Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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In japanischer Gefangenschaft

Aus dem Buch von Moritz Pfeiffer
 

Der Stabsveterinär (Tierarzt) Moritz Pfeiffer wohnte und arbeitete 1902-1914 in Schantung bzw. Kiautschou. Wie er in seinem Erinnerungsbuch "Die Welt des fernen Ostens" (1923) schrieb, hat ihn das "zum treuen Freund der Chinesen gemacht". Die Zeit der Gefangenschaft hingegen hat er negativ beurteilt, und zwar so sehr, dass ihm dazu - drei Jahre nach der Entlassung - kaum Positives einfiel. Er bemühte sich nicht um eine objektive Darstellung, sondern brachte zum Ausdruck, was viele andere Schicksalsgenossen im Offiziersrang gedacht und berichtet haben.

Der folgende Bericht gibt die Seiten 211-226 des Buches wieder. Der Redakteur hat Schreibfehler korrigiert und Anmerkungen in [...] oder als Fußnote hinzugesetzt. Die Überschriften zu den Abschnitten 2, 3, 4, 6 und 7 stammen vom Autor (S. 211 oben), die beiden zusätzlichen vom Redakteur, der auch die Nummerierung vorgenommen hat.
 

Übersicht

  1. Irrige Auffassungen
  2. Kumamoto
  3. Das Konzentrationslager Kurume
  4. Allerlei Enttäuschungen
  5. Entlassung und Abreise
  6. Pulo Wei
  7. Wieder zu Hause
 

[1. Irrige Auffassungen]

Dort, wo wir in vergangenen Zeiten manch schöne Urlaubswochen verlebt hatten, sollten wir jetzt als Kriegsgefangene lange Jahre hindurch vegetieren. Doch noch glaubten wir dem, was unsere "Besieger” uns sagten, noch waren auch wir befangen in unseren Ansichten über die sprichwörtliche Liebenswürdigkeit der Japaner.

Wie sollten wir enttäuscht werden! Und wir sind jetzt noch verwundert, allenthalben in Deutschland die Ansicht verbreitet zu finden, daß das im Glorienschein der Ritterlichkeit stehende japanische Volk uns dieser Tugend entsprechend behandelt habe.

Nichts wäre falscher, als diese irrige Auffassung unwidersprochen zu lassen.

Die Seele des Ostasiaten verschleiert ein undurchsichtiges Gewebe,1 aus dem stellenweise glänzende Punkte hervorblitzen, deren Leuchten uns leicht zum Glauben veranlaßt, daß hinter diesem Schleier das Gold reiner Gesinnung und Edelsteine seltener Tugenden verborgen wären. Gerade wir Deutschen, wir jetzt in der ganzen Welt als Hunnen verschrieenen Germanen, hatten früher und haben leider auch heute noch, nach den harten Schicksalsschlägen, die stets als Nationaltugend gegeißelte Neigung, alles Fremde höher einzuschätzen als das uns Eigene, Angestammte. Diese Eigenschaft verführt uns weiter dazu, über Fehler des Ausländers nicht nur hinwegzusehen, sondern auch das, was wir beim Landsmann als Ungezogenheit empfinden würden, beim Fremden als nicht nur nicht störend, sondern eher als interessant anzusehen.

Mancher von uns ist mit diesen Anschauungen über das Gelbe Meer in die Gefangenschaft gezogen; mancher lebte in dem Gedanken, Japan werde für ihn womöglich ein angenehmer Aufenthalt werden; der lächelnde Puppensieger,2 mit seinen höflichen Redensarten und dem stets um sein fletschendes Gebiß spielenden Grinsen, würde auch in seinem Lande der vornehme Mann bleiben, als welchen er ihn, aus der schöngefärbten Literatur über Ostasien, kennengelernt hatte. Wie konnte das auch anders möglich sein?

Viele von uns kannten ja Japan von früher, waren in diesem wunderschönen Lande gereist, und hatten für ihr schönes, teures Geld Land und Leute bewundert, ja liebgewonnen. Seltene Kunstarbeiten, die sie dort erstanden, erfreuten immer wieder aufs neue ihr Auge und verleiteten sie zu der irrigen Annahme, daß ein auf so hoher Kulturstufe stehendes Volk auch seinen entsprechend vornehmen Charakter haben müsse.

Lafcadio Hearn3 hatte viele betört, er der Vielgewanderte, der von Geburt bereits zwei widerstreitende Naturen in sich trug, er, der von einer Griechin einem Engländer Geborene; er, der sich über den kalten Egoismus Amerikas hinfand zu dem glühend altruistischen Mystizismus Buddhas, um als Japaner zu sterben! So wie Hearn das Land der aufgehenden Sonne, an das ihn später enge Familienbande knüpften, schilderte, so wie er in jedem japanischen Bauernmädchen eine zarte Blume voll angeborener, unnachahmlicher Grazie bewunderte, so glaubte auch mancher von uns ein Land köstlicher Schönheiten und verfeinerter Kunst- und Naturgenüsse, voll liebenswürdiger Menschen zu finden. Aber die rauhe Wirklichkeit belehrte alle anders! Hinter geschickt aufgemachten Äußerlichkeiten des gelben Kulturträgers kam der Tatar sehr bald zum Vorschein.
 

2. In Kumamoto

Nach Kyuschu, der südlichsten Insel Japans, brachte man uns. Hier in Kumamoto, wo Lafcadio Hearn lange Jahre gelebt, sollten wir das erste Halbjahr unserer Gefangenschaft verbringen.

