Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Augenzeugenberichte

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Im Lager Himeji

von Hans Jarling
 

Der Berliner Hans Jarling erfüllte in Kiautschou seine Militärpflicht. Er führte ein Tagebuch, das auch von seiner japanischen Gefangenschaft handelt und von ihm oder einem Dritten in Maschinenschrift übertragen wurde. Dabei spricht er auch Aspekte an, die bei anderen Augenzeugen zu kurz kommen. – Der hier vorgelegte Teil behandelt die Zeit in Himeji und entspricht den Seiten 37–50 des maschinenschriftlichen Textes.

Ein Kontakt zu etwaigen Nachkommen des Verfasser kam leider bislang nicht zustande. Glücklicherweise fand sich eine Kopie des Tagebuchs sich in der Sammlung von Walter Jäckisch (Bochum), dem für die Zurverfügungstellung herzlich gedankt sei! Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen ausgeschrieben und Anmerkungen in [...] oder als Fußnoten hinzugesetzt sowie Kapitelüberschriften (nebst Nummerierung) eingefügt.
 

Übersicht

  1. Bis zum Abtransport
  2. Nach Japan
  3. Erste Wochen in Himeji
  4. Lagerleben in Himeji
  5. Flora und Fauna
  6. Feiern, Fluchtversuche
  7. Ausflüge, Landwirtschaft
 

[1. Bis zum Abtransport]

Fröhlichen Herzens fuhr ich zu Anfang dieses Jahres nach Tsingtau hinaus, und niemand von meinen Kameraden wird auch wohl im Traum nie dran gedacht haben, dass wir, noch ehe das Jahr seinen Lauf beschließt, in Gefangenschaft schmachten müßten. Nach vielem drunter und drüber ist man nun in Japan, und jeder von uns Ostasiaten kann jetzt sagen: "Über allen Wipfeln ist Ruh".

Drei Tage blieb ich noch in Tsingtau. Die Mehrzahl der Gefangenen hingegen wurde sofort abgeführt. In der Stadt hatten wir Zurückgebliebenen noch volle Bewegungsfreiheit, und man konnte noch so manches Persönliches erledigen. Die japanischen Soldaten zeigten sich etwas landsknechtmäßig, auch einige Plündereien blieben nicht aus; 62 Japaner, die dabei gefasst wurden, wurden erschossen. Ebenso erschoss ein japanischer Offizier 2 Mann vor unseren Augen, die in der Kantine geplündert hatten.1 Am Morgen, als Tsingtau gefallen war, noch in der ersten Stunde der Waffenruhe, trieb mich die Neugierde zu den vor der Bismarckkaserne lagernden Japanern. Gleich bot man mir Zigaretten und Zwieback an. Japanische Offiziere, die verschiedentlich Deutsch sprachen, drückten ihr Bedauern aus, dass sie aus politischen Gründen gegen Deutschland kämpfen mussten. Ob diese Höflichkeit Ernst oder bloße Form war, kann man bei dem undurchsichtigen Wesen der Japaner nicht beurteilen.

Am 9. November nachmittags fand die feierliche Bestattung der gefallenen Helden von Tsingtau statt. Zwei Massengräber zeigten den Ort, wo sie zu ewigen Ruhe begraben wurden. Die Predigt hielt unser evangelischer Oberpfarrer [Winter]. Zum Schluss sprach auch der katholische Geistliche [Schoppelrey] einige trostreiche Worte. Der Gouverneur, alle Offiziere, Mannschaften und Einwohner von Tsingtau wohnten der erhebenden Feier bei.

Am 10. XI. waren die Verhandlungen über Kiautschou abgeschlossen. Verschiedene Kommissionen blieben zur Übergabe der einzelnen Departements noch in Tsingtau. Wir letzten 1.300 traten vor dem Abmarsch auf dem Hofe der Kaserne an. Oberstleutnant von Kessinger hielt dann eine zündende Ansprache, in der er die tapfere Haltung der Mannschaften betonte und auch zum Ausdruck brachte, dass wir nicht besiegt seien, sondern nur durch die erdrückende Übermacht gezwungen waren, uns zu ergeben. Der Schluss war dann ein 3-faches Hurra auf Seine Majestät [den Kaiser], alsdann begann der Abmarsch. Ernst war das Gesicht des Gouverneurs, als wir das letzte Mal und ohne Waffen an ihm vorbei marschierten. In Taitungschen bezogen wir für 4 Tage Quartiere in elenden, zerschossenen chinesischen Wohnhäusern, die uns nichts weiter boten als Dach und Fach. Die Leichen der bei der Beschiessung getöteten Chinesen waren noch nicht geborgen.2 Wir fanden zahlreiche Leichname in Häusern und auch auf der Strasse. Hier bekamen wir das erste Mal die Engländer und Inder etwas näher zu sehen, die sich mit bei der Belagerungsarmee befunden haben. Sie hinterließen einen weniger guten Eindruck als ihre Bundesgenossen. Deutlich liessen wir ihnen unsere Abneigung spüren. Wo die Engländer vorbei kamen, drehten wir ihnen den Rücken zu. Das Verhältnis zwischen den Engländern und Japanern scheint auch sehr kühl zu sein.

Die Tage in Taitungschen waren sehr ungemütlich. Meist war es empfindlich kalt, besonders nachts, und vernünftig zu essen hatten wir auch nicht. Gewöhnlich sassen wir vorm Lagerfeuer und verzehrten die mitgebrachten Konserven. Sonst gingen wir im Orte umher und sahen uns die Zerstörungen der Beschießung an. Kein Haus war unbeschädigt. Sogar die chinesischen Götzen hatten nicht so viel Macht, wenigstens die Granaten von ihrem Tempel abzulenken. Dem bärbeißigen Kriegsgott hatte eine Granate den Säbel entführt, und den anderen würdigen Patronen waren verschiedene Gliedmassen abgerissen. Die Göttin des Kindersegens hatte sogar ihr Kindlein vom Arm fallen lassen. In dem Gelände hinter den Infanterie-Werken war ein tiefes Schussloch neben dem andern, und von den giftigen Pigringranaten war die Erde ganz grün gefärbt.3 Besonders groß muss die Zahl der Blindgänger gewesen sein, denn wir fanden viele von diesen nicht krepierten Granaten.
 

