Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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»Als Kriegsgefangener in Japan«

von Johann Iller
 

Den folgenden Text hat der Seesoldat Johann Iller mit dem Datum 12.12.1915 versehen. Es handelt es sich um den Teil eines längeren Textes, der auch die Kriegstage beinhaltet. Entgegen der Überschrift wird nur kurz über die erste Zeit im Lager Kurume berichtet; in der Hauptsache geht es um die Tage von der Gefangennahme bis zur Ankunft in Japan. Die Darstellung ist einfach gehalten und zweifellos authentisch.

Die 6-seitigen maschinenschriftlichen, teilweise von unbekannter Hand ergänzten Aufzeichnungen wurden von der Familie zur Verfügung gestellt – dafür herzlichen Dank!
Bei der Wiedergabe wurden Grammatik und Rechtschreibung maßvoll modernisiert. Zugunsten der Übersichtlichkeit wurden Zwischenüberschriften eingefügt. Anmerkungen des Redakteurs stehen in [ ] oder in den Fußnoten.
 

Übersicht:

  1. Gefangennahme und Abmarsch
  2. Wartezeit und Abtransport
  3. In Kurume
  4. Nachträge

 

Gefangennahme und Abmarsch

Die weiße Flagge wehte auf den Trümmern von Infanterie-Werk 5. Die Japaner kamen und besetzten alle Räume, und wir mussten antreten, damit jeder Mann gezählt werden konnte. Großes Erstaunen von Seiten der Japaner über die geringe Anzahl unsererseits. Unsere Offiziere gaben ihre Degen ab. Die japanischen Soldaten durchsuchten alle Räume nach Waffen, alle Gewehre wurden zusammengetragen, doch zum großen Teil waren es nur noch [Bruch-]Stücke. Den Maschinen-Gewehren fehlten alle Schlösser und [diese] waren auch meistens vernichtet. Selbst Taschenmesser wurden uns abgenommen. Die Japaner hielten uns vielleicht für die gefährlichsten Bestien des 20ten Jahrhunderts. Nicht ein bisschen Vertrauen wurde uns entgegen gebracht. Nun, wir sollten durchaus wehrlos gemacht werden.

Wir standen nun draußen in Reih und Glied; wohl zehnmal musste gezählt werden. Dann wussten die Japaner nicht, wo sie mit uns hin sollten. Wir standen bis Mittags und warteten. Die ganze Nacht hatten wir gewacht und den vergangenen Abend keinen Bissen gegessen, dazu war es noch ungemütlich kalt. Kein Offizier konnte Deutsch, durch Vermittlung eines Reservisten, der Japanisch konnte, wurde unser Brot, das in der Küche war, unter uns verteilt. Dann konnte noch ein jeder hineingehen, um sich seine Sachen zu holen. Großen Sturm gab es auf die Proviantkammer. Milch, Fleisch und Büchsen wurden mitgenommen, da wir nicht wußten, ob wir überhaupt in den nächsten Tagen etwas bekamen. Die japanische Langsamkeit wurde uns schon allmählich zur Erkenntnis. Die japanischen Soldaten durchwühlten alle Kisten und Schränke, nach was, weiß ich nicht. Selbstverständlich hatten wir Sachen von Wert weggebracht. Aber große Rachgier sprach aus ihren Augen. Doch einigermaßen anständig uns gegenüber waren sie doch.1

Nun hatten wir auch Zeit, unser [Infanterie-]Werk in Ruhe zu betrachten. Eisen und Steine überall, die Wege vollständig verschüttet, die Schützenstellung total zerschossen. An vielen Stellen sah man Rauch und Feuersäulen gen Himmel steigen, wo die Japaner ihre Toten verbrannten. Endlose Reihen von Krankenträgern sah man beim Ausüben ihres Berufs oder [ihrer] Pflicht, wie es beim Militär heißt. Großes Erstaunen zeigten die Japaner, als sie unsere Maschinengewehr-Gurte sahen. Die Waffe hat ihnen wohl großen Respekt beigebracht. Ihre Maschinengewehre hatten nur 24 Schuss. Die japanische Artillerie fuhr nach Tsingtau, überall und auf allen Höhen und Plätzen sah man die Japaner in großen Kolonnen.

