Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Augenzeugenberichte

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Aufzeichnungen

von Peter Steuer
 

Der handgeschriebene Text wurde von der Tochter Steuers transskribiert und freundlicherweise für dieses Projekt zur Verfügung gestellt. Teil 1 ist ein in sich abgeschlossener Reisebericht. Teil 2 enthält 11 Abschnitte aus der Zeit der Gefangenschaft, wovon der letzte - hier: Teil 3 - aus Betrachtungen über "die Chinesen" (Überschrift vom Redakteur) besteht.
Der Text wurde nicht verändert, Hinweise und Anmerkungen vom Redakteur in [ ] eingefügt.

  1. Überfahrt nach Tsingtau
  2. Gefangenschaft
  3. Die Chinesen

Überfahrt nach Tsingtau

Am Nachmittag des 12.1.14 war der Dampfer "Patricia", der mich nach Ostasien brachte, in See. Das letzte Land war unseren Blicken entschwunden, langsam kam der Abend heran und bald sahen wir die Leuchtfeuer von Helgoland. Trotzdem etwas Nebel herrschte, konnten wir die letzten stundenlang beobachten. Die Wellen gingen jetzt höher, etwa 2-3 m und es gab die ersten Seekranken. In den jetzt folgenden Tagen war nichts zu sehen als Himmel und Meer, dabei hatten wir eine Kälte von 12°C.

Am vierten Tag waren wir im Chanal.1 Von dem sonst dort herrschenden Nebel war nichts zu sehen, deutlich sahen wir auf einer Seite die Küste. In der Gegend von Dover-Calais fällt selbige fast steil zur See zu ab. In der Nähe von Dover sahen wir das Wrack des am 6.11.10 gestrandeten deutschen Schulschiffes Preußen. Der Fünfmaster, zugleich das größte Segelschiff, streckte noch genau so wie bei der Katastrophe seine Masten mit Takelwerk gen Himmel.

Nach einigen Tagen waren wir im Golf von Biscaia, bekannt dadurch, dass hier die größten Wellen zu finden sind. Besonders schlechtes Wetter hatten wir zwar nicht, trotzdem schaukelte die "Patricia", obschon sie einer der größten Meeresriesen ist2, ganz beträchtlich. In 2 1/2 Tagen war der Golf durchquert und wir wachten morgens in besonders guter Stimmung auf. Das große Schaukeln hatte nachgelassen und an die Stelle der grimmigen Kälte war die warme spanische Sonne getreten. Den ganzen Tag über sahen wir Land, nachmittags waren wir in der Höhe von Lissabon und wir konnten das portugiesische Königsschloß, das in der Revolution von der portugiesischen Flotte beschossen wurde, mit bloßen Augen deutlich sehen.

Als wir am nächsten Morgen erwachten, hatte unser Schiff die Straße von Gibraltar erreicht. Auf afrikanischer Seite ragt mächtig und steil das graue Atlasgebirge direkt vom Meer aus bis zu einer Höhe von über 1000 m empor. Ein gewaltiger Anblick, der wohl durch kein Gebirge, das von einem Schiff aus sichtbar ist, übertroffen werden kann. Eine Zeitlang später kam die spanische Feste Zeuta in Sicht und dann der Kreidefelsen von Gibraltar. Derselbe ragt weit ins Meer hinein und macht fast den Eindruck einer Insel. Nach Ansicht der Gelehrten sollen früher hier die beiden Erdteile zusammen gehangen haben, was damit begründet wird, dass heute noch auf beiden Seiten Affen wild leben. Da sonst nirgendwo in Europa Affen wild zu finden sind, läßt sich diese Tatsache nur so erklären.

Die nun folgenden Tage im Mittelländischen Meer waren ziemlich stürmisch und die Wellen waren für diese See ziemlich hoch. Öfters konnten wir Inseln sehen und meistens auch die afrikanische Küste. Bei Tage sahen wir durch das Fernrohr deutlich die so schön aussehenden Häuser der Fremdenlegion in Algier, wo so mancher Deutsche ein schweres Joch tragen muß. Des Nachts schickten die Leuchttürme ihre Strahlen zu uns herüber. Auch die italienische Strafkolonie konnten wir sehen. Dörferartig stehen die Häuser derselben zusammen, ebenfalls aus der Ferne hübsch anzusehen.

