Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Im Lager Tokyo-Asakusa

von Christian Vogelfänger
 

Die handschriftlichen Aufzeichnungen wurden von der Tochter des Autors in Maschinenschrift übertragen und zur Verfügung gestellt – hierfür herzlichen Dank!
Die Wiedergabe erfolgt unverändert, jedoch wurde die Rechtschreibung maßvoll modernisiert. Zugunsten der Übersichtlichkeit wurden Zwischenüberschriften eingefügt. Anmerkungen des Redakteurs stehen in [ ] oder in den Fußnoten.
 

Übersicht:


 

Im Buddhatempel zu Tokyo

23. November 1914. Um 6:30 Uhr war Wecken durch Trompetensignal und Antreten zur Morgenmusterung. Die Wolldecken waren schön zusammengelegt und gestapelt. Nachdem von Oberleutnant Harbur san der Frühappell abgehalten [und] ohne Beanstandung war, wurde das Frühstück ausgegeben. Auf allgemeinen Wunsch wurde auch eine Kantine eingerichtet. Mittagessen wurde aus einem Hotel herangebracht. Es war zu aller Zufriedenheit hergerichtet. Jeder hatte sein Besteck und Trinkgefäß. Bis jetzt sind uns die Japaner sehr freundlich und zuvorkommend entgegen gekommen. Jeder erhielt seinen Spind, in dem er seine Sachen unterbringen konnte. Auch das Abendbrot war sehr befriedigend.

24. November 1914. Oberstleutnant Kuhlo las uns heute die neuesten Nachrichten aus Deutschland vor mit den erforderlichen Nebenbemerkungen über Siege der deutschen Truppen in den Weststaaten [?]. Auch die Türken haben unseren Feinden den Krieg erklärt. Auch brachte die Zeitung folgende Notiz über unseren Empfang in Japan. Man hätte die deutschen Gefangenen überall mit Bansairufen und Bewunderung über die schmucken Soldaten [empfangen]. Man sprach nicht von deutschen Gefangenen, sondern nur von deutschen Herren. Von einem freundlichen Gönner erhielten wir eine Mandoline als Geschenk, die uns über die traurige Zeit der Gefangenschaft hinweg helfen soll.

25. November 1914. Der Tag verlief in aller Ruhe. Ich machte mal wieder ordentliche Selbstreinigung und Zeugwäsche, allerdings in kaltem Wasser.

Der 26. November verlief ruhig mit Kartenspielen und Langeweile.

27. November 1914. Die Zeit wird durch Kartenspielen und Lesen vertan. In den Zeitungen stand folgender Bericht von dem Verein der Buddhisten. Wie wir unsere christliche Religion haben, so haben die Japaner den Buddhismus. Dann handelt der Bericht von dem guten Verhältnis der Japaner zu den Deutschen und dass die Japaner den Krieg gegen Deutschland nur auf Drängen der Engländer erfolgt sei. Außerdem halten die Japaner sehr viel von den tapferen Tsingtau-Kriegern, die in dem Heiligtum der Japaner, dem großen Tempel, zufrieden untergebracht sind. Abends empfingen wir Liebesgaben, Brot und Rauchmaterial.

28. November 1914. Wir begannen heute mit Unterricht in der englischen Sprache durch Leutnant Coerper. Um 9 Uhr Licht aus, Nachtruhe.

29. November 1914. Nachdem wir vom Frühsport zurück waren, wurde von unserem Missionar (Sergeant im OMD) Gottesdienst gehalten. Eingangslied: Lobe den Herren, Schlußlied: Nun danket alle Gott. Die Andacht war eine sehr ergreifende mit Rückblick auf den Kampf um Tsingtau, wo so viele unserer Kameraden ihr junges Leben lassen mußten. Nachmittags trafen 2 Matrosen von SMS Gneisenau aus Ponape ein, die dort im Lazarett gelegen hatten. Abends war ein sehr interessanter Vortrag über den Buddhismus durch Dr. Ueberschaar, freiwilliger Tsingtaukrieger.

30. November nichts Besonderes.

1. Dezember 1914. Der letzte Monat des Jahres hat begonnen. Man merkt es vor allen Dingen an dem nun ins Leben gerufenen Gesangverein, der die Weihnachtslieder einübt. Rauchmaterial und Neuigkeiten sind alle geworden, wir sitzen hier auf dem Trockenen. Ich bekomme monatlich von einem Kameraden 10 Yen, die mein Vater in Mark an die Eltern des Kameraden in Schleswig-Holstein zurückzahlt.

2. und 3. Dezember 1914 nichts Besonderes.

4. Dezember 1914. Nach dem Frühstück ausrücken zum Frühdienst, der immer noch mit militärischem Zack durchgeführt und von einer großen Menschenmenge bestaunt wird. Noch wird das Mittagessen von einem japanischen Hotel geliefert. Abends Vortrag über japanisches Land und Leute von Dr. Ueberschaar in Gegenwart des japanischen Oberleutnants Habour. Der 5. Dezember verlief ohne besondere Vorkommnisse.

6. Dezember 1914. Am heutigen Tage trafen wieder Liebesgaben in Form von Socken (Strümpfen) und Büchern ein, was beides sehr willkommen war. Als Korporalschaft vom Dienst mussten wir unser Quartier säubern und die Blenden vorschieben. Um 8 Uhr Ruh im Schiff.

7. Dezember 1914. Heute fand ein großer Gottesdienst der Buddhisten im Haupttempel statt, an dem wir aber nicht teilnehmen durften, um eventuelle Zwischenfälle zu vermeiden. Wir durften wohl den Hauptempel besichtigen, der reichlich mit Blumen geschmückt war. Während des Gottesdienstes, der zu Ehren der gefallenen Krieger vor Tsingtau gehalten wurde, wurden Lotosblumen verteilt, von denen wir nach dem Gottesdienst jeder 2 Blumen erhielten. Außerdem erhielten wir nach der Feier jeder eine Tüte mit Obst.

8. Dezember 1914. Der Dienst fiel heute wegen starken Regens (Schnee gibt es nicht) aus. Dr. Ueberschaar hielt wieder Vortrag über die Verfassung im japanischen Parlament.

