Bad Honnef geboren, oder noch genauer: auf dem Osterhof in dem Weiler Himberg, das zur Gemeinde Ägidienberg gehörte. Der Vater Johann Oster war Landwirt und hatte mit seiner Frau Maria Anna Leven insgesamt 17 Kinder. Als Schuljunge unternahm Franz einen Fluchtversuch nach Amerika, wohin schon 2 ältere Brüder ausgewandert waren. Nach Schulabschluß wählte er den "Schlosserberuf und absolvierte nach vollendeter Lehrzeit (bei Schlossermeister Ludwig in Bonn) eine Maschinenbauschule. Der Drang nach möglichst vielseitiger praktischer Ausbildung trieb ihn später auf die Wanderschaft. Innerhalb eines Zeitraumes von 5 Jahren durchreiste er fast ganz Mittel- und Westeuropa und übte nacheinander seinen Beruf kürzere oder längere Zeit in Wien, Frankfurt, München, Zürich, Luzern und Rom aus. Danach folgte die Militärzeit, die Oster bei der Kaiserlichen Marine auf S.M.S. "Wörth" abdiente, dessen Kapitän damals Prinz Heinrich von Preußen war. Zum Marine-Geschützmeister avanciert, kam er in seinem letzten Dienstjahr nach Ostasien, wo er nach Ablauf seiner Dienstzeit im Jahre 1896 in Hongkong als Betriebsleiter bei der Firma William Schmidt in Stellung trat."

(Die diesbezüglichen Ausführungen im Artikel von Linda York sind voller Fehler. Sie erwähnt S.M.S. "Wörth" nicht, sondern nennt S.M.S. "Prinzeß Wilhelm" und schreibt, daß dieses Schiff unter dem persönlichen Kommando von Prinz Heinrich gestanden habe – was nie der Fall war. Prinz Heinrich war von September 1894 bis September 1895 Kommandant des Linienschiffs "Wörth", dieses Schiff war unter seinem Kommando nicht in Ostasien. In dieser Periode war also Oster auf der "Wörth", aber nur bis Ende April 1895, denn am 27. 4. 1895 verließ der Kleine Kreuzer "Prinzeß Wilhelm" Wilhelmshaven und segelte nach Ostasien, an Bord war auch Franz Oster. Kommandant seines Schiffes war Korvettenkapitän von Holtzendorff.)

Der Zufall wollte es, daß kein Geringerer als Prinz Heinrich entscheidend auf ihn einwirkte. Oster hatte während seiner Dienstzeit durch seine Tüchtigkeit das persönliche Interesse des Prinzen erregt. Während seines Aufenthaltes in Hongkong im Jahre 1898 fühlte sich der Prinz daher bewogen, Oster in seinen Werkstätten aufzusuchen, um sich nach dessen Ergehen zu erkundigen. Bei dieser Gelegenheit äußerte Prinz Heinrich zu Oster: 'Wir haben auch eine deutsche Kolonie. Leute wie Sie können wir auch in ihr gebrauchen. Gehen Sie nach Kiautschou: an Arbeit wird es Ihnen dort nicht fehlen. Ich sehe nicht ein, weshalb hier draußen Deutsche in fremden Kolonien sich eine Existenz schaffen sollen, solange in Kiautschou Raum genug für sie da ist.' Um diesen Vorschlag noch besonders zu bekräftigen, ließ der Prinz bald darauf Oster ein eigenhändig geschriebenes, längeres Empfehlungsschreiben an den damaligen Gouverneur von Kiautschou, Kapitän zur See Rosendahl, aushändigen.
 
Noch waren bei Oster nicht alle Bedenken beseitigt, die negative Gerüchte über Tsingtau in ihm erweckt hatten. Seine Stellung in Hongkong gab er indessen auf und siedelte nach Shanghai über, wo er von der Firma Arnhold, Karberg & Co als Werkmeister für deren Baumwoll-Spinnerei engagiert wurde. Von hier unternahm er eine Orientierungsreise nach Tsingtau. Bei seiner Rückkehr war sein Entschluß gefaßt, sich so bald wie möglich dort niederzulassen. In Shanghai begann er sofort, seinen Zweck vorzubereiten. Aber da zeigten sich gleich unüberwindlich erscheinende Schwierigkeiten in pekuniärer Hinsicht. Osters Ersparnisse reichten nicht aus zur Beschaffung der notwendigen Werkzeuge und Maschinen. Ein Teilhaber, den er sich als finanzielle Stütze in einem Maschinisten der Baumwollspinnerei erkor, entpuppte sich noch rechtzeitig genug als ein Schwindler. Fast hätte Oster seinen ganzen Plan als unausführbar vorläufig wieder aufgeben müssen, hätte er nicht in dem kürzlich verstorbenen Eisenbahnbetriebswerkmeister Richter, der damals bei der Wusung-Eisenbahn tätig war, einen jener Freunde gefunden, von denen es gewöhnlich heißt, daß ihrer hundert auf ein Lot gehen. Dieser lieh ihm auf sein ehrliches Gesicht eine größere Summe und brachte ihn dadurch in die Lage, seinen Plan auszuführen. Nachdem Oster die erforderlichen Materialien, Drehbänke, Bohrmaschinen etc. gekauft hatte, zimmerte er sich eine Bretterbude zurecht, um dieselbe gleich nach seiner Ankunft in Tsingtau im Handumdrehen aufschlagen und den Betrieb darin sofort einrichten zu können.
 

III. Franz Oster in Tsingtau

So ausgerüstet, schiffte sich Franz Oster nach Tsingtau ein, wo er am 11. 3. 1899 ankam. Er war mit Empfehlungsschreiben von der Firma Mandl & Co. an Herrn Buschendorff und von Generalkonsul Dr. Knappe an Herrn Baurat Hildebrand ausgestattet und fand hier in der Kolonie die beste Aufnahme. Von Herrn Buschendorff erhielt Oster die Konzession, seine Bretterbude auf dessen Grundstück aufbauen zu dürfen, wovon er auch ohne Zögern Gebrauch machte. Bevor noch die damals geringe Bevölkerung der Kolonie mit dem Neuling recht bekannt werden konnte, hatte Oster schon seine Schmiede in Betrieb, und vom frühen Morgen bis zum späten Abend verkündeten weithin schallende Hammerschläge, daß jetzt die Industrie ihren Einzug in Tsingtau gehalten.