[2. Nach Japan]

Früh am 14. November, noch im tiefen Dunkel der Spätnacht, wurden wir, ca. 1 000 [Mann], weiter in Marsch gesetzt nach Schatzykou, wo wir eingeschifft werden sollten. In Tsingtau konnte die Einschiffung nicht erfolgen, da das Fahrwasser noch mit Minen verseucht war. Beim Aufsuchen der Minen sollen schon 2 Fahrzeuge in die Luft geflogen sein.4 Es war von den Japanern erlaubt worden, soviel Gepäck mitzunehmen, wie jeder tragen kann. Man konnte sich nicht so recht von seinen Habseligkeiten trennen, und viele hatten sich eine Last aufgebürdet, unter der sie keuchten und stöhnten. Einige hatten sich chinesische Träger angenommen, und unser Zug glich dadurch mehr einer Karavane als einem Gefangenentransport. Der Marsch dauerte 8 Stunden. Auf den aufgeweichten Wegen lief es sich sehr schlecht, besonders anfangs, da wir wegen der Dunkelheit nichts sehen konnten und alle Augenblicke in Schusslöcher traten, die sich infolge des letzten Regens mit Wasser gefüllt hatten. Auf dem Marsch konnten wir fast alles betrachten, was die Japaner benötigten, um Tsingtau niederzuringen. Eine Unmenge Laufgräben waren aufgeworfen, eine doppelgleisige Feldbahn gelegt und an verschiedenen Stellen Munitionslager errichtet. Zweirädrige Karren, die von Pferden gezogen wurden, sahen wir zu Hunderten. Auf dem ganzen Wege begegneten wir viel Militärs, die wohl noch nicht in Tsingtau waren, denn sie bestaunten uns wie ein Weltwunder. Auch bekamen wir Feldlazarette zu sehen, große Lastautos, eine geräumige, gut eingerichtete Maschinenwerkstatt und Reserveräder, Ochsen, Lafetten usw. für Geschütze. Die Dörfer bis Litsun waren noch zerschossen, und in 2 Dörfern standen nur noch einige Giebelwände. In Schatzykou angelangt, mussten wir noch eine Stunde am Strand stehen und eine weitere Stunde in Sampans schaukeln, ehe wir auf einen der dort liegenden Frachtdampfer kamen, und zwar auf Europa-Maru No. 2, der Dampfer ist ungefähr 4.000 t groß und für so viele Menschen nicht ausreichend.

Für Unterkunft war bald gar nicht gesorgt. Wie die Heringe im Fass lag alles zusammengepfercht. Im Laderaum waren für Schlafgelegenheiten Bretterlager errichtet, doch meist nicht lang genug, dass man sich ausstrecken konnte. Viele mussten auf den Eisenplanken oder auf Lukendeckeln schlafen. Ebenso dicht beieinander kauerten die Offiziere auf Strohmatten. Mit noch einigen Kameraden hauste ich im vorderen Laderaum unter der japanischen Wachmannschaft und der japanischen Schiffsbesatzung. Zwischen Balkenstallagen richteten wir uns mit Reissäcken eine einigermassen gute Schlafgelegenheit ein. Dies Theater ging 5 Tage lang; Reis, Hartbrot und heisses Wasser, denn von Tee war darin nichts zu merken, erhielten uns den Leib. Die erste Nacht blieben wir in Schatzykou. Am nächsten Morgen lichtete der Dampfer seine Anker, und mit 9 Seemeilen Fahrt ging es unserem Ziele, dem Lande der aufgehenden Sonne, entgegen.

Am 16. (November) morgens sahen wir die ersten Inseln der Koreastraße, und von da ab wurde die Fahrt interessant. Die meiste Zeit brachten wir dann an Oberdeck zu, sonnten uns und betrachteten die vielen kleinen und großen Inseln. Unsere Fahrt ging auch an der Insel Tsushima vorüber, die seit der Seeschlacht im russischen-japanischen Kriege geschichtliche Bedeutung erlangte. Am Nachmittag des 17. durchfuhren wir die Strasse von Schimonoseki. Die Einfahrt zu genannter Straße bilden die Staedte Moji (Kyushu) und Schimonoseki (Nippon).5 Beide Städte liegen sich gegenüber. Sie sind graziös aufgebaut am Fuße 200-300 m hoher Berge. Der stets wiederkehrende, eigentümliche Stil der Holzhäuschen geben beiden Städten ein reizendes Gepräge. An größeren und kleineren, schön bewaldeten und teilweise noch mit grünen Fluren bedeckten Inseln kamen wir vorüber. Hier sieht man eins der eigentümlichen Häuschen, dort einen Tempel. Die vielen Segelboote mit ihren schneeweissen Segeln tragen nicht zum Mindesten dazu bei, um der ganzen Szenerie ein anmutiges Gepräge zu geben. Leider war es uns nicht vergönnt gewesen, die ganze Schönheit der Inlandseen zu betrachten, da die Nacht ihren Schleier ausbreitete. Am Morgen ankerten wir dann in dem weniger bekannten Hafen Hiroshima. Zwei Tage blieben wir noch an Bord bei warmem Wasser und Hartbrot und japanischem Büchsenfleisch, das widerlich süß schmeckte. Händler durften nicht an Bord kommen, da wir in Quarantäne lagen. Trotz des Verbots konnten wir doch einige Äpfel, Mandarinen usw. erstehen.

Am 19. November wurden wir nochmals in mehrere Gruppen geteilt, und die erste Gruppe wurde am Nachmittag ausgeschifft, unter welcher ich mich befand. Jetzt, nur ca. 300 Mann, fuhren wir per Bahn unserem Bestimmungsort entgegen. Alles kommt einem liliputanisch vor. Die Eisenbahnwagen sind kleiner als in Deutschland, die Sitze schmal und die Rückenlehnen niedrig. Alles äußerst unbequem. Von nachts 12 Uhr bis morgens 5 Uhr fuhren wir im Sonderzug. Dann wurden unsere Wagen einem Personenzug angehängt, der auf jeder Station hielt, wo uns Gross und Klein, Jung und Alt mit der größten Aufmerksamkeit betrachtete und vielfach anstierte wie ein Weltwunder. Vielfach stimmten die Kinder auch ein Freudengeheul an, und auffallend war das kindliche, naive Benehmen der Japanerinnen. Von Geburtenrückgang, wie in den Abendländern, kann man hier nicht reden. Jede Maid hat 2 oder 3 Sprösslinge an der Hand und fast immer ein Baby auf dem Rücken. Ebenso schleppt jedes kleine Mädchen ein noch kleineres mit sich. Der Zug schlängelte sich dauernd zwischen Bergen hindurch, und hin und wieder bekamen wir auch die See zu Gesicht. Am Meeresstrande waren ausgedehnte Meersalzwerke angelegt. Auf den Feldern ernteten die Bauern ihren Reis ein. Als wir nach 17-stündiger Fahrt nachmittags 1 Uhr in Himeji ankamen, waren wir einesteils hocherfreut.

Unter der Eskorte von japanischen Sodaten wurden wir dem Gefangenenheim zugeführt. Ein großes Schutzmannsaufgebot war nötig, um andrängende Volksmassen zu halten. Jeder staunte und mit verklärter Miene schauten sie drein. In einem älteren, noch gut erhaltenen buddhistischen Tempel wurden wir untergebracht.
 

