Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Matsue Toyohisa (1873-1955) – Lagerkommandant von Tokushima und Bando

Biographische Skizze (Entwurf)
 

Als ebenso tatkräftiger wie humaner Lagerkommandant ist Matsue Toyohisa1 jedem bekannt, der sich mit der Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen in Japan beschäftigt. Weil deutschsprachige Literatur über diese bedeutende Persönlichkeit kaum vorhanden ist,2 soll diese biographische Skizze die wichtigsten Informationen liefern; einige offene Fragen schließen sich an.

Übersicht

  1. Lebenslauf
  2. Handlungen und Motive
  3. Abschied – und einige Fragen

 

1. Lebenslauf

Matsue Yoyohisa wurde am 06.06.1873 geboren;3 seine Eltern waren Matsue Kyuhei und dessen Frau Hongo Nabu. Der Sohn trat am 01.09.1889 in die japanische Armee ein und wurde im September 1894 nach dem Besuch der Offiziersschule zum Leutnant befördert. Als frisch beförderter Hauptmann amtierte er ab 07.09.1904 als Adjudant des japanischen Oberbefehlshabers in Korea, General Hasegawa Yoshimichi. Aus dieser Dienststellung schied er 1907 aus und wurde dem 67. Infanterieregiment von Hamamatsu zugeteilt, zu dessen Kommandeur er, nunmehr Major, im November 1908 ernannt wurde. Nach weiteren drei Jahren wurde er Adjudant der 7. Division, am 20.01.1914 zum Oberstleutnant befördert und dem 62. Infanterieregiment zugeteilt.

Matsue Seit Eröffnung des Kriegsgefangenenlagers Tokushima am 03.12.1914 war Matsue dessen Kommandant. Bei der Zusammenlegung mit den Lagern Matsuyama und Marugame am neuen Standort Bando im April 1917 wurde Matsue zum Kommandanten bestellt und am 01.08.1917 zum Oberst befördert. In dieser Stellung diente er bis bis zum 08.02.1920.

Bild links: Am Schreibtisch (DIJ Tokyo)

Bilder unten: In Galauniform (Nachlass H. Schäfer)

Matsue Matsue

Am 01.04.1920 wurde Matsue Kommandeur des 21. Infanterieregiments in Hamada, Präfektur Shimane, das nicht mehr an Kriegshandlungen teilnahm. Unter Beförderung zum Generalmajor wurde er am 08.02.1922 in den Wartestand versetzt und am 01.04.1922 der Reserve zugewiesen, womit seine militärische Laufbahn endete.

Matsue nahm seinen Wohnsitz zunächst in Tokyo. Im Herbst 1922 erhielt er das Angebot, Bürgermeister der Stadt Wakamatsu zu werden. Er akzeptierte und trat im Mai 1923 sein Amt an, aus dem er – nach politischen Querelen, die er nicht zu verantworten hatte – bereits am 20.11.1925 ausschied.

Noch drei Jahrzehnte ganz zurückgezogen in Komae (Präfektur Tokyo) wohnend, ist Matsue am 21.05.1955 dort gestorben. Er hinterließ seine Frau Uta und mehrere Kinder.
 

2. Handlungen und Motive

Als Lagerkommandant vertrat Matsue die Auffassung, die Gefangenen müssten human behandelt werden: »Denn sie haben ja auch für ihr Vaterland gekämpft.« Nach dieser Maxime handelte er: Er nutzte seinen Handlungs- und Ermessensspielraum in einer Vielzahl von Situationen zugunsten der Gefangenen und gewährte ihnen, im Rahmen des Möglichen, erheblich mehr Freiheiten, als es andere Lagerkommandanten taten. Konflikte mit seinen eigenen Vorgesetzten nahm er in Kauf und stand sie durch. Wenn auswärtige Besucher und Inspektoren (→ Paravicini) »Bestnoten« für das Lager Bando vergaben (»Musterlager«), geschah das zu Recht.

Nakamura, Tamura und andere Autoren sehen die Motive Matsues in dessen Familiengeschichte begründet. Vater Matsue Kyuhei nämlich war nach der 1868 beginnenden inneren Neuordnung Japans (»Meiji-Restauration«) mit seinem Clan, den Aizu-Wakamatsu (heute: Präfektur Fukushima) in Bürgerkriegswirren verwickelt. Weil die Clan-Angehörigen auf der Verliererseite standen, wurden sie als Rebellen denunziert, zum Teil deportiert und gesellschaftlich erheblich benachteiligt. Aus dieser Vorgeschichte habe Matsue Toyohisa dann 1914, als er zur Bewachung anderer »Verlierer«, nämlich der Tsingtaukämpfer, bestellt wurde, Empathie für diese entwickeln und sich für eine humane Behandlung einsetzen können.