9. und 10. Dezember brachten gute Nachrichten von der Heimat. Der 10. Dezember brachte uns die traurige Nachricht von der Vernichtung des Kreuzergeschwaders, Scharnhorst und Gneisenau.

11. Dezember 1914. Dr. Ueberschaar hielt heute wieder einen Vortrag über die älteste Religion Japans, den Schintoismus, und Christentum.

14./15. Dezember 1914. Nichts Besonderes. Einrichtung der neuen Küche für alle.

18. Dezember 1914. Heute erhielten wir unsere neue Briefaufschrift, die lautet: »Service de Prisonniers de guerre.« Gute Nachricht von der Heimat. Abends Vortrag Dr. Überschaar über Ritterspiele, Fechten und japanischen Ringkampf.

19./20./21. Dezember 1914. Nichts Besonderes.

22./23. Dezember 1914. Das Weihnachtsfest rückt näher. Es werden Transparente und Ketten angefertigt. In den Wohnräumen wird großer Reinputz gehalten. Der Festanzug, soweit noch vorhanden, wird in Ordnung gebracht. Es treffen die für uns bestimmten Weihnachtsbäume ein. Hier gibt es noch vieles zu tun, denn die Japaner sollen mal ein deutsches Weihnachtsfest wie selten erleben. Die Weihnachtsbäume waren von dem japanischen Jünglingsverein mit Hilfe der japanischen Behörden aus dem hohen Norden Japans geliefert worden. Nachdem wir nunmehr auch einen Fußball geschenkt bekommen hatten, wurde der Sport mit Fußballspielen ausgedehnt. Es war ein neuer Zeitvertreib.

24. Dezember 1914. Heiligabend, das Weihnachtsfest hat begonnen. Nachdem wir vormittags unsere Freiübungen beendet hatten, wurde nochmals ein tolles Fußballspiel auf dem großen Tempelhof in Gegenwart einer unübersehbaren japanischen Volksmenge ausgetragen. Fünf zu drei für Jaguar-Mannschaft, ein Sieg. Da am Nachmittag ein starker Regen einsetzte, wurde nach großer körperlichen Reinigung um 18 Uhr mit der Weihnachtsfeier begonnen. Nach dem gemeinsamen Lied »Vom Himmel hoch, da komm ich her« sang unser Liederchor »Es ist ein Ros' entsprungen«. Es folgte eine Weihnachtspredigt von unserem Missionar. Auch fehlte nicht der Weihnachtsmann, der eine sehr schöne Ansprache hielt. Es folgten dann drei Hurras auf seine Majestät den Kaiser. Alsdann erfolgte die große Bescherung. Ein jeder erhielt eine Tüte mit Äpfeln, Nüssen, Mandarinen, Zigarre und Zigaretten, alles von den noch in Tokyo wohnenden Deutschen gestiftet. Außerdem erhielt jeder 2 Yen in bar gestiftet von den Feuerwerksmaaten der Marinekompanie. Zum Schluß fand noch eine Verlosung statt. Ich hatte die Nr. 17 und erhielt einen japanischen Lackkasten. Andere erhielten gestrickte Westen oder Strümpfe und Schuhe. In unseren Wohnräumen war alles so schön ausgeschmückt, hinter den geschmückten Tannenbäumen brannten die Kerzen. Die Tische waren blank gescheuert und mit weißen Bettlaken bezogen als Tischdecken. Leutnant Heimendahl spielte Klavier, 2 andere Soldaten spielten Geige und Gitarre. Humoristische Vorträge wurden gehalten, es war eine erhabene Feier, wie sie wohl in den europäischen Gefangenenlagern nicht stattfand. Um 23 Uhr Ruhe. Nach den leeren Flaschen zu urteilen hatte die japanische Kantine einen gewaltigen Umsatz gehabt. Dementsprechend war auch der Nachdurst am folgenden Tag.

25. Dezember 1914. Als ich heute morgen an der Kantine vorbei kam, standen hier über 800 leere Flaschen, somit kamen auf jeden Mann ca. 3 Flaschen Bier. Nach ein paar kräftigen Fußballspielen gingen wir hungrig zum Mittagessen, was besonders gut in der eigenen Mannschaftsküche zubereitet war. Es schmeckte wie selten je zuvor. Gute Nachrichten aus der Heimat brachte, versteckt in den englischen Zeitungen, der Oberstleutnant Kuhlo, als er sagte, ja man muß die englischen Zeitungen zwischen den Zeilen lesen. Am Spätnachmittag setzte starkes Schneewetter ein.

26. Dezember 1914. Der Tag verlief wie alle anderen zuvor. Am Abend wurden noch verschiedentlich lustige Vorträge gehalten, denn an Humoristen fehlte es nicht. Ein Bootsmaat von der Marinekompanie hielt in sehr angeheitertem Zustand auch verschiedene lustige Vorträge, in denen er die Engländer herunter putzte, es gab genug zum Lachen. Um 20 Uhr übermüdet Ruh im Schiff.

27. Dezember 1914. Nun leben wir wieder im alten Trott weiter. Nur noch wenige Tage, die uns vom neuen Jahr trennen. Der Gesangverein probt die neuen Lieder zum Jahreswechsel ein. Unser Englisch-Unterricht von Leutnant Coerper wird fortgesetzt. Von meinen Eltern in der Heimat noch immer keine Nachricht, trotzdem ich schon 2 Briefe und 2 Karten mit vorgedruckten Zeilen, die uns monatlich je 1 Stück geliefert werden, an meine Eltern schickte.

28. Dezember 1914. Nichts besonderes.

29. Dezember 1914. Nachmittags gingen wir wieder zum Sport, Fußball und Bewegung im Freien. Auch trafen wir hier wieder eine kleine hübsche Japanerin, die uns stets freundlich mit »Konnichi wa« begrüßte. Ein japanischer Schutzmann, der hier bei der kleinen Japanerin stets den Dolmetscher spielt, sorgt für die gute Unterhaltung. Da wir stets zu Dreien sind, ich selbst, mein Freud Elle aus Düsseldorf und mein Freund Grönitz aus Schlesien, haben [wir] stets eine erholende Unterhaltung, denn die Kleine lernt auch so nach und nach Deutsch.