[3. Erste Wochen in Himeji]

Schon mehr als eine Woche ist ins Land gezogen, dass wir friedlich beisammen sitzen in diesem Tempel. Dieser hätte es sich wohl nicht träumen lassen, dass er eines schönen Tages zu solchen Zwecken missbraucht werden würde. Mit gutem Gewissen kann man ihm aber auch nicht nachsagen, dass er sich für solche Zwecke eignet. Dass die Papierscheiben der Fenstertüren, die ja nur für rücksichtsvolle Behandlung der Nippon-Söhne und -Töchter bestimmt waren, der rauhen Berührung von deutschen und österreischischen Soldatenhänden nicht lange Stand hielten und bald rauhen Winden und Zugluft Einlass gewährten, ist ja nicht seine Schuld, dass er sich dazu hergegeben. Ich meine, die alten Götzen hätten sich früher viel wohler gefühlt als seine jetzigen Bewohner. Wenn man annimmt, dass jene gegen Husten, Schnupfen, Rheumatismus usw. gefeit waren, so mögen die Murrenden nicht ganz Unrecht haben.

Und doch bessert sich das Wohlbefinden der jetzigen Tempelbewohner von Tag zu Tag. Schon hat sich der Curry mit Reis, dessen zweimalige Auflage mit dreimal Weißbrot und Tee anfangs die tägliche Ration ausmachte, in Zwiebelsuppe verwandelt. Einmal ist sie sogar ausgefallen, und es gab Leber mit kalt gewordenen Kartoffeln dazu. Nachdem wir uns zehn Tage lang auf dem Wege von Tsingtau nach Japan mit Hartbrot und Büchsenfleisch recht und schlecht durchgeschlagen haben, muss man den jetzigen Zustand doch als einen Siebenmeilenstiefelschritt vorwärts in der Richtung Schlaraffenland empfinden. Es ist übrigens auf der ganzen Linie ein Fortschritt zu verzeichnen. Als wir letzte Woche in diese heiligen Hallen einmarschierten, da bot die erschöpfte, hungrige Kriegerschar einen traurigen Anblick dar. Verwilderte Bärte, struppiges Haar, beschmutzte, arg mitgenommene Uniformen waren die Regel. Am dritten Tag hielt der Verschönerungsrat, der Barbier, seinen Einzug in den Tempelhof. Bald erschienen auch noch andere Wohltäter der Kriegsgefangenen auf der Bildfläche und boten ihre Waren feil wie Seife, Zahnpulver, Bürsten, Briefpapier usw. Es wurde uns auch bald gestattet, an unsere Verwandten und Freunde zu schreiben, die vielleicht schon Monate lang auf ein Lebenszeichen gewartet haben. Als es schließlich auch Bier und Tabak zu kaufen gab, da war wieder "alles da" und damit auch bessere Stimmung, die sich des Abends sogar durch Soldaten- und Volkslieder Luft machte.

Bald jeden Tag kommt sich uns eine höhere japanische Persönlichkeit vorstellen. Zuerst war es Oberstleutnant Naguchi, der Oberstkommandierende der Himejier Garnison, der auch gleichzeitig Chef des Gefangenenheims ist. In seiner Ansprache, die uns der japanische Dolmetscher (besser [unleserliches Wort]) übersetzte, sagte er unter anderem, dass wir tapfere Soldaten seien, die aber der Übermacht Japans haben weichen müssen, was ihm sehr leid täte. Wir würden hier anständig und menschlich behandelt werden. Nur müssten wir auch sehr "gehörsam" sein, und da wir jetzt wie japanische Soldaten behandelt würden, so müssen wir uns auch den japanischen Anordnungen fügen. Er hofft indes, dass wir uns auch an die japanischen "Gewohnheiten gewöhnen" werden. Der zweite hohe Herr, der uns die Ehre seines Besuches schenkte, war der Brigadekommandeur, ein General. Dann erschien wie zu einem Pflichtbesuch der Bürgermeister von Himeji mit einem seiner Stadtverordneten in Frack, weißer Weste, Halsbinde, den Zylinder in der weißbehandschuhten Rechten. Andern Tages kam ein buddhistischer Bischof, der uns im Auftrage seines Erzbischofs gute Gesundheit wünschte.

Etwas später inspizierte uns sogar der japanische Generalissimus. Eine Schar von Gaffern, groß und klein, hält ringsum die Zäune tagein, tagaus besetzt.

Sehr besorgt ist die japanische Regierung, dass wir keine Krankheiten in ihr Land einschleppen. Alle Mann sind deshalb gründlich untersucht worden und sämtliche ßekleidungsstücke und sämtliches Gepäck wurden desinfiziert. Unterdessen wurden wir in japanische Uniformen gesteckt. Wer eine noch halbwegs gut erhaltene Uniform bekam, sah gar nicht so übel darin aus, wenn man davon absieht, dass die meisten die Beine zu weit durchsteckten.

Inzwischen sind wir bereits einmal ausgeführt worden und haben das Himeji Castle besichtigt. Das Bauwerk, das in dem eigentümlichen japanischen Stil ausgeführt ist, stammt aus dem 15. Jahrhundert und ist inmitten einer wunderbaren Parkanlage sehr schön auf einem Hügel gelegen. Außer einer aus Wachs dargestellten Szene, die den Mikado mit einigen treuen Männern zeigt, die ihn nach dem Ausgang eines für ihn unglücklichen Kampfes über ein überschwemmtes Gebiet tragen, ist von dem Innern des Schlosses nichts Interessantes zu sagen. Von oben genießt man einen reizenden Fernblick ueber die nächste Umgebung. Von außen gesehen wirkte das Schloss viel schöner, da es sich durch seinen erhobenen Standort gut von der Stadt abhebt. Die Straßen von Himeji sind sehr schmal, und die niedrigen Häuschen stehen meist offen, so dass man leicht einen Einblick in das Innere gewinnen kann. Die dünnen, gelben Strohmatten, mit denen der Japaner den hohen Bretterfussboden seines Zimmers belegt, sind ihm zugleich Stuhl, Tisch und Bett und ersparen ihm die meisten und umfangreichen Geräte des Europäers. Da er des Stuhles nicht bedarf, der wieder einen grossen und hohen Tisch nötig macht, sondern unmittelbar auf den Matten, höchstens auf einem Kissen hockt, genügen zu Schreib- und Lesezwecken, wie auch zum Essen, kleine niedrige Tischchen. Das Bettgestell ersetzt ihm ebenfalls der Mattenboden. Außerhalb ihres Hauses gehen die Japaner auf Stroh oder Holzsandalen, und innerhalb ihrer Behausung laufen [unleserliche Wort] auf Strümpfen. In den Zimmern steht nur, was das Bedürfnis des Augenblicks fordert. Auf drei Seiten schließen bewegliche und leicht entfernbare Schiebetüren das Zimmer von außen ab. Die Schiebetüren sind mit weißem durchscheinenden Papier beklebt. Glasfenster scheint man gar nicht zu kennen. Die hintere Wand ist freilich fest, wenn Bambus- oder Holzgeflecht mit Lehmbewurf diese Bezeichnung verdiente. Diese Seite nehmen kleine Wandschränke ein. Keines unserer notwendigen Möbel, Stühle, Tische, Betten, Sofas usw. verstellt den Raum. Kein Ziergerät oder Nippessache drängt sich gelangweilt auf überflüssigen Regalen. Eine Blumenvase mit frischen Zweigen, ein Rauchgefäß aus Bronze und an der Wand eine Papierrolle, die irgend einen Sinnspruch enthält, ein (vor)gelegtes Buch oder Schreibkasten, das ist alles, was ein japanisches Zimmer bietet. Ähnlich ist auch unser Tempel eingerichtet, ringsum papierbeklebte Schiebetüren und innen ebenfalls mit Matten ausgelegt, die wir nur in Strümpfen betreten dürfen. Ebenso schlafen wir auch wie die Japaner nach dem achten Gebot von Buddha: auf einer Matte.