So näherten wir uns dann unserer ersten Anlegestelle, der Insel Malta. Schon ehe das Schiff verankert war, kamen eine ganze Menge Händler in ihren Kähnen an unser Schiff. Sie hatten hauptsächlich Apfelsinen und Zigaretten. Zuerst kann man sich schlecht mit ihnen verständigen, aber ganz bald geht es, da Schiffe aller Nationen einlaufen, wissen die Leute von allen Sprachen ein paar Brocken. Wir betreten nun das Land. Da das Ufer zum Meer zu steil abfällt, muß man zunächst, ähnlich wie auf der einen Seite von Helgoland, mit einem Aufzug etwa 30 m aufwärts fahren. Die mittelalterliche Stadt mit ihren vielen über die Straße gespannten Gewölbebögen macht einen gewaltigen Eindruck namentlich auf denjenigen, der zum ersten Mal fremde Erde betritt und vorher, wie wir, zwei Wochen lang ununterbrochen auf dem Meer geschaukelt worden ist. Obschon die Insel englisch ist, spricht die Bevölkerung italienisch. Manche geschichtliche Erinnerung verknüpft sich mit der Insel, wovon auch heute noch die sichtbaren Zeichen vorhanden sind. Früher gehört sie jahrhundertelang dem Malteser Orden und so sind denn auch fast alle Gebäude noch solche, die der Orden gebaut hat. Dem geistigen Sinn des Ordens entsprechend sind natürlich besonders viele und ungeheuer kostbare Kirchen vorhanden.

Außerdem verdanken sämtliche englische Regierungsgebäude dem Orden ihren Ursprung. An einem derselben befindet sich eine Uhr, welche Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Monate, Jahre, Schaltjahre und Jahrhunderte anzeigt; ein beachtliches Zeichen von dem hohen Stand von Kunst und Wissenschaft des Ordens. Besondere Beachtung verdient die Tracht der Frauen auf Malta. Die Kleidung ist schwarz, dazu kommt eine schwarze, kreisförmige Kopfbedeckung, welche wohl den doppelten Durchmesser unserer Riesendamenhüte hat und in der Schultergegend befestigt ist. Selbige ist sowohl bei Regen wie auch gegen die Sonne sehr praktisch. Das Ganze steht der schönen, stolzen Gestalt der Malteserin sehr vorteilhaft.

Nur mit schwerem Herzen trennten wir uns von Malta und liefen einige Tage später in Port Said ein. Natürlich kamen in ihren Kähnen sofort wieder die Händler ans Schiff. Hier sind die Apfelsinen und Zigaretten wohl die besten der ganzen Erde, noch billiger als in Malta. Die besten Zigaretten, die in Deutschland 10 Mark und mehr kosten, kosten hier nur 2,50 Mark pro Hundert. In Port Said sieht man auf der Fahrt nach Osten zum ersten Mal lange Fahnen mit chinesischen Schriftzeichen in den Straßen hängen.

Wir lagen hier nur einen Nachmittag, am Morgen des folgenden Tages, einem Sonntag, befanden wir uns schon im Suez-Kanal. Da der Kanal nur geringe Tiefe hat, konnten wir nur sehr langsam fahren, die Durchfahrt dauerte daher einen ganzen Tag und wir hatten die beste Gelegenheit, das Land, auf jeder Seite ein anderer Erdteil, aus nächster Nähe zu sehen. Zwar sind auf beiden Seiten Wüsten, aber auch die Wüste hat ihre Schönheiten. Man sieht nicht nur von Sandstürmen zugewehte Felsblöcke und Berge, sondern der ewige Sand wird hier auch sehr oft von Oasen unterbrochen.

Das frische Grün der Palmen und des Grases scheint hier umso schöner. Verschiedene Male sahen wir in solchen Oasen große Karawanen mit ihren Kamelen lagern. Auch ansässige Bewohner gibt es dort. Die Häuser und die kleinen Herden von Kamelen und anderem Vieh lassen das erkennen. Die Leute scheinen lediglich auf Palmfrüchte angewiesen zu sein und keine Abwechslung zu haben, denn sie fingen alle Lebensmittel, sogar die Kartoffeln, die wir ihnen zuwarfen, freudig auf, liefen, um sie zu bekommen, sogar noch bis zum Hals ins Wasser. Der Suez-Kanal wird von 3 Seen unterbrochen, auf diesen schwammen eine Menge wilder Enten.