30. Dezember 1914. Die Feiertage sind zu Ende, die Wohnräume werden vom alten Schmuck gesäubert, und neue Blumen und Kränze werden die Räume wieder schmücken, denn der letzte Tag im alten Jahr rückt näher.

31. Dezember 1914. Nachdem wir heute Morgen unsere erforderliche Bewegung, Sport und Fußball hinter uns gebracht hatten, ging es wieder hungrig in die Quartiere zurück, wo uns ein sehr gutes Mittagessen, Bratfleisch mit Kartoffeln und Gemüse, erwartete. Unser Koch, Soldat Kuhlhoff aus dem Kohlenpott, dessen Eltern dort ein Hotel haben, versteht etwas vom guten Essen und freut sich immer, wenn wir sein gutes Essen loben. Am Abend gegen 19 Uhr begann die eigentliche Feier mit dem Lied »Des Jahres letzte Stunde«. Dann hielt Oberstleutnant Kuhlo die Festrede und einen Rückblick auf das vergangene Jahr. Nach dieser Ansprache wurden wieder 3 Hochs auf Seine Majestät den Kaiser ausgebracht. Selbst der japanische Oberleutnant Harbur hielt eine Ansprache, wünschte uns allen ein glückliches gesundes Neujahr und sang verschiedene japanische Lieder. »Es gibt keine Feindschaft mehr, kriegsgefangene Herren!« Jeder erhielt noch eine große Flasche Bier als Geschenk. Verschiedene lustige Vorträge unserer Komiker verschönerten den Abend, der in einem »Prosit Neujahr 1915« verklang.

1. Januar 1915. Das neue Jahr hat begonnen. Was wird es uns bringen? Von den Klängen des Klaviers wurden wir heute geweckt. Es erklang allgemein das Lied »Heil dir im Siegerkranz«. Gegenseitig wurden die Hände geschüttelt und nochmals Glück und Gesundheit gewünscht. Nachdem der Frühsport beendet war, erschien der Oberstleutnant Kuhlo, um uns alles Gute, Gesundheit und ein baldiges Ende der Gefangenschaft zu wünschen. Nach seiner ergreifenden Ansprache erscholl das Lied »Deutschland, Deutschland über alles« und drei kräftige Hochs auf seine Majestät, dann folgte das Lied »Heil Dir im Siegerkranz«. Der Tag verlief mit Freude und reichlich Musik. [?] Uhr Ruh im Schiff.

5. Januar 1915. Aus der Heimat keine besonderen Nachrichten, was wohl infolge der Feiertage nicht zu erwarten war. Nach dem üblichen Frühsport zurück ins Quartier. Da der Ofen nur 2 Stunden brennen darf, trotzdem es draußen sehr kalt ist, wird sich in Wolldecken eingehüllt, englischer Unterricht gemacht.

8. Januar 1915. Schnee und Regen versagen den gewohnten Frühsport.

9. Januar 1915. Nach dem üblichen Frühsport, ohne Schnee und Regen, erschien nach dem Mittagessen der japanische Oberstleutnant Marquis Saigo mit seinen Offizieren, um die allgemeine Lage und die Sauberkeit der Wohnräume zu besichtigen. Ohne irgend eine Beanstandung festzustellen, unterhielt er sich mit verschiedenen Männern, zog dann mit seinen Offizieren wieder von dannen.

10. Januar 1915. Wegen Regen und Schnee fiel der Frühsport aus, es wurde große Zeugwäsche gehalten und der Rest des Tages mit Karten-, Schach- und Halma-Spiel verbracht. Besondere Neuigkeiten über die Lage in der Heimat gab es nicht.

12. Januar 1915. Das Wetter hat sich wesentlich gebessert, so werde ich heute wohl endlich meine Wäsche wieder trocken unterbringen können. Abends wieder Vortrag über Schulen und Kirchen in Japan. Von meinen Eltern noch keine Post bekommen. Draußen vor dem Tempel wurden Fotos von der ganzen Jaguar-Besatzung und OMD gemacht. Auch wurde von den einzelnen Unterkünften der Deckoffiziere und Offizieren Fotos gemacht. Von der Heimat nur kurze Berichte, der Krieg geht weiter. Ich habe heute Dienst und somit für das Essen der Unteroffiziere zu sorgen.

15. Januar 1915. Nach dem Frühstück und auch nach dem Mittagessen Sport und militärischer Schliff, wie es sich für deutsche Soldaten auch in der Gefangenschaft gehört, sorgen für den erforderlichen Zeitvertreib.

17. Januar 1915. Vor jedem Dienst werden wir jetzt durch einen Teil der Stadt unter strenger Bewachung und meist im Laufschritt geführt, da sich sonst zuviel Volk ansammelt. Unsere Freundin und der gut bekannte Schutzmann haben uns wieder mal besucht auf dem großen Tempelhof.

18. Januar 1915. Da sich die Zuschauermenge der Japaner täglich vergrößert, wird alles mit der Polizei abgesperrt, um eventuelle Zusammenstöße zu vermeiden, denn nicht alle Japaner sind uns zugetan. Mit meinem Englischstudium bin ich reichlich ausgelastet. Für die japanische Sprachvervollkommnung ist nur wenig Zeit übrig. Gute Nachrichten vom europäischen Kriegsschauplatz. Heute sind wir wieder dran zum Kartoffelschälen für die Küchenverpflegung.

26. Januar 1915. Wir [wurden] heute vom Oberstleutnant Saigo gebeten, am morgigen Tag nioht allzuviel zu feiern, da die japanischen Behörden dies nicht gerne sehen.

27. Januar 1915. Kaisers Geburtstag. Vormittags Dienst nach Plan wie sonst. Nachmittags wurde das Klavier wieder herangeholt, außerdem hatten wir alle gespart für eine Ziehharmonika. Zur Feier des Tages erhielt jeder eine Flasohe Bier und einen Yen für weiteren Verzehr. Die Feier begann mit einer kurzen Andacht. Es wurde kräftig gesungen, auch unser Gesangverein verschönerte die Feier mit reichlichem Gesang. Unsere Offiziere waren alle zu gemeinsamer Feier bei uns erschienen. Nachdem Oberstleutnant Kuhlo eine Ansprache gehalten hatte, wurden Hochs auf den Kaiser ausgebracht. Unsere Radaukapelle mit Teufelsgeige spielte reichlich auf. Nach Beendigung der Feier gegen 20 Uhr Ruh im Schiff.