Allerdings war die Baupolizei mit Osters Standortwahl nicht einverstanden und wies ihm einen Platz am Strandlager zu, wo er von April bis Juli 1899 seine Bretterbude aufstellte. Als dann ein Neubau, von der katholischen Steyler Mission finanziert, hinter dem Brückenlager fertiggestellt war, zog Oster, der katholisch war, dort ein, wo er nun auch eine Dampfmaschine aufstellen konnte – die erste in Tsingtau. Im Sommer 1901 kaufte er ein größeres Grundstück an der Innenbucht. Der Autor führt aus, daß Oster sich statt eines "einfachen Wohnhauses" eine schöne Villa bauen ließ von Hermann Rutenberg, einem Ingenieur der Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft. Dieser Bau übertreffe an "architektonischer Schönheit, Originalität und Gedankenreichtum bei weitem alles, was auf diesem Gebiete bisher in Tsingtau geleistet worden" sei. "Auf dem tiefer liegenden Gelände liegen die Werkstätten, zwei Gebäude mit einer Ausdehnung von 30x12 und 30x10 m und ein Nebenbau." Die ausgedehnten Flächen, die nun zur Verfügung standen, erlaubten eine Umgestaltung der Maschinenanlage, eine größere Dampfmaschine und Kesselanlage, z. T. neue Hobelbänke, Drehbänke, Scheren und Stangen. Im August 1901 errichtet er eine Eisengießerei mit 3 Schmelzöfen für Metall und 2 für Eisen. Sie sind, wie alle übrigen Einrichtungen, von Oster selbst konstruiert und in allen Teilen in seinem Werk hergestellt. Im Sommer 1901 beschäftigte er 260 chinesische Arbeiter. Der Stamm derselben bildete eine größere Anzahl von Leuten, die schon in Hongkong und Shanghai unter ihm arbeiteten.
 
Oster ist ein Meister der Schmiedekunst. Man betrachte nur die Tore, Gitter, Geländer und die sonstigen Kunstschmiedearbeiten an dem Gebäude der Deutsch-Asiatischen Bank." Im Februar 1902 arbeitet er an einer Steamlaunch. Der Entwurf ist von ihm selbst ausgearbeitet. Der Bootskörper ist bereits fertig: 16 m über Deck lang, 3 m breit und 2,80 m tief. Alle Teile, auch Maschine und Kessel, werden in seiner Werkstatt hergestellt. Im Sommer 1902 soll die Dampfbarkasse zu Wasser gelassen werden. Oster macht auch Schiffsreparaturen und lieferte die ersten Baggerschooten für den Hafenbau. Sein nächstes Ziel ist die Anlage eines kleinen Docks." (Damit endet der Artikel vom Februar 1902 in der Deutsch-Asiatischen Warte.) Osters wöchentliche Annonce in der Zeitung lautet damals (1902): Schmiede, Kesselschmiede, Kupferschmiede, Klempnerei, Maschinenbau, Eisenkonstruktion, Kunst- und Bauschlosserei.

Franz OsterAm 17. 6. 1900 verheiratete Franz Oster sich mit Elise (genannt Lissi) Bergmann (* Groß Glogau/Schlesien 22. 11. 1863, + Tsingtau 11. 10. 1937), Tochter des Steueraufsehers Ernst David Bergmann und der Auguste Amalie Richter. Das Traubuch von 1900 gibt Groß Glogau als Geburtsort der Elise Bergmann an, das Sterberegister von 1937 nennt dafür Sagan. Die kirchliche Trauung vollzog der evangelische Missionar Johannes Voskamp im Prinz-Heinrich-Hotel. Ein Kind entsprang dieser Ehe: der Sohn Hans wurde am 10. 6. 1902 geboren. Oster war katholisch, seine Frau evangelisch, der Sohn wurde evangelisch getauft.

Nach dem Stand vom 1. 1. 1905 hatte sein Betrieb über 350 chinesische Arbeiter und ein Kapital von 300.000 Mark. Natürlich hatte Oster auch immer einige deutsche Mitarbeiter, genannt seien: Rudolf Arnold, Werkmeister von 1902-06, Ludwig Kühl und Albert Stern (1902), J. Köten und E. Scherer (1903/04), Hugo J. Houben als Prokuristen (1905/06), als Ingenieure Carl Poppe (1905-09) und O. Tschorn (1908/09), zum Schluß J. Feihsel als Werkführer (1908/09). Für das Jahr 1903/04 wird ein W. Oster als Mitarbeiter genannt. Er wohnt auch in der Villa Oster, anscheinend ein naher Verwandter. Zunehmend brachte der Konkurrenzdruck der großen staatlichen Werft in Tsingtau den Osterschen Betrieb in Bedrängnis. So verkaufte er 1909 seine Einrichtungen an die staatliche Werft. Diese übernahm von ihm Maschinen, Werkzeuge und Materialien im Wert von 98.233 Mark und auch einen Auftrag, den Oster mit der russischen Behörde in Wladiwostok abgeschlossen hatte, nämlich einen Eisbrecher im Wert von 265 000 Mark zu bauen. An Osters Grundstück und Gebäuden war die Werft nicht interessiert. Oster löste 1910 seine Firma auf und reiste dann 1911, alleine, nach Deutschland.
 

IV. Das erste Flugzeug in Tsingtau

Im Jahre 1912 kommt Oster in die Schlagzeilen der Tsingtauer Presse. Die Wochenzeitung "Kiautschou-Post", 5. Jahrg., 1912, S. 651-652 berichtet: "Herr Oster, einer unsrer ältesten Kolonisten, Schiffbauer und früherer Besitzer einer gut und modern eingerichteten Maschinenfabrik und Werftanlage hier am Platze, ist weit über die Grenzen der Kolonie bekannt; er befaßte sich im stillen seit Jahren mit der Aviatik und dem dynamischen Flug. Anfang vorigen Jahres (1911) reiste er bekanntlich nach Hause und trat dort mit den Rumplerwerken in Verbindung. Als Schüler von Hellmuth Hirth und Bruno Jablonski erwarb er sein Flugzeugführerzeugnis im Juni 1911 von dem Deutschen Luftfahrer-Verbande in Berlin. Später reiste er dann nach Paris und bildete sich auf dem Bleriot-Apparat aus."

Am 14. 5. 1911 erschien eine Ausgabe der Berliner Illustrirten Zeitung mit einem Titelfoto, das einige Aviatiker zeigte: Vollmöller, Reinhardt, Direktor Rumpler, Hirth und auch Franz Oster. Die beiden letztgenannten saßen gemeinsam im Rumpf einer Rumpler-Taube. Es war eine Großaufnahme vom Training zum Deutschen Rundflug 1911, wobei es um den "Preis der Lüfte" der Berliner Zeitung ging. Der Siegpreis dieses Rundflugs betrug 400.000 Mark.

