Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Aonogahara

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Das Kriegsgefangenenlager Aonogahara

von Prof. Dr. Atsushi Otsuru (Universität Kobe/Japan)

Der folgende Beitrag entstand aus Anlass der Ausstellung "Nach der Heimat möcht' ich wieder! - Die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Japan", die das Österreichische Staatsarchiv gemeinsam mit der Stadt Ono und der Universität Kobe vom 04.09. bis 25.10.2008 in Wien veranstaltet. In der Einführung heisst es: "In der Stadt Ono befand sich während des Ersten Weltkrieges das Gefangenenlager Aonogahara, in dem ca. 500 österreichisch-ungarische bzw. deutsche Kriegsgefangene lebten. Die Gefangenen gehörten zur Besatzung des Kreuzers 'Kaiserin Elisabeth', die durch Bündnisverpflichtung gegenüber dem Deutschen Reich zur Verteidigung der Stadt Tsingtau herangezogen wurde. Die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers wurde anlässlich der Herausgabe der Stadtgeschichte Ono zusammen mit der Universität Kobe sowie der Mitarbeit der Bewohner der Stadt Ono aufgearbeitet und wird uns nun in einer eindrucksvollen Ausstellung präsentiert."
 
 

SMS "Kaiserin Elisabeth"

Das Schiff SMS "Kaiserin Elisabeth" verließ seinen Heimatshafen Pola am 19.8.1913. Am 7.10. erreichte SMS "Kaiserin Elisabeth" Tschifu. Dort wartete SMS "Kaiser Franz Josef I." auf seine Ablösung als ostasiatisches Stationsschiff. Am 4.11.1913 besuchte SMS "Kaiserin Elisabeth" Nagasaki, wo ausgiebige Reparatur- und Reinigungsarbeiten durchgeführt wurden. Am 23.03.1914 in Kobe angekommen, dauerte der dortige Aufenthalt bis zum 17.04. Ein Offizier schrieb über diese Stadt folgendes: "Kobe wird durch den Minatofluß in zwei Teile geteilt, wovon der östliche durch seine Reinlichkeit und Schönheit zum Vorbild einer modernen japanischen Stadt wird. Für den Verkehr ist ein ungemein starkes Tramwaynetz angelegt, das nach allen Richtungen führt. Die Rikschas stehen ebenfalls nicht müßig."1

Am 29.06.1914 erreichte die Nachricht der Ermordung des Thronfolgerpaares SMS "Kaiserin Elisabeth" in Tschifu, wo es zwecks Schieß- und Lanzierübungen für einige Tage stationierte. Am 21.07 verließ SMS "Kaiserin Elisabeth" Tschifu in Richtung Tsingtau, das damals Pachtgebiet des mit Österreich-Ungarn verbündeten Deutschlands war. Am 28.07. erklärte die Habsburger-Monarchie an Serbien den Krieg. Gleichzeitig wurde die allgemeine Mobilisierung angeordnet. Der Kriegsausbruch zwischen den beiden Mächtegruppierungen stand unmittelbar bevor. Tatsächlich langte der Kriegszustand Deutschlands mit Rußland am 01.08., der mit Frankreich am 03.08. und der mit England am 05.08. ein. Am 15.08. stellte Japan an Deutschland ein Ultimatum zur Abtretung seiner Besitzungen in China. Die diplomatischen Bezieungen zwischen Tokyo und Wien blieben jedoch unklar. Japan hoffte, dass der Frieden bald wiederhergestellt werde und es nicht mit der Donau-Monarchie in einen Kriegszustand gerate. SMS "Kaiserin Elisabeth" und deren Besatzung wurden dabei in eine schwierige Lage versetzt. Japan und die Monarchie vereinbarten sich mit der Neutralität des Schiffes. Das Schiff wurde tatsächlich entwaffnet, und die Besatzung wurde ohne Waffen nach Tientsin geführt. Jedoch kam es zu einer plötzlichen Wende. Der Befehl des k. u. k. Kriegsministeriums, an der Verteidigung des deutschen Pachtgebietes mit allen verfügbaren Kräften mitzuwirken, wurde gegeben.2 SMS "Kaiserin Elisabeth" wurde daher wieder bewaffnet und seine Besatzung zurückbeordert. Nach heftigem Kampfaustausch wurde Tsingtau schließlich aber von Japan erobert. Kurz vor dem Endkampf wurde SMS "Kaiserin Elisabeth" versenkt. Die Besatzung wurde in die Kriegsgefangenschaft nach Japan gebracht.
 