Endlich Nachmittags vier Uhr [am 7. November] ging es los, wohin wussten wir noch nicht. Nur hinaus aus diesem Werk. Vorbei an Leichen und zerschossenen Häusern und zerbrochenen Waffen. Viele Kameraden sahen wir liegen, doch eins tröstete uns, die Zahl der japanischen Toten war mindestens 1:10, also ein großer Unterschied.2 Es ging vorbei an den Stellungen des OMD (Ostasiatisches Marine-Detachement) durch Taitungtschen, wo kein Haus mehr stehen geblieben war. Die Chinesen sahen uns wohl mit verwunderten Augen an, als ihre Arbeitgeber, ihre Lehrer, unter diesen Umständen Tsingtau verlassen sahen. Viel Gutes hatten die Chinesen doch von uns, ob sie es von den Japanern so haben werden? Der Weg ging weiter an Infanterie-Werk 4 vorbei, japanische Tote lagen in langen Reihen. Soldaten hatten ihre Gewehre zusammengesetzt. Die Inder mit ihren Teufelsfratzen trugen auf ihren Köpfen Sachen nach Tsingtau.3 Lange Wagenzüge Privater, selbst Chinesen, die vor der Beschießung geflohen waren, kamen wieder mit Hab und Gut zurück. Unsere Verwundeten waren nach Tsingtau geschafft worden. Da sahen wir auch einige Engländer, die wir mit lautem Hallo begrüßten.

Nun ging es über die große Heipo-Brücke nach dem Dorfe Tungwutschiatsun. Auf diesem Wege bis dahin hatten wir vielfach Gelegenheit, die kolossale Arbeit der Japaner zu bewundern. Das gesamte Vorgelände war mit Lauf- und Schützengräben durchzogen. Nur mit den Spaten hatten die Japaner Tsingtau zu Fall gebracht, und ihre bedeutend überlegene Artillerie hat erfolgreich mitgearbeitet. Die Infanterie allein hätte Tsingtau bei ihrer 20-fachen Übermacht nie und nimmer erobert. Unsere Artillerie hatte zuletzt keinen Schuss mehr.

Wir marschierten meistens auf Wegen, die die Japaner selbst gebaut hatten. Von den Höhen noch einen Blick auf Tsingtau, die Stätte diese grausigen Elends in Schutt und Trümmern. Die Sonne vergoldete alle diese schaurige Pracht mit ihren letzten Strahlen und bewirkte dieses Bild vielleicht noch düsterer, vielleicht auch freudiger, es war ja vorbei. Vorbei dieses Morden und Brennen, vorbei dieses Leben auf Sekunden. Vorbei, so klang es freudig in manchen Ohren. Beruhigt konnten die Nerven wieder arbeiten. Vorbei, aber gefangen. An den schweren Geschützen der japanischen Artillerie ging unser Weg, die entlang der großen Ravinen staffelartig und nebeneinander aufgestellt waren. Durch große Feldlager mussten wir hindurch, aber wir hörten die ausgelassene Freude, die sich des Siegers bemächtigte nach einer langen, schweren Belagerungszeit. Die Verluste müssten doch unermesslich gewesen sein.

Im Dunkeln führte unser Weg an den Prinz-Heinrich-Bergen vorbei, oft stolpernd und stürzend wegen der ausgefahrenen Wege und der oft recht großen Hindernisse, die auf der Straße herumlagen. Das Gehen in dieser Dunkelheit war für uns recht beschwerlich. Bis abends 7 Uhr wurde marschiert. Dann wurde in der Nähe eines Dorfes Halt gemacht. Dort zündeten wir, uns um zu wärmen, ein großes Feuer an, denn es war sehr kalt. Bald erklangen einzelne Lieder und bald brausten »Die Wacht am Rhein«, und »Deutschland über alles« durch die stille Nacht. Auf jeden Fall wollten wir unseren Stolz trotz des Besiegtseins bewahren.

Die Japaner hatten schlechte Vorkehrungen für die Unterbringung von uns getroffen. Zunächst gab es Essen, Hartbrot und kaltes Fleisch, zu trinken warmes Wasser. Nun wir waren zu müde, um uns noch mit dem anstrengenden Geschäft des Kauens abzugeben. Wie das Vieh wurden wir in einen mit Leinen abgesperrten Platz getrieben, dort sollen wir die Nacht unter freiem Himmel bei Kälte schlafen. Glücklich war derjenige, der noch eine wollene Decke mitgenommen hatte. Alle, selbst die Offiziere, mussten mit diesem Lager auf der nackten Erde vorlieb nehmen. Man konnte nicht schlafen, und war man (noch) so müde, die Zähne schlugen hörbar aufeinander. Endlich graute der Morgen. Wir dachten, es sollte weitergehen. Doch Leiden und Freude sollten wir noch durchmachen, um endlich Kiautschou zu verlassen.
 