Oster kaufte eine Rumpler-Taube und verfrachtete sie, in einzelne Teile verpackt, nach Tsingtau. Auf der Rückreise im Dezember 1911 legte er einen Halt in Colombo ein, wo er Schauflüge durchführte. So schreibt die Kiautschou-Post, 5. Jahrg., vom 21. 1. 1912, S. 56, unter der Überschrift: "Ein Tsingtauer Flieger. Der Colomboer 'Ceylon Independent' vom 20. 12. 1911 meldet, daß Herr Franz Oster daselbst mit seinen Flügen mit einem Eindecker-Flugzeug in den Weihnachtstagen beginnen wollte. Die Schauflüge sollen über dem Rennplatz von Colombo stattfinden." Vier Wochen später ist in derselben Zeitung (am 17. 2. 1912, S. 135) zu lesen: "Unfall eines Tsingtauer Fliegers. Aus Colombo kommt die traurige Nachricht, daß Herr Franz Oster, der dort seit einigen Wochen mit einem Eindecker-Flugzeug Schauflüge veranstaltete, am 25. 12. 1911 schwer abgestürzt ist und neben einigen Knochenbrüchen wahrscheinlich auch innere Verletzungen erlitten hat. Wie wir hören, besteht glücklicherweise Hoffnung auf völlige Wiederherstellung." Und später (Kiautschou-Post vom 11. 8. 1912, S. 652) heißt es noch einmal: "In Colombo erlitt er mit einer Bleriot-Maschine einen gefährlichen Absturz aus etwa 80 m Höhe infolge Versagens der Verwindung, wobei er sich den linken Arm und die Schulter stark verletzte. Die Verletzungen sind inzwischen glücklicherweise wieder behoben." Die Tsingtauer Wochenzeitung liefert keine Erklärung, warum ausgerechnet Oster in Ceylon "Schauflüge" durchführen wollte oder mußte, denn da dort Flugzeuge stationiert waren, wird es auch lokale Piloten gegeben haben.

Die Rekonvaleszenz scheint doch länger gedauert zu haben, denn erst am 11. 8. 1912 berichtet die Kiautschou-Post (5. Jahrg., S. 651): "Die Oster'sche Flugmaschine. Unter reger Beteiligung fand am vergangenen Sonnabend zwischen 5 und 6 Uhr nachmittags die Besichtigung des Herrn Franz Oster gehörigen Flugzeuges 'Taube', das mit einem der letzten Dampfer von Deutschland hier eintraf und in der Oster'schen Fabrikanlage vorläufig aufgestellt ist, statt. Zur Besichtigung waren erschienen S. E. der Gouverneur Meyer-Waldeck, der Chef des Stabes Kapitän zur See Höpfner, der Ingenieuroffizier vom Platz Major Klehmet, mehrere andere Offiziere und Beamte des Gouvernements, sowie der Kommandant des österreichischen Kreuzers 'Kaiser Franz Joseph'. Außerdem waren Mitglieder der beiden Handelskammern, sowie der Vorstand des Verkehrsvereins zu der Besichtigung eingeladen. Herr Oster gab eine kurze Erklärung über die Wirkungsweise und Konstruktion des Flugzeuges und bestieg darauf die Maschine, um die verschiedenen Funktionen der Steuerungen zu erklären. Dann ließ er durch einen Hilfsarbeiter den Propeller anwerfen und wie ein Spuk der Hölle sauste der Motor los. Die Maschine, deren Räder am Boden gut blockiert waren, schien auf einmal Leben zu bekommen, und bei einer kleinen Bewegung des Höhensteuers hob sie sich mit dem Schwanzende von dem Boden ab, als wollte sie sich von ihren Fesseln befreien und in die Lüfte entschweben. Das Flugzeug des Herrn Oster, das als erstes in unsre Kolonie gekommen ist, ist eine 'Original-Taube', nach der Konstruktion des Erfinders Herrn Igo Etrich, und wurde bei der Luftfahrzeug G.m.b.H. E. Rumpler in Berlin erbaut."

Die Kiautschou-Post, 5. Jahrg., S. 721 vom 1. 9. 1912 bringt folgende Vorankündigung: "Die Schauflüge des Herrn Franz Oster werden voraussichtlich in der Zeit vom 1.-10. September vom Iltisplatz (= Rennplatz) aus in den Abendstunden stattfinden. Da die Witterung maßgebenden Einfluß auf die Möglichkeit der Flugveranstaltung ausübt, wird zum Zeichen dafür, daß die Flüge stattfinden, in der Zeit von 2-4 Uhr nachmittags eine rote Flagge auf dem Signalberg und an dem Signalmast auf der Höhe (= Klaraberg oder Yüshan) oberhalb der Villa Ohlmer wehen. Den Vorverkauf von Eintrittskarten haben folgende Firmen bzw. Herren übernommen.... Karten für $ 3.- (1. Platz) und $ 1.50 (2. Platz) berechtigen zum Eintritt für alle Flugtage. Außerdem werden Karten für $ 0.30 zu einmaligem Besuch für das einfachere chinesische Publikum ausgegeben." Allerdings sucht man in den folgenden Ausgaben der "Kiautschou-Post" oder der "Tsingtauer Neueste Nachrichten" (TNN) vergeblich nach einem Bericht über dieses angekündigte, epochale Ereignis.
 

V. Prinz Heinrich berichtet seinem Bruder Kaiser Wilhelm II. von Osters Flugzeug

Gerade in diese Periode vom 1.-10. 9. 1912, für die Oster seine ersten Schauflüge angekündigt hatte, fiel ein 36-stündiger Kurzbesuch des Prinzen Heinrich von Preußen in Tsingtau. Er war auf dem Wege nach Japan zur Krönung des neuen Tennos. (Ich besitze Kopien vieler Briefe des Prinzen an seinen Bruder, Kaiser Wilhelm II.)

Nach dem Besuch Tsingtaus schreibt Heinrich – er befindet sich auf S.M.S. "Scharnhorst" auf dem Wege nach Tokio – am 9. 9. 1912: "Mein lieber Wilhelm. (.....) Aus meinem letzten kurzen Tsingtauer Aufenthalt habe ich noch Folgendes nachzutragen: Ein Flugapparat befindet sich nämlich dort und zwar in Gestalt einer Rumpler-Taube – man denke! Der Flieger ist ein Mann Namens Oster, der mir aus meiner früheren ostasiatischen Tätigkeit, aus der Gründungszeit der Kolonie sehr wohlbekannt ist. Er war Ende der neunziger Jahre Büchsenmachersgast auf 'Prinzeß Wilhelm', blieb dann hier draußen hängen, fand Verwendung in einem bekannten Waffenladen in Hongkong, bei einer Frau Schmidt, zog dann nach der Besitzergreifung nach Tsingtau und errichtete dort erst mit den primitivsten Mitteln eine kleine Werkstatt, lag bald mit Rosendahl im Kampf, mußte die Kolonie verlassen, kam dann wieder und gründete 1899 eine kleine Werft, die ich oft besuchte und auf der er kleinere Fahrzeuge baute, bis er dieses Etablissement an unsere Werft mit allen Maschinen verkaufte. Lange hörte ich dann nichts mehr von ihm, nun taucht er als Flieger nach 12 Jahren wieder in der Kolonie auf, nachdem er zuvor in Johannisthal sein Pilotenexamen gemacht hat. Dann war er zuletzt in Ceylon als Flieger tätig, wo er einige Male abgestürzt sein soll, ohne sich jedoch ernstlich zu beschädigen. Er soll sich eine nennenswerte Summe von den Kolonisten Tsingtaus haben garantieren lassen, ehe er sich entschloß, dorthin zu kommen. Mein Erstaunen war einigermaßen groß, als ich hörte, daß überhaupt ein Flugzeug vorhanden sei und besonders, als ich erfuhr, wer der Flieger war." (Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, RM 3/6723, S. 281-282)