Zu Füßen des alten gewaltigen Kastells der Daymios von Hiogo,4 dessen trutzige Quadermauern und feste Türme aus luftiger Höhe herabschauen, breitet sich Kumamoto weit aus. So groß und majestätisch dieses Landschaftsbild mit den rings aufsteigenden, grünen Bergen war, überragt von dem nicht fernen Aso, dem mächtigen Vulkan, der täglich seine Rauchhaube veränderte, so kleinlich und entwürdigend war unsere Behandlung.

Man hatte Offiziere und Mannschaften getrennt untergebracht. Dies war für beide Teile angenehm, da vor allem so der zur Verfügung stehende Raum besser ausgenutzt werden konnte.

"Schu fu schan” stand über der buddhistischen Tempelhalle, die, inmitten von alten Grabsteinen, am träge fließenden Shirakawa liegend, unsern Leuten als Unterkunft diente. "Schu fu schan” (Berg des Glückes und des langen Lebens)! Unvergeßlich ist mir der erste katholische Gottesdienst, den dort ein schwarzbärtiger französischer Geistlicher hielt.5 Hinter dem leuchtenden Altar auf der Treppe gähnte das Dunkel des Tempelinnern, während draußen, über grauen Grabsteinen, über frühlingsfreudigen Kirschblüten, ewiggrünen Kryptomerien und fettsaftigen Kamelienbäumen gleißender Sonnenschein lag. Das Bild des Todes und darüber die ausgegossene Lebenslust! Das Schu fu schan des erstarrten, im Nirvana sein höchstes Endziel suchenden Buddhismus, und das glänzende Kreuz des lebenden und schaffenden Christentums. "Berg des Glückes und des langen Lebens.”
 

3. Das Konzentrationslager Kurume

Nur sechs Monate dauerte unser Aufenthalt in Kumamoto, dann brachte man uns nach Kurume, der nächsten großen Garnisonstadt, wo man mehrere Lager vereinigte.6 In strömendem Regen verkündeten, von einer hohen Kiste herab, ein Major und ein in seinem europäischen Anzug geradezu verboten aussehender Dolmetscher dem im Schlamme steckenden ehemaligen Kriegsvolk, daß die japanische Regierung beschlossen habe, Konzentrationslager anzulegen. Und dann stapften wir, vorsorglich bewacht von einem Haufen Soldaten, die vor unseren Augen scharf geladen hatten, durch den Schmutz der Landstraße hinaus nach dem Lager. Das war nichts anderes als ein von hohem Bretterzaun umgebenes, durch Stacheldraht und viele Posten gesichertes Gefängnis. Wie oft habe ich dort an die Verbrecher in Manila gedacht, wie habe ich die Insassen von Bilibid7 um ihre Bewegungsmöglichkeit und ihre geistige Unterhaltung beneidet!

Wie wären wir schon zufrieden gewesen, hätte statt des undurchsichtigen Zaunes nur Stacheldraht uns umgeben, wie es in dem von Japan als Musterlager errichteten "Gefangenenheim” Bando der Fall war. Dieses Lager hatte das Glück, stets einsichtige Kommandanten zu haben.8 Erschienen irgendwo in deutschen Blättern Bilder aus japanischen Kriegsgefangenenlagern, so stammten sie meist von dort. Bando war das Paradepferd, das überall vorgeritten wurde.

Um so mehr empfanden die übrigen Lager den Gegensatz. Kurume, die unangenehmste aller dieser Leidensstätten, beherbergte über 1300 Menschen auf denkbar kleinstem Platze. Sechzehn Mannschaftsbaracken und zwei Offiziersbaracken mit Küchen, japanischem Bureau und sonstigen Gebäuden waren aufs engste zusammengedrängt und von dem oben beschriebenen hohen Bretterzaune umgeben. Jahrelang - bis 1918 - war, abgesehen von seltenen Spaziergängen, die einzige tägliche Bewegungsmöglichkeit der schmale Weg zwischen Zaun und Latrinen, jahrelang drückten sich 1300 Menschen in einer Schlange ohne Ende vom frühen Morgen an ununterbrochen um die Holzbaracken, zwischen den stinkenden Kübeln der Latrinenreiniger hindurch. Lange vor dem Appell, der bis zum letzten Tage uns um sieben Uhr morgens und abends versammelte, lief dort der Kriegsgefangene auf und ab; im Winter um warm zu werden, da er in den Baracken jämmerlich fror, im Sommer um den Peinigern der Nacht, der unerträglich stickigen Hitze, den Moskitos und den Wanzen zu entfliehen. Als im Spätsommer 1918 ein Kommandant [Oberstleutnant Takashima?], der leider nach einigen Wochen nach Sibirien wegging, uns einen Platz in den Zaun mit einbezog, auf dem wir Fußball und Stockball (Hockey) spielen konnten, war die Freude groß.

Drei und ein halbes Jahr hat es gedauert, bis die unausgesetzten Bitten und Vorstellungen seitens des Lagers, unterstützt durch den verdienstvollen Vertreter der Siemens-Schuckertwerke, Herrn Drenckhahn, es fertigbrachten, daß das Lager wenigstens um einen kleinen Sportplatz vergrößert und uns ein Grundstück auf der Außenseite des Zaunes gegeben wurde, auf dem wir Gemüse anbauen durften.

