Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
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Japanische Verluste im Weltkrieg
 

Obskure Zahlen

Es gibt Hunderte von Seiten im Internet (World Wide Web), in denen Zahlen über die Menschenverluste im Ersten Weltkriegs genannt werden. Dabei fallen in Bezug auf Japan große Abweichungen ins Auge. Beispiel:1

Die Größenordnung von etwa 300 japanischen Todesopfern wird von den meisten anglo-amerikanischen Quellen genannt, was vermutlich der – sicher nicht nur dort zu beobachtenden – Tatsache geschuldet ist, dass ein Autor vom anderen ungeprüft Daten übernimmt.2 Die noch relativ seriöseste Angabe findet sich in der englischsprachigen Wikipedia: Dort werden 415 Tote und 907 Verwundete genannt unter Verweis auf ein Buch über die Geschichte der japanischen Armee.3

Im folgenden sind einige Daten zu den Verlustzahlen zusammengestellt, die der historischen Wahrheit eher zu genügen scheinen.

Vorweg sei noch bemerkt, dass auch die Zahl von 800.000 Soldaten, die Japan im Ersten Weltkrieg angeblich mobilisiert habe, wenig belastungsfähig erscheint. Wenn man die deutscherseits errechneten hohen Zahlen der Belagerer von Tsingtau für glaubwürdig hält, dann waren dort an die 60.000 Mann im Einsatz; dazu mögen noch einige Tausend kommen, die 1914 Hand auf die deutschen Südsee-Inseln legten, und ein paar Tausend, die, auf japanischen Schiffen dienend, in Europa und auf den Seewegen dorthin zum Einsatz kamen. In den europäischen Landkrieg hat Japan bekanntlich nicht eingegriffen. Wenn also überhaupt Größenordnungen von Hunderttausenden in die Diskussion kommen, so kann sich das nur auf die Invasion Nord-Chinas ab 1914 bzw. auf die Verwicklung Japans in die russischen Bürgerkriegswirren 1917 bis 1922 beziehen; diese Ereignisse gehören jedoch zu den Weltkriegsfolgen, nicht zum Weltkrieg selbst.
 

Japanische Verluste vor Tsingtau nach deutscher Einschätzung

Die deutschen Verteidiger von Tsingtau haben sich gegen die japanischen Angreifer im Herbst 1914 gewehrt, so gut es aufgrund der ungleichen Kräfteverhältnisse möglich war. Sowohl aus den Berichten von Augenzeugen als auch aus der Sekundärliteratur geht hervor, dass niemand an die Chance eines erfolgreichen Widerstands dachte. Ziel konnte nur sein, den Kampf so lange wie möglich zu führen4 und dabei dem Feind so große Verluste wie möglich zuzufügen.

Logischerweise war auch die deutsche Militärgeschichtsschreibung daran interessiert, die japanischen Verluste so hoch wie möglich anzusetzen – um so »heldenmütiger« mochte dann die Leistung der eigenen Truppe in der Kriegspropaganda erscheinen. Infolgedessen heißt es in der ersten Gesamtdarstellung der Kämpfe, die Vollerthun nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft zum Druck gab:5

»Schwer muss der feindliche Verlust in diesem zwei Monate währenden Ringen gewesen sein. Halbwegs genaue Zahlen wird man darüber wohl nie erhalten. Nach amtlicher Quelle sind 37 Offiziere, 1266 Mann [zusammen 1303) gefallen, 108 Offiziere, 3992 Mann [zusammen 4100] verwundet.
Abgesehen davon, daß hierin die ungewöhnlich große Zahl der durch Krankheiten Ausgefallenen nicht mit enthalten ist, haftet der Angabe das Odium des Verkleinernwollens aus Scham und enttäuschter Erwartung von der Stärke des Gegners doch allzusehr an, als daß man sie als objektiv ansprechen könnte.«
Dazu noch als Fußnote: »Das im letzten Kriegsjahr erschienene vierbändige japanische Generalstabswerk über die Tsingtauaktion gibt sogar nur im ganzen 1800 Tote und Verwundete an. Daß diese Zahl schlechterdings unmöglich ist, leuchtet ein.«

