Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt
Kriegsereignisse
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Das Kreuzergeschwader im Sommer 1914
I. Zur historischen Einordnung
Die Geschichte des Kreuzergeschwaders ist mit der Geschichte Kiautschous eng verbunden – das wird zum einen durch die historische Vision Kaiser Wilhelms II. und der Marineleitung bezeugt, in Ostasien einen starken Flottenstützpunkt zuschaffen, und zum anderen durch die tatsächliche Präsenz deutscher Schiffe seit dem Erwerb des Pachtgebiets 1897/98.
Die weltpolitische Entwicklung, insbesondere das englisch-japanische (Defensiv-) Bündnis von 1902, führte die Verantwortlichen jedoch lange vor 1914 zu der Erkenntnis, das militärisch nur rudimentär ausgebaute Tsingtau werde "im Falle kriegerischer Verwicklungen keinen Stützpunkt für unsere in Ostasien stationierten Land- und Seestreitkräfte [bilden]. Das Kreuzergeschwader wird sich bei Ausbruch eines Krieges in anderen Seegebieten zu basieren suchen. Für die Vertheidigung von Kiautschou kommen die Schiffe daher nicht in Betracht. Es muss damit gerechnet werden, daß die Kolonie unmittelbar nach Kriegsausbruch vor den überlegenen Flotten unserer möglichen Gegner in Ostasien (Zweibund, Union, England, Japan) genommen wird." [1]
Den deutschen Mobilmachungsbestimmungen vom Frühjahr 1914, d. h. den zuletzt aufgestellten, lag deshalb folgender Operationsplan für das Kreuzergeschwader zugrunde: "Handelskriegführen an günstigen Angriffspunkten im ostasiatischen Stationsgebiet, in späteren Stadien gegebenenfalls auch in den australischen und indischen Gewässern, falls die Kohlenversorgung dort sichergestellt erschien; Versorgung des Kreuzergeschwaders zunächst aus den Hilfsmitteln von Tsingtau unter Vermeidung der Einschließung des Geschwaders in Tsingtau; nur unter besonders günstigen Verhältnissen sofortiger Angriff auf die feindlichen Seestreitkräfte zur Erringung der Seeherrschaft in Ostasien. Im Falle eines Krieges gegen Japan war Verlegung der Kriegstätigkeit des Kreuzergeschwaders von der Ostasiatischen Station nach entfernteren Seegebieten vorgesehen." [2]
Planmäßig sollten sich also im Kriegsfall die "Wege" der Tsingtauer Festung und des Kreuzergeschwaders trennen. Dass es tatsächlich so kam, ist allerdings weniger einer präzisen Planung geschuldet als dem Zufall: Als 1914 der Krieg ausbrach, befand sich das Kreuzergeschwader großenteils nicht in Tsingtau, sondern auf der Fahrt durch die Inselwelt des Pazifischen Ozeans.
II. Die Fahrt des Kreuzergeschwaders durch den Pazifik
Wie jedes Jahr fand 06.1914 in Tsingtau der teilweise Austausch der Besatzung der Schiffe statt. Der am 02.06. eingelaufene Dampfer "Patricia" hatte 1.600 Seeleute mitgebracht, die sodann auf die Schiffe verteilt wurden. Dieses betraf die Panzerkreuzer "Scharnhorst" (Flaggschiff) und "Gneisenau" und die beiden Kleinen Kreuzer "Emden" und "Leipzig".
Der Chef des Kreuzergeschwaders, Vizeadmiral Maximilian Graf von Spee, wollte mit seinen beiden großen Schiffen eine Reise in die Südsee durchführen, die "über die Marianen und Karolinen nach Samoa führen sollte; für die Rückfahrt war ein Besuch der Fidschi-Inseln, der deutschen Insel Bougainville und des Bismarck-Archipels geplant, wo von aus Tsingtau Ende September wieder erreicht werden sollte." [3] Noch im Juni verließen drei von seinen vier Schiffen den Hafen:
"Leipzig" lief am 07.06. aus in Richtung mexikanische Westküste, um den Dienst von "Nürnberg" zu übernehmen. Dieser dritte zum Geschwader gehörige Kleine Kreuzer befand sich seit 08.11.1913 dort, um deutsche Interessen in den Bürgerkriegswirren zu sichern, und erhielt Order, sich nach Ablösung durch "Leipzig" – am 07.07. erfolgt – über Honolulu nach Samoa begeben, wo er zu den Panzerkreuzer stoßen sollte.