Himeji

Am 14.11.1914 wurden die deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen nach Japan deportiert. Am 20.11. kamen etwa 300 Kriegsgefangene in Himeji an. Sie wurden in buddhistischen Tempeln untergebracht. Der Myoukouji-Tempel galt als Gefangenenlager für Offiziere. Im Semba-Hontokuji-Tempel wurden hauptsächlich die Deutschen untergebracht. Die Österreicher quartierten im Keifukuji-Tempel. Anschließend, nach der Unterbringung, hielt der Lagerkommandant Oberst Noguchi eine Ansprache:

"Sie haben für Ihr Vaterland wie Verzweifelte gekämpft. Trotzdem sind Sie wegen der Niederlage des Krieges in Gefangenschaft geraten. Man muß zugeben, daß Sie ehrenwert gehandelt haben. Obwohl Sie der Aufsicht der japanischen Heeresbehörde unterstellt sind, werden Sie als Soldaten behandelt. Sie müssen sich also als solche benehmen. Wir, die Gefangenenlagerverwalter, stehen der japanischen Heeresbehörde zur Verfügung. Ich möchte hier nochmals sagen, daß Sie sich ihr unterzuordnen haben. Wir müssen zugeben, daß es an Lagereinrichtungen empfindlich mangelt. Das kommt von der schnellen Entwicklung der Dinge. Die Lagereinrichtungen werden hoffentlich bald verbessert. Bis dahin müssen wir das Beste daraus machen. Warten Sie bitte geduldig auf die Zeit des Friedens."3

Im Dezember kam dann das Alltagsleben im Gefangenenlager allmählich in Ordnung. Das Lagerkommando erlaubte den Gefangenen, unter Bewachung der Lagermannschaft Ausflüge zu machen. Am 1.12. erhielten sie sogar die Gelegenheit, das Schloß Himejijou zu besuchen. Im Schloßpark konnte man sich fast wie in Freiheit fühlen. Die "Rojou-Sinbun-Zeitung" berichtete über die Handlungen der Kriegsgefangenen mit Lob und Respekt:

"Sie halten ihre Umgebung immer sauber. Im Schloßpark wurden kein einziges Zündholzchen weggeworfen. Dort wurden eine Menge Mandarinen und Äpfel verkauft, aber keine Abfälle sind übrig geblieben. Sie benehmen sich sehr bescheiden und kommen aus einer Kulturnation."4

Ab Mai 1915 nahm Italien am Krieg an der Seite der Entente teil. Dies ging nicht ohne Auswirkungen auf die Haltung der östereichischen Kriegsgefangenen. Die Kobeyusin-Nippou-Zeitung berichtete über Zwischenfälle im Lager:

"Unter den österreichischen Gefangenen im Keifukuji-Tempel sind 2 Gemeine und 6 Matrosen italienisch. Vor kurzem trat Königreich Italien in den Krieg und so wurden Italiener verfolgt. Sie fühlten sich ausgegrenzt und kamen öfter unter sich zusammen. Gegen halb 7 am Abend des 22. Juli kamen sie wie immer in einer unübersichtlichen Ecke zusammen und sangen Heimatlieder, um die gedrückte Stimmung zu mildern. Aber den anderen kam das verdächtig vor. Sie würden vielleicht die italienische Nationalhymne singen und um den Sieg des Königreichs Italien beten. Die mehr als 140 deutschen und österreichischen Gefangenen überfielen in Folge die Italiener. Die italienischen Gefangenen wurden grün und blau geschlagen. Doch sie nützten ihre Chance, und es gelang ihnen ins Wächterzimmer zu fliehen. Aber ein Gefangener namens Pinski war schon zu schwer verletzt, um so weit zu fliehen, und sah sich gezwungen, sich im nächsten WC zu verstecken. Von den verärgerten deutschen und österreichischen Gefangenen eingeschlossen, ging er durchs Fenster des WC einmal nach außen und kehrte wieder ins Lager zurück, um beim Lagerkommando Schutz zu suchen. Alarmiert durch die Gewalttätigkeiten leistete das Lagerkommando erste Hilfe zur Rettung der Verletzten und forschte sofort die Urheber und die Ursache der Ereignisse aus. Doch es scheute schließlich zurück, den Fall bekannt zu machen."5