Spät abends erreichten wir Suez. Im Hafen wieder das gewohnte Getriebe. Von jetzt an ging unsere Fahrt durch das Rote Meer, das heißeste Meer der Erde. Beständig weht hier ein ganz schwacher Wind, durch die Geschwindigkeit der Schiffe selbst aber wird er für die südwärts fahrenden vollkommen aufgehoben. Die große Hitze des Meeres kommt daher, dass auf beiden Seiten Wüsten sind und das Meer selbst verhältnismäßig schmal ist. Den Namen Rotes Meer hat es von den roten Sandbänken, die sich auf seinem Boden befinden und an vielen Stellen durchschimmern. An vielen Stellen des Meeres befinden sich Punkte, die an Begebenheiten der Bibel erinnern. Die Halbinsel und der Berg Sinai ragen weit ins Meer hinein und sind bei klarem Wetter gut zu sehen. Am südlichen Ende des Meeres befindet sich eine Inselgruppe (12 Inseln), genannt die zwölf Apostel. Interessant sind noch zwei ganz kleine Inseln des Roten Meeres. Sie machen aus der Ferne den genauen Eindruck eines Torpedobootes. Begrenzt wird das südliche Ende des Meeres durch die englische Feste Aden.

Wir kamen jetzt in den Arabischen Meerbusen. Zu unserer Überraschung war derselbe glatt wie ein Spiegel; eine Eigenschaft des Meeres, die uns bis jetzt vollständig fremd war. Aber hier im Indischen und im Stillen Ozean ist das durchaus keine Seltenheit, daher auch der Name Stiller Ozean. Durch das von unserem Schiff aufgewirbelte Wasser konnten wir unsere Fahrstrecke bis zum Horizont verfolgen. An Fischen hatten wir jetzt in der Hauptsache nur Schweinsfische gesehen, etwa 2 m lange Tiere. Diese waren allerdings manchmal in ungeheurer Menge. Jetzt konnten wir auch große Schwärme von fliegenden Fischen beobachten. Selbige fliegen meistens einige Minuten lang über Wasser, und zwar große Schwärme zusammen, einem großen Schwalbenschwanz sehr ähnlich aussehend. Hin und wieder sahen wir auch, trotz des warmen Klimas, Wale. Sie waren immer in ziemlicher Entfernung vom Schiff, aber die Wassersäule, die sie immer ausstießen, ließen sie bestimmt erkennen. Sehr häufig sind an der Oberfläche des Wassers Tiere sichtbar, welche etwa die Form eines Ballons von 50 cm Durchmesser haben und einen nach oben schimmernden bunten Farbenkranz tragen.

Nach einigen Tagen hatten wir auch diesen Meerbusen durchkreuzt, und wir sahen jetzt in ziemlicher Entfernung die üppige Vegetation der Insel Ceylon, des Paradieses auf Erden. Unsere Tour ging weiter durch den Bengalischen Meerbusen. Der Name kommt daher, weil das Wasser des Nachts, durch ein Schiff durcheinandergebracht, hell aufleuchtet. Diese Erscheinung findet man auch in anderen, dem Äquator nahen Meeren, aber im Bengalischen Meerbusen tritt sie am stärksten auf.

Nunmehr näherten wir uns unserer nächsten Anlegestelle, dem Hafen von Singapur. Noch kurz ehe wir vor Anker lagen, konnten wir eine schöne Beobachtung machen. Wir fuhren nämlich - schon in ganz langsamer Fahrt - an einem Pfahldorf vorüber. Die ganzen Häuser waren auf dem Meere auf hohen Pfählen gebaut. Erst in etwa 10 m Höhe über dem Meeresspiegel waren die Häuser angelegt, welche im Verhältnis zu den hohen und starken Pfählen ziemlich klein aussahen. In Singapur sahen wir uns tüchtig um und die mächtigen Palmen werden einen bleibenden Eindruck auf jeden gemacht haben. Ein sehr großes Museum ist vorhanden. Ananas kosteten pro Stück nur 5 Cent. Ganze Büschel von Bananen - etwa 40 Stück - nur 10 Cent. Singapur ist diejenige Stadt der Erde, welche dem Äquator am nächsten ist. Die Entfernung beträgt 10 Meilen. Demjenigen, der Ostasien noch nicht kannte, fiel hier zum ersten Mal ein ihm fremdes Beförderungsmittel in die Augen, nämlich die Rikscha. Das ist ein kleiner, von einem Kuli gezogener Wagen, der für eine Person Platz bietet und in solcher Menge vorhanden ist, daß er in Ostasien fast dieselbe Rolle spielt wie in Europa die Elektrische. Letztere ist natürlich auch in Ostasien außerdem noch vorhanden. Man wird aber sehr oft die Rikscha vorziehen, da die Fahrt auf Gummirädern angenehmer ist und man auch an jede gewünschte Stelle gelangen kann.