Zwar hatte der amerikanische Botschaftssekretär [Sumner Welles], der in Vertretung "unserer Interessen” einige Male das Lager besuchte, angeblich auch dementsprechend gewirkt. Doch einen sichtbaren Erfolg konnten wir nicht feststellen.9

Eine offen schlechte Behandlung wurde natürlich so gut es ging von den Japanern vermieden. Man wollte das "Kulturvolk" sein, man wollte sich nicht sagen lassen, daß man hinter den europäischen Nationen zurückstände.

Aber in der Politik der Nadelstiche waren sie Meister. Es wurde jedem einzelnen immer wieder vor Augen geführt, daß er ein völlig rechtloser Gefangener war. Oft dauerte es sechs Monate, ehe auch nur einer von uns zu einem Ausgange den Fuß vor das Lagertor setzen durfte. Durften wir aber einmal spazieren gehen, dann gingen wir stets in der großen Masse, gewöhnlich in Staubwolken gehüllt, von Soldaten mit Gewehr und von Polizisten bewacht. Die letzteren bewachten nicht nur uns. In Japan besteht, bei der Eifersucht zwischen Militär und Polizei, auch ein scharfes Beobachtungssystem der Soldaten durch die Sicherheitsbehörde.

Die gerühmte ritterliche Gesinnung des japanischen Offiziers zeigte sich in grellstem Lichte bei unserem Verkehr mit dem Bureau. Geringschätzige, entwürdigende Behandlung mußten sich Offizier und Mann gefallen lassen. Zweimal in der Woche gab es eine Gesuchsstunde, während deren man an das Fenster des Hauptmanns herantreten konnte. Der Kommandant, besonders der letzte, bekümmerte sich überhaupt um nichts. Was der Hauptmann, ein roher, wüst aussehender Patron, anordnete, war Gesetz. Zwar stand dem Buchstaben nach der Weg zum Obersten jedermann frei; doch in Wirklichkeit war es ein aussichtsloses Beginnen, auch nur zu versuchen, zu diesem Manne zu gelangen.10

Spaziergänge und Bewegung waren in den Augen der Gelben nicht etwas zur Gesunderhaltung von Körper und Geist Notwendiges, sondern wurde je nach Belieben bewilligt. Die Zensur arbeitete, wenn sie wollte. Drei, später zwei Zensoren faulenzten monatelang, ohne Berge von mittlerweile eingelaufener Post abzufertigen. Leider gab es auch unter uns "Schieber”, die ihre Post herausgesucht bekamen und deren Briefe gleich befördert wurden. Bei andern erreichten die durch Jahre hindurch regelmäßig abgesandten Zeitungen niemals ihren Adressaten, desgleichen kamen viele Briefe niemals in unsere Hände. Manchmal sperrte man uns die Zeitungspost für lange Zeit gänzlich.11

Jahrelang durften wir auch keine der in Japan erscheinenden englischen Zeitungen halten. Dann wurde ein Abkommen getroffen, dahingehend, daß der "Japan Chronicle” ein Blatt "Telegramme” für uns herausgab, in dem aber keinerlei Nachricht über Ostasien stehen durfte. Denn man war ängstlich bemüht, nichts vor unsere Augen kommen zu lassen, was irgendwie die Verhältnisse, besonders die Haltung Chinas zu Japan, beleuchtete. - Jeglicher Verkehr zwischen Offizieren und Mannschaften war verboten. Dieses Verbot ließ sich, da wir eng aneinander wohnten, nicht durchführen, und wurde auch nicht beachtet. Eine der größten Niederträchtigkeiten war das Verbot jeglicher körperlichen und geistigen Betätigung. Unsere Leute durften lange Jahre kein Werkzeug besitzen, sie durften, bis anderthalb Jahre vor dem Weggang, keinerlei Vorträge, weder unter sich, noch von uns hören und durften nicht zu Unterrichtskursen zusammenkommen. Man wollte uns geistig töten.

Nichtsdestoweniger wurden, auch während dieser Jahre, eine Reihe von Vorträgen gehalten. Um rechtzeitig gewarnt zu werden, hatten wir dann Posten ausgestellt.

Die japanischen Wachen liefen Tag und Nacht durch die Holzbaracken, mit ihren schweren, ungewohnten Nagelstiefeln fest aufstampfend. Oft wurden wir vier- bis fünfmal mitten in der Nacht geweckt. Dann sahen die Krieger des Mikado, beim Schein ihrer Laterne, sich noch alles genau in den Stuben an, begutachteten die Bilder an den Wänden, um dasselbe Manöver einige Zeit später wieder von neuem aufzuführen.

Das Essen der Mannschaften - die Offiziere verpflegten sich selbst - war gänzlich unzureichend. So kam es, daß Zigaretten schlechtester Art, zum Schaden der Gesundheit, in Unmengen geraucht wurden, um des Hungergefühles Herr zu werden. Man gab unseren Leuten den Rationssatz des japanischen Soldaten, ohne Rücksicht darauf, daß der große Körper des Deutschen viel mehr für sich beansprucht. Das Deutsche Reich wußte es einzurichten, daß, durch Vermittelung von Siemens-Schuckert, namhafte monatliche Geldzuschüsse als "Liebesgaben” der Mannschaftsküche zuflössen.12 Trotzdem blieb die Verpflegung knapp.
 

4. Allerlei Enttäuschungen

Gar oft haben wir uns in den langen fünf Jahren der Kriegsgefangenschaft die Frage vorgelegt, weshalb sich keine Stimme zu unsern Gunsten in diesem Lande regte, das so viel in den einzelnen Wissenschaften, in der Medizin sogar alles, Deutschland zu verdanken hat. Keiner von all den Leuten, die früher deutsche Gastfreundschaft genossen, die auf deutschen Universitäten, in deutschen Regimentern waren, wagte es auch nur zu versuchen, unsere Lage günstiger zu gestalten. Dies war um so unverständlicher, als ja Japan mit der Einnahme Tsingtaus - abgesehen von seinen paar Schiffen im Mittelmeer - gänzlich aus den Kriegsoperationen ausschied.

