Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt
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Bisweilen gibt es auch Aspekte oder Anfragen, die in keine Rubrik des Projekts passen bzw. den Rahmen des Themas sprengen. Einige davon sollen auf dieser Seite erwähnt werden.
Bericht in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« mit vielen Mängeln
Der hier zu kritisierende Artikel von Isabelle-Constance v. Opalinski über den »Fall von Tsingtao« (= englische Schreibweise) erschien am 06.11.2014, d.h. zu einer Zeit, in der sich der Redakteur dieser Seiten dort befand. Hier ein paar Hinweise auf eine Reihe von mehr oder weniger groben Fehlern:
- [Deutsche Kolonialträume endeten] »nicht mit einem blutigen Gemetzel. Sie enden in aller Stille, ...« — Mehr als die Hälfte der etwa 180 deutschen Kriegstoten entfällt auf die letzten 12 Stunden.
- »...nachdem die Verteidiger ... ihre letzte Munition verschossen haben« — Richtig wäre: »Artilleriemunition«.
- Kiautschou »für 99 Jahre an Kaiser Wilhelm II. zu verpachten« — Es muss heißen: »an das Deutsche Reich« (überflüssige Personalisierung).
- »Mehrere Tausend deutsche Handelsvertreter und Verwaltungsangestellte lassen sich nieder.« — Stark übertrieben: 1913 zählte man genau 1.183 Männer aus Europa und USA insgesamt.
- »pulsierenden Wirtschaftszentrum« — Ebenfalls stark übertrieben; der Puls war von Anfang bis Ende eher schwach, was auch auf das fast vollständige Fehlen örtlicher Industrie zurückzuführen ist.
- »Sun Yats« — statt »Sun Yat-sen« (bzw. Sun Zhongshan); nur ein Beispiel für eine größere Zahl von Rechtschreibfehlern.
- »französische ... Siedlungen in Nord-Ost China» — Reine Erfindung, hat es dort nie gegeben.
- »Die miteinander verbündeten Briten und Japaner stellen dem deutschen Gouverneur ... ein Ultimatum« — Doppelfehler: Die Briten stellten kein Ultimatum (seit 04.08. bereits im Krieg!), und die Japaner stellten das Ultimatum selbstverständlich nicht dem weisungsgebundenen Gouverneur, sondern der deutschen Reichsleitung.
- »Mayer-Waldeck fasst den Entschluss,...« — Der (hier falsch geschriebene) Gouverneur führte das aus, was ihm befohlen wurde.
- »Kaiser Wilhelm II. erklärt die Verteidigung der Stadt zur obersten Priorität.« — Was sollen denn die anderen »Prioritäten« gewesen sein?
- [Den Verteidigern] »bleibt nur, auf ein Wunder zu hoffen, ...« — Richtig wäre: Sie hofften auf den geplanten »Blitzsieg« an der Westfront.
- »zwei Forts, drei Artilleriebatterien« in Tsingtau — Ganz unklar; es ist schwer zu erraten, was hier gemeint/gezählt sein könnte.
- »chinesische Hilfstruppen« — Hat es nie gegeben; Musterbeispiel für das unreflektierte Kolportieren falscher Informationen!
- »Ende August kappen ihre Schiffe die Seeverbindungen der Kolonie« — Was mag gemeint sein? Die Seekabel vielleicht? Die Schiffsrouten waren mit dem Kriegseintritt Großbritannien schon obsolet.
- »...kommt niemand heraus – mit Ausnahme des Marinefliegers ...« — Ebenfalls reine Kolportage; wenigstens zwei Dutzend Männer sind aus dem Belagerungsring herausgekommen!
- »Ab dem 26. Oktober ... pausenloses Artilleriefeuer« — Knapp daneben; richtig: 31.10.
- »auf dem Signalberg, der letzten Festung Tsingtaos« — Den Signalberg als Festung zu bezeichnen, ist sinnfrei.
- [Gefangene] »kehren im November 1919 nach Deutschland zurück« — Auch falsch: die ersten Ende Februar, die letzten Ende Mai 1920.
Fazit: Die Verfasserin schreibt am Schluss etwas sehr Richtiges: »Die ... Gefallenen und ... Verwundeten auf beiden Seiten haben sich am Ende vergebens geopfert.« Hiervon abgesehen ist der Artikel wirklich nicht empfehlenswert.
PS: Der letzte Kommentar zu diesem Artikel auf FAZ.net gibt ein abschreckendes Beispiel von dem, was Zeitzeugen kolportiert haben (sollen).