Der Unterstützungsverein in Kobe hat Zeitschriften und andere Vereine haben uns Bücher zur Verfügung gestellt, aber am begehrtesten sind immer noch deutsche Zeitungen, um die sich alle förmlich reissen. Ueber die Kriegslage halten uns 3 deutsche Zeitungen aus China auf dem Laufenden. Vom östlichen und westlichen Kriegsschauplatz haben wir uns 2 große Karten gezeichnet, und darauf unsere und die feindlichen Stellungen abgesteckt. Aus der englischen Zeitung erfahren wir das Allerneueste. Die muss man aber verstehen zwischen den Zeilen zu lesen, denn sie wollen der Welt immer noch glauben machen, Deutschland sei nun bald erledigt, ja, sie behaupten sogar, Deutschland sei bereits ein Leichnam, der sich nur noch nicht begraben lassen wolle. Auch über Tsingtau bringen sie törichtes Geschwätz. All diese albernen Lügen werden wohl am besten dadurch wiederlegt, dass der Kaiser von Japan unseren Offizieren den Degen belassen hat. Wir alle waren hoch erfreut, als bekannt wurde, dass die Gnade S.M. des [deutschen] Kaisers dem Festungsgouverneur das Eiserne Kreuz erster Klasse verliehen hat. Ganz ausfuehrlich bringen uns die deutschen Lokalzeitungen, leider sind sie schon 8 Wochen alt, wenn wir sie bekommen. Uns drückte es natürlich schwer, dass wir den weiteren Kämpfen des gesamten Deutschlands jetzt untätig müssen zuschauen. Aber [über] den endgültigen Ausgang dieses größten Ringens aller Zeiten ist ja kein Zweifel mehr. Wir alle sehnen die Stunde herbei, die uns wieder die Freiheit gibt. Denn obwohl unsere Behandlung gut ist und anerkannt werden muss, dass viel guter Wille gezeigt worden ist, ist's doch im Grossen und Ganzen recht eintönig. Ob man Sonntag oder Montag hat, wird man kaum gewahr. Da hier typhöse Erscheinungen ausgetreten sind, dürfen wir nicht mehr über die Grenzen des Tempelhofes hinaus. Bücher, Zeitungen, Spiele vertreiben uns die Zeit.

Die Zeit rückt vor und schärfer treten die Merkmale das nun einsetzenden Winters in den Vordergrund. Die Tage verkürzen sich und die Nächte verlängern sich, und schnell ist das Fest da, was daheim als Freudenfest, als Fest der Schenkung gefeiert wird, unser liebes deutsches Weihnachtsfest. Wohin immer ein Deutscher kommt, da bringt er seine Weihnachtsfeier mit. Unter einem oft wunderbar geschickt nachgeahmten Christbaum sitzt der Seemann in seiner Kajüte, der Farmer im Urwald, der Reisende am Äquator. Aber dass Weihnachten in den geweihten Räumen eines buddhistischen Tempels gefeiert worden ist, steht wohl einzig da. Schwer fiel es uns freilich, die richtige Stimmung zum Feiern zu finden. Als aber die beiden endlich geschmückten Bäume in ihrem Lichterglanz erstrahlten und die schönen, alten Weihnachtslieder ertönten, riss es doch die meisten mit sich, und die weihnachtliche Stimmung zog in unsere Herzen ein. Da gingen unsere Gedanken von selbst wieder in die Heimat, da waren wir wieder im Kreise unserer Lieben und unsere Sehnsucht wurde zum Gebet: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.

Als die Weihnachtslieder verklungen waren, hielt Unteroffizier Klinke eine längere, dem Ernst der Zeit entsprechende feierliche Ansprache. Unsere japanischen Vorgesetzten, der Oberstleutnant und die beiden Oberleutnants, wohnten der Feier bei. Dank unserer Landsleute in China konnte dann an eine Bescherung gedacht werden. Außer Pfefferkuchen, Nüssen, Äpfeln usw. bekam jeder einige Liebesgaben, aber auch an Spiele, Tabak, Taschenmesser und andere nützliche Sachen, deren wir hier entbehren, war gedacht worden. Für ein großartiges Festmenü sorgten die Japaner. Ebenso hatten sie uns einige Geigen und ein Harmonium zur Verfügung gestellt. In einem andern Gefangenenlager wurde den Deutschen als Festessen Pellkartoffeln und Hering vorgesetzt. Freudestrahlend kam der Aufsichtsoffizier herein, um sich zu erkundigen, wie es den Gefangenen schmeckte. Sein Erstaunen war groß, als er sah, dass jeder seinen Teller zurückschob und wurde noch größer, als auf seine naive Frage, ob dieses Gericht nicht das deutsche "Nationalessen" sei, die ganze Crew in ein schallendes Gelächter ausbrach und ihn von diesem seinem Wahn heilte.

Neujahr? Wieviel Hoffnungen wird uns das neue Jahr erfüllen? Eine ganz gewiss! Wir werden siegen! Dieser Hoffnung gewiss blicken wir getrost in die Zukunft. Das neue Jahr haben wir nicht gefeiert. Kein "Prosit-Neujahr"-Ruf hat bei der Jahreswende, die uns überdies schon 8 Stunden eher erreicht als die daheim, die Stille der Nacht unterbrochen.

Mittlerweile ist es Winter geworden. Natürlich ist die Kühle nicht so streng, wie wir sie vom Winter in Deutschland kennen, und sie wurde sich in derselben Strenge auch gar nicht ertragen lassen, weil die ganze Wohnungseinrichtung der Japaner nicht darauf bedacht ist. Durch die ungewollt hineingerissenen Löcher in den Papierscheiben machen sich kalte Winde und böse Zuglüfte unangenehm bemerkbar. Reichliche Öfen haben wir nicht. In unseren großen Becken brennen Holzkohlenfeuer, und die größte Zeit des Tages hocken wir darum wie um ein Lagerfeuer.

Im Tempel nebenan feiern die Japaner jetzt im Februar ihr Neujahr. Bewundernswert ist ihre Ausdauer im Feiern. Heute ist es schon der fünfte Tag. Tag und Nacht hört man immer dieselbe Folge von 3, 4 schrillen, quietschenden Pfeifentönen begleitet durch endlosen eintönigen Gesang.
 