Jetzt, nachdem der Krieg beendet ist [1923], wird wieder mit dem Schlagwort der "Internationalität der Wissenschaft” gearbeitet. Telegramme, in denen von "Förderung der Wissenschaft”, von "Pflege der Kultur und Zivilisation” die Rede ist, kommen von drüben; Geldspenden, die bei dem wahnsinnigen Valutastande in unsere Papiermark übersetzt, schnell große Zahlen ergeben, sollen den guten Willen zeigen, zu helfen, sollen beweisen, daß das edle Herz des Japaners nie aufgehört hat, für Deutschland zu schlagen. Und was ist des Pudels Kern, was steckt hinter all dem, was will der Japaner, dem nichts ferner liegt als Uneigennützigkeit?

Nun, der Erfahrungen des Krieges möchte man möglichst billig auf allen Gebieten teilhaftig werden. Genau wie vor dem Kriege wollen die gelben Herren wieder an unseren hohen Schulen, in unseren Laboratorien arbeiten und herumschnüffeln. Die Medizin soll vorläufig herhalten, um die Verbindung herzustellen. Die technischen Wissenschaften - worauf es ihnen viel mehr ankommt -, die Spionage in unseren Fabriken, werden selbstverständlich ganz unauffällig hinterherkommen. Das nennt dann der Japaner "Förderung der Wissenschaft”.

Was aber die "Pflege der Kultur und Zivilisation” anbetrifft, wovon ebenfalls in jenen, von den ersten Ärzten Japans unterzeichneten Telegrammen die Rede war, so wird jeder der Tausende von Kriegsgefangenen, die fünf Jahre lang die Früchte japanischer Kultur und Zivilisation genießen mußten, mit mir darin einig sein, daß das Land der aufgehenden Sonne ruhig das behalten soll, was es von beiden hat. Wir brauchen nichts davon einzutauschen.

Keiner von den maßgebenden Medizinern, deren Namen unter den Telegrammen stehen, bemühte sich jemals, irgendwie unser Los zu mildern, oder anzuregen, daß unsere Leute besser verpflegt, mehr der "Kultur und Zivilisation” entsprechend behandelt werden sollten. Bekannt war es diesen Herren zweifellos, in wie wenig hygienisch einwandfreier Weise wir untergebracht waren, wie die Wanzen überhand nahmen, die Ratten alles, was nicht verschlossen war, auffraßen und wie dieses ekle Ungeziefer nachts dem Schläfer übers Gesicht lief. Das sind nur Dinge, die den Arzt angehen, die durch Einspruch eines der maßgebenden, jetzt wieder so deutschfreundlichen Mediziner hätten geändert werden können und hätten geändert werden müssen.

Und nun zu der übrigen Behandlung. Die einzigen Menschen, durch die wir mit der Außenwelt in Verbindung kamen, waren die Missionare. Sie mußten bei ihren Besuchen, oft nach langem Warten, es sich gefallen lassen, daß ihre Predigten erst zensiert wurden. Während des Gottesdienstes räkelte sich dann noch irgendein Dolmetscher auf dem besten Platz herum, neugierig das Ganze als Schauspiel betrachtend.

Die Herren beider christlicher Konfessionen haben sich außerordentliche Mühe gegeben und sich sehr große Verdienste um uns erworben.

Eine große Freude brachte uns der Besuch eines schwedischen Pfarrers, der in wärmsten Worten uns Trost und Hoffnung zusprach. Ein frischer Zug von Heimatsluft strömte von ihm aus. Eine hohe, jugendliche Erscheinung mit einem großen Maße persönlichen Liebreizes, so stand er an jenem verschneiten Januartage des Jahres 1918 vor uns und gewann sich rasch einen Platz in den Herzen der Kriegsgefangenen, die ihm mit Tränen in den Augen zuhörten. Die Heimat zauberte er uns vor Augen, die Lieben, die dort unserer warteten. Von den Heldentaten der Brüder und Väter erzählte er, von der aufopfernden Arbeit der Schwestern und Mütter und der großen Not der in Sibirien schmachtenden Volksgenossen.

"Wer aber das Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten.” Diese Worte des Evangeliums Johannis vom Jakobsbrunnen hatte er seinen Ausführungen vorausgeschickt. Große Worte fand er, um uns zu sagen, daß das Wasser der Erlösung uns aus vielen Quellen ströme, aus der Freundschaft, aus der Macht der Musik, aus den gewaltigen Gedanken unserer Geistesheroen; daß ein Volk, das einen Goethe hervorgebracht, nicht untergehen könne; daß die Schöpfungen eines Richard Wagner, die die Welt erobert und bezaubert, uns über vieles in unserer Lage hinwegtrösten könnten. Eine wundersame Erfrischung ging von dem Manne aus, ein unvergeßliches Bild. Ringsum schneebedeckte Dächer, Übergossen von heller Sonne, und inmitten all dieses flimmernden Glanzes das leuchtende Auge dieser frischen, elastischen Gestalt, die durch die Innigkeit des lebendigen Wortes an alle Seelen rührte. Die ehemaligen Kriegsgefangenen von Kurume werden des Herrn Neander von Uppsala niemals vergessen.13

