Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager allgemein

StartseiteGefangenschaft in JapanLager → Allgemeines → Spaziergang


Vorschrift betreffend den freien Spaziergang der Kriegsgefangenen und deren Logierung in Privathäusern

Übersetzt und herausgegeben vom Auskunftsbureau über die Kriegsgefangenen Tokyo 1919
 

Wie aus dem folgenden Dokument hervorgeht, war das japanische Kriegsministerium unter genau definierten Bedingungen – und erheblichem bürokratischem Aufwand – bereit, Offizieren und diesen Gleichgestellten freie Spaziergänge und Logierung in Privathäusern zu gestatten. Ob diese Regelung erst 1919, d.h. nach Ende der Kampfhandlungen galt oder schon früher, bedarf noch der Klärung. Ebenso fehlen Angaben, inwieweit die Vorschrift überhaupt zum Tragen gekommen ist: Welche Anträge wurden wann und von wem gestellt? Welche wurde genehmigt, welche nicht? usw.

Die Abschrift des Dokuments stammt von unserem leider verstorbenen Korrespondenten Dirk van der Laan. Schreibfehler (in Original oder Abschrift) wurden korrigiert, Abkürzungen aufgelöst, Ergänzungen in [...] oder als Fußnote vom Redakteur hinzugesetzt.
 

Art. 1.  Gegen Ehrenwort, nie zu entweichen und auch auf die militärische Disziplin des [Japanischen] Reiches zu halten, kann der Garnisonkommandant den Kriegsgefangenen im Dienstgrad eines Offiziers oder den deren Gleichgestellten erlauben, in einer bestimmten Grenze außerhalb des Gefangenenlagers frei spazieren zu gehen oder in Privathäusern zu wohnen; im letzteren Falle aber, unter besonderen Umständen, wie sie mit Frau und Kindern zusammenwohnen usw., ist es nur durch die Genehmigung des Kriegsministers statthaft.

Art. 2.  Das in Art. 1 erwähnte Ehrenwort soll immer schriftlich, und zwar nach den in der Anlage 1 und 2 beigefügten Formeln, beteuert werden. Es sind dabei zwei Exemplare zu verfertigen, deren jedes die betreffenden Kriegsgefangenen angesichts des Kommandanten des Gefangenenlagers unterzeichnen werden, das eine derselben nimmt dieser in Verwahrung, das andere wird dem betreffenden Kriegsgefangenen übergeben.

Art. 3.  Der freie Spaziergang wird gewöhnlich nur bei Tage innerhalb bestimmter Stunden erlaubt. Der Kommandant des Gefangenenlagers wird zum voraus die Zeit sowie die Grenze für den Spaziergang anweisen.

Art. 4.  Der Kommandant des Gefangenenlagers ist berufen, nicht allein entsprechende Aufsichtsmaßnahmen über die Kriegsgefangenen, denen der freie Spaziergang oder Wohnen in Privathäusern erlaubt ist, zu treffen, sondern auch sie im Einvernehmen sowohl mit dem Kommandanten der Garnison als mit dem Provinzialamt1 angemessenerweise zu überwachen.

Art. 5.  Die Kriegsgefangenen, denen der freie Spaziergang oder Logierung in Privathäusern erlaubt ist, sollen ihre Schwururkunde, wodurch die Erlaubnis bewiesen wird, immer bei sich haben und jederzeit zeigen, wo sie von dem Garnisonkommandanten, den demselben unterstellten Offizieren oder solchen des Gefangenenlagers oder von Wachen, Gendarmen, den Polizeibeamten gefordert werden.

Art. 6.  Die Kriegsgefangenen, denen der freie Spaziergang oder Logierung in Privathäusern erlaubt ist, dürfen keine Arten von Waffen tragen.

Art. 7.  Die Kriegsgefangenen, denen der freie Spaziergang erlaubt ist, dürfen indessen mit niemand Korrespondenz jeder Art führen.

Art. 8.  Die Kriegsgefangenen, denen der freie Spaziergang erlaubt ist, dürfen ohne Gestattung des Kommandanten des Gefangenenlagers keinen ihrer Kameraden besuchen, die in Privathäusern wohnen.

Art. 9.  Wenn die Kriegsgefangenen, denen in Privathäusern zu wohnen erlaubt ist, oder ihre Hausgenossen etwa einen Brief, ein Telegramm und dergleichen abschicken wollen, so haben sie solches immer in offenem Umschlag zuerst beim Gefangenenlager zu überbringen; die Lagerverwaltung wird alsdann solches nach Besichtigung durch Verkehrsamt2 weiterzubefördern besorgen.