[4. Lagerleben in Himeji]

Aonogahara im März 1916.6

Ein volles Jahr ist seit meinen letzten Aufzeichnungen verflossen. 16 Monate lang brechen wir nun schon das harte Brot der Gefangenschaft und noch immer weiss man nicht, wann die Friedensglocken läuten werden. Wann werden wohl unsere Feinde einsehen, dass Deutschland unbesiegbar ist? Denn gut unterrichtet, wie wir sind, wissen wir, dass Deutschland besser steht denn je. Und dieses Bewusstsein erhebt und stärkt uns und lässt uns unsere freudenarmen Tage besser und leichter ertragen. Wie wir uns den langen Monaten unser Leben ein wenig ertraglich gemacht haben, alle die kleinen Freuden und Leiden, und die Widerwärtigkeiten, die wir durchzumachen hatten, davon will ich nun ein kleines Bild entrollen.

In unserem Tempel waren wir noch nicht ganz warm geworden, als die Japaner anfingen, uns zu wiederholten Malen mit den genauesten Messungen, Wiegen, Stuhlgangproben usw. zu belästigen.

Mit den Österreichern zusammen bildet unser Lager ein wahres Völkergemisch, da sich Deutsche, Ungarn, Polen, Tschechen, Serben, Kroaten, Dalmatiner, Slovenen und Italiener [darin befinden]; also allein schon drei verschiedene Rassen: Germanen, Slaven und Magyaren. Diese Gelegenheit benutzten die verschmitzten Japaner, um ihre medizinischen Kenntnisse zu bereichern.

Aber dabei blieb es nicht allein. Wir mussten uns auch als Versuchskaninchen hergeben. Uns ging schon ein kleines Licht auf, als der japanische Arzt von Impfungen und Blutproben sprach. Eine Impfung mussten wir uns zunächst gefallen lassen, so sehr wir uns dagegen sträubten. Inzwischen waren zwei Leute krank geworden, so dass sie ins Militaerhospital gebracht werden mussten. Die Leute selbst bekamen nie zu erfahren, an welcher Krankheit sie litten. Uns wurde nur wiederholt zu verstehen gegeben, dass es Typhus sein müsste. Das war nun wieder ein schöner Grund für unseren Arzt, uns einzureden, dass wir gegen Typhus geimpft werden müssten. Wir ahnten ja den wahren Grund, und um keinen Preis wollten wir uns diese Quacksalbereien ohne Weiteres gefallen lassen. Das ganze Lager tobte vor Entrüstung. Aber alles Toben und Schimpfen half nichts. Auch nicht die Vorstellungen, die wir dem Arzte machten. Es wurde uns mit Strafe gedroht, und eines schönen Tages im Februar mussten wir uns in der Krankenstube einfinden und bekamen eine Injektion über die linke Brustwarze. Nach einigen Stunden stellte sich schon Fieber ein, das sich nach und nach steigerte und sich erst nach zwei Tagen verlor. Bei einigen stieg das Fieber bis auf 41°. Dazu stellten sich noch viele andere Krankheitssymptome ein wie Kopfschmerzen, Brechneigung, Brustschmerzen, Übelkeit, Mattigkeit, Durchfall usw.

Drei Tage lang lagen wir auf den Matten wie die Toten auf dem Schlachtfelde. Zwischen uns sprangen und hüpften die Sanitäter, die uns fortwährend bekümmerten, mit den Fieberthermometer und Fragen wie: "Wie geht? Brustschmerz? Kopfschmerz? Schweiss?" usw. Alle Krankheiten, mit denen der Mensch gequält werden kann, beteten sie runter und wir mussten ihnen mit ja oder nein antworten. Unsere Angaben wurden sorgfältig verbucht und ebenso das Steigen und Fallen des Fiebers auf den Fiebertafeln aufgezeichnet. In der nächsten Woche wiederholte sich genau dieselbe Prozedur, aber damit noch nicht genug, mussten wir uns in der darauf folgenden Woche nochmals injizieren lassen. Damit nun auch diejenigen Leute nicht zu kurz kamen, die uns während unserer Krankheit zu bedienen hatten, also nicht geimpft werden konnten, wurde von ihnen eine Blutprobe genommen. Dies alles mussten wir in stiller Gottergebenheit über uns ergehen lassen. Wie ich später noch erfahren habe, waren nur wir diejenigen, die dazu verdammt waren, sich an ihren Korpus rumpfuschen zu lassen. In anderen Lagern wurden keine derartigen Versuche angestellt. Zum Glück hatten die Japaner augenscheinlich das gelernt, was sie wissen wollten, wir wurden hinfort vom Arzt nicht weiter als Versuchsobjekte benutzt. Nur mussten wir uns noch 4 Wochen wiegen lassen. Dabei stellte sich übrigens schon in wenigen Monaten heraus, dass wir alle bedeutend an Körperfülle zugenommen hatten, und sofort wurde die tägliche Fleischportion um ein bedeutendes herabgesetzt, so dass seit der Zeit Schmalhans Küchenmeister bei uns ist. Wir übernahmen dann sehr bald die Küche selbst, und da wir mit dem Wenigen, das uns geliefert wird, haushälterisch umzugehen wissen, bekommen wir immerhin eine noch einigermassen gute Kost, und ich muss eingestehen, dass das Essen qualitativ und quantitativ besser ist als das Kasernenfutter, das man in der I.W.D. erhält.7

Wie nun aber die meisten Dinge auf Erden ihre Licht- und Schattenseiten haben, so ist auch mit unserer Küche der Übelstand verknüpft, dass sich jeder für längere Zeit darin betätigen muss. Und da gibt es allerhand Arbeit. Es ist nicht mehr das Mittag- und Abendessen zu kochen, sondern es sind auch Kartoffeln zu schälen, Fleisch zu schneiden, Wasser herbeizuschleppen und was dergleichen schöne Dinge mehr sind. Mancher tut das gerne, kann er doch dadurch nicht nur seinem sonst so freudearmen Dasein, sondern seinem leeren Magen auch etwas mehr Inhalt geben. Jeden Monat wechselten wir bei der Besatzung der Küche mit Österreichern und Ungarn ab. Dadurch hatten immerhin 8 Mann für einen Monat Beschäftigung. Um sich die Langeweile zu vertreiben, liegen einige Gefangenen dem Studium der Sprachen ob, andere sitzen beim Kartenspiel, und sogar Geigenspiele wurden hervorgesucht, um wenigstens etwas Beschäftigung zu haben. Als wir Fussbälle gestiftet bekamen, kam auch das Fussballspiel in Blüte, ebenso auch Faustball. Doch da wir beim Spiel verschiedene Dachsteine vom Tempel und von der Tempelmauer herunterholten, das Wellblechdach der Küche verbeulten und es sich auch nicht vermeiden liess, dass einige Bäume ihres Blätterschmuckes beraubt wurden, wurde uns der Ball nur zu oft weggenommen. Aber nach einigen Tagen, wenn sich die Japaner beruhigt hatten, rückten sie den Ball wieder heraus, und das Spiel begann von neuem.