Aber das Verhalten der Italiener war nicht frei von Schuld. Bruno Pinski, Matrose der österreichischen Kriegsmarine, bekannte sich zu Italien und zog es vor, an der Seite der Entente den Feind zu bekämpfen. Laut einem vom Lagerkommando verfaßten Bericht arbeitete er Pläne für eine Dynamitbombe und eine Bombe für Bomber aus und hat die Zeichnungen der Waffen der japanischen Armee zur Verfügung gestellt. Obwohl er ein Kriegsgefangener der Mittelmächte war, war er nach seiner Ansicht ein Soldat der Entente. Hier der Bericht des Lagerkommandos:

"Unter den österreichischen Kriegsgefangenen gibt es einen Italiener namens Bruno Pinski. Hiermit senden wir die von ihm gezeichneten Skizzen der Dynamitbombe und der Bombe für Bomber, um sie einer Prüfung zu unterziehen. Er würde eigentlich an der Seite der Entente den Feind bekämpfen wollen. Aber die jetzigen Umstände erlauben dies ihm auf keinen Fall. Er möchte, wenn die geplanten Bomben der Prüfung standhalten würden, sie statt seiner der japanischen Armee zur Verfügung stellen."6

Im Laufe der Zeit sah das japanische Kriegsministerium sich gezwungen, ständige Gefangenenlager zu errichten, um die Kriegsgefangenen noch länger unterbringen zu können. Das Kriegsgefangenenlager Aonogahara war eines dieser neuen Lager.
 

Kriegsgefangenenlager Aonogahara

Mehr als 80 Prozent der östereichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Japan wurden in Aonogahara inhaftiert. Wie waren die Lebensbedingungen in diesem Lager? Das Lager befand sich eine Eisenbahnstunde von Kobe entfernt. Die Gesamtfläche des Lagers betrug 22.680 qm, davon 2.446 qm Wohnfläche, verteilt auf fünf große Baracken. Außerhalb des Lagers standen 10.000 qm Boden für Ackerbau und Viehzucht (Schweine, Hühner, Enten und Tauben) und ein Sportplatz für Fußball und Turnen zur Verfügung. Auch einen Tennisplatz konnten die Gefangene anlegen. Es gab im Lager ein künstlerisch hochwertiges Orchester, einen Chor, eine Theatergruppe und einige begabte Kunstmaler. Dieses Faktum alleine spricht schon für eine relativ hohe Lebensqualität der Kriegsgefangenen. Aber man darf nicht vergessen, daß sie von der Lagerbehörde streng kontrolliert wurden. Auf Verlangen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes besuchte Dr. F. Paravicini Aonogahara am 07.07.1918. Er schrieb über die Beschwerden der Kriegsgefangenen folgendes: "Die Klagen der Offiziere bezogen sich hauptsächlich auf die ihnen zuteil werdende Behandlung, die sie als absichtlich demütigend empfinden, besonders die kurze und barsche Anrede von Seiten einiger der jüngeren japanischen Offiziere, und die häufige Aufforderung, auf dem Bureau zu erscheinen, irgendwelcher Kleinigkeiten wegen."7
 

Zwist unter den Kriegsgefangenen

Das Lagerkommando berichtete über Zwist unter den Kriegsgefangenen im Sommer des Jahres 1918 folgendes:

"Im Kriegsgefangenenlager Aonogahara in Kato-gun, Hyogo-ken, leben 250 deutsche und 220 österreichische Kriegsgefangene. Abends um 9 Uhr 30 am 10. dieses Monats gab es Konflikt zwischen Deutschen und Österreichern. Die deutschen Kriegsgefangenen haben gegen die österreichischen Kriegsgefangenen gekämpft, und dabei wurde die rechte Hand eines österreichischen Kriegsgefangenen namens Batschiriuekusurau verletzt. Näheres ist zur Zeit noch nicht klar, aber die Nachricht von Meuterei in Österreich könnte eine Ursache des Konfliktes sein. Der Nachricht nach sollen die Meuterer Kroaten sein, und die Meuterei soll die Kriegsleistungskapazität der mitteleuropäischen Mächte schädigen."8

Am Anfang des Ersten Weltkrieges gab es in Galizien zwischen Österreich-Ungarn und Rußland heftige Kämpfe. Die Monarchie mußte eine schwere Niederlage hinnehmen. Bis Ende 1917 waren insgesamt 8.420.000 Mann eingerückt. Von diesen Eingerückten waren etwa 780.000 gefallen oder gestorben, 1.600.000 waren in Kriegsgefangenschaft geraten. Der größte Teil der Kriegsgefangenen wurde in Rußland gefangen gehalten. Von Rußland auf europäischem Boden bis Ostsibirien gab es damals die größte Menge an Kriegsgefangenenlagern. Im März 1917 brach in Rußland die Revolution aus. Inoffizielle Heimkehrbewegungen der östereichisch-ungarischen Kriegsgefangenen setzten ein.

Die Heimkehrer wollten nach den schwierigen Tagen in Feindeshand nur ihre Heimat wiedersehen und als Sieger willkommen werden. Aber die militärische Führung der Monarchie dachte anders. Sie fand sich vor die Frage der Wiedereingliederung der Heimkehrer in die Armee gestellt. Es gab keinen Zweifel, daß die Heimkehrer schon auf Grund ihres Ausbildungsstandes und ihrer physischen Verfassung erst binnen einer gewissen Zeit eine tatsächliche Verstärkung für die Armee darstellen würden. Als die Heimkehrer an der Grenze in den Heimkehrerübernahmestationen erfaßt wurden, sollten sie also zuerst einer sanitären Untersuchung unterzogen werden. Dann sollte das "Rechtfertigungsverfahren" zur Durchführung kommen. Erst wenn ein Heimkehrer nach all dem physisch und psychisch als gesund beurteilt worden war, war ein Urlaub vorgesehen.

Nach dem Urlaub wurden die Heimkehrer in die Ersatztruppen eingegliedert. Dort erfuhren sie die mangelhaften Ernährungverhältnisse ihres Vaterlandes, und die militärische Übung war streng. Nach dieser Übungszeit sollten sie aber wieder an der Front stehen. Doch sie meuterten. Solche Meutereien der Heimkehrer waren aber spontan überall in der Monarchie zu finden.9 Und der Zwist unter den Kriegsgefangenen in Aonogahara beweist, wie sehr das fernöstliche Dorf mit den Ereignissen der mitteleuropäischen Welt zusammenhing.
 

 
Fußnoten

1 Krivda, S. 189
2 Haus-, Hof- und Staatsarchiv, SMS "Kaiserin Elisabeth", von der österreichisch-ungarischen Botschaft in Peking an das Ministerium des k.und k. Hauses und des Äußern, 21.09.1914
3 Rojou-Sinbun-Zeitung (22.11.1914)
4 Rojou-Sinbun-Zeitung (02.12.1914)
5 Kobeyusin-Nippou-Zeitung (25.06.1915)
6 Japanisches Kriegsarchiv, Ohuke-Dainikki, am 31.03.1916 [Dokument]
7 Paravicini, S. 12
8 Japanisches Kriegsarchiv, Dok.-Nr. 1186 [Hinweis des Redakteurs: Der angegebene Name ist unleserlich; ich werde versuchen, den richtigen zu herauszufinden.]
9 Richard Plaschka, Horst Haselsteiner & Arnold Suppan: Innere Front - Militärassistenz, Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1974, Teil I, S.278 ff.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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