Prinz Heinrich hatte Ende 1899 Ostasien verlassen und war im Herbst 1912 zum ersten Male wieder dort. Es ist leicht zu erkennen, daß er über Osters Tätigkeit zwischen 1900-1912 nicht zutreffend unterrichtet ist. Anscheinend hat er die Vorstellung, daß Oster schon um 1900 seine "Fabrik" verkaufte, Tsingtau verließ, um dann "nach 12 Jahren" dort wieder aufzutauchen. De facto war Oster bis 1911 in Tsingtau, ging nach Deutschland nur, um das Fliegen zu lernen und ein Flugzeug für Tsingtau zu kaufen. Frau und Sohn blieben ja in Tsingtau.
 

VI. Der erste Flug in Tsingtau am 9. 7. 1913

Rumpler-Taube mit OsterTatsächlich ist es zu einem ersten Flug im Jahre 1912 nicht mehr gekommen, angeblich wegen Motorschaden und wohl auch weil sich herausstellte, daß der 60-PS-Motor einfach zu schwach war gegen die widrigen Windverhältnisse am Rennplatz. Dabei war die Rumpler Taube eigentlich ein Zweisitzer! George Yourieff in Australien sandte mir jetzt ein Foto, das 1912 oder 1913 aufgenommen sein muß. Es zeigt Osters Flugzeug auf dem Rennplatz, zwei Männer (der hintere ist Oster) haben in den Pilotensitzen Platz genommen. Am Flugzeug stehen Osters Frau und Sohn Hans, sowie Freunde. Es ist ein gestelltes Repräsentationsfoto. Die Rumpler-Tauben sind von Oster und Plüschow in Tsingtau de facto nur von einer Person geflogen worden, 2 Erwachsene hätte die Maschine bei den dortigen Windverhältnissen kaum hochgebracht. Zwei Ausnahmen hat es gegeben. Einmal soll Oster es geschafft haben, auch seine Frau mit in die Lüfte zu nehmen. Und Plüschow hat einmal mit Hanna Wolf, damals ein Backfisch, als "Co-Pilotin" ein paar Runden über dem Rennplatz gedreht, was ihm einen strengen Tadel von Stabschef Saxer einbrachte.

An der Wende von 1912 zu 1913 hat Oster also allen überflüssigen Ballast abmontiert, in Deutschland einen neuen, diesmal 70 PS starken Motor bestellt und eingebaut. Erst am 9. 7. 1913 (statt September 1912!) konnten die TNN endlich berichten: "Einen glänzend gelungenen Flug über Tsingtau führte heut in den Morgenstunden Herr Oster mit seiner neu aufmontierten Maschine aus. Kurz vor 4 Uhr war Herr Oster nach der See zu aufgestiegen. Nach glücklichem Start erreichte er bald eine Höhe von 490 m und flog dann im großen Bogen, bis 600 m weiter steigend, über die Iltiskaserne nach Nordosten, dann hinter dem Observatorium westwärts, über die Ziegeleien nach dem Kleinen Hafen, über Schlachthof und Elektrizitätswerk, Höhenlager und Hochschule zurück am Bahnhof vorbei im Zuge des Kaiser Wilhelm Ufers im Gleitfluge in 300 m Höhe nach dem Gouverneurshaus. In einer eleganten Linkskurve ging er dann noch einmal über die Iltiskasernen nach der See hinaus, wendete über dem Kap Jaeschke und landete ohne jeden Schaden aus 40 m Höhe im Gleitfluge wieder glücklich auf dem Poloplatz. Sein neuer Motor, ein 70 PS Mercedes, hat sich vorzüglich bewährt. Die Leistung ist umso mehr anzuerkennen, als Herr Oster den Neubau seines Apparates selber ganz ohne geschulte Hilfe, nur mit 2 chinesischen Arbeitern, hat ausführen müssen. Auch heut beim Start waren nur die 2 Chinesen zur Hilfe da." Was einen bei dieser Schilderung etwas verwundert ist der Zeitpunkt. Kurz vor 4 Uhr morgens soll der Start stattgefunden haben. Da muß es doch noch dunkel gewesen sein, wer konnte das Flugzeug überhaupt sehen?

(Wann und wo in China zum ersten Male Flugzeuge in die Luft gestiegen sind, ist mir nicht bekannt. Auf jeden Fall war Osters Flug nicht der erste. Bereits 1911 hatte ein Franzose namens Vallon in Shanghai Schauflüge veranstaltet und genau wie in Tsingtau den dortigen Rennplatz als Flugplatz benutzt. Bei einem der Flüge stürzte er ab und erlag seinen Verletzungen. Ihm zu Ehren erhielt eine Straße in der Französischen Konzession den Namen: Rue Vallon. Im Frühjahr 1913, also noch vor Oster, waren französische Flieger nach Peking gekommen und hatten Schauflüge veranstaltet.)

Bereits 2 Tage später, am 11. 7. 1913, startete Oster zu seinem nächsten Flug, und schon kam es zur ersten Beschädigung. Die TNN beschreiben wieder begeistert die Flugroute und enden mit den Sätzen: "Nach einer weiteren Kurve, die ihn noch einmal über die See hinaus führte, landete dann Herr Oster glücklich wieder an der gleichen Stelle auf dem Rennplatz, von der er aufgestiegen war. Daß es dabei leider einige geringfügige Beschädigungen am Fahrgestell erlitt, tut wenig zur Sache. Es liegt das an der Ungunst des Platzes, der für das Landen immer einige Schwierigkeiten und Gefahren bietet. Die Landung ist der Terrainverhältnisse wegen nur aus einer Richtung, von der See her, möglich. Steht nun, wie das heut der Fall war, der Wind direkt oder halbseitwärts von der See dem Flugzeug im Rücken, so kann es bei abgestelltem Motor kurz vor oder im Augenblick der Berührung mit dem Erdboden nicht mehr jeden Windstoß parieren und kommt nur zu leicht aus der Gleichgewichtslage. Dann besteht die Gefahr, daß es mit dem einen Rade des Fahrgestells zuerst oder zu hart auf den Erdboden gedrückt wird und so infolge des ungleichen Drucks Beschädigung erleiden muß. So ist auch der heutige Unfall zu erklären. Der Schaden ist aber nicht groß und wird in wenigen Tagen wieder ausgebessert sein."