In Singapur sind auch viele Chinesen ansässig. Schon aus der Ferne kann man es wissen, wenn man sich ihren Vierteln nähert, denn sie sind sehr schmutzig und stinken, selbst einzeln auf 10 m Entfernung. Wenn man lange mit ihnen zusammen ist, gewöhnt man sich selbstverständlich daran und es ist einem ebenso natürlich wie, dass sie zum Essen statt Messer, Gabel etc. Holzstäbchen benutzen. Damals war es einem aber noch neu und mancher, der bei dem Gedanken an China und die Chinesen mit einem Enthusiasmus erfüllt wurde, ist damals durch die Wirklichkeit etwas ernüchtert worden.

Die weitere Fahrt führte uns an den Inseln von Niederländisch-Indien vorbei. Überall konnte man - auch aus der Ferne - den Reichtum des Landes an der üppigen Vegetation erkennen. Durch das Südchinesische Meer kamen wir nun bald nach dem nächsten und letzten Hafen, den wir vor unserem Ziel anliefen, dem Hafen von Hongkong. Es war entschieden der schönste, den wir auf der ganzen Fahrt anliefen. Nicht nur der Hafen selbst ist wunderbar ausgebaut, auch die Stadt gewährt einen herrlichen Anblick. Sie besteht größtenteils aus großen, palastartigen Gebäuden mit großen massiven, durch alle Etagen gehende Veranden ringsum und übertrifft, was die Bauart anbelangt, manche europäische Großstadt. Außer der Elektrischen, der Rikscha und der Droschke findet man in Hongkong als Personenbeförderungsmittel auch noch die Sänfte. Sie besteht aus einem Sitzplatz mit 2 langen Stangen und wird von 2 oder 4 Kulis getragen. Hongkong gehört zu den größten Handelsstädten, daher auch der große Reichtum. Natürlich haben auch diesen wichtigen Platz die Engländer in Besitz.

Der Rest der Fahrt, der uns noch bevorstand, war ziemlich kurz. Wir fuhren nicht allzu weit von der chinesischen Küste entfernt, sahen lange Zeit die Küste der großen japanischen Insel Formosa, kamen dann durch das Ostchinesische Meer und zuletzt ins Gelbe Meer. Daß letzteres den Namen Gelbes Meer verdient, konnten wir an zwei Stellen deutlich wahrnehmen, wo das Meer von zwei chinesischen Flüssen, die große Mengen Schlamm mit sich führen, gelb gefärbt ist.

Am 22. Februar landeten wir endlich in Tsingtau und setzten unseren Fuß endlich noch einmal auf deutsche Erde, nachdem wir vorher nur immer wieder sehen konnten, wie die ganze Welt England gehört.
 

Gefangenschaft

Zunächst kam ich nach Kumamoto auf der südlichsten der vier großen Inseln, Kyushu. Die Bewohner waren sehr freundlich. Eine Mädchenklasse begrüßte uns mit dem Singen von "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" in deutscher Sprache. Wir wurden in dem Tempel Miyoritsuji untergebracht.3 In der Nähe von Kumamoto ist der Aso-Krater. Der Aso ist der größte Krater auf der Erde. Öffnung 18-12 Meilen. Auf dem Grund des alten Kraters haben sich 5 neue kleine Krater gebildet, welche noch in Tätigkeit sind. Außerdem sind zwei Flüsse in dem Kratergrund entstanden.

Episode aus dem Gefangenlager Fukuoka:
Der Name eines, im Gefangenenlager angestellten, japanischen Sergeanten lautet auf deutsch übersetzt "Flohbock". Man kann sich da denken, wie er, nachdem das bekannt geworden war, genannt wurde. Der Sinn des verdeutschten Wortes blieb auch den Japanern nicht unbekannt und um dem Übel abzuhelfen, verfielen sie auf eine höchst merkwürdige Idee. Sie lassen das ganze Lager antreten und schwören, nicht mehr "Flohbock" zu rufen. Nachdem die Zeremonien vorbei waren, kamen einige Japaner auf den Gedanken, es könnten vielleicht einige die Hand nicht hochgehoben, also - nach Ansicht der Japaner - nicht mit geschworen haben, es wurde daher die ganze Geschichte noch einmal gemacht; wahrscheinlich passten sie jetzt hinreichend auf, ob alle mitmachten. Wie kamen die Japaner nun auf das "Schwören"? Sie selbst kennen es wahrscheinlich nicht, jedenfalls nicht in unserem Sinn, sonst würden sie wissen, in welchen Fällen man schwören ließe. Der Lagerverwaltung war nun ein sog. "Professor" zugeteilt, von ihm muß wohl die geniale Idee ausgegangen sein.

