Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Die Helden von Tsingtau – ein Ruhmesblatt der deutschen Geschichte

von Dr. Adolf Heilborn
 

Während hohe Militärs, auch in Kiautschou, im Falle eines Krieges mit der Gegnerschaft Japans rechneten, war die deutsche Öffentlichkeit darauf wenig vorbereitet. Entsprechend wütend waren die publizistischen Reaktionen, als Japan angriff und das Pachtgebiet eroberte.
Der hier abgedruckte Artikel aus dem Nachlass von Andreas Mailänder erschien wohl Ende 1914 oder Anfang 1915 auf Seite 568 einer noch nicht identifizierten Publikation. Der Autor wandte sich, wie die z. T. sehr eigenwillige Wortwahl und Grammatik bezeugen, an ein gebildetes Publikum, dem er das verabscheuungswürdige Verhalten Japans und seines "Auftraggebers" (Großbritannien) gehörig ausmalte und das Schicksal der Kiautschou-Besatzung mit dem der griechischen Streitmacht bei den Thermophylen vor 2400 Jahren verglich. Seine Mutmaßung, niemand von den "Helden" werde die Heimat je wiedersehen, erfüllte sich glücklicherweise nicht.
Ähnliche Texte finden sich zu jener Zeit in größerer Zahl, der vorliegende ist ein sehr typisches Beispiel.


Man muss schon weit zurückgehen in der Geschichte aller Zeiten und Völker, will man auf den ehernen Tafeln Klios eine Tat von Helden finden, der vergleichbar, die nun in diesen schweren Tagen des heiligen deutschen Krieges das Häuflein Männer dort draußen in Tsingtau vollbracht hat. Vielleicht gibt es wirklich nur noch eine, die ihr an schlichter Größe gleichkommt: der Todeskampf jener 6000 Griechen im Passe bei Thermopylae, davon uns Herodot berichtet. Ist's nicht, als habe vorahnend der Vater der Geschichte auch das Ringen unserer Brüder jetzt geschildert? Und klingt es uns heute wie nicht wie eine tiefsinnige Allegorie, wenn wir von jener Streiten lesen: "So rückten denn die Barbaren heran, und die Hellenen, da sie nun zum Tod auszogen, brachen hervor in die Breite des Talschlunds und hüteten den Wall der Feste. Da fielen der Barbaren die Menge. Ihre Reihenführer peitschten, die Geißeln in den Händen, von hinten auf sie ein und trieben sie vorwärts, Mann für Mann. So stürzten viele in die See und gingen zugrunde, und viele zerstampften lebendig die Kameraden, und ward nicht gefragt nach keinem, wer da fiel. Jene aber, gewiss, den Tod zu finden durch die, so um den Berg herumkamen, verherrlichten mit aller Kraft, voll Todesmut und Verachtung, ihre Stärke an den Barbaren. Schon waren den meisten die Lanzen zerbrochen, da lichteten sie mit den Schwertern die Reihen der Feinde. Und in diesem mörderischen Kampfe fiel auch Leonidas, der sich als wahrer Mann gezeigt. An diesem Platze, wo sie sich wehrten mit Schlachtmessern, wer noch eins hatte, und mit Fäusten und Zähnen, begruben die Barbaren sie unter ihrer Masse, da die einen von hinten sie überfielen, wo sie den Wall der Feste eingerissen, die anderen von allen Seiten zumal sie erdrückten." Kann wohl mit packenderem Bilde ein Dichter das Heldenringen jenes Häufleins Deutscher malen? Und ist's nicht auch, als habe Demaratus, da er dem Xerxes vor dem Kampfe von der Art der Griechen spricht, nur gerade deutschem Wesen ein Lied des Lobes gesungen? "Sieh, Hellas hat von je die Armut als eine Milchschwester bei sich, die Tugend aber hat es sich hereingeworben und erst gewonnen durch Weisheit und ein strenges Gesetz. An sie hält Hellas sich und wehret so der Armut... Wo sie Mann gegen Mann sich schlagen, da sind die Lakedämonier nicht schlechter als was immer für Männer; wo sie jedoch zusammenstehen, da sind sie unter allen Männern die besten. Wohl sind sie frei, aber nicht aller Dinge frei. Denn sie haben einen Gebieter über sich: das Gesetz der Ehre. Was dieses fordert, das tun sie, und es fordert immerdar, daß sie durchaus vor keiner Heeresmenge fliehen, sondern ihren Platz behaupten und obsiegen oder sterben sollen"...