Art. 10.  Die in Privathäusern wohnenden Kriegsgefangenen sowie deren Hausgenossen sollen alle an sie gerichteten Briefe, Telegramme und dergleichen nicht eher empfangen, als diese von der Lagerverwaltung besichtigt worden sind. Über die Aufsicht solcher Korrespondenzen wird sich der Kommandant des Gefangenenlagers zum voraus mit dem Verkehrsamt in Einvernehmen setzen.

Art. 11.  Den in Privathäusern wohnenden Kriegsgefangenen sowie deren Hausgenossen sind zwar der Spaziergang in einer bestimmten Grenze und sonst etwas freies Leben gestattet, dürfen sie aber, ohne besondere Erlaubnis des Garnisonkommandanten, nicht über die Grenze hinübertreten.

Art. 12.  Jeder im Privathause wohnende Kriegsgefangene soll sich stets melden, sobald es vom Kommandanten der Garnison oder des Gefangenenlagers befohlen wird. Außerdem soll er sich allerlei Befehlen und Anweisungen des Garnisonkommandanten oder der demselben unterstellten Offiziere oder solcher des Gefangenenlagers, der Wachen, Gendarmen, oder der Provinzialbeamten fügen.

Art. 13.  Von den in Privathäusern wohnenden Kriegsgefangenen werden je 10 Mann eine Korporalschaft bilden, deren Überwachung der Rangälteste von ihnen übernimmt; dieser wird nötigenfalls in Unterhandlung mit der Lagerverwaltung treten.

Art. 14.  Der Kommandant des Gefangenenlagers wird jeden Tag den in Privathäusern wohnenden Kriegsgefangenen sowie deren Hausgenossen die Präsenzliste senden, um darin unterschreiben zu lassen; er wird ferner von Zeit zu Zeit die Offiziere des Gefangenenlagers zur Besichtigung nach ihren Wohnungen schicken. Außer dem im vorigen Absatz erwähnten Verfahren wird [sich] der Kommandant des Gefangenenlagers mit dem Provinzialamt in Einvernehmen setzen, sodaß der von diesem über das Benehmen der Kriegsgefangenen und der Hausgenossen mitgeteilt wird.

Art. 15.  Der Kommandant des Gefangenenlagers hat die Vorschrift aufzustellen, welche die Kriegsgefangenen bei der Logierung in Privathäusern beobachten sollen. Solche Vorschrift wird den betreffenden Kriegsgefangenen mündlich mitgeteilt und, wenn es sich nötig erweisen wird, auch die Lokalpolizeivorschrift ausführlich erklärt.

Art. 16.  Die Lagerverwaltung wird sich mit einem Spezialheft (Anlage 33) versehen, worin sie die Personalien und dergleichen von den in Privathäusern wohnenden Kriegsgefangenen und deren Hausgenossen einträgt und eine Abschrift davon an das Auskunftsbureau über Kriegsgefangenen übersendet. Die Lagerverwaltung wird sich auch mit einem Tagebuch versehen, um alles, was betreffs der Dienstleistung des Aufzeichnens wert ist, einzutragen. Außerdem werden von jedem Kriegsgefangenen sowie dessen Hausgenossen je drei Kopien der Photographie erfordert, um die eine in das Spezialheft einzukleben und die beiden übrigen samt der Abschrift jenes Heftes dem Chef der Gendarmerie und dem Polizeimeister des Ortes zu übergeben.
Das Spezialheft und das Tagebuch, wie sie im Absatz 1 erwähnt, werden nach dem Schließen des Gefangenenlagers im Kriegsministerium verwahrt.

Art. 17.  Die nähere Vorschrift über die Behandlung der Kriegsgefangenen4 ist nicht gültig in betreff der Unterhaltung derjenigen Kriegsgefangenen, welche in Privathäusern wohnen. Diesen werden nur dieselbe Besoldung, wie sie den Offizieren gleichen Dienstgrades oder den denen Gleichgestellten im Reich zusteht – aber bei verschiedener Besoldung für ein und denselben Dienstgrad der niedrigste Betrag – gewährt, sie sollen davon alle Kosten für Wohnung, Unterkunft und Kleidung bestreiten. Dagegen bei der Erkrankung können sie in das Revierzimmer des Gefangenenlagers oder in das Militärhospital aufgenommen werden, sobald es sich erforderlich zeigt.
Wenn es den Kriegsgefangenen, wie sie im vorigen Absatz erwähnt, eine Reise erforderlich wird oder wenn sie schon gestorben sind, so werden die Artikel 25 bis 27 der näheren Vorschrift über die Behandlung der Kriegsgefangenen angewandt.