Kurume, den 10.1.17
Heute ist in unserem Lager das Baden verboten worden. Ursache: Die Brunnen haben nicht genug Wasser.

27.3.18
Vor einigen Tagen konnte ein Mann (M. Lennartz I./III. S.B.) wegen heftiger Zahnschmerzen nicht schlafen. Nachdem er schon eine Weile aufgestanden war und nicht wußte, was er machen sollte, ging er zum Revier. Er wurde jedoch nicht behandelt, statt dessen aber, ohne jeden anderen Grund, nur deshalb weil er zum Revier gekommen war, mit 2 Tagen strengem Arrest bestraft, und diese Strafe mußte er tatsächlich sofort verbüßen. Gegen die Zahnschmerzen wurde aber erst einige Tage, nachdem die Strafe verbüßt war, etwas gemacht, aber nicht von Seiten der Japaner.

Was man in Japan unter Untersuchungshaft versteht.
Am 11.4.16 bin ich in sogenannte Untersuchungshaft gekommen. Ursache dunkel. Aus unserem Gefangenenlager sind 2 Mann entwichen, ob ich damit in Zusammenhang gebracht werden soll, weiß ich nicht. Einem Untersuchungsgefangenen steht nach unsern Begriffen ein Bett und volle Verpflegung zu. Ein Bett bekam ich nicht, zu essen gab es nur Brot. Nachts wurde es kalt, der Wind pfiff durch alle Fugen der leichten Holzbaracke. Da ich nur leicht bekleidet war, wollte ich, um mich einigermaßen zu erwärmen, im Raum auf und ab gehen. Das durfte ich nicht. Hinsetzen durfte ich mich auch nicht. Die beiden Posten, welche andauernd im Raum waren, gaben mir zu verstehen, ich müßte mich hinlegen. So mußte ich nämlich die Kälte am besten spüren. Die ganze Nacht mußte ich mich fortgesetzt übergeben, daher wollte ich zum Arzt. Das wurde mir nicht erlaubt. Weil ich zu einem Feldwebel, der später auch zu mir eingesperrt wurde, etwas sagte, wurde ich von einem Posten mit dem Kolben geschlagen. Sprechen war mir nicht verboten worden, aber die Posten schlugen mit den Kolben, wenn man's tun wollte.

Am 31.10.17 war einem japanischen Soldaten bei einem Fall oder etwas ähnlichem die Zunge in den Hals geraten. Bei derartigen Fällen kann man die Zunge leicht mit dem Finger herausholen. Der Sanitätsgast holt indessen aber eine dazu dienende Zange. Unterwegs kommt er jedoch ins Gespräch und vergißt, die Zange zu holen. Als ihm die Sache wieder einfiel, war der Soldat erstickt. Während der Sanitätsgast ausblieb, standen ein Arzt und ein anderer Sanitätsgast bei dem Soldaten, aber keiner kam auf den Gedanken, die Zunge mit dem Finger herauszuholen oder selbst die Zange zu holen und so das Leben des sonst gesunden Soldaten zu retten. Dieser Vorfall geschah im Divisionslazarett Kurume.

27.3.18
Vor einigen Wochen wurden wir (etwa 300 Mann) dadurch bestraft, dass wir mehrere Tage nichts zu essen bekamen außer täglich ein Stück Brot. Als Ursache wurde angegeben, es seien einige Baracken außen herum schmutzig befunden worden. In Wirklichkeit war das jedoch nicht der Fall, wenigstens nicht bei allen bestraften Baracken. Die wirkliche Ursache war folgende: Da wir nichts zu essen bekamen, bekam unsere Küche kein Menagegeld. Die japanische Regierung hat dieses aber natürlich bezahlt. Die japanischen Lageroffiziere haben das Geld also in ihre Tasche gesteckt. Wir wurden also nur deshalb bestraft und mußten deshalb hungern, damit die japanischen Lageroffiziere unser Menagegeld in die Tasche stecken konnten.

7.8.19
Japaner betrachten ein Kind, wenn es zu Welt kommt, als 1 Jahr alt. Am darauffolgenden 1. Januar wird das Kind als 2 Jahre alt angesehen. Also ein Kind, das am 31. Dezember um 11:59 Uhr zur Welt kommt, ist eine Minute später 2 Jahre alt. Den Geburtstag feiern Japaner auch, aber nur am 1. Januar betrachtet sich jeder Japaner als ein Jahr älter.

