Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Deutsch-japanisches Freundschaftskonzert
am 27. August 2003 in Stadecken-Elsheim
 

Konzert Der "Narashino-9.-Sinfonie-Chor" war im August 2003 zu Gast in Deutschland. Höhepunkt des Aufenthalts war das Konzert, welches der Chor am 27. August 2003 gemeinsam mit dem Männerchor des MGV Elsheim veranstaltete.

Inhalt:

  • Historischer Hintergrund
  • Programm des Konzerts
  • Presseberichte


    Historischer Hintergrund

    Der folgende Text aus dem gedruckten Programm stammt von Herrn TOMONO Nobuyoshi, dem Repräsentanten des Narashino-Chors.)

    Zur Erinnerung an Heinrich Hamm I, geboren am 26.08.1883, verstorben am 14.08.1957

    Narashino, etwa 30 km östlich von Tokyo, ist eine typische Satellitenstadt mit etwa 150.000 Einwohnern. Als die Narashino Bunka Hall (Städtische Kulturhalle) vor 25 Jahren errichtet wurde, sang der Narashino-Chor zur Eröffnung „An die Freude“ aus der 9. Symphonie Beethovens. Seitdem singt er das Lied jedes Jahr im Dezember und wird es heute auch hier in Elsheim singen.

    Aber was hat Narashino mit Elsheim zu tun? In Narashino wohnte einmal ein Elsheimer, der der japanischen Kultur einen großen Verdienst erbracht hat: Heinrich Hamm, Weinbauingenieur aus Elsheim.

    Anfang des 20. Jahrhundert war die japanische Regierung bemüht, die Modernisierung und Industrialisierung Japans voranzutreiben. Japan sollte nicht mehr alles aus dem Westen einführen. Der eigene Weinbau im Lande war auch ein Ziel der Regierung. Sie fragte beim Geisenheimer Institut für den Weinbau nach einem geeigneten Weinbauingenieur, worauf der junge Elsheimer ausgewählt wurde. Heinrich Hamm kam 1912 nach Tomimura in der Präfektur Yamanashi/Japan und stellte schon 1913 den ersten Wein in Japan her, den er auch nach Hause schickte.

    1914 brach der Erste Weltkrieg aus, und Japan erklärte, wegen des Bündnisses mit England, den Krieg gegen Deutschland. Hamm meldete sich für sein Heimatland freiwillig als Soldat und wurde als Kanonier nach Tsingtau/China, wo sich die deutsche Kolonie befand, einberufen. Das war im August 1914. Nach heftigen Kämpfen wurden Hamm und seine Kameraden Anfang November 1914 von japanischem Militär gefangengenommen und am 20. November nach Japan verbracht. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem buddhistischen Tempel in Tokyo wurde er mit anderen Gefangenen nach Narashino verlegt, wo er die kommenden fünf Jahre verbringen sollte.

    Im Kriegsgefangenenlager Narashino, dem größten in Japan, standen 5 neue Baracken auf 95.000 qm Fläche, wo ungefähr 1.000 Deutsche und ihre Verbündeten interniert waren. Der Lagerkommandant SAIGO Torataro (1866-1919) war ein Sohn des japanischen Volkshelden SAIGO Takamori und hatte an der Militärakademie in Potsdam studiert. Heinrich Hamm, ein Hobbymusiker mit selbst gebauten Gitarren, bekam während seiner Gefangenschaft auch ein Geschäftsangebot (Einfuhr von Weinen aus Elsheim) sowie auch eine Bitte um eine Wirtschaftlichkeitsberechnung von einem potentiellen Weinberg bei Narashino und stellte selbst mit angekauften Trauben „Federweißer“ her, damit er sogar etwas Geld verdienen konnte. Zum eigenen Weinbau in Narashino kam er jedoch nicht. 1920 wurde er freigelassen und kam nach Elsheim zurück, wo er seinen alten Tomimura-Wein wiedersehen und kosten konnte.

    Die deutschen Kriegsgefangenen in Japan übten außerdem unerwartete kulturelle Einflüsse aus. So überlieferten sie den Japanern unter anderem deutsche Würste, deutsches Brot und verschiedene Kuchen. Das Lagerorchester von Bando in der Präfektur Tokushima hat die 9. Symphonie Beethovens in Japan uraufgeführt. Das Lagerorchester Kurume spielte einen Monat später dieselbe. Obwohl das Lagerorchester in Narashino nicht nachweislich die Neunte gespielt hat, nahmen wir die Botschaft der ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen an, die aus der Gefangenschaft an die Welt „Alle Menschen werden Brüder...“ appelliert haben, und singen hier zusammen mit dem Elsheimer Chor das Lied „An die Freude“.
     