Art. 18.  Wenn die Kriegsgefangenen, denen spazieren zu gehen oder in Privathäusern zu wohnen erlaubt ist, zu fliehen versuchen oder dem Ehrenwort zuwider etwa über die bestimmte Grenze hinübertreten oder, ohne besichtigt zu werden, postalisch oder telegraphisch korrespondieren usw., so werden sie nach dem Urteil des Kriegsgerichts bestraft; jede Übertretung der Disziplinarvorschrift, die von der militärischen Behörde erlassen ist, wird auch ohne Schonung gefordert. Den betreffenden Kriegsgefangenen wird dabei auch die bezügliche Erlaubnis zurückgenommen.
Wenn die Hausgenossen, welche in Privathäusern mit den Kriegsgefangenen zusammenwohnen, die Bestimmungen der Artikel 9 bis 11 übertreten, so wird auch den betreffenden Kriegsgefangenen ihre Erlaubnis zurückgenommen und das Vergehen der Hausgenossen unter Umständen mit der erforderlichen Strenge an dem Kriegsgefangenen geahndet werden.

Art. 19.  Der Garnisonkommandant kann, außerdem im vorigen Artikel erwähnten Falle, je nach seinem Ermessen bei Zeiten die Erlaubnis des freien Spaziergangs oder die der Logierung in Privathäusern zurücknehmen.

Art. 20.  Der Kommandant des Gefangenenlagers hat jeden Monat am letzten Tage durch den Garnisonkommandanten dem Kriegsminister den Namen derjenigen Kriegsgefangenen sowie alles Wissenswerte von denselben zu berichten, denen der freie Spaziergang oder Logierung in Privathäusern erlaubt ist.

Art. 21.  Über die Einzelheiten außer allem, was in der vorliegenden Vorschrift bestimmt ist, hat der Kommandant des Gefangenenlagers mit der Genehmigung des Garnisonkommandanten anzuordnen.
 

Anlage 1
Formel der Schwururkunde für die freien Spaziergänger
Der Unterzeichnete, dem der freie Spaziergang außerhalb des Gefangenenlagers erlaubt ist, beteuert hiermit auf Ehre des deutschen Militärs (schwört vor Gott, dem Allmächtigen), während des Spazierganges nicht zu entweichen, auch ohne besondere Erlaubnis nicht über die angesteckte Grenze hinüberzutreten und sich stets den folgenden Anordnungen zu fügen.
Datum ______  im Gefangenenlager ________
(Dienstgrad) (Unterschrift)

  1. Beim Spazierengehen soll die amtlich angesteckte Grenze stets strenge innegehalten werden. Auch darf die zur Rückkehr bestimmte Zeit nicht versäumt werden.
  2. Während des Spazierengehens dürfen Briefe, Telegramme und dergleichen weder abgesandt, noch jemandem zur Beförderung anvertraut, noch empfangen werden.

Anlage 2
Formel der Schwururkunde für die Privathäuser Beziehenden
Der Unterzeichnete, dem außerhalb des Gefangenenlagers (folgt nähere Ortsbestimmung) zu wohnen erlaubt ist, beteuert hiermit auf Ehre des deutschen Militärs (schwört vor Gott, dem Allmächtigen), indessen nicht zu entweichen, auch ohne besondere Erlaubnis nicht über die angesteckte Grenze hinüberzutreten und sich stets den folgenden Anordnungen zu fügen.
Datum ______  im Gefangenenlager ________
(Dienstgrad) (Unterschrift)

  1. Keine postalische, keine telegraphische, auch keine sonstige Korrespondenz soll in Ziffern geführt werden. Alle abzuschickenden Briefschaften sind, um der Zensur zu unterziehen, in offenem Umschlag der Lagerverwaltung darzubringen; ebenso alle eingehenden Briefschaften immer durch Vermittlung der Lagerverwaltung zu empfangen. Sonst ist keine Korrespondenz zulässig.
  2. Jeder muß sich gleich persönlich melden, sobald der Befehl des Kommandanten der Garnison oder des Gefangenenlagers verlangt.
  3. Wenn die Erlaubnis, in Privathäusern zu wohnen, zurückgenommen wird, so soll jeder ohne Widerrede ins Gefangenenlager zurückkommen.

Anmerkungen

1.   Vergleichbar mit einer überörtlichen Aufsichtsbehörde (Bezirksregierung) in Deutschland.

2.   Gemeint ist vermutlich das für das Lager zuständige Auslandspostamt.

3.   Diese Anlage fehlt hier.

4.   Hier dürfte die vom Kriegsministerium erstellte, in der Diplomatensprache Französisch verfasste "Législation Japonaise relative aux Prisonniers de Guerre" gemeint sein.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
Zuletzt geändert am .