7.8.19 Kurume
Etwa drei Wochen lang hatten wir jeden Tag mittags fast um dieselbe Zeit ein Gewitter. Etwa am 20. Juli 1919 schlug der Blitz in eine elektrische Leitung an der Außenseite der Wand meines Zimmers. Der Gang der Wahrnehmungen war folgender: Zuerst heftiges Klirren einer zerschlagenen Glasscheibe. Man konnte hören, daß keine gewöhnliche Kraft die Scherben schleuderte, so heftig war das Aufschlagen auf den Boden. Selbst die kleinsten Stückchen flogen bis zu 20 m weit weg. Dann hatte man ein merkwürdig beklemmendes Gefühl, bis dies von dem Krachen des Donners ausgelöst wurde. Die Zwischenzeit zwischen Einschlag und Donner kam mir merkwürdig lang vor, obwohl es nur einige Sekunden gewesen sein können. Beschädigt hatte der Blitz nicht viel; ein Stromzähler war unbrauchbar geworden und sämtliche Sicherungen waren durchgebrannt, Feuer ist nicht entstanden. Einige Spatzen müssen bei dem Einschlagen mächtig erschrocken sein. Einer kam, alle Gefahr vergessend, zutraulich in mein Zimmer geflogen. Er muß sich wohl gesagt haben, so gefährlich wie hier draußen ist es bei Menschen immer noch nicht. Die anderen blieben wie gelähmt vor meinem Fenster im Gras liegen und wurden bei dem darauf folgenden heftigen Regen sehr nass. Sie konnten daher erst wieder richtig fliegen, nachdem sie sich am nächsten Tage in der Sonne getrocknet hatten. Vorher konnten sie nicht einmal auf einen Baum fliegen, ihre Flügel waren zu nass.

29.8.19
Vor einigen Tagen schlug der Blitz zum zweiten Mal in dieselbe Leitung. Diesmal hatte sich der Strahl in zwei Teile geteilt. Der eine Teil schlug in einen Schornstein. Feuer ist auch jetzt nicht entstanden.
 

18.9.1919 ["Die Chinesen"]

Die Chinesen sind ein höchst eigentümliches Volk, und man muß schon ziemlich lange mit ihnen zusammen sein, um sie richtig beurteilen zu können. In Deutschland wind ja wohl viel über sie geschrieben und jeder wird sich irgendeine Vorstellung von ihnen gemacht haben, aber jede einzelne wird von der Wirklichkeit weit abweichen. Man stellt sich im allgemeinen die Chinesen als ein altes Kulturvolk vor, das viele Errungenschaften und Erfindungen schon lange vor uns genossen hat. Gewiß, die Chinesen sind ein Kulturvolk, aber von demjenigen, was wir als mit Kultur eng verbunden betrachten, ist bei ihnen sehr wenig zu finden.

Die Wohnung ist z.B. sehr notdürftig. Sieht man von der aristokratischen Bevölkerung ab, die nur in sehr geringer Zahl vorhanden ist, so ist ein sehr gutes chinesisches Wohnhaus etwa wie folgt beschaffen: Die Außenwände sind massiv mit einem Pfannendach. Im Inneren befindet sich absolut kein Ausbau, weder Keller noch Etagen oder Speicher sind vorhanden, nur eine Wand teilt das Ganze in einen größeren und in einen kleineren Raum. Der größere dient als Wohn-, der kleinere als Schlafraum. Der Fußboden bleibt, wie ihn die Natur gegeben hat. An Möbeln sind im Ganzen nur ein kleiner Tisch und eine Kiste vorhanden. Im Wohnraum befindet sich ein gemauerter Ofen, im Schlafraum befindet sich der Kang, das ist eine hohle gemauerte Erhöhung, worauf die Chinesen schlafen. Durch den Hohlraum unter dem Kang wird der Rauch des Ofens geführt, damit es im Winter wärmer ist. Der Chinese schläft ohne Decken oder dergleichen, er legt sich in seine Kleidern, die die unteren Schichten des Volkes übrigens anbehalten, bis sie vom Leibe fallen oder es Sommer ist, einfach auf den Kang, der nur von einer Strohmatte bedeckt ist. Die beiden Räume sind sehr eng und, obwohl sie bis unter das Dach gehen, sehr niedrig. An den Wänden oder unterm Dach wird nie etwas rein gemacht und, man kann es sich denken, wie Rauch und Staub selbige im Laufe der Jahre zurichten. Ein solches Haus kostet denn auch nur etwa 100 000 Käsch (ungefähr 100 Mark), und - wie bereits vorher gesagt - handelt es sich hier um ein sehr gutes chinesisches Haus. Bei einem schlechteren findet man Strohdach, Lehmwände oder dergleichen, die schlechtesten, die man in Peking und überhaupt da, wo das Land am dichtesten bevölkert ist, findet, sind nur einfache Zelte aus Strohmatten.