"Gneisenau" stach am 20.06. in See und begab sich über Nagasaki (22.06.), Pagan und Saipan (28.06.) zur deutschen Karolinen-Insel Truk (06.07.). [4]
"Scharnhorst" – mit dem Geschwaderchef an Bord – folgte einige Tage später, begleitet von dem Versorgungsschiff "Titania". Am 07.07. traf man vor Truk mit "Gneisenau" zusammen. Über Funk waren die aktuellen Ereignisse in Europa bekannt.
In Tsingtau blieb lediglich "Emden" zurück; ihr Kommandant, Fregattenkapitän Karl von Müller, vertrat als dienstältester kommandierender Seeoffizier den Geschwaderchef.
Je weiter sich das Kreuzergeschwader vom Heimatort entfernte, desto mehr verschärfte sich die politische Lage in Europa. Seit 17.07. vor Ponape (deutsche Karolinen-Insel) liegend, traf beim Geschwader am 26.07. die Nachricht vom österreichischen Ultimatum an Serbien ein; tags darauf zeichnete sich der Abbruch der Reise nach Samoa ab.
"Nürnberg" hatte aufgrund von Kessel-Problemen 14.-18.07. in Honolulu gedockt. Dort erhielt sie Befehl, wegen der kritischen politischen Lage nach Tsingtau zurückzukehren. Auf dem Wege dorthin traf sie am 06.08. bei den Panzerkreuzern vor Truk ein. Alle drei Schiffe begaben sich am 11.08. zur Marianen-Insel Pagan.
"Emden" hatte am 09.07. vom Geschwaderchef Befehl erhalten, von Tsingtau aus die Versorgungsetappen zu organisieren und die Kohleversorgung für das Geschwader zu sichern. Der Kommandant entschloss sich am 31.07., in See zu gehen, um eine mögliche Einschließung im Hafen zu vermeiden. Nach der Aufbringung des russischen Dampfers "Rjäsan" am 04.08. kehrte "Emden" nach Tsingtau zurück, um dann am 06.08. – begleitet von Hilfskreuzer "Prinz Eitel Friedrich" – den Hafen erneut und endgültig zu verlassen. Auch Hilfskreuzer "Cormoran" (ex "Rjäsan") lief am 10.08. aus.
Am 12.08. erreichten "Emden" und ihr Begleiter Pagan, wo nunmehr fünf Kriegsschiffe und etliche Begleitschiffe versammelt waren. Bereits zwei Tage später wurde "Emden" zum Kreuzerkrieg detachiert. Vizeadmiral Graf Spee hatte sich, wie er "Emden" mitteilte, entschlossen, "mit dem übrigen Verbande nach Westamerika zu gehen." [5]
Am 19.08. erreichte das Geschwader Eniwetok (deutsche Marshall-Inseln). Weil die Funkstation Yap inzwischen von den Engländern zerstört worden war, war man seit mehreren Tagen ohne Nachrichten von außen; vom japanischen Ultimatum erfuhr das Geschwader erst am 19.08. aus Tsingtau mit Hilfe der als Funkbrücke fungierenden "Cormoran", vom Kriegseintritt Japans erst mit mehrtägiger Verspätung durch "Emden".
In Eniwetok erhielt "Nürnberg" am 22.08. den Spezialauftrag, erneut nach Honolulu zu gehen. Am 27.08. trat Hilfskreuzer "Cormoran" zum Geschwader, das sich zur Insel Majuro begeben hatte, wurde jedoch zwei Tage später, ebenso so wie "Prinz Eitel Friedrich", zum Kreuzerkrieg detachiert.
"Scharnhorst", "Gneisenau" und ihre Versorgungsschiffe machten sich danach auf den langen Weg nach Osten. Am 07.09. gelangten sie zur Weihnachtsinsel, nachdem am Tage zuvor "Nürnberg" wieder hinzugekommen war. Nachrichten über die Besetzung Deutsch-Samoas veranlassten den Geschwaderchef, sich dorthin zu wenden. Der kurze Aufenthalt vor Apia am 14.09. führte nicht zu einem militärischen Einsatz. Stattdessen entschloss sich der Admiral, die Franzosen auf ihrer Besitzung Tahiti anzugreifen. Nachdem man dort am 22.09. das Kanonenboot "Zélée" versenkt und einigen Sachschaden verursacht hatte, ging die Fahrt weiter zu den französischen Marquesas-Inseln, die am 24.09. erreicht wurden.