31. Januar 1915. Endlich mal wieder Sonntag wie sonst. Nach dem Frühstück mussten die katholischen Männer antreten zum Kirchgang. Da ich in meiner Jugend in der Kirche als Messdiener berufen war, musste ich hier auch als solcher in den Nebenräumen des Hauptempels den Altar aufbauen mit noch einem zweiten früheren Messediener. Hierbei halfen uns gerne 2 hübsche Japanerinnen, die ihre Betten in die hierfür vorgesehenen Schränke verstauten, dies geschah natürlich alles unter Aufsicht von 2 japanischen Soldaten. Kleine Schmusereien waren zwar verboten, aber die beiden Posten hatten auch hier ihre Freude dran und sahen einen anderen Weg. Es war ein deutscher Missionar, der den Gottesdienst abhielt. Er staunte sehr darüber, dass wir beide Diener unser Messelatein noch nicht verlernt hatten. Nach dem Gottesdienst mussten wir beiden Diener wieder mit Hilfe der beiden Japanerinnen die Schlafräume herrichten und die Schiebetüren, die die einzelnen Zimmer trennten, wieder einschieben. Dass auch hierbei mit den beiden Japanerinnen reichlich geschmust wurde, sei nur am Rande vermerkt.
Als Dank für unsere Schmuserei mit den jap.Mädchen mussten wir beide mit den Gewehren der beiden Posten Griffe kloppen, was diese reichlich versuchten nachzumachen, vor allen Dingen »Präsentiert das Gewehr«, dann brachten die beiden Posten uns wieder zurück in unsere Behausung.

1. Februar 1915. Da es die ganze Nacht hindurch geregnet hatte, wurde vormittags kein Sport getrieben. Nachmittags ging es wieder zum großen Spielplatz raus, um ein Endscheidungspiel zwischen OMD und Jaguar-Mannschaft zu machen. Für die gewinnende Mannschaft waren 10,- Yen ausgesetzt, die wir mit einem 3:0 gewonnen hatten. Abends Vortrag von Dr. Ueberschaar über den japanischen Militarismus. Natürlich wurde von unserem Gewinn des Spiels 5 Yen verkimmelt.

3. Februar 1915. Der Vormittag verlief wie gestern. Nachmittags raus zum großen Spielplatz, wo wir wieder von unseren japanischen Freundinnen herzlich begrüßt wurden und unseren japanischen Unterricht mit unseren Freundinnen fortsetzten. Es ist inzwischen schon bedeutend wärmer geworden. Nachts sehr starker Regen, so dass der Tempel bald schwimmen ging.

6. Februar 1915. Die Nacht hatte es auch stark gefroren, das Wetter springt alle 5 Minuten um. Am Nachmittag gingen mein Freund Elle und ich wieder zum großen Spielplatz, wo 2 Japanerinnen uns mit Blumen begrüßten. Mit 2-mal »doso-deska« (bitte bitte) und »konnichi-wa« (guten Tag) erhielten wir die Blumen überreicht. Mit einem »Arigato gosaimas« und »Sayonara«, Dankeschön auf Wiedersehen, verabschiedeten wir uns für die nächsten Tage.

7. Februar 1915. Angenehmes Wetter auf dem Spielplatz. Es wurde Englisch gelernt. Hier erschienen auch 2 englische Missionare, die Schriften verkaufen wollten, aber es wurde nichts gekauft.

8. Februar 1915. Von nun an müssen wir auf dem Spielplatz antreten, da es hier verschiedentlich ein großes Durcheinander gab. Nachmittags erhielten wir Liebesgaben aus Tientsin. Es wurden Hemden, Unterhosen und Schuhe verlost. Ich gewann eine Unterhose und ein Paar feine Schuhe, die allerdings 2 Nummern zu groß waren. In der Zeitung war heute zu lesen, dass ein japanischer Kreuzer an der amerikanischen Küste aufgelaufen sei. Abends spielte ein als Geschenk erhaltenes Grammophon. Auch das war mal wieder eine andere Musik.

9. Februar 1915. Nachdem ich heute wieder große Zeugwäsche gemacht hatte, die eine ganze Stunde in Anspruch nahm, wurde nach dem Mittagessen ein wenig geruht. Am Nachmittag hielt Oberstleutnant Kuhlo eine lange Rede, über die die Marinekompanie gelacht hatte, sie wurde deshalb von einer Liebesgaben-Verteilung ausgeschlossen. Zeitungsberichte aus der Heimat werden künftig in den Wohnräumen des Jaguar verlesen, unter Ausschluß der Marinekompanie.

10. Februar 1915. Heute gab es eine karnevalistische Vorstellung, denn mehrere Unteroffiziere des Jaguar hatten sich als Damen verkleidet. Unter anderem auch Georg der Ponapese, der sich als Kameltreiber verkleidet hatte und später mit einem selbstgemachten Kamel erschien. Da gegen 19 Uhr das elektrische Licht versagte, wir auch keinen Lichtersatz hatten, wurde früh zu Bett gegangen.

11./12.Februar 1915. An beiden Tagen wurden aus den einzelnen Wohnräumen die inzwischen verschlissenen Strohmatten ausgewechselt, was außerhalb der Wohnräume vorgenommen wurde. Hierbei staunten wir über die Fingerfertigkeit der Japaner, die ihre Arbeit sauber und schnell erledigten. Abends fand ein Vortrag über Torpedos, Unterseeboote und Minen statt, der sehr interessierte.

13. Februar 1915. Heute erhielten wir jeder eine Büchse mit Butter, mit Schinken und Brot. Nachmittags wurde mir ein Mützenband abgeschnitten und geklaut, ebenfalls klaute mir einer eine Dose Tabak. Das konnte nur der Kamerad Klaunicht gewesen sein.