Dies war auch der Fall, und wiederum 2 Tage später melden die TNN vom 13. 7. 1913: "Schauflug. Im Anschluß an die sportlichen Wettkämpfe am heutigen Sonntag Nachmittag wird Herr Franz Oster gegen 18 Uhr, günstige Wetterverhältnisse vorausgesetzt, mit seiner Flugmaschine wiederum aufsteigen. Es soll dies ein Äquivalent für die durch Motordefekt mißlungenen Flugversuche des letzten Jahres an die Kartenbesitzer sein und ist daher der Zutritt zum Startplatz frei."

Am 28. 8. 1913 berichten die TNN: "Herr Oster führte Mittwoch in den frühen Morgenstunden wieder einen längeren, glücklich gelungenen Überlandflug über Tsingtau und den Lauschan aus. Der Rückflug führte um Kap Yatau herum über die See nach Tsingtau. Hier wurde nochmals die Stadt sowie der große Hafen und die nähere Umgebung überflogen. Die durchflogene Strecke beträgt ca. 130 km Luftlinie, welche der Flieger in nur einer Stunde 23 Minuten zurücklegte. Der Lauschan wurde in einer Höhe von 2230 m überflogen." Ergänzend dazu meldeten die TNN am 29. 8.: "Aus Litsun wird uns geschrieben, daß auch dort am Mittwoch früh Herr Oster bei einem Fluge über den Lauschan beobachtet worden ist. Das Flugzeug war gut zu sehen und konnte weithin verfolgt werden. Trotz der frühen Morgenstunde – es war etwa eine Viertelstunde nach sechs – hatten sich zahlreiche Chinesen im Litsun-Flußbett angesammelt, die staunend und mit größtem Interesse den Luftwagen beobachteten."

Da der Rennplatz (damals Iltis- oder Poloplatz genannt) als Flugplatz viel zu klein war, machte Oster sich Gedanken darüber, wo im Pachtgebiet ein geeigneterer Landeplatz angelegt werden könnte. In einem langen Leserbrief an die TNN, am 1. 4. 1914 dort veröffentlicht, beschreibt er noch einmal ausführlich die widrigen Verhältnisse des Rennplatzes und schlägt ein Gebiet am Litsunflusse, gegenüber dem Wasserwerk, zwischen Tsangkou und Litsun, als Flugfeld vor. Vier Monate später bricht der Krieg aus, da mußte man doch den Rennplatz benutzen, da er innerhalb der Befestigungslinie lag. Aber nach dem 1. Weltkrieg ist dann der Tsingtauer Flugplatz tatsächlich bei Tsangkou eingerichtet und bis in die 1980er Jahre benutzt worden, ehe der neue Flughafen nördlich des Bai-sha-he (Weißer Sandfluß) bei Chengyang angelegt wurde.
 

VII. Carl Nimz' Bericht als Zeitzeuge zu Franz Osters erstem Überlandflug in Schantung 1913

Die Kenntnis einer weiteren interessanten Episode verdanken wir Carl Nimz, der bis 1914 als Polizeikommissar bei der chinesischen Bahnpolizei für die Strecke Tsingtau–Tsinanfu beschäftigt war, mit Sitz in Fangtse, wo die deutsche Schantung-Bergbau-Gesellschaft Kohle abbaute. Das Bundesarchiv Koblenz (Kleine Erwerbungen 56) bewahrt maschinenschriftliche Lebenserinnerungen von Carl Nimz. In ihnen befindet sich auch ein gesonderter Aufsatz, 1953 in Essen niedergeschrieben, mit dem Titel: "Das erste Flugzeug in China (1913)". Ob dieser Aufsatz irgendwo veröffentlicht worden ist entzieht sich meiner Kenntnis. Annette Biener hat in ihrer Tsingtau-Dissertation einige Passagen aus dieser Schilderung zitiert. Aus dem Titel ist zu ersehen, daß Nimz, wie auch die oben zitierte Linda York, die falsche Vorstellung hatte, dem Oster sei zum ersten Male in ganz China ein Flug gelungen. Nimz' Aufsatz, in Ich-Form geschrieben, soll hier wörtlich, mit einigen Kürzungen, wiedergegeben werden:
 
"Es war im Jahre 1913. In unserem schönen Tsingtau lebte Franz Oster, er hatte dort eine Bootswerft betrieben, ein robuster Mann, so etwas wie ein Rauhbein. Nicht mehr so jung, wie Flieger eigentlich sein müßten, hatte er doch noch in Deutschland eine Fliegerschule absolviert und sich dann eine Rumpler-Taube nach Tsingtau mitgebracht. Der Ehrgeiz trieb ihn dazu, einen Überlandflug zu unternehmen, wobei auch politische und geschäftliche Interessen eine Rolle spielten, denn es war wichtig, für deutsche Aeroplane Propaganda zu machen. Oster hatte also den Plan, entlang der 420 km langen Strecke der deutschen Schantung Eisenbahn nach Tsinanfu, der Provinzhauptstadt, zu fliegen, wozu natürlich die Erlaubnis des chinesischen Gouverneurs einzuholen war.
 