In einem anderen Argumentationsstrang wird Matsues Aufenthalt und Dienst in Korea betrachtet. Er erlebte dort aus nächster Nähe, wie die japanische »Garnisonsarmee« in Korea auftrat, die »Schlechtigkeit des Benehmens« (Nakamura) des Oberbefehlshabers und das »rücksichtslose« (Tamura) Vorgehen des Generalresidenten Ito Hirobumi. Matsue hatte weder Rang noch Möglichkeit, daran etwas zu ändern, aber er mag für sich die Entscheidung getroffen haben bzw. darin bestärkt worden sein, Unterlegene menschenwürdig zu behandeln.
 

3. Abschied – und einige Fragen

In der Art und Weise, wie Matsue das Amt des Lagerkommandanten versah, konnte er auf Unterstützung der meisten seiner Untergebenen rechnen, insbesondere auf die seines Stellvertreters, Hauptmann Takagi. Mit ausschlaggebend war aber auch das Verhalten der Gefangenen selber und die gute Kommunikation mit dem deutschen Lagerältesten, Major Kleemann. In seiner Abschiedsrede vom 17.01.1920 an die bis dahin verbliebenen 93 Personen, die nicht mit dem Sammeltransport heimgereist waren, sprach Matsue dies auch direkt an:

»Ich möchte für die langjährigen Bemühungen meinen Dank bezeugen, und dafür, daß Sie bis heute die Anweisungen und Befehle von jemandem wie mir strikt eingehalten haben, bin ich dankbar.«4

In seiner Erwiderung an den »verehrten Direktor Matsue« gab Kurt Meißner namens der Gefangenen diesen Dank zurück:

»Daß wir mit einem Menschen wie Ihnen in ein Verhältnis der Verbindung geraten sind, dafür sind wir aus tiefstem Herzen dankbar. Wir werden wohl nie den Geist der Toleranz, der Menschenliebe und des Wohlwollens vergessen, den Sie uns gegenüber bis heute bewiesen haben. In Zukunft werden wir in irgendeiner Form an Menschen, die sich in unglücklicheren Umständen befinden als wir, Ihren Geist weitergeben. ›Alle Menschen sind Brüder‹, diese Worte werden wir, wenn wir uns an Sie erinnern, in unserem Herzen wiederholen.«5

An dieser Stelle drängen sich einige Fragen auf: Hat es später noch Kontakte zwischen ehemaligen Gefangenen und ehemaligem Lagerkommandanten gegeben? Immerhin war es Matsue ja vergönnt, nach Bando weitere 35 Jahre zu leben, d.h. er hat den weiteren Aufstieg und den Fall Japans und die wechselhaften deutsch-japanischen Beziehungen noch miterlebt. Aus dem öffentlichen Leben zog er sich wohl ganz zurück, aber es wäre doch denkbar – und auch folgerichtig! –, dass zumindest einige der Gefangenen, die später in Japan residierten, Kontakt zu Matsue aufgenommen haben, und sei es auch ›nur‹, um ihren ehrlich empfundenen Dank zu erneuern.

Eigenartigerweise gibt es hierfür keinerlei Indizien, weder in den Berichten der Zeitzeugen (Barth, Meißner, van der Laan usw.) noch in der Sekundärliteraratur. Hat es keine Kontakte gegeben? Wenn nein, warum nicht? Haben die Bando-Vereine, die in den 1930er Jahren gegründet wurden, den Versuch der Kontaktaufnahme gemacht? Hat Matsue das nicht gewollt? Haben die Gefangenen und er bereits 1920 einen Schlussstrich unter die »Akte Bando« gezogen?

Wer Informationen hierzu hat, möge sich bitte melden!
 

Anmerkungen

1. In Japan steht der Name üblicherweise vor dem Vornamen; dem wird hier gefolgt.

2. Der Redakteur stützt sich insbesondere auf die Publikationen von Nakamura und Tamura.

3. Laut Nakamura; zum Teil werden andere Geburtsjahre kolportiert, z.B. 1871 (»Japan-Forum« Nr. 149, Aug. 2007) oder 1872, auch 1956 als Todesjahr.

4. Nach van der Laan/Bernau, S. 19; es gibt mehrere Versionen des Wortlauts (vgl. Nakamura, S. 60).

5. Wie Fußnote 4 (vgl. Nakamura, S. 60 f.).
 

Literatur


 

©  Hans-Joachim Schmidt
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