14. Februar 1915. Heute ist mal wieder Sonntag. Da ich mich erkältet habe, kann ich nicht mit zum Sport. Mittags erhielten wir von den Japanern 1,20 Yen Löhnung, was gleich wieder in Tabak umgesetzt wurde. Oberstleutnant Kuhlo las aus der Zeitung vor, dass Düsseldorf von französischen Fliegern bombardiert worden sei. Bei dem nachmittags stattgefundenen Fußballspiel gewann Jaguar mit 4:2.

15. Februar 1915. Wir erhielten heute wieder einen kleinen Geldbetrag: 50 sen. Mittags erhielten wir die Nachricht, dass die Türken am Suezkanal bis auf die andere Seite vorgedrungen seien, ein englischer Kreuzer wurde dabei zum Sinken gebracht. Die Inder, die auf Seiten der Engländer standen, sind übergelaufen und halten zu den Türken. Die gegnerischen Verluste seien sehr groß. Das Fußballspiel lief heute mit 3:1 für uns wieder aus. Fitje Koch aus Duisburg, Maschinistenmaat, ist Jaguars bester Spieler.

16. Februar 1915. Die Nacht über wieder starker Frost. Japanischer Oberleutnant Habusar stiftete wieder eine Geige, somit haben wir jetzt 2 Geigen, die Kapelle wird immer größer. Beim Fußballspielen fielen wieder verschiedene Dachziegel herunter, wenn der Ball die niedrigen Dächer erfasste. Am Abend große Streichmusik mit erforderlichem Kartenspiel.

17. Februar 1915. Heute wurden wieder Liebesgaben verlost. Es gab Seife, Nähgarn, Schokolade, Federhalter, Pfeifen, Kartenspiele und als Hauptgewinn eine Büche Marmelade. Leider hatte ich nur eine Niete gezogen. Nachmittags erhielten wir jeder englischen Blättertabak, eine gute Zigarre und 5 Zigaretten. Nach kurzer Zeit standen die Wohnräume unter Qualm, als sei ein Großbrand. Am Abend kam die erste Post aus Deutschland über Rußland. Die beiden Matrosen, die die Post erhalten hatten, wurden den ganzen Abend belagert und mussten von der Heimat erzählen, beide waren die Hauptpersonen im Raum. Das Wetter hat sich wieder auf Kälte umgedreht. Löcher in den Papiertüren müssen dringend ausgebessert werden wegen der Zugluft.

21. Februar 1915. Beim Frühsport platzte der Fußball. Unsere beiden Freundinnen waren auch wieder erschienen, leider war der Drang, mit beiden mal zu verschwinden, nicht möglich, auch standen zu viele Neider dabei. Abends fand ein großes Kostümfest statt. Die Unteroffiziere hatten sich wieder als Damen verkleidet. Das Klavier wurde wieder herangeholt. Es begann der Maskenball. Auch der japanische 0berleutnant Habu erschien und tanzte mit, so gut wie er es konnte, denn die Japaner haben ja eine ganz andere Tanzart wie die Europäer. Selbst die schön verkleidete Engländerin (ein Unteroffizier) mit großem Damenhut hatte das Glück, mit dem Habusan zu tanzen. Zum Schluß wurde von einem Maschinistenmaat, der sich als Leutnant verkleidet hatte, 3 Hoch auf seine Majestat ausgebracht. Dann erscholl auch das Lied »Heil dir im Siegerkranz«. Hiermit endete die Fastnachtsfeier im fernen Osten.

23. Februar 1915. Schönes Wetter trieb uns wieder heraus zum Sport. Nachmittags mußte ich mal wieder große Zeugwäsche machen, auch wurde wieder eine große Musterung der Wohnräume vorgenommen, es wurde kein Grund zu Beanstandungen gefunden, da alles in bester Ordnung war. Abends versagte das Licht.

24. Februar 1915. Auf dem Sportplatz führte ein Mann vom OMD eine Parade vor, natürlich im Stechschritt. Es gab großen Beifall von uns und vor allen Dingen von den zuschauenden Japanern. Selbst Oberleutnant Habusa gab den nötigen Beifall. Gegen Abend setzte wieder Schneefall und Regen ein.

25. Februar 1915. Große Besichtigung durch den japanischen Kriegszahlmeister, der besonders die Sauberkeit allen Ortes lobte. Nachrichten aus der Heimat, überall Fortschritte. 5 englische Dampfer sind versenkt worden. Post aus der Heimat vom 26. Januar war auch von den Eltern meines Freundes Elle aus Düsseldorf eingetroffen, für mich nichts.

27. Februar 1915. Der anhaltende Regen versagt uns den Frühsport, und so wird den ganzen Morgen geschlafen. Nachmittags Besichtigung der Japaner in Tropenausrüstung, keine Beanstandung. Wir sollen in den nächsten Tagen unsere Kleidersäcke, die noch in Tsingtau lagern, erhalten. Unsere Sänger mussten den Japanern verschiedene Lieder vorsingen. Von meinen Eltern noch keine Nachricht. Es heißt weiterhin die Ruhe bewahren, denn die Post geht einen langen Weg. Oder sollten in Düsseldorf wieder Bomben gefallen sein?

1. März 1915. Heute erhielten wir jeder wieder 1,20 Yen. Die Kantine war übervölkert. Wir taten uns zu 3 zusammen und kauften Kaffee und Tabak und Butter. Nachmittags erhielten wir als Liebesgaben jeder 19 gute Zigarren. Die Nichtraucher verkauften ihre Zigarren für 10 Sen das Stück.

2. März 1915. Von der heute reichlich aus der Heimat eingetroffenen Post hatte ich wiederum nichts dabei. Ein Mann erhielt aus der Heimat die Nachricht, dass sein Bruder an der Front ein Bein verloren hätte, er erhielt das EK II. Seine Eltern seien darüber gestorben.

4. März 1915. Das Wetter hat sich bedeutend gebessert. Wir schaffen unsere Sitzgelegenheiten heraus, um die warme Sonne zu genießen. Gute Nachrichten aus der Heimat. Bei der Frühpost, die aus der Heimat eintraf, für mich nichts. Aber als die Abendpost verteilt wurde, hörte ich meinen Namen. Ich fiel bald vor Schrecken auseinander, es war die erste Nachricht von meinen Eltern. Ich habe den Brief sicher ein Dutzendmal gelesen, Tränen bedeckten den Brief vor lauter Freude, dass noch alle bei bester Gesundheit seien. Ich konnte es kaum fassen. Nun konnte ich auch wieder ruhig schlafen.