Nach dem Abschluss einiger kleinerer Unternehmungen nahmen die drei Kriegsschiffe und die Begleitschiffe des Geschwaders am 03.10. Kurs Ostsüdost mit dem Ziel Oster-Insel (zum neutralen Chile gehörig). Am 12.10. morgens war das Ziel erreicht. Mittags traf "Dresden" ein und am 14.10. auch "Leipzig", die ebenfalls schon lange unterwegs gewesen waren:
"Leipzig" hatte Befehl, sich im Mobilmachungsfall mit dem Kreuzergeschwader zu vereinigen. Die Nachricht vom Kriegsbeginn erreichte das Schiff vor der Küste Niederkaliforniens. Es begab sich zunächst nach San Francisco (17.08.) und von dort südostwärts zu den Galapagos-Inseln (18.-22.09.). Nachdem "Leipzig" einige Zeit vor den Küsten Ecuadors und Perus gekreuzt hatte, nahm sie am 03.10. westsüdwestlichen Kurs auf die Oster-Insel. [6]
"Dresden" hatte einen noch weitaus längeren Weg zurückgelegt. Sie gehörte zur Ostamerikanischen Station und hatte dort im Frühjahr 1914 den Kleinen Kreuzer "Bremen" abgelöst. In Port au Prince (Haiti) traf sie am 25.07. ihre eigene Ablösung, den Kleinen Kreuzer "Karlsruhe". Die Absicht, in die Heimat zurückzukehren, zerschlug sich durch den Kriegsbeginn. Stattdessen nahm "Dresden" am 31.07. Kurs auf den Südatlantik und traf am 19.08. bei der Insel Trinidada (östlich Rio de Janeiro) mit dem Kanonenboot "Eber" zusammen, das von Südwestafrika herüber gekommen war. Weiter nach Süden fahrend, umrundete "Dresden" am 05.09. die Südspitze des Kontinents. Nach einigen Tagen Aufenthalt ging es am 16.09. Richtung Norden mit dem Plan, sich mit "Leipzig" zu treffen. Der ließ sich jedoch nicht realisieren, so dass das Schiff schließlich, aus Höhe Valparaiso (Nordchile) kommend, über Mas a Fuera (westlich Santiago) die Oster-Insel ansteuerte. [7]
III. Abschließende Bemerkungen
Für das Gros des Kreuzergeschwaders – "Scharnhorst", "Gneisenau", "Nürnberg", "Leizig" und "Dresden" – bildete all dieses den Auftakt zu jenen Ereignissen, die einige Wochen später weltbekannt wurden:
die Seeschlacht bei Coronel am 01.11. mit dem Untergang zweier englischer Panzerkreuzer und
die Seeschlacht bei den Falkland-Inseln am 08.12. mit dem Untergang des Kreuzergeschwaders [8]
Dieser Teil der Seekriegsgeschichte – ebenso die Kaperfahrt der "Emden" bis zu ihrem Untergang am 09.11.1914 – ist freilich in der Literatur so oft vertreten, dass hier auf die Darstellung verzichtet werden kann. Vielmehr soll abschließend die große seemännische und vor allem logistische Leistung hervorgehoben werden, die das Kreuzergeschwader von Ende Juni bis Ende Oktober vollbracht hat.
Bemerkenswert sind zum einen die zurückgelegten Entfernungen: bis Truk 2000 Seemeilen (sm), bis Ponape 400, bis Pagan 1000, bis Eniwetok 1100, bis Majuro 800, bis Weihnachtsinsel 2000, bis Apia 1200, bis Tahiti 1400, bis Marquesas 800, bis Osterinsel 2000, bis Coronel 2100 – das sind zusammen etwa 14.800 sm oder 27.500 km! [9] Den Kontrukteuren der Schiffe und der Maschinen, vor allem aber den Besatzungen gebührt deshalb höchste Anerkennung.
Bemerkenswert, wenngleich weniger sichtbar ist zum anderen die Logistik, die hinter diesen Fahrten stand, mussten doch über vier Monate hinweg mehr als zwei Dutzend Versorgungsschiffe so gesteuert und plaziert werden, dass die kohlebefeuerten Kampfschiffe überhaupt in Bewegung bleiben und ihre Besatzungen ernährt werden konnten. Knapper werdenden Vorräte, wachsenden Schwierigkeiten bei der Kommunikation und verstärkter Feindeinwirkung zum Trotz ist das bis zum letzten Tag des Unternehmens gelungen.
Anmerkungen:
© Hans-Joachim Schmidt
Zuletzt geändert am
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