Ich war damals Polizeikommissar im Dienst der chinesischen Provinzialregierung. Mein Vorgesetzter, Inspektor Rudolf Sterz, und ich hatten die Aufsicht und Kontrolle über die 800 Mann starke chinesische Bahnpolizei, die entlang der Bahn stationiert war. Unsere Zentrale war in Fangtse, bei 170 km der 420 km langen Strecke. Oster bat Sterz um seine Vermittlung bei den chinesischen Behörden. Die Erlaubnis zum Flug wurde gern erteilt, denn wie in aller Welt, so waren auch die Chinesen, besonders die Militärs, an den Fortschritten der Aviatik sehr interessiert. Sterz übertrug mir nun die Organisation für den geplanten Flug entlang der Bahnstrecke. Oster kam zu uns nach Fangtse, und mit ihm zusammen besuchte ich den chinesischen Brigadegeneral in der nahen Kreisstadt Weihsien. Diese wichtige Stadt hatte einen großen Exerzierplatz, und für eine eventuell notwendige Zwischenlandung mußte die Erlaubnis des Generals und auch die Assistenz seiner Truppen erbeten werden. Der Herr General empfing uns sehr freundlich, es war im Hochsommer, ein brütend heißer Tag, es wurde uns brühwarmer Sekt in chinesischen Porzellantassen serviert, bestimmt kein Labsal bei der 40 Grad feuchten Hitze. Der General sagte uns jede Unterstützung zu, vorausgesetzt natürlich, daß der Militärgouverneur seine Erlaubnis erteilen würde. In Tsinanfu hatte Inspektor Sterz alle Formalitäten mit dem Militärgouverneur Chin und den anderen Behörden geregelt, man war überall sehr zuvorkommend, sollte es doch ein Ereignis von historischer Bedeutung werden, die erste Flugmaschine am Schantung-Himmel zu erblicken. Die Endlandung sollte auf dem großen Exerzierfeld der 5. Division im Vorort Ta Huai Shu (Großer Akazienwald) stattfinden. Der Gouverneur gab sofort Befehl, den Platz in Ordnung zu bringen und ständig bereit zu halten. Der Flug sollte an einem der schönen Herbsttage vor sich gehen, wann in Nordchina nach beendeter Regenzeit mit beständig günstigem Wetter gerechnet werden kann.
 
Die schönen Herbsttage hatten eingesetzt, ich saß seit Tagen in Tsinanfu-Westbahnhof, Endstation der Bahn und erwartete jeden Morgen die Meldung vom Start. Eine Woche wartete ich vergebens, hatte aber dem Militärgouverneur gemeldet, daß nunmehr jeden Tag mit dem Flug gerechnet werden könne. Ich erhielt daraufhin eine direkte Telefonverbindung mit dem Yamen. Eines schönen Morgens (es war der 24. Oktober 1913) kam dann endlich die Meldung aus Tsingtau: 'Oster glatt gestartet, Wetter gut.' Ich alarmierte sofort alle Bahnstationen, bald darauf kam auch Meldung von Nükukou, der ersten Bahnstation auf chinesischem Gebiet (außerhalb des Pachtgebietes), daß Flugmaschine passiert. Meldungen aus den weiter westlichen Stationen folgten in regelmäßigen Abständen, der Flug schien programmäßig zu erfolgen. Als Station Fangtse Vorbeiflug gemeldet hatte, war es höchste Zeit für mich, dem Yamen telefonisch Meldung zu machen, damit der Gouverneur mit Gefolge rechtzeitig das abgelegene Exerzierfeld erreichen konnte, es war immerhin fast eine Stunde mit Pferdekutschen oder Rikschas dazu nötig – Autos gab es damals in Tsinanfu noch nicht. Auf meine Meldung hin setzte eine wahre Völkerwanderung vom Yamen und aus der Stadt zum Flugplatz ein. Sämtliche Ämter der Stadt waren entvölkert, alle Beamten und auch viele Leute aus der Stadt strömten nach Westen, zu Pferde, in Kutschen und Rikschas, überall ertönte der Ruf: 'De Guo Feh Ting Lai' (ein deutsches Flugzeug kommt). Die 5. Division war alarmiert, Musikkapelle stand bereit, es war alles für einen großartigen Empfang vorbereitet, sogar die alte Mutter des Gouverneurs, eine 70 Jahre alte Dame, fuhr in ihrer Glaskutsche, geleitet von einer Militäreskorte, hinaus zum Flugplatz. Derweil saß ich im Telegrafenzimmer der Endstation und erwartete weitere Meldungen. Weihsien hätte einige Minuten später kommen müssen, kam aber nicht. Auf Anfrage kam Antwort: 'Flugzeug bisher nicht gesichtet.' Ich wurde ziemlich nervös, fragte kurz darauf wieder an, mit dem gleichen Resultat. Nach einiger Zeit kam dann die Meldung: 'Flugzeug östlich Weihsien im Felde notgelandet, leicht beschädigt, Oster unverletzt, Weiterflug unmöglich.'
 
Mit einem kräftigen chinesischen Fluch quittierte ich diese letzte Meldung. Herr Gott, diese Blamage, da haben wir aber gründlich unser Gesicht verloren, das war die recht unangenehme Erkenntnis, die sich mir aufdrängte. Was blieb mir weiter übrig, als telefonisch an den Gouverneur melden zu lassen, daß das Flugzeug abgestürzt und nicht mehr zu erwarten sei. Ich habe dann mehrere tüchtige Whiskys getrunken und bin verschwunden, um am nächsten Morgen mit dem ersten Zug nach Weihsien zu fahren. Dort fand ich die leicht beschädigte Rumpler-Taube im Lokomotivschuppen, wohin sie die Soldaten geschafft hatten. Oster war bereits nach Tsingtau abgereist. Wie er mir später erzählte, hatte sein Motor ausgesetzt, das Fahrgestell war bei der Notlandung so beschädigt, daß ein Weiterflug nicht mehr möglich war. Das war das unrühmliche Ende des ersten Fluges einer deutschen Maschine über chinesisches Gebiet, den wir mit so viel Mühe, Propaganda und großen Hoffnungen organisiert hatten. Recht unangenehm war dann die Entschuldigungsreise mit Oster zum Brigadegeneral in Weihsien und zum Militärgouverneur in Tsinanfu. Wir wurden jeweils nur vom Adjutanten empfangen, der Osters Erklärung, die ich verdolmetschte, recht kühl entgegennahm. Sekt wurde dabei auch nicht mehr serviert, sondern nur der übliche Besuchstee."

Hier soll die Meldung aus den TNN vom 24. 10. 1913 eingeschoben werden. Letztere hatte offensichtlich ihren Redaktionsschluß erst am Vormittag, und so kann sie ganz aktuell berichten: "Herr Franz Oster hat heute morgen seinen langen beabsichtigten, aber infolge schlechter Witterung immer wieder aufgeschobenen Flug nach Tsinanfu bei schönstem Wetter angetreten. Oster verließ 6:45 Uhr morgens Tsingtau, passierte 7:40 Kaumi, 8:08 Tsoschan, 8:15 Fangtse und landete 8:20 glatt in Weihsien. Von hier aus wird Oster am 24. cr. früh nach Tsinanfu weiterfliegen." Nun hätte die Zeitung eigentlich in den Ausgaben der nächsten Tage die Leser informieren müssen, daß der Flug nach Tsinanfu gescheitert war. Dies ist aber nicht der Fall. Wahrscheinlich war ihr die Falschmeldung von Osters "glatter Landung in Weihsien" peinlich, und so hüllte sie sich einfach in Schweigen.