5. März 1915. Die Post hat es heute sehr gut mit mir gemeint, ich erhalte von meinen Eltern das erste Geld, rund 10,- Yen, ich bin König. Dafür sende ich meinen Eltern 2 Briefe mit Kuß und herzlichem Dank. Von der Heimat kam in den Zeitungen die Nachricht, dass im Monat Januar 60 Dampfer von uns versenkt wurden. Unsere Zimmerleute erhielten heute das erforderliche Holzmaterial, um Tische und Bänke zu reparieren. Es ist aber auch hierbei zu merken, dass die Späne unter deutschen Händen fallen, da alles viel besser hält. Unter freiem Himmel setzen wir beim Sonnenschein unser Studium fort.

10.-15. März 1915. Das Wetter wechselt in den Tagen mit Regen und Schnee, auch gelegentlich 20 Grad Wärme. Auch erschien in den Tagen ein Blumenhändler, der Veilchen verkaufte, 1 Blumentopf kostete 4 Sen, der Mann machte ein gutes Geschäft. Auch hatten wir dieser Tage wieder große Löhnung, jeder erhielt 2 Yen. Die Kantine war wieder überlagert. Wir kauften Rauchwaren, Kaffee und Butter.

16.-20. März 1915. Das Wetter hat sich wesentlich gebessert, es kann wieder Sport und Fußball betrieben werden. Da wieder großes Tempelfest ist, wurde die große Tempelglocke geläutet und eine große Pauke geschlagen. Von der Heimat traf reichlich Post und gute Nachrichten ein. Als neuer Sport steht jetzt der Ringkampf auf der Tagesordnung, natürlich nur im Freien auf dem großen Sportplatz, hierbei wird die Zuschauermenge von Tag zu Tag größer.

23. März 1915. Heute machte ich die Bekanntschaft eines Herrn vom OMD, der auch ein Düsseldorfer ist, er heißt Thiel und hat in Düsseldorf ein Blumengeschäft. Von jetzt ab erhalten wir monatlich 2 Dosen Butter. Es wurde inzwischen auch eine kleine Sammlung gemacht, um die Osterfeier feiern zu können. Bei der Verlesung der neuesten Nachrichten erschallt immer wieder der Ruf »Gott strafe England«. Die Zeit wird durch Stricken von Hängematten vertrieben.

1. April 1915. Der Monat meines 19. Geburtstags hat begonnen. Wir erhalten heute wieder jeder 1,20 Yen, die auch gleich wieder bei der Kantine umgesetzt werden. Für die Ostertage wird gründlicher Hausputz gehalten.

3. April 1915. Ostern. Um 6 Uhr in der Frühe erhoben sich die müden Geister, und nach dem Frühstück mit Brot und 2 Eiern pro Mann antreten zum Gottesdienst, der durch unseren Missionar Fischer vom OMD gehalten wurde. Erstes Lied: »Oh du fröhliche.« Es folgte eine sehr ergreifende Predigt. Vom Gesangverein wurden noch verschiedene Lieder gesungen. Auch traf nach dem Gottesdienst Dr. Überschaar ein, um die neuesten Nachrichten von der Heimat bekannt zu geben. Wir 4 Zwölfender (Kapitulanten) saßen zusammen und hatten jeder 4 Liter Bier zu verzehren, sodass der allgemeine Kummer heruntergespült werden konnte. Um 20 Uhr Abends war die Feier beendet. Volltrunken schlossen wir die Augen, um uns für den 2. 0stertag zum Tanken wieder bereit zu machen.

4. April 1915. 2. Ostertag. Beim heutigen Frühsport wurde zwei große Netze am Fußballplatz ausgebracht, damit der Ball nicht stets in den großen Wasserpfützen landen konnte. An reichlichem Besuch des japanischen Volkes fehlte es nicht.

9. April 1915. Bei herrlichem Sonnenschein erschien heute der Fotomann, um die gesamte Jaguar-Besatzung in blauer Uniform in Großbild aufzunehmen. Auch vom OMD wurde eine Großaufnahme gemacht.

11. April 1915. Geburtstag der 19. wird heute tüchtig gefeiert, aber dennoch in äußerster Ruhe, denn es war der Todestag der japanischen Kaiserin, Lärmen war strengstens verboten. So ging auch dieser Tag in Ruhe zu Ende.

14. April 1915. Furchtbare Erdstöße, die den ganzen Abend andauerten, erschütterten den ganzen Tempel, es waren die ersten, die wir hier im Tempel erlebten. Der Tempel, der auf 1 Meter hohen Pfählen aufgebaut ist, wackelte in allen Fugen, viele verließen die Räume und gingen ins Freie.

15. April 1915. Heute erhielt ich das erste Paket von meinen Eltern, alles war noch sehr gut erhalten. Selbst Rundschriftfedern und Halter waren hierbei. Ein neugieriger Kamerad zerbrach mir meine grade erhaltene Pfeife, die meine Eltern beigefügt hatten.

16. und 18. April 1915. An beiden Tagen starkes Erdbeben, was etwa 1/2 Stunde anhielt. Der Tempel krachte in allen Fugen, die Wohnräume wurden verlassen, ungewohnt an derartige Beben verließen wir unsere Wohnräume und gingen ins Freie. Die draußen stehenden Posten der Japaner grinsten uns an, sie waren ja derartige Beben gewöhnt.

25. April 1915. Wir hatten heute wieder Besuch von einem holländischen Missionar, der Gottesdienst abhielt. Am Abend erschien ein japanischer Doppeldecker, der uns an die Tage in Tsingtau erinnerte.

26. April 1915. Wir wurden heute durch den Haupttempel gefuhrt, um die dort aufgestellte Blumenpracht zu bewundern, denn die Japaner sind in der Zusammenstellung von Blumenpracht richtige Künstler. Der heutige Geburtstag des Oberstleutnants Kuhlo wurde auch zur Genüge gefeiert.