Unsere Lage jedoch wurde durch derartige Besuche in nichts gebessert. Kam auch der Vertreter des amerikanischen Botschafters und später der des Schweizer Gesandten und hörten sich die zahlreichen vorgebrachten Beschwerden an - geschehen ist daraufhin nichts. Und dabei handelte es sich nicht nur um Kleinigkeiten, nicht nur um boshaft kindische Nadelstiche! Trotz aller Vorstellungen waren körperliche Mißhandlungen unserer Leute gang und gebe. Rohes Schlagen seitens der japanischen Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften war jahrelang an der Tagesordnung. Gewöhnlich wurden einige Posten mit Gewehr neben den Deutschen gestellt, bevor man ihm ins Gesicht schlug. Auch Offiziere von uns wurden geschlagen, und nicht etwa ohne Wissen, nein im Beisein und mit Willen des Kommandanten!

Das Arrestlokal, eine Holzbude wie alle unsere Baracken, nur mit dem Unterschied, daß es einfache, nicht doppelte Holzwände hatte, war ein menschenunwürdiges Gelaß, in dem oft der arme Eingesperrte erst verprügelt wurde. Im Winter fror der Arrestant zum Gotterbarmen, im Sommer plagte ihn das Ungeziefer. Seine leiblichen Bedürfnisse mußte er in dem Gelasse, sowohl bei tropischer Hitze als auch bei bitterer Kälte, verrichten. Und manchmal saßen Leute zwanzig auch dreißig Tage in diesem Hundeloch. Fluchtversuche wurden nur mit Zuchthaus bis zu drei Jahren bestraft. In Einzelhaft, ohne Beschäftigung, fielen die Betroffenen dem Stumpfsinn anheim. Auf inständiges, langes Bitten ließ man sie später Netze stricken.

Doch trotz der "ritterlichen" Behandlung ließen wir uns nicht unterkriegen. Wie schon erwähnt, wurden Vorträge gehalten. Bald bildeten sich Turngesellschaften, die sich Geräte besorgten und jede freie Ecke des Lagers für ihre Zwecke ausnützten. Es wurde geboxt, gerungen, Tennis gespielt und später auf dem neuen Platze Fußball, Stockball und Schlagball geübt.

Eine Bühne bauten wir uns in den Appellplatz hinein, und oft haben unsere Künstler uns mit vortrefflichen Aufführungen erfreut. - Ganz besonders gut besetzt war unser Musikorchester, das unter langjähriger Leitung eines Dr. Vogt, früheren Rechtsanwaltes aus Tokyo, uns durch ausgezeichnete Musik über manche schwere Stunde hinweghalf. Eine im letzten Jahre in Szene gesetzte Ausstellung - man hatte dazu den Mannschaften das Handwerkzeug freigegeben - zeigte, welch' große Arbeitskraft und Arbeitswilligkeit sich immer noch bei uns erhalten hatte.14 Techniker, Kunsthandwerker und Künstler stellten hier die Früchte ihrer Tätigkeit aus. Da strömten Schulen, Zivil und Militär ins Lager und staunten deutschen Fleiß und deutsches Können an. Der Kommandant aber stolzierte, eitel wie ein Pfau, dazwischen einher und tat so, als ob das, was dort geschaffen, sein Verdienst sei.

So bemühten wir uns, die Lage, in die ein unerbittliches Geschick uns hineingezwungen, einigermaßen erträglich zu gestalten. Aber wir können dennoch nicht umhin, uns immer wieder gegen die vielverbreitete Ansicht zu wenden, daß Japan seinen Ehrenkodex, den deutschen Kriegsgefangenen gegenüber, in die Tat umgesetzt hätte.
 

[5. Entlassung und Abreise]

Doch als die heißersehnte Abschiedsstunde schlug, da wurde die Kralle in ein Samtpfötchen zurückgezogen, da glaubte man in fünf Minuten gutmachen zu können, was man in mehr als ebensoviel Jahren an uns gesündigt hatte. In allen Lagern sagten die Kommandeure das von Tokyo allgemein vorgeschriebene Abschiedssprüchlein auf.

"Der Feind von gestern ist der Freund von heute", hieß es da, und mit viel Nachdruck schlossen diese denkwürdigen Ansprachen mit der schönen Phrase, daß die beiden alten Kulturvölker Deutschland und Japan in Zukunft berufen seien, die Welt wieder neu aufzubauen.

Und gut war es, daß wenigstens in einem Lager der deutsche Lagerälteste, der allseitig verehrte Kommandeur des III. Seebataillons,15 Oberstleutnant von Kessinger, darauf als Antwort schrieb: "Nach all den Vorfällen der letzten fünfeinhalb Jahre, nach all den Quälereien, kurzum, nach der Art der Behandlung, die uns in Japan zuteil geworden, seien wir, die Kriegsgefangenen, nicht die gewünschten Vermittler zwischen Ost und West, seien wir, die mit überquellendem Groll im Herzen Scheidenden, nicht das Medium, das man suche, um die Idee nach Deutschland zu tragen, daß der Feind von gestern der Freund von heute sei, daß Deutschland nun freudestrahlend in die weitgeöffneten Arme Japans fallen möge, daß wir alles das, was wir erlitten, nun plötzlich vergessen könnten.”

Bis zur letzten Stunde verleugnete man nicht die echt japanische Kleinlichkeit und die sinnlose Ängstlichkeit, mit der man an jede Aufgabe dortzulande herantritt. Das, was den Menschen erst selbständig und arbeitsfreudig macht, die eigene Verantwortung, wird außerordentlich gescheut. Und in Tokyo, von wo man die Befehle erhielt, schien es nicht anders zu sein. Von durchdachter Organisation war jetzt vor unserem Abtransport ebensowenig zu merken, als während der fünf Jahre unserer Gefangenschaft. Ordre, Kontreordre, Desordre.