Mittlerweile hatten wir uns von dem Erlös des Verkaufes leerer Bierflaschen auch einige Hanteln angeschafft, an denen wir mit aller Macht unsere Kräfte auslassen konnten. Auch ein Reck wurde aufgestellt. Dabei wurden übrigens seitens der Japaner einige Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Wir sollten das Reck wieder abreissen, weil wir beim Aufbau desselben eine Hacke verwendet hatten, von deren Herkunft, ja überhaupt Vorhandensein die Japaner nichts wussten. Nach Ansicht der Aufsichtsoffiziere sollten wir die Hacke gestohlen haben. Nach unserer Ansicht war sie nur "besorgt", und nach längerem Hin und Her hatten wir die Japaner wirklich so weit, dass sie den gewaltigen Unterschied zwischen stehlen und "besorgen" einsehen gelernt hatten. Damit war der Zwischenfall erledigt. Man ließ uns wieder gewähren.
 

[5. Flora und Fauna]

In den ersten Tagen wurde auch wirklich viel geturnt, aber nach und nach verlor das auch seinen Reiz. Es war inzwischen Sommer [1915] geworden, wo man sich mit anderen Dingen beschäftigen konnte. Man erfreute sich an dem Wachstum der Blumen in unserem selbst angelegten Blumengarten oder sah dem Liebesleben eines Habichtpaares zu, das in unserem Garten auf einer hohen Kiefer sein Nest gebaut hatte. Verschiedene fanden ihr Steckenpferd, indem sie Käfer oder Schmetterlinge sammelten. Sogar eine Spinnen-Sammlung hatte sich jemand angelegt, andere bauten Schlangenkäfige, 1 1/2 bis 2 Meter lange Biester fingen wir auf den Laubbäumen im Garten, wo sie offenbar Jagd machten nach den zahlreichen Laubfröschen, die dort lustig in die Welt hinein quiekten. Es war jedesmal recht interessant, wenn so ein Reptil eingefangen wurde, das ganze Lager kam dann zusammengelaufen und sah zu. Nur machte es uns einige Sorge, die Schlangen zu füttern. Aber bald war auch dem Übelstand abgeholfen. Einige der japanischen Posten, die gesehen hatten, dass wir die Schlangen mit Fröschen fütterten, vertrieben sich die Langeweile, wenn sie hinter der Mauer unseres Lager Posten standen, indem sie Frösche bei dem nahe gelegenen Teiche fingen. Wenn sie abgelöst waren, kamen sie mit Patronentaschen voll Fröschen zu uns.

Mit den Schlangen hielten wir uns jedoch nicht lange auf. Von den japanischen Soldaten bekamen wir auch die ersten Schildkröten. Andere kamen von selbst, wahrscheinlich durch die Abzugsgräben, in unser Lager. Wir verstopften dann flugs die Löcher und hatten so die Schildkröten frei im Garten herumlaufen. Einer Schildkröte wurde das Rückenschild mit unserer Nationalflagge schwarz-weiss-rot angestrichen und darunter in kühnen Lettern das bedeutsame Wort "U.G" gesetzt.8 Wir hatten mit den Tieren unsern Spaß und viel Zeitvertreib. Eine Schildkröte beobachteten wir beim Eierlegen und sahen, wie sie die vier kleinen, weißen, kugelrunden Eier in den Sand verscharrte. Das dumme Tier hatte aber eine Stelle ausgesucht, wo nie die Sonne hinkam, und somit ist aus den Eiern nichts geworden. Im Gegensatz zu den grossen Schildkröten, die überaus häßlich aussahen, sind die kleineren Tierchen allerliebst. Deshalb hatten wir auch für sie Aquarien gebaut, damit wir sie nicht so lange suchen brauchten, wenn wir sie mal sehen wollten. Ein noch größeres Vergnügen als die Schildkröten bereiteten uns die Goldfische, die unter den Kaskaden eines von uns selbst angelegten Springbrunnens lustig umherschwammen. Die Goldfische in Ostasien sind ganz eigenartig und viel schöner als die, die man in Deutschland hat. Sie haben lange Schleierschwänze, die viel länger sind als der eigentliche Fisch selbst, große hervorstehende und blaugeränderte Goldschuppen.

Noch mehr des Eigenartigen boten uns die Insekten, Käfer und was sonst noch alles kreucht und fleucht. Und zwar ganz besonders die Zikaden oder die Schreikäfer, wie wir sie nannten. Die Männchen dieser 2 bis 3 cm grossen Käfer haben am Hinterbein zwei Klappen, die sie in Schwingungen versetzen und dadurch einen schnarrenden, rasselnden Ton abgeben, oder schreien ist wohl der richtigste Ausdruck, und zwar derart, dass, wenn man unter einem Baum steht, wo mehrere dieser Zikaden schreien, man sein eigenes Wort nicht mehr versteht.

Recht interessant war es ferner, die Gottesanbeter zu beobachten. Es sind dies heuschreckengrüne Insekten, bald ebenso groß wie diese, aber sonst in jeder Beziehung anders geartet. So haben sie auch keine Flügel und nähren sich von Pflanzenstoffen und Fliegen. Possierlich sieht es aus, wenn sie ihren langen schlanken Leib auf ihren langen Beinen wiegen, dazu den Kopf rechts und links drehen. Von der Gefräßigkeit dieser Tiere kann man sich keine Vorstellung machen, wenn man es nicht selbst gesehen hat. So machte ich die interessante Feststellung, dass ein herzloses Weibchen über ihren schwächlichen Gatten herfiel, ihn mit Haut und Haar auffraß und sich hinterher noch einige Fliegen fing, um diese als Nachtisch zu verzehren.

Japan ist so reich mit Insekten gesegnet, dass auch das lästige Ungeziefer nicht fehlen darf. Flöhe hatten wir mehr, als uns lieb war, und waren es diese nicht, die uns manche schlaflose Nacht bereiteten, so gelang es den Moskitos durch irgend eine undichte Stelle im Netz durchzuschlüpfen, und dann war es mit dem Schlafen vollends aus. Wer noch nicht weiß, was Moskitos [sind], dem sei es hiermit gesagt: Moskitos sind eine Kreuzung von Mücken und Stecknadeln, sie sind kleiner als Fliegen, langbeiniger als Mücken und blutsüchtiger als Indianer. Man kann sich von Kopf bis Fuß mit Petroleum einsalben, Insektenpulver schnupfen, Raeucherkerzen abbrennen, es nützt alles nichts.... Wenn man aufsteht, hat man mindestens 999 kleine Schropfköpfe gesetzt. Das einzige Mittel bleibt immer noch ein Netz. Gelingt es ihnen aber, darunter zu schlüpfen, so kann man seine arme Seele nur allen vierzehn Nothelfern befehlen. Auch Ameisen statteten uns einmal einen unliebsamen Besuch ab. Zu Tausenden kamen sie aus einem wurmstichigen Balken in unserem Tempel hervorgekrochen. Wir wurden es erst gewahr, als sie sich bald über den ganzen Tempel ausgebreitet hatten, doch gelang es uns noch rechtzeitig, die meisten auszufegen, ehe sie an den Wänden usw. herausgekrochen waren, so dass wir uns zur Schlafenszeit getrost niederlegen konnten.
 