Carl Nimz erzählt abschließend noch eine weitere Episode: "Diese ersten Flugzeuge waren doch noch recht primitive Maschinen aus Leinwand und Sperrholz. Später habe ich Oster noch einmal geholfen, Propaganda für seine Rumpler-Taube zu machen. Ich mußte des Präsidenten Yüan Schi Kais zweiten Sohn auf der Reise von Tsinan nach Tsingtau begleiten, wohin er seine Schwester brachte, die dort verheiratet war. Der junge Yüan Ko Wen reiste wie ein Prinz mit großem Gefolge in den beiden Salonwagen der früheren Kaiserin, die ganz in gelber Seide gehalten waren. In Tsingtau kam Oster zu mir und bat mich, die Chinesen zu einer Besichtigung und Vorführung seiner Rumpler-Taube einzuladen, vielleicht könnte es gelingen, sie für den Ankauf der Maschine zu interessieren. Ich habe es dann auch möglich machen können, daß bei einer geplanten Autofahrt bei Osters Flugzeugschuppen Halt gemacht wurde. Stolz zeigte er uns seine wieder reparierte Maschine. Ich hatte rechte Mühe, seinen langen technischen Vortrag zu verdolmetschen. Oster stieg dann in sein Flugzeug, während wir noch um dieses herumstanden. Ganz plötzlich ließ er den Motor an, so daß uns Staub und Dreck gehörig um die Ohren flog. Die Chinesen liefen schleunigst zu den Autos, und wir verließen Oster ohne Abschied zu nehmen. Ich weiß heute noch nicht, was ihn veranlaßte, uns mit seinem Propeller den Staub ins Gesicht zu blasen. Ich war recht verlegen, für Osters Benehmen eine Ausrede zu finden, die Chinesen hatten einen gehörigen Schreck bekommen und zuerst an ein Attentat geglaubt. So hatte ich mich ein zweites Mal mit dieser Rumpler-Taube blamiert. Oster habe ich dann nicht wieder gesehen, ich hätte ihm gerne meine Meinung gesagt." (Damit endet Nimz Bericht über Franz Oster.)
 

VIII. Die japanische Belagerung Tsingtaus 1914

Im Juni 1914 kamen aus Deutschland, per Eisenbahn, zwei Offiziere nach Tsingtau, die als Flieger ausgebildet worden waren: Gunther Plüschow für die Marine und Friedrich Müllerskowski für das III. Seebataillon. Ihre Flugzeuge, ebenfalls Rumpler-Tauben, trafen erst im Juli per Schiff ein. Für beide war ebenfalls der Rennplatz, wie schon für Oster, der einzig mögliche Flugplatz innerhalb der Befestigungslinie. Er lag direkt hinter dem berühmten Badestrand, war aber sonst auf 3 Seiten von Hügeln umgeben (Iltisberge, Bismarckberg, Mathildenhöhe, Klaraberg), so daß ein normales Starten nur nach SW zum Meer hin möglich war. Plüschows Schilderungen in seinem Buch bestätigen, daß die Platzverhältnisse und klimatischen Bedingungen (extrem hohe Luftfeuchtigkeit im Sommer und die böigen Winde) einen Flugbetrieb fast unmöglich machten. Der Hauptgrund: die damaligen 100-PS-Mercedes-Motoren der Rumpler Taube waren einfach zu schwach, die Propeller hatten eine zu geringe Umdrehungszahl, und so kamen die Maschinen gegen die dortigen Luft- und Windverhältnisse kaum an.

Plüschow schreibt in seinem Buch (S. 30): "Der Flugplatz war außerordentlich klein, nur sechshundert Meter lang und zweihundert Meter breit, voll von Hindernissen und rings umgeben von Hügeln und Felsen. Wie klein der Platz aber wirklich war und wie ungeheuer schwer zum Starten und Landen, das sollte ich bald noch zur Genüge erfahren. Mein Freund Clobuczar, ein früherer österreichischer Fliegeroffizier, der jetzt auf der 'Kaiserin Elisabeth' war, sagte mir mal: 'Ein Flugplatz soll das hier sein? Höchstens ein Kinderspielplatz! In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht gesehen, daß ein Mensch in einem solchen Platze fliegen soll.' Mir gings ähnlich so. Und ich würde mir in Deutschland ein solches Plätzchen höchstens mal als Notlandungsplatz aussuchen."

Beim ersten Flugversuch, Ende Juli 1914, hatte Plüschow offensichtlich keine Schwierigkeiten beim Starten und Landen. Als jedoch sein Kollege Müllerskowski am 2. August zum ersten Flug ansetzte, geschah folgendes (Plüschow S. 32): "Sein Flugzeug war eben einige Sekunden in der Luft und befand sich zirka fünfzig Meter hoch gerade an der kritischen Stelle, wo Flugplatz und gleichzeitig das Land endet und mit steilen Felsen ins Meer abfällt, als es sich plötzlich zur Seite neigte und wir mit Schrecken sehen konnten, wie es in sausender Fahrt mit dem Kopf vorneweg in die Felsen hineinstürzte. (....) Schwer verletzt brachten wir ihn [Müllerskowski] ins Lazarett, wo er bis kurz vor Ende der Belagerung liegenbleiben mußte. Das Flugzeug war vernichtet."

Drei Tage später produzierte auch Plüschow beim Landeanflug auf den Rennplatz eine Bruchlandung, er selbst blieb unverletzt. Erst 16 Tage später, nach langwieriger Reparatur, konnte er wieder in die Lüfte steigen. Ich besitze aus dem Bundesarchiv-Militärarchiv eine maschinenschriftliche Kopie des handschriftlichen Kriegstagebuches von Plüschow für die Zeit vom 31. 7. bis 15. 9. 1914. Während er in seinem Buch Franz Oster mit keinem Wort erwähnt, bringt sein Tagebuch interessante Informationen über diesen. Am 16. August hatte Japan sein Ultimatum überreicht, das gleichbedeutend mit der Kriegserklärung war. Zu dem Zeitpunkt war von den 2 Flugzeugen eines total zerstört, das andere beschädigt und nicht flugbereit. Da entsann sich der Gouverneur Meyer-Waldeck, daß ja Franz Oster auch eine Rumpler Taube besaß. Plüschow notiert am 20. 8. 1914 in seinem Tagebuch: "Zivilflieger Franz Oster zur Fliegerstation mit einer alten Rumpler-Taube 70 P.S. Mercedes gekommen. Oster ist vom Gouverneur zwecks eventuellen Abkaufs seines Flugzeugs aufgefordert worden, einen zweistündigen Probeflug zu machen. Oster-Flugzeug wurde dazu aufmontiert." Und am 22. 8.: "6 Uhr früh Franz Oster zum Abnahmeflug gestartet. Kurz nach dem Start bis auf den Boden durchgesackt, Flugzeug stark beschädigt, wird im Schuppen wieder zusammengebaut." Dann am 27. 8.: "Beginn der Blockade. Wind NO 2-3. Um 5:26 Uhr früh Oster zum Abnahmeflug wiederum gestartet. Kurz nach dem Start genau wie am 22. 8. durchgesackt. Flugzeug vollständig zertrümmert. Wiederaufbau lohnt sich nicht mehr. Franz Oster blieb unbeschädigt, er wurde von der Fliegerstation ab und als Artillerie-Mechaniker zum Automobilkorps kommandiert. 5:45 Uhr früh versuchte ich zu starten, sackte ebenfalls durch und landete sofort wieder, keinerlei Beschädigungen."

