Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt

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Regionale (landsmannschaftliche) Herkunft der deutschen Gefangenen in Japan

INHALT:

1. Statistik der Herkunftsorte
2. Zahl der Gefangenen mit deutscher Staatsangehörigkeit
3. Regionale Herkunft der deutschen Gefangenen
4. Interpretationsansätze
5. Unklare Herkunftsorte

1. Statistik der Herkunftsorte

Bei der Registrierung der Gefangenen in Japan wurde deren Herkunftsort erfragt.¹ Die Angaben waren jedoch uneinheitlich: Manche Gefangene gaben ihren Geburtsort an, andere ihren letzten Wohnort, Dienstort oder Geschäftsort; hinzu kamen Schreib- und Transskriptionsfehler.

Unser japanischer Korrespondent und Freund HOSHI Masayuki hat auf dieser Datengrundlage bereits vor vielen Jahren eine Statistik der Herkunftorte erstellt: Hiernach kamen die 4.715 Gefangenen aus 2.632 verschiedenen Orten in Deutschland und Österreich-Ungarn!² Die Statistik von Herrn Hoshi ist sehr wertvoll für weitere Arbeit in diesem Projekt gewesen.

In den vergangenen Jahren ist es gelungen, die Geburtsorte von vielen Gefangenen zu ermitteln bzw. viele Fehler in den Original-Listen zu korrigieren. Entsprechend sind auch die Kurzbiographien berichtigt worden.
 

2. Zahl der Gefangenen mit deutscher Staatsangehörigkeit

Die japanische Militärverwaltung hat zwischen Beginn und Ende der Gefangenschaft insgesamt 4.715 Gefangenen-Nummern vergeben. Im Folgenden wird von dieser Zahl ausgegangen.³ Die im Krieg gefallenen Soldaten sind hierin zunächst nicht enthalten und werden in einem zweiten Schritt nachgetragen; das Gleiche gilt für die nach Hongkong/Australien gelangten Gefangenen.

In Bezug auf die Staatsangehörigkeit wurde folgende Aufteilung errechnet:

a	Gesamtzahl der emunerierten Gefangenen	4.715
b	davon ab: in Ponape (Südsee) Geborene (Nr. 85, 285, 305)	–3
c	davon ab: russischer Staatsangehöriger (Nr. 4712)	–1
d	davon ab: österreichisch-ungarische Staatsangehörige	–304
e	verbleiben: deutsche Staatsangehörige	4.407

3. Regionale Herkunft der deutschen Gefangenen – Stand 15.12.2018 –

Die folgende Tabelle zeigt die regionale Aufteilung der 4.407 deutschen Gefangenen auf die Teilstaaten (Territorien) des Deutschen Reiches.

Das Deutsche Reich war bis 1918 ein Bundesstaat, der aus 22 Monarchien (4 Königreichen, 6 Großherzogtümern, 5 Herzogtümern, 7 Fürstentümern) und 3 Republiken (Freien Städten) bestand. Mehr als 65 % der Fläche und mehr als 60 % der Einwohner gehörten zum Königreich Preußen, welches darüber hinaus auch das »Reichsland Elsaß-Lothringen« verwaltete. In der Tabelle ist Preußen mit seinen 12 Provinzen deshalb vorangestellt, die übrigen Territorien sind nach dem Alphabet geordnet.

Erläuterung der Tabellenspalten:

• Spalte 1: regionale Verwaltungsebene (z.B. für Preußen und Bayern: Bezirke)⁴
• Spalte 2: Fläche in Quadratkilometern⁵
• Spalte 3: Zahl der Einwohner in drei Stichjahren (auch zur Illustration der demographischen Dynamik!)⁶
• Spalte 4: tiefere Verwaltungsebenen (z.B. für Preußen: Kreise usw., für Bayern: Bezirksämter usw.); hierdurch werden zugleich die Herkunftsorte in den Kurzbiographien näher eingeordnet⁷
• Spalte 5: Zahl der auf die Territorien entfallenden Gefangenen
• Spalte 6: »Quote« = Zahl der Gefangenen je 10.000 Einwohner des Jahres 1890

4. Interpretationsansätze

Statistiken wie die hier gezeigte sind zwar keine bloße »Spielerei«, jedoch ist bei ihrer Interpretation Zurückhaltung geboten. Wir meinen folgendes festhalten zu dürfen:

1. Die »Tsingtauer« kamen aus praktisch allen Territorien des Kaiserreichs. Bezogen auf je 10.000 Einwohner (1890) sind im Reichsdurchschnitt 87 Personen in den Kampf um Tsingtau verwickelt und von den Japanern in Gefangenschaft genommen worden. Ber Bezug zu 1890 wurde gewählt, weil der durchschnittliche Geburtsjahrgang der Tsingtauer nahe bei diesem Jahr liegt.
2. Diese »Quote« ist bei den süddeutschen Territorien deutlich geringer, was mit der geringeren Affinität zur Marine und zum Außenhandel erklärt werden könnte. Unklar ist jedoch, warum die Quote in Baden überdurchschnittlich hoch ist (dreimal so hoch wie in Bayern).
3. Das Affinitäts-Argument kann umgekehrt auch auf die weit überdurchschnittliche Quote für die Küstenländer, insbesondere für die preußische Provinz Schleswig-Holstein, angewendet werden. Dass, relativ betrachtet, besonders viele Tsingtauer aus den Hansestädten (Bremen, Hamburg, Lübeck) kamen, kann zum Teil mit der Präsenz hanseatischer Kaufleute erklärt werden, die 1914 aus ganz Ostasien als Reservisten oder Freiwillige »zur Fahne eilten«.
4. Die thüringischen Kleinstaaten sind – ganz anders als die benachbarten Sachsen – überdurchschnittlich hoch unter den »Tsingtauern« vertreten. Das mag an der Abenteuerlust der dortigen Menschenschlags liegen, hängt aber wohl primär mit der relativ geringen Grundgesamtheit zusammen.
5. Es fällt auf, dass aus bestimmten preußischen Ballungszentren wie dem östlichen Ruhrgebiet (Bezirk Arnsberg mit Städten wie Dortmund, Bochum usw.) und dem Aachener Revier (Bezirk Aachen) relativ viele Personen in Tsingtau waren. Der relativ hohe Anteil aus dem Bezirk Trier ist nachweislich auf die heute zum Saarland gehörenden, von der Schwerindustrie geprägten Kreise zurückzuführen, aus denen fast 80 Personen stammen.

5. Unklare Herkunftsorte

Die folgende Tabelle enthält diejenigen Gefangenen, deren deutscher Geburtsort unbekannt ist oder sich keinem Territorium eindeutig zuordnen lässt. Als Referenz diente Meyers Orts- und Verkehrs-Lexikon des Deutsches Reichs, 5. Aufl. Leipzig: Bibliographisches Institut 1912.