Der Yamen, den die aristokratische Bevölkerung bewohnt, hat zwar mitunter Räume im Überfluß, der Boden ist auch mit Steinen oder dergleichen belegt und der Bau zeigt nach außen eine Unmasse nutzloser Verzierungen, aber Innenausbau hat auch er nicht. Der überdachte Raum ist auch hier nur einfach durch Wände in so und so viele Räume geteilt. Die Räume gehen auch hier vom Fußboden bis unters Dach. Keller und Etagen sind nicht vorhanden. Im Inneren könnten wir uns auf die Dauer auch nicht wohl fühlen. Der vornehme Chinese hat wohl in seinen Räumen einzelne Kostbarkeiten von mitunter unverhältnismäßig hohem Wert, aber dasjenige, was uns unsere Wohnung erst behaglich macht, hat auch er nicht. Er sitzt oder hockt ebenso gut auf der Erde und schläft ebenso gut auf dem Kang wie sein armer Volksgenosse.

Da, wo viele Europäer leben, beginnt allerdings auch er langsam in europäischen Häusern zu wohnen. Wie Geschäfts- und dergleichen Gebäude aussehen, kann man sich nach Vorhergesagtem so ziemlich denken. Spiegelscheiben sind natürlich keine vorhanden, denn der Chinese kennt überhaupt kaum Fensterglas. Die Fenster werden nämlich mit Papier verklebt.

Ebenso wie mit den Wohnungsverhältnissen so ist der Chinese auch in jeder anderen Beziehung mehr als rückständig. Um den Charakter des Chinesen beurteilen zu können, muß man ihn schon von verschiedenen Seiten kennen gelernt haben. Hier ein kleines Erlebnis: In einem Steinbruch sind Kulis beim Sprengen. Ein Bohrloch ist fertig geladen, die Zündschnur ist angezündet und die Kulis begeben sich in Sicherheit. An dem Steinbruch führt ein Weg vorbei. Darauf kommen zwei Chinesen mit einem Esel einher. In dem Block, der gerade gesprengt werden soll, erblicken sie ein geeignetes Ruheplätzchen, sie gehen hin, setzen sich darauf und machen mokemoke, d.h. sie rauchen eine Pfeife. Die Kulis sehen das, sagen aber nichts. Der Schuß geht jetzt los, die beiden wie auch der Esel sind schwer verletzt, einem ist ein Arm abgerissen. Man fragt sich nun: "Wie ist es möglich, daß die Kulis ihre Volksgenossen nicht auf die Gefahr aufmerksam gemacht haben, obschon sie alles genau sahen?" Hier tritt der Charakter zu Tage. Der Chinese ist schadenfroh, gefühllos und kennt absolut keine Liebe zu seinen Mitmenschen. Wenn ein anderer zu Schaden kommt, selbst wenn er durch seine Schuld stirbt, so freut es sich.

Hat gerade ein Europäer eine ähnliche Tat, wie die vorgeschriebene beobachtet, so bekommen die Schuldigen eine ordentliche Tracht Prügel selbst dann, wenn es recht viele sind. Man wird wieder fragen: "Wie ist es möglich, daß sie sich das von einer einzelnen Person gefallen lassen?" Da tritt ein anderer bekannter Charakterzug zu Tage, die Feigheit, auch freut sich einer wieder darüber, wie der andere Schläge bekommt. Eine Ausnahme von dieser Lieblosigkeit machen weder Verwandte, noch Mann und Frau gegenseitig. Hier noch eine kleine Begebenheit: Im deutschen Pachtgebiet Kiautschou hatte die deutsche Verwaltung ein Grundstück erworben. Es war von jetzt ab für die Chinesen verboten, ihren Weg durch dasselbe zu nehmen. Durch das Grundstück war aber der Weg bedeutend kürzer und so gingen sie doch immer wieder dadurch. An einem Morgen kommt ein Chinese mit seinem Esel, der schwer mit Zungsen (chinesische Geldstücke4 beladen war, auch dadurch. Er will nach einem ziemlich entfernten Markt. Da man das immerwährende Durchgehen satt ist, bekommt er eine Tracht Prügel und muß zurück. Unten am Wege geht er nicht weiter seines Weges, sondern er versteckt sich. Er wußte nämlich, kurz hinter mir kommt mein Bruder auch mit Esel und Zungsen auf dem Weg zum Markt. Wenn der nicht sieht, daß ich zurückgejagt worden bin, geht auch er durch und bekommt auch Prügel. Man hatte aber beobachtet, daß der erste sich versteckt hatte und ein von der Verwaltung angestellte Chinese hatte erraten, warum. Als der zweite nun auch durchs Grundstück kam, bekamen beide eine ordentliche Tracht Prügel. Die beiden waren nicht etwa verfeindet. Es kam lediglich der Charakter zum Vorschein.