Plüschows Tagebuch ist nicht komplett erhalten und geht nur bis zum 15. 9. Viele Leute haben damals während der Belagerung Tagebuch geführt. Auch der evangelische Missionssuperintendent C. Johannes Voskamp von der Berliner Mission, dessen Niederschrift 1915 als erster Augenzeugenbericht von der Belagerung in Deutschland erschien und deshalb eine riesige Auflage erreichte. In seinem Buch: "Aus dem belagerten Tsingtau. Tagebuchblätter" findet man auf S. 60 eine überraschende Notiz unter dem 13. 10.: "Oster, der die ersten Flugversuche hier in Tsingtau gemacht hat, ist heute bei einem erneuten Gange abgestürzt. Er ist Mechaniker vom Beruf, ein Mann von großer Willensstärke, der aber augenscheinlich mit dem zu schwachen Motor keinen glücklichen Auf- und Abstieg bewerkstelligen kann. Dazu kommt, daß die Luftverhältnisse hier am Meere mit ihren leicht wechselnden Schichten der Luftfahrt nicht recht günstig sind." Wie ist dieses Rätsel aufzulösen? Plüschow hatte doch unter dem 27. 8. notiert, daß Osters Maschine völlig zertrümmert sei und ein Wiederaufbau sich nicht lohne. Offenbar hat Oster nicht locker gelassen und als zäher Tüftler und bewährter Mechaniker doch noch einmal die Bruchstücke zusammengebaut. Aber auch der dritte Startversuch mißlang. Kein Wunder, denn seine Maschine hatte nur 70 PS, und selbst von den zwei neuen Rumpler Tauben mit ihren 100-PS-Motoren stürzte die eine sofort ab, und Plüschow produzierte bei seinem fünften Flug ebenfalls eine Bruchlandung. Als einziger von den drei Tsingtau-Fliegern hatte er das Glück, daß seine Maschine so repariert werden konnte, daß sie dann während der gesamten Belagerungszeit einsatzfähig war und ihn schließlich in die Freiheit katapultierte.

Leider müssen wir an dieser Stelle eine Legende zerstören, die Linda York in ihrem Artikel verbreitet. Ein Abschnitt trägt die Überschrift: "Der einzige Kriegsflieger. 45 Jahre alt war Oster damals, als er sich spontan bei der dortigen militärischen Kommandobehörde meldete, um als Flieger – als einziger Flieger – an der Verteidigung Tsingtaus gegen die Japaner mitzuwirken. (....) Der Widerstand der kleinen deutschen Streitmacht in Tsingtau war getragen von den unermüdlichen Flugeinsätzen Osters, bis seine Maschine bei einem Erkundungsflug von einer feindlichen Schrappnell-Garbe getroffen, schließlich abstürzte. Franz Oster überlebte diesen Absturz, wenn auch schwerverletzt." Man reibt sich verwundert die Augen und weiß nicht, ob man schmunzeln oder weinen soll. Die Autorin hat keine Ahnung von Gunther Plüschows Existenz und seinem Buch, trotz der 760.000 Exemplare. Sie bezeichnet Oster, der nicht einen Flug zustande gebracht hat, als "einzigen Kriegsflieger" in Tsingtau mit "unermüdlichen Einsätzen"! Wäre sein Flugzeug wirklich durch die Japaner abgeschossen worden, dann hätte Voskamp dies in seiner Tagebuchnotiz festgehalten, auch Plüschow und Whittaker hätten dieses exzeptionelle Ereignis dann unbedingt erwähnen müssen. Beide Buchautoren erwähnen Oster mit keinem Wort. Stattdessen führt Voskamp im Zusammenhang mit Osters endgültigem Absturz am 13. 10. nur wieder die bekannte Tatsache von dem zu schwachen Motor an.
 

IX. Gefangenschaft und Nachkriegszeit

Nach der Besetzung Tsingtaus durch die Japaner am 7. 11. 1914 wurde Oster mit den anderen Tsingtaukämpfern nach Japan in die Kriegsgefangenschaft gebracht, wo er bis Frühjahr 1920 ausharren mußte. Seine Frau und der Sohn Hans blieben anscheinend in Tsingtau.

Nach dem Versailler Friedensvertrag enteigneten die Japaner endgültig den deutschen Grundbesitz in Tsingtau, so daß Oster sein Haus am Kleinen Hafen verlor. Er kehrte trotzdem nach Tsingtau zurück und betätigte sich nach dem Kriege als Zivilingenieur und Havariekommissar. Er wohnte ab 1920 in der Chi Tung Road 10, kaufte nach 1927 sich am Fuße des Signalberges in der Lungshan Road ein Grundstück und baute sich ein neues Haus.

Hermann Neukamp berichtet (Das Deutsche Eck, Nr. 6, S. 14), daß Hans Oster ihm als Schuljunge erlaubte, die Bibliothek seines bereits verstorbenen Vaters zu benutzen: "Seine Bücher waren damals eine wahre Fundgrube für meinen technischen Lesehunger, denn Franz Oster hat sich Zeit seines Lebens für fast alle technischen und naturwissenschaftlichen Themen interessiert, bis hin zur Bienenzucht und der Herstellung von Wein und Wurstwaren. Zwischen einem Bücherschrank und der Wand stand ein Flugzeugpropeller, den ich oft bewundert habe." (Der Schreiber dieser Biographie wohnte von 1931 bis 1936 in der Lungshan Road 14. Die Osters, Haus Nr. 12, waren unsere Nachbarn. Als Kleinkind werde ich also dem Ehepaar Oster begegnet sein, ein Wissen darüber habe ich nicht mehr.)

Franz Oster ist am 19. 7. 1933 gestorben. Den Grabstein zierte das Relief eines Ankers und Flugzeugpropellers. Frau Elise Oster starb am 11. 10. 1937 in Tsingtau. Ihr Sohn, Hans Oster, wohnte weiterhin im elterlichen Hause in der Lungshan Road, wurde im Juni 1946 auf der "Marine Robin" nach Deutschland repatriiert, wo er in Wiesbaden eine Beschäftigung fand. Dort ist er, unverheiratet, am 12. 1. 1966 gestorben.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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