    Programm des Konzerts

    Elsheimer Männerchor:
    Japanisches Lied, Weinlieder, deutsche und internationale Volkslieder

    Narashino-Chor:
    Eine sängerische Beschreibung der japanischen Jahreszeiten

    Narashino-Chor und Elsheimer Männerchor:
    In Erinnerung an Heinrich Hamm I: Im Kriegsgefangenenlager Narashino gesungene deutsche Volkslieder

    Narashino Chor, Elsheimer Männerchor und Solisten:
    4. Satz aus Beethovens 9. Sinfonie (Klavierbegleitung)
    Solisten: Frau Katsuo (Sopran), Frau Suzuki (Alt und Chordirektorin), Herr Tanabe (Bariton), Herr Pohnert (Tenor), Frau Tanida (Klavier)

    Gesamtleitung: Regionalchorleiter Michael Voll
     
     

    Presseberichte
    (aus "Allgemeine Zeitung", Mainz, mit freundlicher Unterstützung von Masayuki HOSHI)

    (Artikel vom 06.08.2003)
    Der den Japanern den Weinbau beibrachte – Chor aus Narashino gastiert zum 120. Geburtstag von Heinrich Hamm in Stadecken-Elsheim
    STADECKEN-ELSHEIM/NARASHINO – Vor dem Ersten Weltkrieg brachte er deutsche Weinbaukunst nach Japan. Als Kriegsgefangener in Narashino machte er Musik. Die Rede ist von dem Elsheimer Weinbauingenieur Heinrich Hamm I. Jetzt gastiert der 9.-Symphonie-Chor aus Narashino zu Hamms Ehren in Stadecken-Elsheim und singt die "Ode an die Freude".
    Von unserem Redaktionsmitglied Steffen Weyer

    Der Weinkeller, den er bauen lies, ist immer noch in Betrieb. Nicht der in der Zehnthofstrase, der damaligen Hintergasse in Elsheim, wo er seinen Hof hatte. Der vielleicht auch. Der "Cellar No. 4" im japanischen Tomimura jedenfalls gehort heute zur "Yamanashi Winery" des Getränkekonzerns Suntory. Heinrich Hamm hat Spuren hinterlassen, wo es ihn erst freiwillig, dann zwangsweise hin verschlug.

    Alles fing damit an, dass die japanische Regierung beim Geisenheimer Weinbauinstitut nach einem Weinbauingenieur fragte, der Japan beim Aufbau eines eigenen Weinbaus helfen konnte. Die Wahl fiel auf den Elsheimer Heinrich Hamm von der Weinbauschule in Oppenheim. 1912 kam der damals 29-jährige nach Tomimura in die damalige Präfektur Yamanashi. Und schon ein Jahr spater stellte er dort seinen ersten japanischen Wein her.

    Viel mehr konnte der Elsheimer jedoch nicht ausrichten. Der Erste Weltkrieg brach aus, Hamm meldete sich freiwillig und wurde im August 1914 von der Wehrmacht als Kanonier ins chinesische Tsingtau versetzt, wo sich eine deutsche Kolonie befand. Schon im November war der Kampf zu Ende: Die Japaner nahmen Hamm fest, und in Narashino, 30 Kilometer östlich von Tokyo, fand er sich mit 1000 anderen Deutschen und ihren Verbündeten im größten Kriegsgefangenenlager Japans wieder.

    Das Glück der Internierten: Lagerkommandant SAIGO Torataro hatte an der Militarakademie von Potsdam studiert. Und die Kriegsgefangenen hatten allerlei Freiheiten. "Die Leute haben geturnt und Fußball gespielt, sie hatten sogar ihren eigenen Gesangverein und ihr Orchester", weiss der Elsheimer Heimatforscher Norbert Lickhardt, der sich mit Heinrich Hamms Leben eingehend beschäftigt und für ihn 1997 sogar einen Gedenkstein in Elsheim errichtet hat. Fotos und Dokumente aus Hamms Zeit in Japan hat Lickhardt gesammelt. Und für Heimatforscher-Kollegen aus Narashino hat er die Noten der Lieder aufgetrieben, die die Deutschen in Narashino einst gesungen hatten.

    Heinrich Hamm blieb im Lager nicht unbemerkt. Fur die Japaner berechnete er die Wirtschaftlichkeit eines potenziellen Weinbergs in Narashino. Und aus angekauften Trauben stellte er noch im Lager Federweissen her. Nach fünf Jahren war die Lagerzeit für Hamm vorbei. Er kam nach Elsheim zurück, wo er schon von Japan aus die "Gebrüder Hamm Weinhandlung" gegründet hatte. "Dann ging Elsheimer Wein um die ganze Welt", sagt Lickhardt. Und noch heute verweisen japanische Winzer auf die Verdienste Heinrich Hamms.

    Nicht nur der Wein, auch die Musik verband die Gebrüder Hamm. Im Männergesangverein war Heinrich, der zur Unterscheidung von zwei namensgleichen Elsheimern die "I" hinter dem Namen trug, jahrzehntelang aktiv. Von 1931 bis 1933 und von 1935 bis 1938 war er sogar dessen Vorsitzender. Und nach dem Zweiten Weltkrieg machten ihn die US-Amerikaner für kurze Zeit zum kommissarischen Bürgermeister. 1955, zwei Jahre vor seinem Tod, ernannten die Elsheimer Hamm zum Ehrenbürger. Doch als sein Grabstein 1993 ausgerissen hinter dem Friedhof lag, versuchte Norbert Lickhardt vergeblich, diesen zu retten.