Auch andere Augenzeugen und Schriftsteller waren sich darin einig, dass der Angreifer sehr hohe Verluste erlitten haben musste, die freilich schwer zu beziffern waren. Die offizielle, vom Marine-Archiv erst 1935 herausgegebene Darstellung übernahm Zahlenangaben und Argumentation von Vollerthun.6

Die Vorstellung exorbitanter japanischer Verluste lebte jedenfalls fort. Noch 1984 zitierte Artelt aus einem internen Bericht des Reichsmarineamtes:7

»Nach Angaben der Japaner beliefen sich ihre Verluste auf 12.000 Tote und Verwundete [...]«

Der Verfasser jenes internen Berichts dürfte beabsichtigt haben, die deutschen Verluste durch umso höhere der Japaner zu »kompensieren«; dass 70 Jahre danach ein Autor sich dies kommentarlos zu eigen macht, ist allerdings weniger nachvollziehbar.8 Das gilt erst recht für den auch im Übrigen unzuverlässigen Artikel, der erst 2012 in der Zeitschrift »Clausewitz« erschien, wo es heißt: »Neueste Schätzungen gehen dagegen sogar von deutlich über 10.000 Toten [!] aus.«
 

Verlustangaben von japanischer und von dritter Seite

Die anglo-amerikanischen Historiker hatten sich auf niedrigere Zahlen festgelegt, die aber auch ein breites Spektrum aufwiesen, wie an zwei 1976 erschienenen Werken belegt werden kann:

»[...] but in all the Japanese claimed to have lost only 1,700 men dead in the fighting."9

»[...] the Japanese had suffered some 415 dead and 1451 wounded [...]"10

Was ist nun richtig? Unser japanischer Korrespondent Prof. Seto berichtet, die japanische Besatzungsmacht habe am 30.09.1916 im Asahi-Park zu Tsingtau (früher: Botanischer Garten) einen Gedenkstein errichtet, auf dem die Zahl von 1014 gefallenen japanischen Soldaten – davon 676 zur Armee und 338 zur Marine gehörig – geschrieben stand.

Die Zahl »338« ist plausibel: Es handelt sich größtenteils um Besatzungsmitglieder des Kreuzers Takachio, der am 18.10.1914 nachts vom deutschen Torpedeboot S 90 torpediert wurde und sank, wobei 271 Mann den Tod fanden. Die Zahl »676« für die Verluste der Armee erscheint hingegen relativ niedrig, stimmt jedoch in der Tendenz mit den Angaben des japanisches Generalstabswerks überein.11
 

Versuch, die Diskrepanzen zu erklären

In Ermangelung einer empirischen Möglichkeit, die Zahl von 1014 Gefallenen zu korrigieren, sollte sie als richtig unterstellt werden. Die Zahl der Verwundeten verlässlich zu schätzen, dürfte kaum gelingen; gestützt auf den »Erfahrungswert«, dass die Relation zwischen Toten und Verwundeten bei 1:2 bis 1:3 liegt, könnte man von 2000 bis 3000 ausgehen. Im übrigen darf angenommen werden, dass in den offiziellen japanischen Zahlen nicht die große Zahl von (vorübergehend) Kranken enthalten ist, von der in vielen Quellen berichtet wird.

