Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Bando

StartseiteGefangenschaft in JapanLagerBando → Bericht Paravicini


Besuch des Lagers Bando am 09.07.1918

Bericht von Dr. F. Paravicini
 

Inhalt

  1. Bericht [im Original S. 13-16]
  2. Liste von Invaliden und Kranken [im Original Anhang I, S. 31]
  3. Krankenbericht des Lagers [im Original Anhang IV, S. 38-41]
  4. Eingabe Gefängnis Takamatsu [im Original Anhang IV, S. 42]

Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen ausgeschrieben, Anmerkungen in [...] oder als Fußnoten hinzugesetzt.
 


Bericht

Vereinigt seit 9. April 1917 die früheren Lager Tokushima, Marugame und Matsuyama. Besucht am 9. Juli 1918. Von Tokushima, dem Hauptort der Präfektur gleichen Namens und der größten und schönsten Stadt der großen Insel Shikoku, führt der schmale Fahrweg etwa 12 Kilometer weit durch fruchtbare Felder und über die Flussarme des Yoshinogawa nordwärts zu bewaldeten Höhenzügen, an deren Fuß das neu erstellte, mit Stacheldraht umschlossene Lager schön gelegen ist. Ein Bergfluss läuft der Ostseite des Lagers entlang und liefert Wasch- und Badewasser, näher seinen Quellen in den Bergen wurde durch die Gefangenen selber auch das Trinkwasser in lange Leitungen gefasst. Das Wasser ist sehr gut, aber hie und da knapp. Im Lager selber befinden sich hinter den acht großen Mannschaftsbaracken noch zwei Reservoirteiche und die Offiziersbaracken und um die Baracken herum und an den Berghängen sich hinaufziehend etwa achtzig von den Gefangenen selbst erstellte Lauben inmitten kleiner Gärten. Etwa die Hälfte davon sind Werkstätten und befinden sich in der Nähe der Baracken, die anderen dienen der Erholung und Ruhe. Die Baracken sollen später für die japanische Armee Verwendung finden. Das Lager mit seinen 938 ausschließlich deutschen Gefangenen, von denen 20 Offiziere sind, bedeckt eine Fläche von 57.000 Quadratmetern, wovon etwa ein Siebentel auf die Baracken entfällt.

In diesem Lager herrscht eine sehr rege und vielseitige Tätigkeit. Fast alle Handwerke, bis zum Photographen und Uhrmacher, werden in den etwa vierzig dafür bestimmten Lauben ausgeübt, eine eigene Lagerzeitung mit guten Illustrationen, Ansichtskarten, Bücher sogar werden im Lager erzeugt. Im Frühjahr fand eine Ausstellung der Produkte statt, die bei den über 10.000 japanischen Besuchern reissenden Absatz fanden. Man zeigte uns noch die Räume mit den originellen Innendekorationen der Lagerkünstler. Ackerbau und Viehzucht werden hier in größerem Maßstabe betrieben. Eine Mustermelkerei mit modernsten Apparaten, für die ein Japaner 5.000 Yen zur Verfügung gestellt [hat], liefert mit ihren zehn Stück schönem Fleckvieh einen Teil der Lagermilch und verkauft auch Produkte an die Stadt. Unter den dreißig Schweinen finden sich sehr schöne Zuchtexemplare, Hühner sind über 2.000 vorhanden. Ein japanischer Professor der Landwirtschaft beteiligt sich an der Leitung der Ackerbauarbeiten, japanische Offiziere arbeiten auf verschiedenen Gebieten mit den Gefangenen. Unter den Gefangenen befindet sich ein Professor der Forstwirtschaft [?], und solche wird unter seiner Leitung in den Waldbergen nördlich vom Lager in größerer Ausdehnung betrieben und liefert Brenn- und Bauholz. In der Nähe eines berühmten alten Tempels trafen wir die Gefangenen mit der Erstellung eines weitläufigen, von einem Bergbach durchflossenen Parkes beschäftigt in anscheinend nur wenig beschränkter Bewegungsfreiheit. Der Lagerkommandant, der mit einer gewissen Genugtuung auf die nützliche und wohltätige Geschäftigkeit seiner Gefangenen hinweist und sie nach Kräften fördert, hat noch verschiedene andere Unternehmungen auf seinem Programm, darunter eine Whiskybrennerei. Für Turnen und Sport, Tennis, Fußball ist sehr reichlich Platz vorhanden, auch außerhalb des Lagers; selbst eine deutsche Kegelbahn fehlt nicht. Vier verschiedene Musikkapellen machen einander Konkurrenz, und ein Gefangener meinte scherzhaft, die Musik sei eigentlich die größte Lagerplage. Die Darbietungen des Orchesters, das zu dem uns dargebotenen Mittagessen spielte, dürften sich überall hören lassen. Für Theatervorstellungen sind ebenfalls tüchtige Kräfte vorhanden und üben fleißig. Die Lagerbibliothek zählt 6.000 Bände, die häufigen Gebrauch verraten; neuer Zufluss wird eben immer spärlicher.