    Dass es in Narashino einen hochkarätigen Chor gibt, der sich nach Beethovens 9. Symphonie benannt hat und in diesem Jahr mit international renommierten Solisten durch Deutschland tourt, hat Lickhardt bei seinen Recherchen mit der Stadtverwaltung mitbekommen und mit Hilfe des MGV Elsheim das Konzert organisiert.

    Am 26. August 2003 wurde Heinrich Hamm 120 Jahre alt. Einen Tag spater tritt der japanische Chor zusammen mit dem MGV Elsheim in der Selztalhalle auf. Und wenn deutsche und japanische Sängerinnen und Sänger zum Schluss Beethovens "Ode an die Freude", den vierten Satz der 9.Symphonie, anstimmen, ist das eine Reverenz an die Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs. Auch in Narashino wurde musiziert. Und mindestens in zwei japanischen Lagern fährten die Orchester Beethovens 9. Symphonie auf.

    (Artikel vom 29.08.2003)
    "Götterfunken" zwischen Nationen
    Japanischer Chor aus Narashino singt mit MGV Elsheim zum 120. Geburtstag von Heinrich Hamm I.
    Von unserer Mitarbeiterin Michaela Paefgen-Lass

    STADECKEN-ELSHEIM – Dass ein Elsheimer Bürger Anfang des 20. Jahrhunderts auszieht, um den Japanern die Kunst des Weinanbaus beizubringen, ist eine Sache. Dass sich ein japanischer Chor nach Beethovens 9. Symphonie benennt und diese seit 25 Jahren regelmäßig aufführt, klingt ebenfalls nicht alltäglich. Und wenn dieser mit Weltklasse-Solisten gespickte Chor samt dem japanischen Generalkonsul Maski Okado im Schlepptau nach Rheinhessen kommt, um an den 120. Geburtstag des Elsheimers in dessen Heimatgemeinde zu erinnern, dann ist das schon ein großer Schritt in Sachen Volkerverständigung.

    Auch wenn Musik verbindet, kann es größere Sprachbarrieren als zwischen Japanern und Deutschen kaum geben - zumindest dem Anschein nach. "Alle Menschen werden Brüder", sangen knapp 40 japanische Sängerinnen und Sänger, unterstützt von 16 Mitgliedern des MGV 1861 Elsheim. Beethovens Neunte sei für den MGV eigentlich ein bisschen groß, gab Chorleiter Michael Voll zu. Aber das Angebot aus Narashino, ein gemeinsames Konzert auf die Beine zu stellen, wollte man sich trotzdem nicht entgehen lassen. Also wurden Sonderproben angesetzt. Die japanischen Gäste erweiterten im Gegenzug ihr Repertoire an deutschen Volksliedern, um den MGV gesanglich unterstützen zu können. So sangen beide Nationen im zweiten Teil des Konzertabends Seite an Seite unter der Leitung von Michael Voll. Musikalisch wie organisatorisch eine beachtliche Leistung, denn die Chöre hatten nur eine gemeinsame Probe, um sich aufeinander einzustimmen.

    Reichten sich die ehemals verfeindeten Nationen - Heinrich Hamm war einer von über 1000 im Ersten Weltkrieg in Narashino inhaftierten deutschen Kriegsgefangenen - im zweiten Konzertteil zu Beethovens "Ode an die Freude" symbolisch die Hand, so war der erste Konzertteil den nationalen Identitäten gewidmet. Die Rheinhessen stellten sich mit Volks- und Weinliedern vor, die dem Mannerchor souverän wie beschwingt von den Lippen kamen.

    Eine musikalische Beschreibung der vier Jahreszeiten hatten die japanischen Gäste unter Leitung von Yoshiko Suzuki mitgebracht. Wer jetzt eine völlig fremde Musik erwartete, täuschte sich. Denn statt der typisch asiatischen Wendungen drangen bekannte Tonfolgen in die deutschen Ohren. Fast glaubte man, das ein oder andere Lied wieder zu erkennen. Viele japanische Komponisten seien im 19. Jahrhundert nach Deutschland gereist, um bei Brahms, Schumann und Schubert Komposition zu lernen, klärte Bariton Toru Tanabe auf. Deutsche Volkslieder seien in Japan seither populär.

    Doch es geht auch anders herum: Fit für den Besuch einer japanischen Karaoke-Bar wurde das Elsheimer Publikum mit einem japanischen Volkslied in deutscher Übersetzung gemacht. Das Konzert, ein Erlebnis mit vielen kleinen Höhepunkten neben Beethovens "Schönem Götterfunken".
     

    ©  Hans-Joachim Schmidt
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