[6. Feiern, Fluchtversuche]

Schlafenszeit ist zu 9 Uhr anberaumt worden; jedoch hält sich an diesen Befehl niemand allzu genau. Es wurde uns noch öfters bekanntgegeben und vorgelesen, dass wir nach dem Signal nicht mehr aufbleiben dürfen, aber da uns nie ernstlich gedroht wurde, kümmerten wir uns wenig darum. Später im Sommer ließ man uns auch gewähren. Bis spät in die Nacht saßen wir dann in den Lauben, die wir uns gemacht hatten, bei einer Flasche kühlen Bieres, dass heißt, wenn man Geld hatte, sonst ohne. Und es ging manchmal recht lärmend zu, besonders bei den Feiern, die wir periodenmäßig veranstalteten, um die vielen Siege zu feiern, die unsere Kameraden in der Heimat ausfochten.

Bis elf und manchmal noch später wurde gesungen und Musik gemacht, dass sich anderntags die Priester nebenan beschwerten, sie hätten nicht schlafen können, dann gab es wohl einen Verweis, und zur Maßregel bekamen wir für 3 oder 4 Tage kein Bier zu kaufen. Manchmal musste sich auch ein allzu großer Schreihals die selbe Nacht über vor der Wache die Beine in den Bauch stehen. Das war aber auch alles. Wenn wieder jemand Geburtstag hatte oder sich sonst ein Anlass bot, wurde auch wieder vergnügter Abend gemacht. Die schönste Feier jedenfalls war die am 18. August, die Geburtstagsfeier SM Kaiser Franz Josephs. Den Garten hatten wir mit Reisig geschmückt und mit zahlreichen Lampions erleuchtet. Ich muss sagen, dass ich ein so schönes japanisches Gartenfest noch nie gesehen habe.

Fuer Bewirtung und für reiche Bewirtung, das muss man sagen, sorgten unsere österreichisch-ungarischen Kameraden. Sogar ein Schwein, das sie eigens zu diesem Anlass angeschafft und geschlachtet hatten, kam als Festbraten auf den Tisch. Und dann das viele Bier! 2.000 Flaschen (zu je 3/4 Litern) sind an diesem Abend bzw. Nacht von uns 300 Mann getrunken worden. (So auch nachzulesen im Japan Chronicle vom 19. VIII. 1915.)

Eine andere höchst willkommene Abwechslung waren die Ausflüge in die Umgebung Himejis. Leider fanden sie nur äußerst selten statt. In den 16 Monaten unserer Gefangenschaft sind wir vielleicht erst 12 Mal ausgeführt worden. Diese Ausflüge fanden immer unter starker Beteiligung statt; denn ein jeder hatte das Bedürfnis, nach dem immer länger währenden Abgeschlossen- und Abgeschiedensein auch wieder einmal ins Freie schauen zu dürfen.

Das mussten wohl auch die drei österreichischen Unteroffiziere empfinden, die in der Nacht des 28. Februar 1915 aus dem Lager verdufteten, um der Stätte des Stumpfsinns den Rücken zu kehren. Unerkannt und ohne angehalten zu werden gelang es ihnen auch, in Kobe an Bord des amerikanischen Dampfers zu kommen, mit dem sie zu entkommen gedachten. Doch der Kapitän, wohl mehr oder weniger Engländer, hielt sie fest und erstattete Anzeige. So standen sie dann am nächsten Nachmittag schon wieder vor der Wache und warteten, bis man über ihre schuldigen Häupter den Urteilsspruch fällte, um dann ins Militärgefängnis abgeführt zu werden. Diese trüben Aussichten hielten jedoch zwei weitere österreichischen Unteroffiziere nicht ab, ebenfalls auszubrechen. Aber auch sie kamen nicht weit. Der Nachmittag des nächsten Tages sah auch sie vor der Wache stehen.9 Während dem war in unserm Lager natürlich alles in Aufregung. Die japanischen Offiziere, der Dolmetscher, die Soldaten, alles rannte verstört umher. Der Aufsichtsoffizier befahl antreten und hielt uns eine Ansprache ungefähr folgenden Wortlautes: "Gestern sind im anderen Tempel drei Mann entflohen. Aber japanische Polizei sehr gut organisiert. Sie sind sofort festgenommen worden. Warum zwei Mann so dumm und auch entfliehen?" Wir wussten natürlich nicht, warum zwei Mann so dumm sind, und schwiegen. "Warum so dumm? Es ist sehr dumm denken Freiheit kaufen. Wenn Sie Freiheit kaufen wollen, kaufen Sie. Ich sage, Sie werden nicht kaufen." Nun musste ich aber erst mein Hirn abwarten, um hinter den mehr als dunklen Sinn dieser japanisch gedachten Rede zu kommen, und ich hörte nur noch: "Wer entfliehen will, wird immer in Japan bleiben müssen. Er wird immer trocken Brot essen müssen und Wasser trinken. Er wird nicht mehr nach Deutschland kommen. Abtreten!"

Nach einigen Tagen hielt uns auch der Oberstleutnant eine Ansprache. Er hatte sich den Dolmetscher mitgebracht und fuhr mit einem Schwall japanischer Worte auf uns los, dass sogar dem Dolmetscher Angst und Bange wurde. Letzterer liess sich nun beileibe nichts anmerken. Mit einer äußerst wichtigen Miene und hochgezogenen Schultern stand er da. Wenn dann der Oberstleutnant eine Pause in seiner Rede eintreten ließ, reckte der Herr Dolmetscher seine kurzen Glieder und, hier kann ich mit einem Bibelspruch dienen, "seine Lippen bewegten sich, aber seine Worte hörte man nicht."

Er hatte auch keine Worte, oder wenigstens nicht viele, und musste stets mehrere Anläufe, nehmen ehe er mit seinem Satz zu Ende kam. Er war köstlich mitanzusehen, wie er druckste, den Kopf senkte, wenn er ein Wort nicht fand, und ihn dann wieder hob, wenn er es gefunden hatte. Er kam uns allen so vor wie ein Huhn, das Wasser trinkt. Von seinem ganzen Gewäsch, denn so muss man wohl ein so abscheulich schlecht gesprochenes Deutsch nennen, sind mir nur noch die Worte "ein Mann weint" erinnerlich, womit er einen zu acht Monaten Gefängnis verurteilten Unteroffizier meinte. Schon öfters hatte ich dieses Angstgefühl beim Dolmetscher bemerkt, das ihn immer überkam, wenn er vor uns versammelten Leuten sprechen musste. Aber diesmal war es doch gar zu schlimm. Sogar seine Hose hing nachher auf der Wäscheleine.
 