"Einstehe für Pflichterfüllung bis aufs Äußerste" hat in Ablehnung der "nach Form und Inhalt gleichweit beleidigenden, unerhörten Zumutung der Japaner der Gouverneur von Kiautschou dem deutschen Kaiser telegraphiert und in einer von echtem Mannesmut diktierten Proklamation wunderbar deutsche Worte zu seiner winzigen Besatzungsschar gesprochen: "Niemals werden wir freilich auch nur das kleinste Stück Erde hergeben, über dem die hehre Reichskriegsflagge weht. Von dieser Stätte, die wir mit Liebe und Erfolg seit siebzehn Jahren zu einem kleinen Deutschland über See auszugestalten bemüht waren, wollen wir nicht weichen! Will der Gegner Tsingtau haben, so mag er kommen, es sich holen. Er wird uns auf unserm Posten finden!... Ich weiß, daß die Besatzung von Kiautschou fest entschlossen ist, treu ihrem Fahneneid und eingedenk des Waffenruhmes der Väter den Platz bis zum äußersten zu halten... Festungsbesatzung von Tsingtau! Ich erinnere euch an die glorreichen Verteidigungen von Kolberg, Graudenz und der schlesischen Befestigungen vor etwas mehr als hundert Jahren. Nehmt euch diese Helden zum Beispiel! Ich erwarte von euch, daß ein jeder sein Bestes hergeben wird, um mit den Kameraden in der Heimat an Tapferkeit und jeder soldatischen Tugend zu wetteifern..." Wahrlich, das sind die Worte eines neuen Leonidas, und von jenem Heldenmute, der des Lakedämoniers Streiterschar erfüllte, zeugt auch, was immer nur von Briefen der braven Tsingtau-Besatzung in die Heimat drang. "Wir warten auf den Feind," heißt es in einem, "und er kommt noch nicht. Wir werden Tsingtau verteidigen bis zum letzten Blutstropfen. Groß ist die Begeisterung... Aus allen Teilen des chinesischem Reichs sind die Deutschen nach Tsingtau geströmt. Sämtliche Gesandtschaftswachen, wie Peking, Tientsin, sind mit Geschützen und Maschinengewehren hier angekommen... So ist alles gerüstet, sie mögen kommen. Lieb Vaterland, magst ruhig sein... Nun, wir wollen das Beste hoffen; solange wir noch atmen, kommt keiner in unser schönes Schutzgebiet... Wir werden den Halunken schon die Zähne zeigen." – "Was uns bevorsteht," heißt es in einem anderen, "darüber sind wir uns alle klar. Wir sind uns aber auch alle in dem Stolze, im Bewußtsein einig, an der gefährlichsten Stelle Deutschlands die Ehre des geliebten Vaterlandes zu verteidigen, das Vertrauen, daß der Kaiser in uns setzt, bis aufs Äußerste zu rechtfertigen! – Kurz bevor ich zur Marine ging, habe ich mir einmal bei einer Sternschnuppe gewünscht, später den Soldaten- oder Seemannstod sterben zu dürfen. Damals wußte ich nicht, warum ich's wünschte, es war Jugendbegeisterung. Wunsch ist es jetzt nicht mehr, jetzt ist es Treue und Verehrung für Kaiser und Vaterland, jetzt ist es das Bewußsein des hohen Wertes, den eiserne Standhaftigkeit bis zuletzt für die deutsche Ehre hat. Was kommt, wir wissen es nicht. Ich will mich mit diesen Zeilen nicht als Held hinstellen; es ist unser aller Stimmung bis zum jüngsten Rekruten."

Und es kam, wie es schließlich dennoch kommen mußte. Zu Bergen türmten sich die Leichen der gelben Schergen und ihrer weißen Auftraggeber vor der Feste. Tsingtaus Kanonen bohrten die feindlichen Schiffe in den Grund, die Minen sprengten Hunderte in die Luft, immer wieder trieben ihre Führer, "die Geißeln in den Händen", sie zu neuem Sturm an. Die "Geißeln" – Säcke Golds als vorbedungener Henkerslohn, erlognes Ehrgefühl noch halbbarbarischer Kriegersklaven: der Samurai wahnwitziges Harakiri zum Geburtstag des Mikado. Und wie Verrat dem kleinen Griechenheer den Todesstreich versetzte, so fand auch unsere Kämpferschar den Untergang durch jene, die "um den Berg herumkamen", das schwache China wider alles Völkerrecht den Einbruch in das Hinterland zu dulden zwangen. Immer enger schloß sich der Gürtel um das Häuflein deutscher Helden; das wehrte sich "mit dem Messer, wer noch eines hatte, mit den Fäusten und den Zähnen", und endlich "begruben die Barbaren sie unter ihrer Masse".

Tsingtau ist gefallen. Von den Helden, die auf seinen Wällen kämpften, wird vielleicht keiner mehr den Heimatswimpel vom Mast des Dampfers an der Mole wehen sehen. Wahre dich, England! Hüte dich, Japan! Wohl hat wie einst bei Thermopylae die gewaltige Barbarenübermacht wenige tausend Mann zu Boden gerungen; aber hat der Schweiß jahrzehntelanger Friedensarbeit schon dies Stückchen ferner, ostasiatischer Erde "zu einem kleinen Deutschland über See" gemacht: das Blut, das sich ihm nun gesellt, bürgt der Welt dafür, daß es ewig deutsch bleiben werde. Hüte dich, England, wahre dich, Japan: den Helden von Tsingtau werden ungezählte Opfer fallen!
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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