Wartezeit und Abtransport

Die Verpflegung am nächsten Tag [8. November?] war dieselbe, und blieb auch so, bis wir nach Japan kamen. In Mantel und Handschuhen kauerten wir nun den ganzen Tag zwischen Chinesengrabhügeln. Oder wir gingen in dem sehr beschränkten Raume spazieren. Hier traf man auch viele bekannte Kameraden, doch auch leider viele nicht. Die Japaner bewachten uns mit aufgepflanztem Bajonett. Ich möchte nur wissen, wo wir entfliehen sollten. In der ganzen Umgegend lag japanisches Militär, bis Tsimo allein 70.000 Mann. Gegen Abend sollten wir uns Unterkunft in den nahe gelegenen Dorfe Tapatung suchen, doch viele übernachteten unter freien Himmel. Mehr als 3mal mußten wir des Nachts aufstehen, um uns an dem Feuer zu wärmen, welches die ganze Nacht brannte. Am nächsten Morgen kochten wir uns in alten Büchsen mit Hartbrot, Milch und Wasser eine Suppe und (aßen) kaltes Fleisch dazu.

Dann auch, welch Glück, fanden wir auch noch eine Chinesenhütte, wo wir notdürftig Unterkunft fanden. Nun erhielten wir auch etwas Zuschuß von unserer Tsingtauer Verpflegung in Zucker, Tee, Butter, Kaffee und Fleisch in Büchsen. Geld hatten wir auch noch, und so konnten wir noch einige Eier kaufen. Die hatten die Chinesen im Felde vergraben. Nun, vor allen waren wir vor Regen geschützt.

Ein Esel, der noch in der Hütte stand, wurde von den Chinesen weggeschafft, und die Nacht schliefen schon 6 Mann an der Stelle. Abends bot uns eine Kerze genügend Licht. Da wurde gesungen und erzählt bis spät in die Nacht hinein. Erlebnisse wurden ausgetauscht. Nachts besuchten uns einige Ratten, auch hatten wir viel unter dem lästigen Begleiter des Menschen, dem Floh, zu leiden. Die Fenster verstopften wir zur Nacht durch Stein und Stroh, die Tür durch Matten. Denn fast alles Holz hatten die Japaner schon verbrannt. Recht und schlecht wurde so der (Tag) herum gebracht.

Hunger hatten wir immer, deshalb wurde auch den ganzen Tag [9. November?] gekocht. Einige japanische Massengräber konnten wir auch besichtigen, die sich in der Nähe des Dorfes befanden. Dort betrachten wir lange die schlichten Holztafeln und die Opfergaben, die japanische Soldaten ihren Kameraden gebracht hatten. Alle Gattungen von Militär sah man in endlosen Kolonnen nach Tsingtau marschieren. Die Proviantkarren bildeten bis zum Ende des Tages eine einzige Kette. Da konnte man sehen, wie gut vorbereitet die Japaner waren, und mit welcher Macht sie gegen uns paar Mann waren.

Wehmütige Erinnerung an die alte liebe Heimat stieg wohl in uns auf, aber alle schweren Gedanken wurden durch die allgemeine Heiterkeit bald erdrückt. Mit dem Bewusstsein, dass unsere Kameraden in Deutschland glänzende Erfolge erringen täten und nicht in elender Gefangenschaft sitzen wie wir, schliefen wir des Abends ein. Sehnsüchtig sahen wir der Weiterbeförderung entgegen. Es ging wohl keinen unbekannten Weg, doch wir wollten wieder weg, um wieder in geordnete Verhältnisse zu kommen.

Am 12. [November] 10:30 Uhr vormittags setzten wir uns nach Schatzekou in Marsch, es war am Tage recht warm. Echtes Tropenwetter: am Tage heiss, nachts kalt. Es wurde unterwegs mehrmals Halt gemacht. Durch große Umwege, vorbei an japanischen Lagern, Signalstation usw. gelangten wir endlich 2 Uhr nachmittags in Schatzekou an. Die Phlegmatik der Japaner machte sich überall bemerkbar. Eine Feldbahn, betrieben von japanischen Soldaten, bekamen wir auch zu Gesicht. Auch ein letzten Blick galt den Trümmern unseres Detachements Schatzekou.

Um 4 [16] Uhr ging es an Bord des Dampfers Indo-Maru-Osaka.4 Die Einschiffung geschah mittels Sampan. Um 4:30 Uhr stach unser Dampfer als der größte der drei Schiffe in See. Immer mehr und mehr verschwand unserer bisheriger Aufenthalt unseren Blicken. Alles blickte noch lange auf diesen Fleck der Erde, der uns viele fröhliche und heitere, aber auch schwere, eindrucksvolle Stunden beschert hatte. Nachts passierten wir das Schantung-Vorgebirge. In weiter Feme sah man einzelne Torpedoboote.