Auch »Clausewitz« ist von zweifelhafter Güte
Die noch sehr junge Zeitschrift »Clausewitz« (»Magazin für Militärgeschichte«) nahm sich in Heft 6/2012 des Tsingtau-Themas an, und zwar in der Rubrik »Schlachten der Weltgeschichte« mit der knalligen Überschrift »Bis zur letzten Patrone«. Der Verfasser Dr. Joachim Schröder, so heißt es, habe ein Standardwerk über »Die U-Boote des Kaisers« geschrieben. Die hierdurch geweckten Erwartungen erfüllt er freilich nur zum Teil, zumal er (mit einer Ausnahme) keine Quellen anzugibt. Hier auch wieder eine Blütenlese:
- »10. August 1914: Japan verlangt die vollständige Übergabe des Gebietes von Kiautschou. Fünf Tage später wiederholen die [...] Japaner ihre Forderung.« (S. 32) — Das mit dem 10. August ist eine sensationelle Neuigkeit! Wie kommt es, dass die übrige Literatur davon nichts weiß? Und warum wird das Datum im weiteren Text (S. 34) nicht mehr genannt?
- »Doch der deutsche Gouverneur ist fest entschlossen, das deutsche Pachtgebiet bis zum Äußersten zu verteidigen...« (S. 32) — Meinetwegen, doch die Entscheidung darüber fällt am 18./19.8. in Berlin.
- »Gesamtstärke [der Alliierten]: ca. 58.000 Mann« (S. 33) — In der angegebenen Quelle steht: »53.380 Mann«.
- »Blockadegeschwader: 6 Schlachtschiffe ..., der Flugzeugträger Wakamiya ...« (S. 33) — In der Quelle sind richtigerweise 4 »Linienschiffe« und 2 »Küstenpanzerschiffe« aufgeführt; Wakamiya ist korrekt unter »Flugzeugmutterschiff« zu subsumieren.
- »Verluste [der Allierten]: ... Realistisch sind etwa 3.000 Tote und zahlreiche Verwundete. Neueste Schätzungen gehen dagegen sogar von deutlich über 10.000 Toten aus.« (S. 33) — Auch der letzte Satz enthält eine sensationelle Information. Welche »neuesten Schätzungen« könnten gemeint sein? Wirklich schade, dass kein Beleg gegeben wird.
- »Gesamtstärke [der Deutschen]: ca. 4.800 Mann« (S. 33) — Hier wurde offensichtlich eine andere Quelle benutzt, denn in der angegebenen (S. 31) steht: rund 180 Offiziere und 4.500 Mannschaften.
- »Eintreffen des Ostasiatischen Marinedetachements ...: 500 Elitesoldaten...«" (S. 34) — Der »Elite«-Zusatz ist ein beliebtes Mittel bei Journalisten, um allzu nüchterne Tatsachen aufzupeppen. Es gibt freilich nicht den kleinsten Beleg, dass sich die Soldaten des OMD nach Eignung, Ausbildung, Kampfgeist usw. von den Kameraden des Seebataillons und anderen unterschieden.
- »und auch chinesische Freiwillige stehen zur Verteidigung bereit.« (S. 34) — Noch eine sensationelle Neuigkeit: Wer mögen diese Leute gewesen sein, und warum sind sie sonst nirgendwo erwähnt?
- »quasi in letzter Minute ... zwei Flugzeuge« (S. 34) — Die Flugzeuge kamen Mitte Juli an, wie Plüschow selbst angibt, aber das ist wohl nicht dramatisch genug...
- »fahren die kleinen, noch verbliebenen Kanonenboote Patrouille« (S. 35) — Bei Licht besehen nur eines (Jaguar, dazu noch Torpedoboot S 90), denn die anderen waren abgerüstet.
- »die meisten Österreicher kämpfen nun an Land« (S. 35) — Auch daneben: das war erst in der letzten Kriegswoche der Fall, nämlich nach der Selbstversenkung des Schiffs.
- »[japanisches] Geschwader, das bereits seit Tagen drohend vor Kiautschou ankert« (S. 35) — In der angegebenen Quelle (S. 48) heißt es richtig, dass das Geschwader »erst am 27. erschien«. Oder gibt es auch dazu auch »neueste Schätzungen«?
- »Die deutschen Soldaten haben ihre Munition verschossen« (S. 37) — Verschossen war die Artilleriemunition, insbesondere die Shrapnells, während es für den Infanteriekampf noch genügend Patronen gab.
- »kehren die letzten Verteidiger Tsingtaus erst im Januar 1920 nach Deutschland zurück« (S. 37) — Richtig müsste es heißen: im Mai 1920 (darunter der Gouverneur).
Fazit: Es bleibt die Hoffnung, dass der Verfasser über die U-Boote solider berichtet hat.