Der Gesundheitszustand ist gut. Schwere Krankheitsfälle werden in das Garnisonslazarett Tokushima gebracht, zur Zeit unseres Besuches waren keine dort. Im Revier befanden sich drei Tuberkulosen, einer mit Rippenkaries. Vier Geisteskranke, die von Matsuyama übernommen wurden, waren vorübergehend etwas gebessert, einer ist aber zur Zeit wieder sehr mühsam. Genaueres enthält die Liste der Kranken und Invaliden am Schluss meines Berichts. Es sind im Lager drei Todesfälle vorgekommen, an Tuberkulose, Darm- und Bauchfellentzündung und einer durch Ertrinken, wobei Selbstmord unwahrscheinlich ist. Eine wohlorganisierte Krankenkasse ergänzt den offiziellen Sanitätsdienst in höchst wirksamer Weise, sie ist völlig Schöpfung der Gefangenen und wird ausschließlich von diesen gespeist. Erleichterung der Beschaffung von Arzneimitteln und der schriftlichen Konsultation früherer Hausärzte wurde gewünscht. Der rangälteste deutsche Offizier [Kleemann] beschäftigt sich besonders eingehend mit dem Gesundheitszustand der Leute. Er scheint es hervorragend zu verstehen, auf taktvolle Weise seinen Wünschen Geltung zu verschaffen und sich mit den Lagerbehörden zu verständigen.

Geklagt wurde über die immer steigenden Preise der Lebensmittel.
 

Liste von Invaliden und Kranken


 

Liste beförderter Eingaben

Krankenliste und Krankenkassenbericht [siehe unten] mit allerlei Wünschen, auch in Hinsicht auf Zuchthaus Takamatsu [siehe unten].
 

Krankenbericht des Lagers Bando

[a] Halb- und Ganz-Invalide, die austauschfähig sind, resp. im Februar 1917 ausgetauscht werden sollten.

[b] Nerven und Geisteskranke

[c] Dauerkranke, deren Leiden eine energischere resp. Spezialbehandlung erfordert

Elf Mann wurden in Matsuyama im Juni 1916 infolge Ansteckung geschlechtskrank; ihr Anfangsleiden, Tripper, wurde teilweise im Revier oder im Lazarett Matsuyama behandelt, jedoch ohne endgültigen Erfolg. Nach der Verlegung des Lagers nach Bando – April 1917 – setzte eine weitere, mehr oder minder zeitlich ausgedehnte Behandlung im Revier mit verschiedenen Mitteln ein, trotzdem sieht sich heute keiner der Leute tatsächlich als geheilt an. BIutproben wurden von einigen der Leute genommen, die laut Wassermann'scher Reaktion auf Syphilis hindeuten, sodass die übrigen Leute sehr niedergeschlagen sind, da sie dasselbe Ergebnis befürchten.
Da nach 2-jähriger Behandlung das Leiden bei den meisten der oben angeführten Leute nicht behoben, sondern eher schlimmer geworden ist, ist eine energischere Spezialbehandlung am Platze.

Da fast die Hälfte des Lagers aus alten Ostasiaten besteht – Landwehr und Reserve –, die sich zum Teil schon seit 10 Jahren und länger hier draußen aufgehalten haben, liegt es nahe, dass sich solche Leute bei vorkommenden Krankheiten gern brieflich mit ihrem früheren Privatarzt in Verbindung setzen möchten, der ihren Körper und dessen Gebrechen durch die jahrelange Behandlung genau kennt. Wir bitten höflichst bei dem Lagerkommandanten, Herrn Oberst Matsue, die Erlaubnis zu erwirken, uns in solchen Fällen mit Herrn Professor Dr. von Schab in Schanghai und mit Ihnen, Herrn Dr. Paravicini, brieflich in Verbindung setzen zu dürfen.
 

Ernährung und Unterkunft der bestraften Gefangenen im Zivil-Gefängnis in Takamatsu

Nach Aussagen von Mannschaften, die nach verbüßter Strafe von Takamatsu ins Lager zurückgekommen sind, ist die Ernährung im Gefängnis vollkommen unzureichend. Beschwerde des Seesoldaten B. während seiner Haft über das Essen hat dazu geführt, dass er in Ketten gelegt wurde. Das Essen wurde nicht besser. Die Hygiene im Gefängnis ist absolut ungenügend: Ratten und anderes Ungeziefer sind eine unerträgliche Plage in der Zelle.

Der Besuch des deutschen Geistlichen ist seit November 1917 vom japanischen Justizminister nicht mehr erlaubt, und bitten wir höflich dahin zu wirken, dass die Seelsorge wieder aufgenommen wird.

Die nach längerer Strafe zurückgekehrten Leute waren körperlich und geistig vollkommen heruntergekommen; einer von ihnen, der Gefreite S., leidet seitdem unter starken seelischen Depressionen.
 

©  für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
Zuletzt geändert am .