0323 Ahl	Vierthof? 3-mal vorhanden in Schleswig-Holstein
3184 Andre	Burseleben/Thüringen? nicht vorhanden
3251 Chileck	Czyborn? nicht vorhanden
1127 Hahne	Neudorf? 163-mal vorhanden
0484 Happel	Helmsdorf? 7-mal vorhanden
1111 Heins	Neuenburg? 7-mal vorhanden
1125 Hentschel	Trynek? nicht vorhanden
2569 Hess	Arensheim? nicht vorhanden
2602 Kessel	Niederwußbach? nicht vorhanden
3440 Köhler	Kollersheim? nicht vorhanden
3418 Kuschik	Coswitz? nicht vorhanden
4395 Lingmann	Tsingtau ??
2629 Mager	Helmdorf? nicht vorhanden
3528 Malik	Kosden? nicht vorhanden
1983 Meiser	Tsingtau ??
3514 Meyer	Heinzendorf? 13-mal vorhanden
4642 Meyer	Baltersen? nicht vorhanden
2633 Meyr	Rallheim? nicht vorhanden
0612 Mittag	Gristow? 2-mal vorhanden
4411 Mößler	Oberndorf? 75-mal vorhanden
2308 Müller	Bockenberg? 6-mal vorhanden
3016 Müller	Rüplos? nicht vorhanden
1986 Mußmann	Holterhausen? nicht vorhanden
4244 Nissen	Rüdelsdorf? nicht vorhanden
3558 Oestreicher	Levelsburg? nicht vorhanden
2640 Okonski	Nimzik? nicht vorhanden
0175 Otte	Borkan? nicht vorhanden
3582 Pahl	Radum? nicht vorhanden
3571 Pech	Michelsdorf? 13-mal vorhanden
3589 Peuser	Kupferberg? 2-mal vorhanden
1405 Platte	Seehausen? 11-mal vorhanden
0186 Porsch	Molnick? nicht vorhanden
4571 Poerschke	Herzogswalde? 8-mal vorhanden
4695 Pötter	Nachel? nicht vorhanden
4696 Reinhard	ohne Ortsangabe
3621 Rettig	Schloß Linegg? nicht vorhanden
1453 Riediger	Graben? 52-mal vorhanden
0677 Rohrbach	Sperad? nicht vorhanden
3616 Ronneberger	Tenschau? nicht vorhanden
0686 Röper	Tsingtau ??
1440 Roesch	Gartow? 2-mal vorhanden
3622 Rossmann	Karolinenhof? 39-mal vorhanden
2391 Scheffler	Culmsee? nicht vorhanden
2723 Schenk	Johannisberg? 37-mal vorhanden
3728 Schierwagen	Bornheim? 7-mal vorhanden
0749 Schild	Hildburg? nicht vorhanden
2679 Schlemper	Shanghai ??
4446 Schlüter	Rüthen? 2-mal vorhanden
3665 Schmidt	Dornberg? 3-mal vorhanden
1523 Schönborn	Seifersdorf? 17-mal vorhanden
1453 Schultz	Lebau? nicht vorhanden
2703 Schulze	Holzbrücke? nicht vorhanden
3708 Seidenglanz	Kappel? 21-mal vorhanden
2753 Seidl	Kleidiger? nicht vorhanden
1506 Seifert	Ludwigsmühle? 6-mal vorhanden
3651 Seifert	Langendorf? 22-mal vorhanden
0267 Sepinski	Mocker? 2-mal vorhanden
3645 Simon	Langenfeld? 15-mal vorhanden
4042 Spiesecke	Schnin? nicht vorhanden
2729 Sprenger	Selbach? 6-mal vorhanden
1484 Stein	Neukrug? 4-mal vorhanden
4063 Sussmann	Schönau? 71-mal vorhanden
0745 Swierszinski	Buboritz? nicht vorhanden
3753 Taudien	Seckendorf? nicht vorhanden
1599 Tietz	Krompischkau? nicht vorhanden
3142 Timm	Laubenthal? nicht vorhanden
1610 Trippel	Griesheim? 6-mal vorhanden
1617 Unger	Mügeln? 3-mal vorhanden
0296 Waizmann	Kirchheim? 13-mal vorhanden
2111 Walther	Schönberg? 65-mal vorhanden
1640 Wand	Bernterode? 2-mal vorhanden
1801 Wessoly	Esch? 13-mal vorhanden
2750 Wetzel	Königswalde? 11-mal vorhanden
2445 Wiebeck	Goldbeck? 10-mal vorhanden
2128 Wilpert	Leimbach? 14-mal vorhanden
3814 Wingert	Grabow? 23-mal vorhanden
2115 Wischnewski	Sesau? nicht vorhanden
0285 Wünsche	Schönbach? 18-mal vorhanden
4116 Zimmermann	Grimmenhausen? nicht vorhanden

 

Anmerkungen

1.  Nach Artikel 9 HKLO waren Gefangene verpflichtet, ihren »wahren Namen und Dienstgrad« anzugeben. Der Herkunftsort wurde zusätzlich für die Arbeit der »Auskunftsstelle« (Art. 14 HLKO) benötigt.

2.  Bei vier Gefangenen konnte kein Ort ermittelt werden.

3.  In der Literatur werden sowohl deutlich niedrigere als auch deutlich höhere Zahlen genannt, jedoch wird dies an anderer Stelle thematisiert.

4.  Die Angaben zu den mittleren und unteren Verwaltungsebenen (Provinzen und Bezirke; Kreise, Städte und Gemeinden) wurden dem »Gemeindeverzeichnis 1900« von Uli Schubert entnommen. Als Stichtag wurde der 1.1.1894 gewählt. Spätere Änderungen (Beispiel: Bildung des Regierungsbezirks Allenstein 1905) sind nicht berücksichtigt; siehe dazu auch die von Ralf Jehke zusammengestellten »Territorialen Veränderungen 1871-1945«.

5.  Wie Anmerkung 4, jedoch mit Stand 1900; diese Zahlen dienen nur der Veranschaulichung der Größenverhältnisse und der Bevölkerungsdichte.

6.  Die Zahlen für 1890 sind »Neumanns Orts-Lexikon des Deutschen Reichs«, 3. Auflage 1894, entnommen; zu den Zahlen für 1900 und 1910 siehe Anmerkung 4.

7.  Wie Anmerkung 4.

8.  Die Angabe des Geburtsorts in China ist bei einem Teil der 27 Gefangenen zweifelhaft.