Viele Fehler in »P.M. History«
Der Aufmacher in Heft 02/2013 von »P.M. HISTORY« (Eigenwerbung: »Europas größtes Monatsmagazin für Geschichte«) war »Der Untergang der deutschen Kolonien«. Das weckte hohe Erwartungen, zumal noch marktschreierisch angekündigt wurde (S. 5): »Wie Tsingtao 1914 grausam [!] verteidigt wird.«
Um es kurz zu machen: In dem angeblich von »Jens Müller-Bausenik« verfassten, nur knapp dreiseitigen Artikel wimmelt es von Fehlern. Hier eine Blütenlese:
- »Am 16. August tritt Alfred Meyer-Waldeck nachdenklich auf den Balkon seiner Dienstvilla.« (S. 54) — Erfundene Szene à la Guido Knopp.
- »außerhalb seines Blickfeldes« liegen die Schiffe, die »zum Ostasiengeschwader« gehören (S. 54) — Pech: Er kann die Schiffe des Geschwaders nicht sehen, weil die (z.T. seit Juni) nicht mehr im Hafen sind.
- »Briten und Japaner ... haben ihm ein Ultimatum gestellt« (S. 54) — Nur die Japaner haben das Ultimatum gestellt, und nicht ihm, sondern der Reichsleitung in Berlin; Meyer-Waldeck erfährt davon erst später.
- »das III. Seebataillon des Ostasiengeschwaders« (S. 55) — Das Bataillon gehört nicht zum Kreuzergeschwader.
- »Die katholische Michaelskathedrale und ... recken ... ihre Türme« (S. 57) — Höchst verwunderlich, denn diese Kirche wurde erst 1931-1934 gebaut!
- »Der chinesische Nachwuchs kann die 'deutsche Schule' besuchen« (S. 57) — Es herrscht Rassentrennung; Chinesenkinder gehen auf die deutsch-chinesische Schule.
- »Gott sei mit euch in diesem schwierigen, in Eurem Kampfe. Ich werde an euch denken« (S. 57) — Als wörtliches Zitat grottenfalsch. Richtig: »Gott mit Euch in diesem schweren Kampf. Gedenke Eurer.«
- »Am 26. September ... bricht die Hölle los« (S. 57) — Nur beinahe richtig: Es war am 31. Oktober!
- »Missionar Vosskamp« (S. 58) — Richtig wäre »Voskamp«.
- »Der Fliegerpionier Gunther von Plüschow« (S. 58) — Pionier meinetwegen, aber das »von« ist frei erfunden.
- »Nach neuntägigem Bombenhagel starten die Alliierten am 31. Oktober eine Großoffensive« — Der Bombenhagel begann am 29., also 2 Tage zuvor.
- »die deutschen Verluste nur 150 Mann« (S. 58) — Auch falsch, die Zahlen schwanken, je nach Berechnung, um die 195, davon 10 Österreicher, die hier gar nicht erwähnt werden.
- »Der Blutzoll der Japaner, die 17000 Soldaten verloren haben« (S. 58) — Groteske, rekordverdächtige Übertreibung,
- »2300 Deutsche gehen anschließend in Gefangenschaft« (S. 58) — Es waren mehr als doppelt so viele, darunter 300 Österreicher.
- »Der ehemalige Gouverneur wird Ende 1919 ... entlassen, manche seiner Kameraden folgen erst ein Jahr später« (S. 58) — Alle wurden spätestens im Januar 1920 entlassen, der Gouverneur kam als einer der letzten nach Hause.
Fazit: Jeder Krieg ist »grausam«, manche Artikel darüber sind es leider auch.
Eine Tsingtauer Kanone im Jahre 2012
Kein Seemannsgarn: Die alte Kanone auf dem Foto links ist ein Teil der Geschichte von Tsingtau!
Sie steht vor der Nordfassade des Gerichtsgebäudes des Bezirks DeKalb in der Stadt Sycamore, Bundesstaat Illinois/USA. Ihr erster Verwendungszweck war entweder das Kanonenboot Iltis oder dessen Schwesterschiff Luchs. Beide gaben Anfang August 1914 ihre Bewaffnung an den Hilfskreuzer Prinz Eitel Friedrich ab, der wiederum im April 1917 von den USA beschlagnahmt wurde und als Truppentransporter den Namen DeKalb erhielt. Irgendwann stellte die US-Marine die Kanone dann dem namengebenden Bezirk zur Verfügung.
Die ganze Geschichte kann hier nachgelesen werden.
Karl May und Tsingtau
Der am 30.03.1912 gestorbene Schriftsteller steht in mehrfacher Verbindung zu Tsingtau!
Liu Weijian hat herausgearbeitet, dass May sich in den 1880er Jahren allgemein mit dem Zugriff der Europäer auf China befasste und nach der Jahrhundertwende das entstehende deutsche Tsingtau als Hintergrund für seine Idee eines neuen "Utopia" nahm, eines Friedensparadieses, in welchem "das Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Herkunft" möglich wird.
Die Entstehung des zum Spätwerk Mays gehörenden Romans »Et in terra pax« (»Und Friede auf Erden«) ist von Ekkehard Bartsch ausführlich dargestellt worden.
© Hans-Joachim Schmidt
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