In der Neujahrsnacht brachte man uns zum Einschiffungshafen Moji, wo der Lagerkommandant den endlosen Zug der mit Kisten und Koffern bepackten Gefangenen, am dunklen Morgen, durch die Stadt den Berg hinaufschleppte. Dort, in einer großen Halle der Y. M. C. A.,16 bricht für uns der 1. Januar 1920 an, der Tag, der uns endlich erlösen sollte. In hohem Seegang gelangen wir an Bord und fahren durch die Inlandsee nach Kobe. Zum ersten Male nach langen Jahren gingen wir hier wieder als freie Menschen über die Berge, ohne das blitzende Bajonett des Postens neben uns. Dann kehrten wir, ach nur zu gerne, Japan den Rücken, fuhren hinaus in den Stillen Ozean, entlang an der Küste von Shikoku, und in Sicht der hohen Berge von Kiushiu durch die Van-Diemen-Straße und nahmen Kurs nach Südwest.

Da unser Schiff Ladung für Singapore hatte, liefen wir am zwölften Tage unserer Reise diesen Hafen an. An ein Betreten des Landes war natürlich nicht zu denken, da die englischen Kolonien durch Gesetze, die teilweise auch heute noch gelten, jedem Deutschen den Aufenthalt verbieten. Ein Polizeiboot umkreiste Tag und Nacht unser Schiff. Hier merkten wir so recht, wie man uns durch eine geschickte antideutsche Propaganda deklassiert, wie man die Verachtung der Welt auf uns gelenkt hatte, und selbst die braunen Inder uns als die kulturlosen Hunnen zu betrachten gelernt haben. Der Pressefeldzug des Lord Northcliffe hat uns, unserem Handel und dem deutschen Ansehen so schwere Wunden geschlagen, daß es für unsern Kaufmann übermenschlich schwer werden wird, im ehemals feindlichen Auslande wieder festen Fuß zu fassen.

Sieben Tage lagen wir auf der Reede von Singapore; sieben glühend heiße Tage brieten wir auf unserm kleinen Dampfer, angesichts der grünen Stadt. Der Hafen war voller Schiffe, sie kamen und gingen, ein bunter Wald von Flaggen aller Länder erneuerte sich täglich.

Eines Morgens zog ein mächtiger Dampfer an uns vorbei. Rheinland stand am Heck; es war unsere ehemalige Rheinland, doch als Heimathafen stand London darunter, und darüber wehte die englische Flagge. Und dann legte sich die Skandia, nicht minder stolz aussehend, an den Pier, und auch über ihr flatterte der Union Jack. Da ist manchem von uns eine Träne ins Auge getreten, und voll Wehmut und knirschender Wut gedachte er der Zeiten, in denen diese schönen Schiffe des deutschen Reiches Hoheitszeichen führten und Deutschlands Ansehen in der Welt zu mehren halfen. Vorbei, alles vorbei!

Ein Mann stirbt, und wieder wird uns so recht klar und deutlich gemacht, wie man uns verabscheut. Niemand von uns durfte die Leiche begleiten. So brachte der japanische Kapitän mit seinen Offizieren den Toten nach dem Krematorium und erwies ihm die letzte Ehre.

Ich will gerecht und in meinem Urteil vollkommen objektiv sein. Und da ich bisher mich bemüht habe, den Japaner so zu zeichnen, wie er in Wirklichkeit ist, ohne eine künstliche Retouche, die seine Kanten und Ecken abrundet und verschleiert, so sollen auch Vorzüge nicht ausgelassen werden.

Die angenehmsten Japaner, mit denen wir während der ganzen Zeit zu tun hatten, waren der Kapitän und die Offiziere der Himalaya Maru, mit der wir nach Hause fuhren. Bereitwillig stellte er sein Deck und den Salon uns Offizieren zur Verfügung, war stets entgegenkommend und freundlich. Und daß er in der Gluthitze Singapores, im schwarzen Gehrock und Zylinder, über eine deutsche Meile weit, hinter dem Sarge unseres Kameraden zum Krematorium ging, das haben wir ihm hoch angerechnet und soll ihm nicht vergessen werden.
 

6. Pulo Wei

Ein einziges Mal kamen wir während unserer zwei Monate dauernden Reise ans Land; das war in Sabang, einer holländischen Siedlung auf Pulo Wei, der Sumatra im Norden vorgelagerten Insel. Ein großes, rundes Becken, eingefaßt von bewaldeten Bergen, bietet der Hafen einen außerordentlich geschützten Aufenthalt. Auf verhältnismäßig schmalem Uferstreifen befinden sich riesige Anlagen zum Verladen von Kohle, die Geschäftshäuser und die Wohnungen der indischen Händler. Dann führt der Weg steil hinan, und in üppigster Tropenvegetation liegen die Wohnhäuser, die ganz leicht und luftig in Holz gebaut sind, versteckt. Überall wachsen die prächtigsten Früchte und werden für billiges Geld angeboten. Blumen in allen Farben und Größen glühen durch das Grün der Palmen, buntgefiederte Vögel wiegen sich in feuerfarbenen Büschen - es ist eine Traumwelt, ein Paradies.

