Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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"Tsingtau-Treffen" im Jahre 2013

Über eine bemerkenswerte Privatinitiative


 

100 Besucher beim Tsingtau-Treffen in Netphen-Salchendorf
— Bericht von Lothar Rühl —

100 Besucher, vor allem Nachfahren ehemaliger Marinesoldaten, die zwischen 1897 bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 in China stationiert waren, haben sich in Netphen-Salchendorf zum Austausch getroffen. Eingeladen dazu hatte der Arzt Georg Müller (Solms bei Wetzlar), dessen Großvater Hermann Müller aus Neunkirchen-Altenseelbach von 1913 bis 1914 in Tsingtau stationiert war. Auch Georg Müllers Bruder, der Neunkirchener Arzt Dr. Martin Müller, gehörte zu den Besuchern. Der Großvater geriet damals in japanische Gefangenschaft und konnte erst 1920 nach Hause zurückkehren. Die meisten der damals 5.000 deutschen Soldaten ereilte ein ähnliches Schicksal.

ChorEröffnet wurde das Treffen in der Gaststätte Johannland durch ein Konzert des Shantychores der Marinekameradschaft Siegen. Lieder wie "Rolling Home", "Finster war die Nacht" und das Gorch-Fock-Lied "Weiß ist das Schiff, das wir lieben" ließen echte Seefahrer-Romantik aufkommen.

 
Bild: Der Initiator des Tsingtau-Treffens Georg Müller (rechts) mit dem Shantychor der Marinekameradschaft Siegen (Foto: Rühl; zum Vergrößern darauf klicken).
 

Passend zu dem Abend, an dem die Teilnehmer in Erinnerungen ihrer Vorfahren schwelgten, die einst zur See gefahren sind. Unter ihnen war Folker Rollmann aus Netphen, Enkel des einstigen Fregattenkapitäns Max Rollmann, des kommissarischen Gouverneurs von Tsingtau im Jahre 1906. Auch sein Großonkel Julius Rollmann (1866-1955) war als Hafenbaudirektor in China.

Mit dabei war auch Rolf R. Goltz-Emden, der Sohn eines Besatzungsmitglieds des Kreuzers Emden, der in Tsingtau seinen Heimathafen hatte. Der Vater von Rolf R. Goltz-Emden kam am 6. August 1914 nach Kriegsbeginn aus Japan als deutscher Seemann der christlichen Seefahrt in Tsingtau an und wurde sofort als Soldat auf dem kleinen Kreuzer Emden rekrutiert, der am gleichen Tag noch zum Seekrieg gegen England den Hafen Tsingtau verließ. Die Emden wurde von dem australischen Kriegsschiff Sydney am 9. November 1914 versenkt. Die überlebenden Seeleute kamen nach Malta in englische Kriegsgefangenschaft bis zum Ende des 1. Weltkrieges. Dort hat auch der Vater von Rolf R. Goltz-Emden den Krieg überlebt.

Einige Besatzungsangehörige waren kurz vor der Begegnung mit der Sydney als Enterkommando auf einer kleinen Insel im Indischen Ozean abgesetzt worden und haben den Untergang ihres Schiffes von Land mit ansehen müssen. Sie haben ein Segelschiff gekapert und sind auf abenteuerliche Weise über Arabien und das Osmanische Reich nach Deutschland zurückgekehrt. Ihr Schicksal wurde in dem Anfang des Jahres angelaufenen Kinostreifen "Die Männer der Emden" verfilmt.

Georg Müller und seine Frau Gudrun zeigten einen Film über die Geschichte Tsingtaus und Bilder von einer privaten Reise in die ehemalige deutsche Garnisonsstadt. Das Ehepaar berichtete, dass zahlreiche von den Deutschen einst errichtete Gebäude noch heute gut erhalten sind. So sind der alte Bahnhof, das Gouverneursgebäude und die Brauerei in bestem Zustand. China suche die Freundschaft zu Deutschland, so Georg Müller. Die Nachfahren der Tsingtau-Soldaten hätten eine besondere Verantwortung für die deutsch-chinesische Freundschaft. An dem Treffen in Salchendorf nahmen auch Mitglieder der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft Siegen mit ihrer Leiterin Isolde Gomberg teil.