28. April 1915. Ein Dauerregen zwingt uns, auf Sport im Freien zu verzichten.

29. April 1915. Oberstleutnant Kuhlo gibt uns bekannt, daß der Zeppelin einen großen englischen Dampfer an einer Flußmündung versenkt habe. Das schöne Wetter zeigte uns heute ein Parseval- Luftschiff und 2 Fesselballone, die statt der Gondeln 2 große Reklameschilder trugen.

7. Mai 1915. Am Nachmittag machten die japanischen Posten Miene, unsere Männer zu schlagen, weil sie auf dem Klo geraucht hatten. Am Abend wurde das Schlagen zur Wirklichkeit. Die Angelegenheit wurde dem japanischen Offizier gemeldet, der hierauf die Posten bestrafte.

8. Mai 1915. Da wir heute Korporalschaft vom Dienst sind, mussten wir die eingetroffenen Sommersachen sortieren. Es war eine schöne Angelegenheit draußen auf der Straße, wo wir von hübschen Japanerinnen geholfen und bestaunt wurden. Heute schrieb ich mal wieder einen Brief an meinen Schwager Jakob Krauz und eine mit Zeilen vorgedruckte Karte an meine Eltern.

12. und 13. Mai 1915. Eine starke Erkältung zwang mich zum Arzt. Eine starke Mandelentzündung mit 40 Grad Fieber zwang mich ins Lazarett, wo ich von dem japanischen Sanitäter Ikoma sehr gut gepflegt wurde. Nachmittags besuchten mich mehrere Kameraden. An essen war nicht zu denken, weil mir die geschwollenen Mandeln zuviel zu schaffen machten. Meine Nachtruhe wurde durch eine Menge Ratten gestört, eine davon ging in die Falle, so hatte ich doch ein wenig Ruhe.

14. Mai 1915. Heute hatte ich Namenstag, an feiern war nicht zu denken, denn Bettruhe war angeordnet. So brachten mir die Kameraden Äpfel und Bananen, die ich in etwa knabbern konnte. Der Hunger trieb es hinein.

21. Mai 1915. Pfingsten. Da mein Krankheitszustand sich wesentlich gebessert hatte, durfte ich an dem Gottesdienst, der von Missionar Fischer gehalten wurde, teilnehmen. Um 18 Uhr abends begann die eigentliche Feier. Unsere Turner waren bemüht, mit ihren guten Leistungen im Pyramidenbau, 7 Mann hoch, zu einer schönen Feier beizutragen. Auch unser Berliner Komiker in Frack und Zylinder sorgte für humoristische Unterhaltung. Alles wurde noch verschönert durch schöne Lieder des Gesangvereins. Nachdem Oberstleutnant Kuhlo eine kernige Ansprache gehalten hatte, wurden 3 Hochs auf den Kaiser ausgebracht. Um 22 Uhr Ruhe im Schiff.

22. Mai 1915. Auch heute wurde wieder tüchtig gefeiert. Nachmittags raus zum großen Fußballplatz. Wegen Platznässe fiel das Spiel aus, es war lediglioh Bewegung im Freien. Die Kantine setzte heute rund 1700 Flaschen Bier um. Der Abend wurde mit Kartenspielen verbracht und musikalischen Vorträgen. Zum Schluß ließen wir unsere Offiziere auch mal tüchtig hochleben.

26. Mai 1915. Heute lief das von unseren Heizern angefertigte Luftschiff Zeppelin II vom Stapel. An kreuz und quer gezogenen Leinen wurde das Luftschiff über dem kleinen Hof hin und her gezogen. Eine Taube und ein Doppeldecker sind noch im Bau. Von den Manövern wurden auch reichlich Aufnahmen gemacht.

29. Mai 1915. Um nachts nicht von den Moskitos(Mückenschwärme) belästigt zu werden, wurden die Netze angebracht, je 7 Mann unter einem Netz. Dennoch wurden Arme und Beine immer wieder zerstochen, das war manchesmal derartig, dass wir uns in Behandlung begeben mußten. Selbst mit Zwiebel einreiben half nicht. Da die Tage bedeutend verlängert sind, gehen wir erst um 9 Uhr zur Ruhe.

2. Juni 1915. Heute erhielten wir wieder pro Mann 1 Yen Löhnung, der für Rauchmaterial zur Kantine gebracht wird. [Einige?] der japanischen Unteroffiziere wechselten heute bei der Wache. Auch diese scheinen gute Männer zu sein, denn sie suchen sich mit uns zu unterhalten, alle wollen die deutsche Sprache erlernen. Auch wechselte einer der japanischen Offiziere, der sich mit schönen Worten verabschiedete. Alle Japaner empfinden, dass Gefangenschaft kein gutes Leben ist. Da die Hitze stark zugenommen hat, verbringen wir die Tage meist draußen im Freien, um nicht von den Mückenschwärmen verzehrt zu werden. Heute erhielt ich einen Brief aus Östereich, einem alten Bekannten, der auf deutscher Seite kämpft.

16. und 17. Juni 1915. Heute wurden wir wieder mit Liebesgaben reichlich versehen. Je 20 Zigarren und 20 Zigaretten pro Mann. Die Nichtraucher machten gute Geschäfte. Zigarren wurden mit 10 sen das Stück gehandelt. Auch erhielt jeder Mann 1 Sporthemd, 1 Handtuch, 3 Taschentücher, 1 Paar Strümpfe oder 1 Pfeife.

4. Juni 1915. Großes Tempelfest. Wir dürfen 3 Tage nicht raus. Der Tempelhof ist reichlich mit Blumen und Fahnen geschmückt. Autos und Droschken und Sänften sind so reichlich vorhanden, dass für uns kein Platz draußen mehr ist. Die Wachen wurden wieder gewechselt. Die Soldaten, die bis jetzt im Manöver waren, bezogen wieder ihre Posten im Lager. Die Sonnenwärme steigt bis zum unerträglichen, aber es gibt auch reichlich kalten Tee mit Zitrone. Mein Freund Grönitz aus Schlesien und ich wurden draußen vor dem Tempel fotografiert, leider haben wir kein Bild hiervon bekommen. Mit Oberleutnant Habu san machten wir draußen das Spiel schwarz und weiß. Brief von meinem Vater heute erhalten. Jeder erhielt heute 2 Päckchen Sommerzeug. Dauerregen hat eingesetzt, es ist etwas abgekühlt, aber die Mücken haben stark zugenommen.