Aus dem unergründlichen Auge des Berges, dem großen See, strömt das Wasser in ein großes, ummauertes, märchenhaft schönes Schwimmbad, über dem sich das Blattgewirr der mächtigen Bäume so dicht zusammenschließt, daß kein Sonnenstrahl in diese smaragdne, kühle Kuppel eindringen kann.

An einem Abend hatten die gastlichen Holländer uns in den Klub eingeladen. Von dem auf der Hügelnase errichteten Gebäude bietet sich ein besonders in der Nacht wunderschöner Blick hinunter in das Hafenbecken, mit den schimmernden Reflexen der Schiffslichter.

Eine Anzahl unserer Leute, lauter junges, gesundes Blut, ist hier geblieben, um in holländische Dienste einzutreten. Teils gingen sie auf Plantagen, teils in Fabriken und Bergwerke.

Doch viele nahmen auch den Werbeschilling der niederländischen Kolonialarmee, um als Polizeisoldaten hier zu bleiben. Es ist anzunehmen, daß es manchem schon recht bald leid geworden ist. Denn die weißen Soldaten, die man hier sah, boten recht schlimme Anblicke, die uniformierten Farbigen machten durchweg einen viel besseren Eindruck. Es wirkte abstoßend, zu sehen, wie weiße holländische Soldaten mit ihren braunschwarzen Weibern, die übrigens recht gute Figuren hatten, mehr oder minder betrunken herumzogen. In den Kasernen hausten die Familien der Eingeborenen und der Europäer zusammen. Da kugelte sich der drollige, kleine Nachwuchs nackt im Grase herum und zeigte alle Farbenschattierungen zwischen kräftigem Kaffeebraun und blondhellem Weiß. Die elegante Fesselung, der edle Wuchs und der graziöse Gang der eingeborenen Weiber, besonders aber der Mischlinge stach angenehm gegen die sehr zu weichlicher, quabbeliger Fülle neigenden Holländerinnen ab, die in dem heißen Klima nur zu gern auf die einengenden, Figur und Haltung mitbestimmenden Hilfsmittel der modernen Frau verzichten.

Als die Dampferschraube das grüne Wasser zu weißem Gischt aufpeitschte und wir den letzten Blick auf dieses reizende Fleckchen Erde warfen, da waren unsere Herzen schwer. Wie wohl hatte uns die warme Aufnahme, die wir hier gefunden, getan, wie hatten diese zwei Tage würziger Luft beim Herumlaufen in den Waldbergen uns erfrischt, unseren Lebensmut wieder neu angefacht. Nun sollten wir weitere sechs Wochen nur an Bord zubringen, oft das Land in greifbarer Nähe sehen, ohne wieder festen Boden unter uns zu fühlen, bis wir die Heimaterde betraten.

Die Eintönigkeit des Bordlebens umfing uns wieder.
 

7. Wieder zu Hause

An Ceylons Südspitze schaute aus schweren Wolken der Adamspeak hervor; die Palminseln der Malediven glitten vorüber, und nur das Spiel der Delphine bot etwas Ablenkung. Es ist ganz auffallend, wie wenig von dem vor dem Kriege so regen Schiffsverkehr im indischen Ozean zu sehen war. An Sokotra ging's vorbei, und zwei Tage später liefen wir abends in die Straße von Bab el Mandeb ein: das Rote Meer nahm uns auf. Nackte, hohe Felseninseln halten mit glühenden Augen nachts Wache und im blendenden Sonnenschein des Tages flimmern die weißen Häuser und die hohen Minaretts von Mekka auf flachem Küstenstrich, hinter dem sich die kaffeetragenden Höhenzüge erheben. Hodeidas Feuer leuchtete uns und rief Erinnerungen wach an die kleine Schar der Emdenhelden, die unter der tapferen Führung Mückes hier mit ihrer Ayesha landeten. Mücke war uns allen bekannt von Tsingtau her, wo er uns so oft mit seinen musikalischen Vorträgen köstlich unterhalten hatte. Wie hatten wir uns in der Gefangenschaft gefreut, als wir von der Wikingerfahrt dieses prächtigen Mannes gelesen.17

Das Rote Meer machte seinem Rufe gar keine Ehre. Nicht nur war nichts von der sonst hier herrschenden Hitze zu verspüren, sondern von den kahlen Schroffen des Sinai wehte sogar ein recht winterlich gemahnender Wind, und als wir im Schutze des Djebel Attaka vor Anker gingen, lag auf seinem Haupte Schnee. Das ist ein Ereignis für Suez, welche Stadt übrigens sich im Laufe der letzten fünf Jahre mächtig vergrößert hat. Das Ostufer des Kanals wird von einer ununterbrochenen Reihe von Befestigungen eingefaßt: Infanteriewerke, Stacheldrahtverhaue und Geschützstellungen, die alle während des Krieges erst hier im Wüstensande entstanden sind. Große Lager berittener Truppen waren noch bei El Kantara, dort, wo der türkisch-deutsche Angriff auf den Kanal stattfand.

Auch um Port Said herum waren noch viele Lager vom Kriege her übriggeblieben. Die weißen Kegelzelte paßten sich dem hellen Wüstensande gut an. Auch eine Flottille kleiner Unterseeboot-Sucher lag hier vor Anker. Die Spuren der Tätigkeit der Unterseeboote sah man allerdings gleich beim Hafenausgang. Die Masten von nicht weniger als drei versenkten Schiffen schaukelten hier angesichts des Lessepsdenkmals in den schmutzigen Wogen.