Müller wies darauf hin, dass es Pläne gibt, 100 Jahre nach dem Ende der deutschen Garnison in Tsingtau 2014 Erinnerungsfeiern zu begehen. Eine deutschlandweite Feier wird in Cuxhaven ausgerichtet. Zudem ist ein Reise im nächsten Jahr nach Tsingtau vorgesehen.

Die Nachfahren der einstigen Soldaten hatten zahlreiche Dokumente aus der Tsingtau-Zeit ihrer Großväter mitgebracht. Bilder und Erinnerungsstücke versetzten die Besucher zurück in diese Zeit. Müller regte ein bundesweites Museum an für die vielen Schätze aus Tsingtau. Die Besucher des Abends zollten diesem Vorschlag Beifall. Da die ehemalige Kiautschou-Kaserne in Cuxhaven leer steht, könnte man seines Erachtens dort ein zentrales Museum für die Geschichte Tsingtaus einrichten.
 



 

Treffen Tsingtau-Treffen am 22.03.2013 um 18:00 Uhr in Netphen-Salchendorf (Siegerland), Johannlandstr. 19, Gaststätte Johannland
 

Im kommenden Jahr wird Gelegenheit sein, daran zu erinnern, dass vor genau einem Jahrhundert die kurze "deutsche Ära" in Tsingtau (heute: Qingdao) bzw. im Pachtgebiet Kiautschou durch die Ereignisse des Ersten Weltkriegs beendet wurde. Im Vergleich zu den europäischen Schlachtfeldern mit ihren Millionen Toten, Verwundeten und Vermißten war der kurze Kampf um Tsingtau eine eher bedeutungslose Episode. Nicht so natürlich für die Beteiligten bzw. Augenzeugen, von denen sich viele bis in die 1970er Jahre regelmäßig getroffen haben1; inzwischen sind sie längst verstorben, und auch deren noch lebende Kinder sind inzwischen großenteils im vorgerückten Alter.

Man kann Jahrestage wie diesen schwerlich "feiern", aber man kann an die Orte erinnern und an die Menschen, die in die Ereignisse verwickelt waren: Wie haben sie selbst über jene Zeit gedacht? Welche Informationen, welche Botschaften haben sie an ihre Kinder, Enkel usw. weitergegeben? Fragen wie diese haben unseren langjährigen Korrespondenten Georg Müller aus Solms (bei Wetzlar) aktiv werden lassen. Selbst Enkel des Tsingtau-Soldaten Hermann Müller, fuhr er als Offizier auf Schiffen des Bundesmarine (unter anderem der Gorch Fock), wurde dann Arzt und ist außerdem seit zwei Jahrzehnten als Vorstandsmitglied medizinischer Hilfsorganisation in aller Welt unterwegs, auch in China.

Müller stellte sich die Frage: Könnte man nicht versuchen, aus gegebenem Anlass regionale "Tsingtau-Treffen" zu veranstalten, zu denen alle eingeladen werden, die einen Bezug zu Tsingtau und seiner Geschichte haben?2 Und könnte man daraus eine würdige Form des Gedenkens für 2014 entwickeln?

Anfang dieses Jahres hat er kurzerhand die Probe aufs Exempel gemacht und per Zeitung zu einem Treffen in seinem Heimatort eingeladen. Ein voller Erfolg: Am 15.02.2013 abends kamen in Solms knapp 40 Personen zusammen, in deren Verwandtschaft es Leute gegeben hat, die als Soldat oder in anderer Eigenschaft in Tsingtau waren. Herr und Frau Müller zeigten eigene Fotos und Filme, die Besucher — viele brachten Fotoalben und andere Erinnerungstücke mit — hatten Gelegenheit, zu erzählen und sich auszutauschen.

Ein zweites Treffen dieser Art ist — siehe oben — bereits terminiert: Eingeladen sind Personen aus dem Siegerland, die sich aus familiären oder anderen Gründen für Vergangenheit und Gegenwart von Tsingtau/Qingdao interessieren. (Der Redakteur hofft, wie in Solms dabei sein zu können.)
 

Anmerkungen

1.  Siehe die Übersicht (wird demnächst erneuert).

2.  In diesem Zusammenhang sei an die Veranstaltungen/Ausstellungen in Tübingen (2007), Marburg (2009) und Kiel (2011) erinnert, zu denen auch zahlreiche Angehörige von ehemalige "Tsingtauer" erschienen waren.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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