Ich bin der Auffassung, dass die exorbitant hohen deutschen Einschätzungen der japanischen Verluste nicht nur dadurch zustande kamen, dass hier sozusagen der Wunsch der Vater des Gedankens war. Vielmehr dürfte hier ein anderes, psychologisches Element eine Rolle gespielt haben, nämlich das Bild von der japanischen Armee, die ohne Rücksicht auf Menschenverluste den ihr erteilten Kampfauftrag durchführt.
Das jedermann präsente historische Beispiel war die Belagerung von Port Arthur (01.08.1904 bis 02.01.1905) im Russisch-Japanischen Krieg: Die Japaner (etwa 100.000 Angreifer) sahen sich gezwungen, die Festung (etwa 50.000 Verteidiger) zu erstürmen, bevor das Zweite Russische Flottengeschwader im Fernen Osten ankommen und sich mit dem in Port Arthur liegenden Ersten Geschwader hätte vereinigen können. Die Japaner verzeichneten bei Port Arthur wenigstens 15.000 Tote und eine drei- bis vierfache Zahl von Verwundeten.12
Im Falle Tsingtaus jedoch bestand nicht die Notwendigkeit, zu einem möglichst schnellen Sieg zu kommen und dafür beinahe jedes Opfer zu bringen. Die japanische Führung konnte daher relativ vorsichtig und ressourcenschonend zu Werke gehen.
 

Sonstige japanische Verluste während des Weltkrieges

Jene 1014 Gefallenen und die mehreren Tausend Verwundeten beim Kampf um Tsingtau waren freilich nicht die einzigen Verluste, die Japan zwischen 1914 und 1918 erlitt.

Seriösen Quellen zufolge verlor die japanische Marine insgesamt fünf Schiffe.13 Dabei gab es neben der Takachio noch drei weitere Fälle mit erheblichen Opfer-Zahlen: (1) Am 14.01.1917 ereignete sich eine Explosion auf dem Panzerkreuzer Tsukuba, wobei 305 Besatzungsmitglieder starben. (2) Am 12.07.1918 fiel das Schlachtschiff Kawachi ebenfalls einer Explosion zum Opfer mit Verlusten von mehr als 500 Mann. (3) 68 Tote waren zu beklagen, als der zur Unterstützung der britischen Marine im Mittelmeer eingesetzte Zerstörer Sakaki am 11.06.1917 vom k.u.k. Unterseeboot U 27 torpediert wurde.14
 

Ergebnis: Japanische Verluste insgesamt

Die japanische Regierung hat sich während des ganzen Krieg nicht dazu verstanden, Truppen auf den europäischen Kriegsschauplatz zu entsenden. Jene Hunderttausende oder Millionen von Verlusten, wie sie die dort kriegführenden Staaten erlitten, blieben Japan dadurch erspart.

Gleichwohl kann aufgrund der vorliegenden Informationen davon ausgegangen werden, dass die Zahl der japanischen Weltkriegstoten wenigstens bei 2000 liegt. Die häufig zu findenden sehr viel niedrigeren Angaben sind daher zu korrigieren.
 

Anmerkungen

1.About.com:European history

2. Nur ein Beispiel für viele: A

3. Harries/Harries: Soldiers of the Sun: The Rise and Fall of the Imperial Japanese Army (1991), S. 111.

4. Viele hofften darauf, dass es Europa »rechtzeitig« zu einem vollständigen deutschen Sieg oder zu einem Abbruch der Kämpfe kommen würde.

5.Vollerthun (1920), S. 169 f.

6.Assmann (1935), S. 94.

7.Artelt (1984), S. 255.

8. So auch die Kritik von Wippich in der Einleitung (S. 21) zu van der Laan (1999). Er verweist allerdings darauf, dass Derartiges auch woanders vorkomme; so habe ein japanischer Autor noch 1980 die Zahl der deutschen Gefallenen mit 1250 (tatsächlich etwa 200) angegeben.

9.Hoyt (1975), S. 142 mit dem Hinweis: »Meyer-Waldeck was surprised – he had figured the loss at five thousand at least.«

10.Burdick (1976), S. 194; die Gefallenenzahl ist vermutlich von Harries/Harries (siehe Fußnote 3) übernommen worden.

11. Eine von Petersdorff übersetzte (Kurz-)Fassung dieses Werks befindet sich im Militärarchiv Freiburg (MSG 2, Nr. 1321).

12. Auch hierzu gibt es die unterschiedlichsten Angaben in der Literatur.

13.World War I at Sea

14. Zu Sakaki siehe Donko (2018), S. 51 ff.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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