Wie schon vorher erwähnt, besteht auch zwischen Mann und Frau keine Liebe. Das chinesische Vermählungssystem ist allerdings auch nicht geeignet, eine solche hervorzurufen. Ein Mädchen wird nämlich einfach von ihrem Vater an einen beliebigen Mann verkauft. Dieser Verkauf kann schon vor der Geburt stattgefunden haben und der Preis richtet sich ganz nach dem Vermögen. Für 20 $ kann der Chinese eine Frau haben. Treu ist die Chinesin ihrem Mann dann auch nur so lange, als sie von ihm oder jemand anderen bewacht wird. Auch der Tod ihres Mannes ruft bei der Chinesin keine wahre Trauer hervor, sie denkt vielmehr, es ist gut, daß ich ihn los bin. Klageweiber erheben zwar ein mörderisches Wehgeschrei, aber das sind nur bezahlte Dienste, und je mehr bezahlt wird, desto mehr wird gejammert.

Um die Ernährung der etwa zurückgebliebenen Kinder braucht sich die Frau weiter keine Sorge zu machen, denn das kostet sehr wenig. Mit 5 Cent (105) täglich kann nämlich eine ganze Familie ihren Unterhalt fristen. Der Chinese ißt nämlich Wurzeln und dergleichen Stoffe, die er draußen findet. Wenn er bettelt, und das ist in China gang und gäbe, so ißt er, um einem zu zeigen, daß er Hunger hat, sogar Gras.

Moderne Verkehrsmittel sind in China weniger vorhanden Die Wege sind selten und schlecht ausgebaut. So zieht denn hier überall der Esel, mit Lasten oder Menschen beladen, noch genau so seines Weges wie zur Zeit Christi. Jede Familie hat ihren Esel und er muß jede Last tragen.

Chinesen glauben bekanntlich an Seelenwanderung. Schon als Kind wird dem Chinesen offenbart, in welches Tier er sich nach dem Tode verwandelt. Eine gute Verwandlung ist eine solche in ein Pferd, eine schlechte eine solche in einen Esel, weil er trotz wenig und schlechtem Futter schwere Lasten schleppen muß. Das Gebet der Eltern kann die Seelenwanderung in guter oder schlechter Weise beeinflussen. Daher die Elternverehrung. Durch die frühe Prophezeiung wird das Interesse für das betreffende Tier schon beim Kinde erweckt. Mafus [Reitknechte] sind daher meistens Leute, die wissen, daß sie später einmal ein Pferd werden. Daher die gute Behandlung. Ein Boy von H. H. M.6 sollte Hahn werden. Wenn er etwas verbrochen hatte, bekam er zu hören: "Ich auch beten. Du kein einziges Huhn bekommen."

In der ersten Zeit der Kolonie hat ein Chinese schon seit einiger Zeit zwei jungen Deutschen Milch besorgt. Plötzlich wird die Sache unregelmäßig, die Milch ist zuweilen sauer. Der Chinese wird zur Rede gestellt. Und er verteidigt sich etwa so: "Jetzt kalt, wenn ich komme Lobas fortlaufen, jetzt schwer Milch bekommen." Die beiden Muttersöhnchen, die glaubten, auch im Ausland müßte alles so selbstverständlich sein wie zu Hause, wußten jetzt, was für Milch sie getrunken hatten. Zum Überfluß erfuhren auch die Bräute der beiden die Sache.
 

Anmerkungen

1.  Englischer Kanal (Meerenge zwischen Frankreich und England).

2.  "Patricia" war ein 1899 gebautes Passagierschiff der Hamburg-Amerika-Linie mit etwa 14.000 BRT, das vom Reichsmarineamt für Transportzwecke gechartert worden war.

3.  Nach Angaben von Walter Jäckisch muss es sich hierbei um den Tempel "Myoryu-ji" handeln; die Silbe "ryu" sei auf Postkarten bisweilen als "ritsu" gedruckt worden.

4.  Münzbezeichnung unklar.

5.  Währungseinheit unleserlich.

6.  Nicht identifizierter Bekannter.
 
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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