Am 14. hatten wir leichte See, doch unser Dampfer, der doch noch verhältnismäßig klein war, begann an zu schaukeln. Verschiedenen wurde seekrank. Die Unterbringung auf dem Dampfer war schlecht. Im Laderaum auf dem nackten Holzboden zusammengelegt wie die Heringe oder gar noch schlimmer, sollten wir schlafen, dazu noch dauerte die elende Verpflegung an. Für den Fall einer Gefahr standen für alle ungefähr 1000 Mann 3 Rettungsboote zur Verfügung. Es war ein Frachtdampfer, der zu unserer Beförderung diente. Nachts regnete es etwas. Ich stand an Deck, da kein Schlaf in meine Augen trat. Schwarze Nacht, doch eine wohltuende Wärme, wir waren erheblich südlicher gekommen. Das merkten wir an unserem Zeitunterschied.

Am 15. [November] 8 Uhr passierten wir die vorgelagerte Insel von Japan. Langsam glitt unser Dampfer in die ruhige Bucht. Mehrere japanische Dampfer lagen auf der Außenreede. Mit verwunderten Augen betrachteten wir dieses glänzende Naturschauspiel. Welch ein Land! Wie Gartenhäuschen lagen die Wohnhütten und Villen zierlich und fein, umrahmt von einer farbenreichen Naturpracht, an den Bergen. In Lande der Zwerge, so war mein erster Gedanke, den ich hatte, als wir Japan zu Gesicht bekamen. Die japanische Hütten machen einen sonderbaren Eindruck. Wald bedeckte die Berge rings herum, aber auch wie alles in Japan klein, und hatte doch etwas Reizendes an sich. Bald lag eine Stadt vor unseren Augen, und nach zweijährigem Verschwinden sahen wir auch wieder eine elektrische Straßenbahn ihrem Bestimmungsort zueilen.5 Eisenbahnzüge durchzogen wie schwarze Schlangen das Gelände. Und alles klein wie das Volk. Kleinere Dampfer, mit Personen besetzt, umkreisten unseren Dampfer. Boote tummelten sich um uns herum, größere Trupps Segelschiffe kehrten vom Fischfang in den Hafen zurück.

Um 11 Uhr mittags wurden wir zum Teil ausgeschifft und gingen an Land. Eine ungeheure Menschenmenge erwartete uns. Doch alles war durch strenge Absperrung geregelt. Wir wurden zu vorläufigem Aufenthalt in den Bahnhof gebracht, zu essen hatten wir noch nichts erhalten, hatten darum auch großen Hunger. Endlich um 1 Uhr wurden wir in Bahnwagen verteilt. Und bald ging es los, unsem Bestimmungsort entgegen. In den Wagen wurde uns eine kleine Erfrischung gereicht: Weißbrot mit Butter. Eine anerkennenswerte Liebenswürdigkeit der Japaner. Die ganze Strecke, durch die unser Zug fuhr, war belebt durch große Volkmassen. An vielen Haltestellen verließen wir unseren Waggon, um auf eine halbe Stunde Aufenthalt zu warten.

Um 7 Uhr abends kamen wir nach unserer Station Kurume, dort erwartet, trotz der vorgeschrittenen Dunkelheit, von einer ungeheuren Volkmenge. Von Fackel- und Lampionträgern begleitet, marschierten wir zunächst nach einem freien Platze, wo wir an weißgedeckten Tischen mit Tee und Weißbrot bewirtet wurden. Um 8 Uhr traten wir den Weg nach dem Gefangenlager an. Auf den sehr schmalen Straßen ging es sehr schlecht, dazu noch die Finsternis; man musste aufpassen, um nicht in einen Graben zu fallen. Wie nun alles sein Ende hatte, so hörte auch unser Weg auf, und um 10 Uhr gelangten wir alle glücklich und wohlbehalten an unserem Ziel an. Sofort wurden wir in die Baracken verteilt, und nicht lange danach saßen wir beim Essen und ließen japanisches Nationalgericht, Reis und Gemüse, wohlschmecken. Um 11 Uhr schliefen bereits alle den süßen Schlaf des Gerechten.
 