Endlich waren wir im Mittelmeer, und die Heimat rückte immer näher. Eines Morgens wurden bei Sonnenaufgang die hohen Berge um Benghasi, die alte Zyrenaika, sichtbar. Dann schwand wieder das Land, die große Syrte höhlt die nordafrikanische Küste weit aus und der Höhenrücken von Malta, das trutzige Kastell von La Valetta tauchte vor unseren Augen auf.

Schlechtes Wetter setzte ein. Der Funkentelegraph meldete eine Treibmine in unserm Weg, und wir verließen daher die afrikanische Küste, nahmen Kurs auf Kartagena und gingen an der spanischen Küste herunter, an Kap de Gata vorbei, angesichts der hellweiß glänzenden Schneegipfel der Sierra Nevada, und eines frühen Morgens lagen wir vor dem mächtigen Felsenberge von Gibraltar. Es dauerte noch viele Stunden, ehe wir um den "schlafenden Löwen" herum und in die Bucht einlaufen konnten. Eng drängen sich die Häuser am Fuße des Berges zusammen, eingeschnürt durch eine hohe Mauer, die abends die Stadt von der Außenwelt vollkommen abschließt

Nur einige hundert Meter trennten uns vom Lande, und so konnten wir die Rennen und Karnevalsumzüge auf der vor uns liegenden Rennbahn verfolgen. Diese Rennen werden uns unvergeßlich bleiben. Zum ersten Male sahen wir wieder Europäer in Europa, das wir allerdings noch nicht betreten durften. Zum ersten Male waren wir, nach langer Zeit wieder, wenn auch unbeteiligte Zuschauer einer gesellschaftlichen Veranstaltung von Kulturmenschen. Es war, als ob die Heimat bereits mit ihrem Zauberstabe an unsere Herzen rührte. Dort gingen festlich gekleidete Menschen frei umher, Menschen mit weißer Haut, die sich angeregt unterhielten, die lachen und jubeln konnten. Wir, die wir das Lachen schon lange verlernt hatten, vergaßen unsere nähere Umgebung, vergaßen die Enge und Unbequemlichkeit des Transportschiffes und begannen bereits die hinter uns liegenden grauen Jahre des Elends zu überwinden angesichts dieses farbigen, sonnendurchwärmten Bildes, und wir hofften und glaubten auch wieder an eine schönere Zukunft.

Doch vorerst mußten wir durch den Nebel des Kanals, an Minenfeldern vorbei, immer in Gefahr, auf eine der drahtlos gemeldeten Treibminen zu laufen. Hollands eintönige, in graue Melancholie getauchte Küste glitt vorüber, und dann kam Haaks Feuerschiff mit der freudig begrüßten deutschen Flagge in Sicht. Noch eine Nebelnacht vor Anker und dann brauste im Schimmer des jungen Tages ein blitzschneller eiserner Windhund, das Torpedoboot V 79 längsseit und brachte die ersten Grüße der Heimat. Als Wangerooge in Sicht kam, setzten auch wir die deutsche Flagge, und von elementarem Jubel umtost, fuhr ein deutscher Flieger seine eleganten Kurven um das Schiff.

Wir waren zu Hause.
 

Anmerkungen

1.  Die "Undurchsichtigkeit" der Ostasiaten ist ein vulgärpsychologischer Topos, der in Variationen immer wieder auftaucht.

2.  Unverständlicher Begriff, sonst nirgendwo gebraucht.

3.  Der Schriftsteller Lafcadio Hearn hatte um die Jahrhundertwende großen Erfolg mit japanbezogenen Romanen, Geschichten und Sachbüchern, die ein stark idealisiertes Bild von Japan zeichneten.

4.  Richtig wäre "Daimyos von Higo"!

5.  Identität nicht bekannt.

6.  Außer Kumamoto wurden das Tempellager Kurume und das Nebenlager Koradai aufgelöst.

7.  Das "Old Bilibid Prison" war seinerzeit das größte Gefängnis der (amerikanisch verwalteten) Philippinen.

8.  Bando hatte von Anfang bis Ende nur einen Kommandanten.

9.  Andere Zeitzeugen berichten sehr wohl von Verbesserungen; der Autor kann dies aufgrund seiner generellen Einstellung nicht würdigen.

10.  Der letzte Kommandant hieß Watanabe. Der erwähnte Hauptmann wird z.B. von Karl Vogt völlig anders charakterisiert.

11.  Hier verschweigt der Autor, das Karl Vogt seit Herbst 1915 täglich (!) Kriegsberichte unter dem Titel "Der Rufer im Streite" herausgeben durfte, für die er die Zeitung "Osaka Manichi" sowie eine Lokalzeitung auswertete.

12.  Die "Liebesgaben" kamen, anders als der Autor schreibt, in überproportionalem Maße den Offizieren zugute, was für viel böses Blut in manchen Lagern sorgte.

13.  Der schwedische Pfarrer Herman Neander (1885-1953) hat in einem Buch von 1920 auch über seine Besuche japanischer Lager berichtet.

14.  Der Autor unterschlägt, dass bereits 1915 und 1916 solche - kleineren - Ausstellungen in Kurume stattfanden.

15.  Die Quelle für Kessingers Äußerungen ist nicht bekannt.

16.  [Fußnote im Original:] "Y. M. C. A. = Young Men's Christian Association. Die durch das Wirken englischer und amerikanischer Missionare in Japan sehr verbreitete Vereinigung christlicher junger Männer."

17.  Siehe aus der einschlägigen Literatur das Buch unseres Korrespondenten Addi Dreier: "Die Odyssee oder Der weite Weg zurück"(2005).
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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