[7. Ausflüge, Landwirtschaft]

Ich will nun auch einmal näher auf Ausflüge zurückkommen. Meist führte uns der Weg nach einem 3/4 Stunde entfernt liegenden Flusse, wo wir spielten, im Sommer auch badeten, und dann auf Umwegen wieder zu unserm Tempel zurückkehrten. Andere Ausflüge führten uns auch in die verschiedenen Tempel, die massenhaft in Feldern, kleinen Hainen und Bergen umher verstreut liegen. Diese Tempel sind samt und sonders mehr oder weniger mit Holzschnitzereien verziert – in Holzschnitzereien sind die Japaner ja groß – und mit Bildern, meist Schlachtenbildern, geschmückt. Mit dem Malen menschlicher Figuren sind die Japaner weniger erfolgreich, und besonders in Schlachtenszenen sehen ihre Krieger alles andere, nur nicht kriegsmäßig aus, obgleich sie sich gegenseitig finster anstieren. Ihr tückischer Ausdruck zeigt nur zu deutlich, wie lange sich die Japaner in den niedrigsten der niedrigen Regionen aufzuhalten haben. Das bunte Geschirr ihrer Streitrosse ist weit auffälliger gemalt als die Pferde selbst, die oft in einen [unleserliches Wort] verwickelt sind, niedergedrückt durch die geharnischten Reiter. Die Rüstung derselben, jedes Glied, jede Kette, jedes Detail ist so genau wiedergegeben, dass ein längeres Anschauen der Bilder direkt ermüdend wirkt. Besser verstehen die Japaner Landschaften, fantastische Vögel und dergleichen zu malen. Unter den Landschaftsszenen sind diese die besten, die den mit nebligen Dünsten umhüllten Gipfel des heiligen Berges Fuji-san darstellen.

Bei jedem Ausflug habe ich mich immer aufs Neue über die Pflanzenwelt Japans freuen müssen, die nicht nur durch ihre Pracht und Fülle imponiert, sondern auch durch die erstaunliche, vielleicht in keinem anderen Florenreich der gemäßigten Zone erreichte Vielheit des Osten. Die Erklärung dafür ist hauptsächlich in der Eigenart des Klimas zu suchen, dadurch dass sich hier gewissermaßen ein kontinentales mit einem insularen Klima durchdringt, werden Verhältnisse geschaffen, die sowohl einer subtropischen wie einer mehr zolaren [?] Vegetation den Bestand ermöglichen. Am augenscheinlichsten wirkt diese Besonderheit durch die Mischung von immergrünen und laubabwerfenden Gewächsen im japanischen Wald. Aber auch die Kultur der Nutzpflanzen nimmt einen sehr bedeutenden Anteil an diesem Vorzug. Lange Winterreife (in Mitteljapan kann man 6 Monate auf den Winter rechnen), dafür aber ein durch reichliche Niederschläge und gleichmäßig hohe Wärme gesteigertes Wachstum während der Vegetationsperiode – das sind die Gaben, denen die Wunder der japanischen Pflanzenwelt entspringen.

Erst im Wald entwickelt sich die ganze Größe der japanischen Flora, da er nicht wie der europäische aus nur wenigen, in geselligen Verband tretenden Arten zusammengesetzt ist, sondern namentlich im Laubwald einen unerhörten Reichtum an verschiedenen Bäumen, Sträuchern, Kletterpflanzen, Unterholz, Kräutern und Gräsern aufweist. Nadelbäume mischen sich mit immer- und sommergrünen Laubbäumen.

Die Nutzpflanzen Japans sind Reis, Zuckerrohr, Hanf, Baumwolle, der Teestrauch und der Maulbeerbaum. Erheblich mehr als die Hälfte allen bestellten Landes ist mit Reis besetzt, der die Hauptnahrung des Volkes bildet. Die Anbaufläche ist an die Grenze der möglichen Ausdehnung angelangt, und der Ertrag zu Deckung des Bedarfes genügt nicht. Wie man aus Zeitungen ersehen kann, muss Japan sogar Reis einführen. Das einzige pflanzliche Produkt, das Japan im Überfluss hervorbringt, ist Tee. So kann von diesem, auch von den Japanern selbst hochgeschätzten Erzeugnisse jährlich für mehrere Millionen Yen ausgeführt werden.

Die Viehzucht tritt in Japan zurück, sowohl wegen des Mangels an Weiden wie wegen der geringen Schätzung der Milch. Es soll in Japan mehr Pferde geben als Rinder, Schafe und Schweine zusammengenommen.

Ebenes Land ist in Japan nur in beschränkter Ausdehnung vorhanden und stets in kleine Bezirke zerstückelt. Der Ackerbau steigt in Terrassen auf in die Hügellandschaft hinein. Nur ein Sechstel der ganzen Landfläche von Japan ist angebaut. Die Hügel und Berge Japans sind mit Wäldern bewachsen und bilden eine ungemein liebliche und anziehende Szenerie.

Nicht immer zogen wir nun ledig aller Pflicht hinaus, uns die Gegend zu besehen, nein, eine Zeitlang mussten wir auch arbeiten, und zwar war der Exerzierplatz zu planieren. Wir waren nun in den heißen Septembertagen keineswegs arbeitslechzend, und so wurde denn auch nicht viel mehr getan, als dass man eben die Schaufel oder Harke festhielt. Der Aufsichtsoffizier war zufrieden, wenn vielleicht von 100 Mann zehn arbeiteten. Verschiedenen erlaubte er sogar auf seinem Pferde einige Runden zu reiten. Der Chef unseres Lagers, Oberstleutnant Naguchi, kam sehr oft mit hinaus; aber auch ihm schien es einerlei zu sein, wieviel wir dort schafften, und ich glaube, wir würden wohl heute noch dort herumstehen, wären wir nicht inzwischen unserem neuen Lager zugeführt worden.
 

Anmerkungen

1.  Für die Erschießung der 62 Soldaten gibt es sonst keinen Beleg. Das Gleiche gilt für die Behauptung, zwei Soldaten wären vor den Augen der Deutschen ersschossen worden.

2.  Über getötete chinesische Zivilisten berichten auch andere Augenzeugen. Dem Redakteur sind hierzu bisher keine Forschungen bekannt geworden.

3.  Die Bedeutung von "Pigringranaten" ist unklar.

4.  Hierfür gibt es keine Bestätigung.

5.  Gemeint ist die japanische Hauptinsel Honshu.

6.  Der folgende Text handelt weiter von der Zeit in Himeji.

7.  Vermutlich ist die I. Werft-Division gemeint, d.h. die Stamm-Einheit des Verfassers.

8.  Bedeutung unklar.

9.  Es ist nicht bekannt, wer zu fliehen versuchte.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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