12. Juli 1915. Um 2 Uhr nachmittags erschien Oberstleutnant Marquis Saigo, der einen Brief der japanischen Kaiserin bekannt gab. Hierin teilte diese mit, dass allen Soldaten, die vor Tsingtau ein Bein, Arm oder Auge verloren hätten, einen Ersatz vom japanischen Staat erhalten würden. Hierauf sprach unser Oberstleutnant Kuhlo an die japanische Kaiserin unser aller besten Dank aus und dankte besonders für die liebevolle Behandlung der Soldaten in der Gefangenschaft. Von dem Tientsiner Frauenverein erhielten wir heute eine große Tabakspende. Unsere Heizer vom Jaguar haben heute einen schönen Springbrunnen im Hof errichtet, der eine Mühle treibt! In letzter Zeit wir hier sehr viel gebraten und gekocht auf einem alten Eimer, der zum Ofen umgebaut wurde. Die Flohplage hat derartig zugenommen, dass wir durch Belüften der Räume in etwa Abhilfe schaffen konnten, da die Fußmatten mit Lysol ausgewischt sind. Ein sehr heißer Tag geht zu Ende.

19. Juli 1915. Tagsüber werden Matten und Wolldecken zum Auslüften draußen auf den Waschkauen aufgehangen. Vor lauter Ungeziefer findet man des Nachts kaum die erforderliche Ruhe. Die Geigenspieler bauten heute eine 2. Geige aus {einer] Zigarrenkiste, die aber einen ganz guten Klang abgab.

1. August 1915. Eine 3. und 4. Geige sind inzwischen fertig gestellt worden, nun wird sogar eine Gitarre angefertigt. Gute Nachricht vom Fall Warschaus wird mitgeteilt. Zum Dank erschallt wieder das Lied »Heil Dir im Siegerkranz«. Von Oberstleutnant Kuhlo und aus der Jaguar-Spende erhielten wir je eine Flasche Bier. Auch wurde ein Verbot erlassen: Abends nach neun Uhr durften von uns nicht mehr die Räume des OMD betreten werden. Dieses Verbot wurde auch für die Leute vom OMD erlassen, sie durften nicht mehr nach 9 Uhr abends unsere Räume betreten. Ein Engländer schrieb einen Artikel in der Zeitung: Wer ist schuld an diesem Krieg, nur die verdammten Deutschen. Von meinen Eltern erhielt ich ein Paketchen mit Rauchmaterialien und Handschriftfedern und Lernhefte. Die Kriegsnachrichten brachten heute einen Artikel aus der Zeitung über den Kampf um Tsingtau. Dort sei auch bei der Belagerung durch die Japaner ein Zeppelinluftschiff erschienen, dieser Zeppelin sei aber von einem japanischen Doppeldecker abgeschossen worden. Von einer früheren Freundin in Düsseldorf, Tr. St., erhielt ich heute 1 Brief, der erste seit 1913. Auch erhielten wir Befehl, unsere Sachen zu verpacken, denn wir sollten in den nächsten Tagen in ein anderes Lager verlegt werden.

7. September 1915. Nachdem wir gestern unsere Kleidersäcke und Kisten fertig gemacht hatten, wurden wir um 4 Uhr in der Frühe geweckt. Schon um 2 Uhr nachts waren die meisten Männer schon auf den Beinen, denn die Flöhe hatten uns die Nacht nicht zur Ruhe kommen lassen. Sollte es nun zu einem anderen Flohzirkus ziehen? Kurz nach 3 Uhr war auch schon Antreten auf dem Vorhof. Von hier ging dann unser Marsch zum Bahnhof. Die Straßen waren noch ruhig. Nur Schutzleute trafen wir an allen Ecken an. Selbst unser Hund, den wir von einer deutschen Familie geschenkt bekommen hatten, trabte neben uns her.

Gegen 5 Uhr verließen wir den Bahnhof, wir sahen nur noch Felder und in der Ferne den heiligen Berg Fujijama. Um 6 Uhr trafen wir auf dem Bahnhof Ukiwa ein. Draußen vor dem Bahnhof antreten, nun ging es im Marschschritt weiter durch Felder und Wiesen und kleine Dörfer, wo uns die Bewohner wie kleine Wunder besahen. Unter Gesang und Musik ging es weiter, bis wir um 8 Uhr bei unserem neuen Lager Narashino, Chiba-ken, anlangten. Von einem großen Wachkommando der japanischen Soldaten wurden wir mit »Bansai« empfangen. Unsere neuen Unterkünfte wurden uns angewiesen, das Gepäck verstaut und dann besahen wir uns zunächst mal das ganze Lager. 4 große Baracken waren unsere Unterkünfte. Das gesamte Lager war etwa 400 x 250 Meter. Für jeden Truppenteil ist eine Baracke vorhanden.

Die Offiziersbaracke befindet sich am Eingang zum Lager auf der rechten Seite gegenüber der Postenunterkunft. Die Wohnräume sind sehr gut eingerichtet. Jedermann hat seinen Schrank, wo die Sachen untergebracht sind. Mitte der Baracken Sandfußboden mit Tischen und Bänken. Links und rechts hiervon 50 cm hoher Holzfußboden mit den erforderlichen Strohsäcken, die bei Tage zu je 5 Stück aufeinander gepackt werden. Alle Verbindungsgänge zu den Baracken sind überdacht. Links von den Baracken befinden sich die Klo-Anlagen. Auf je 100 Metern steht ein japanischer Posten unter Gewehr. Das gesamte Lager ist mir zwei Reihen Stacheldraht umgeben, dazwischen ein Wassergraben 2 Meter tief und 2 Meter breit. Die Wassergräben sind aber nur in der Regenzeit mit etwas Wasser gefüllt. Eine Flucht ist ausgeschlossen, wo aber soll man hin bei der strengen Bewachung und weit ist der Weg zur Freiheit. Hoffentlich ist der Krieg bald zu Ende, dann werden wir nach langer Zeit die Heimat wiedersehen.
 

Anmerkungen

1.  
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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