In Kurume

Unser Heim, in einem schönen Teil Südjapans gelegen, besteht aus langen Holzbaracken. Auf niederen Pritschen, die sich längs den beiden Seiten hinziehen, ist unsere Schlafstätte eingerichtet. Die Schlafstätte ist mit Matten benagelt und besteht aus einer Matratze und 4 Decken. Das Schlafen ist nicht sehr gut. Erstens ist es uns bedeutend zu kalt und zu hart. Nun, hoffentlich wird es noch besser. Die Beleuchtung bestand anfangs aus Petroleumlampen, ist aber schon nach wenigen Tagen [?] durch das elektrische Licht verdrängt worden.

Anfangs kochten die Japaner für uns das Essen, doch darin konnten wir uns nicht finden, es ließ für uns Europäer viel zu wünschen übrig. Unser Essgeschirr wurde uns von den Japanern gestellt, Teller, Essnapf und Trinkbecher aus Porzellan. Einige Liebesgaben vervollständigen unsere Kost, denn das Essen reichte anfangs knapp zu. Unser Dienst besteht aus 1-2 Stunden Jugendspiel des Tages. Abends 7 und 9 Uhr und morgens 8 Uhr ist Appell, ob noch alles da ist. Ruhe hat man mehr wie genug, es fehlt nur das liebe Geld. Zeitschriften und Bücher, von den im Osten lebenden Deutschen gestiftet, helfen uns die Zeit verkürzen. Skat und andere Spiele werden mit viel Eifer betrieben. Unseren Platz umfaßt ein leichter Bambus-Zaun, an dem sich täglich viele Menschen ansammeln und unser Leben und Treiben beobachten. Morgens wäscht sich alles in sehr warmem Brunnenwasser.

Viele von den japanischen Gefallenen vor Tsingtau haben ihre Angehörigen aus dieser Umgegend, doch nie werden uns Schmähworte entgegengebracht.6 Unsere Kameraden haben uns aus Kurume besucht, und wir erwiderten durch einen Gegenbesuch.7

Nun hoffentlich ist der europäische Frieden bald gesichert und wir können gesund und frisch in unsere Heimat zurückkehren.8
 

Nachträge

[1] »Verluste in Tsingtau«9
Eine Uhr mit Kette20,00 Mark
Ein paar Schuhe12,00 Mark
Eine Mütze mit Koppel8,50 Mark
Eine Heimatskiste mit Inhalt 30,00 Mark
 70,50 Mark

[2] Folgendes Lied sollen die Soldaten in Tsingtau gerne gesungen haben:

Zu Kiautschau um Mitternacht
Stand ein Matrose auf der Wacht
Zwei Sternehoch am Himmelszelt
Die bringen Kunde aus der Welt.

Steh ich, die Büchse in der Hand,
Sterb ich den Tod fürs Vaterland.
Gerecht ist nur Tod im Krieg.
Ein jeder denkt an sein fernes Lieb.

Sie, die Geliebte am Fenster steht,
Die Hände faltet zum Gebet,
Sie denket des Geliebten heiß,
Den sie im fernen China weiß.

Sei ruhig still, Soldatenbraut.
Wer Gott vertraut hat wohl gebaut.
Sei ruhig still in Gottes Hut.
Dich liebt ein treu Soldatenblut.
 

Anmerkungen

1.  Die letzten Sätze scheinen sich zu widersprechen; Tatsache ist jedenfalls, dass es zu keinen erheblicheren Übergriffen gekommen ist.

2.  Dass die Japaner überaus hohe Verluste erlitten hätten, war deutscherseits eine feste Überzeugung, die jedoch den Tatsachen nicht entsprach.

3.  »Teufelsfratzen« bezieht sich offenbar auf die fremdartig anmutenden Sikhs, die zum britischen Kontingent gehörten.

4.  Die Indo Maru war von der Reederei Osaka Chosen gechartert worden.

5.  Gemeint ist wohl die heimatliche Straßenbahn, die der Verfasser etwa in Frankfurt/Main gesehen haben mag.

6.  Bei anderen Beobachtern ist von offener Feindseligkeit die Rede, weil in Kurume die japanische 18. Infanterie-Division stationiert war, die im Kampf große Verluste erlitten hatte.

7.  Entweder liegt hier ein Übertragungsfehler vor oder es sind Besuche zwischen den einzelnen Teil-Lagern gemeint.

8.  Vermutlich wurde diese Erwartung im Herbst 1915 unter dem Eindruck der deutschen Erfolge an der Ostfront formuliert.

9.  Die kleine Verlustliste dürfte typisch für einen Mannschaftsdienstgrad sein.
 

©  Hans-Joachim Schmidt (für diese Fassung)
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