Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt
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Ablieferung von Kriegsschiffen an Japan 1918/19
I. Deutsche U-Boote in Japan?!
Der Redakteur staunte nicht schlecht, als vor kurzem von dem Nachkommen des ehemaligen Gefangenen Josef Jung einige Bildpostkarten vorgelegt wurden, welche deutsche U-Boote im Hafen von Nagoya zeigen (siehe die folgenden Abbildungen, die beim Anklicken im Großformat erscheinen). Mit etwas Verzögerung fiel dann der Groschen: Es handelt sich um »Beute-U-Boote«, die aufgrund des Waffenstillstandsabkommens von 1918 an Japan abgeliefert worden waren. (Herzlichen Dank an unseren Freund Kiyoyuki KOSAKA für die Übersetzung der Beschriftung!)
Zu den abgebildeten »Beute-U-Booten« sind folgende technische Daten angegeben:1
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II. Zu den einschlägigen Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens und des VersaillerVertrages
Die vom alliierten Oberkommandierenden Marschall Foch am 11.11.1918 diktierten Waffenstillstandsbestimmungen enthielten auch »Bestimmungen hinsichtlich der [deutschen] Seemacht«.
Der U-Boot-Waffe wurde dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt:2
»XXII. — Den Alliierten und den Vereinigten Staaten sind alle zur Zeit vorhandenen Unterseeboote (alle Unterwasserkreuzer und alle Minenleger einbegriffen) mit ihrer vollständigen Bewaffnung und Ausrüstung in den von den Alliierten und den Vereinigten Staaten bezeichneten Häfen auszuliefern. Diejenigen, welche nicht auslaufen können, werden, was Personal und Material anbetrifft, abgerüstet und verbleiben unter der Bewachung der Alliierten und der Vereinigten Staaten.
Die fahrbereiten Unterseeboote sollen seeklar gemacht werden, um die deutschen Häfen zu verlassen, sobald Befehl für ihre Reise nach dem für ihre Auslieferung bestimmten Hafen durch Funkspruch eingegangen ist. Die übrigen folgen sobald als möglich. Die Bestimmungen dieses Artikels sind innerhalb 14 Tagen nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes durchzuführen.«
Darüber hinaus wurde festgelegt:
»XXIII. — Die Kriegsschiffe der deutschen Hochseeflotte, welche die Alliierten und die Vereinigten Staaten bezeichnen, werden sofort abgerüstet und alsdann in neutralen Häfen oder in deren Ermangelung in Häfen der alliierten Mächte interniert. Die Häfen werden von den Alliierten und den Vereinigten Staaten bezeichnet werden. Sie bleiben dort unter der Überwachung der Alliierten und der Vereinigten Staaten; es werden nur Wachkommandos an Bord belassen. Die Bezeichnung der Alliierten erstreckt sich auf: 6 Panzerkreuzer, 10 Linienschiffe, 8 kleine Kreuzer (davon 2 Minenleger), 50 Zerstörer der neuesten Typen.«
Durch den Versailler Vertrag vom 28.06.1919 wurde das (vorläufige) Ende der deutschen U-Boot-Waffe besiegelt.3 Artikel 181 legte fest, dass sich unter den künftigen Seestreitkräften »kein Unterwasserfahrzeug« befinden dürfe. Artikel 188 ergänzte:
»Nach Ablauf einer Frist von einem Monat nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrags müssen alle deutschen Unterseeboote ebenso wie die Hebeschiffe und Docks für Unterseeboote einschließlich des Druckdocks den alliierten und assoziierten Hauptmächten ausgeliefert sein. Diejenigen dieser Unterseeboote, Schiffe und Docks, die nach Ansicht der genannten Regierungen imstande sind, mit eigener Kraft zu fahren oder geschleppt zu werden, sind von der deutschen Regierung in die hierfür bezeichneten Häfen der alliierten Länder zu überführen. Die anderen Unterseeboote sowie die im Bau befindlichen hat die deutsche Regierung unter Aufsicht der genannten Regierungen vollständig abbrechen zu lassen. Der Abbruch muß spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrags vollendet sein.«
III. Abgelieferte Schiffe und deren Verbleib
In Ausführung des Waffenstillstandsabkommens wurden bis Anfang Dezember 1918 folgende 10 Schiffe an Großbritannien zur Weitergabe an Japan abgegeben:
Datum | Schiff | Verbleib |
---|---|---|
19.11.1918 | Torpedoboot S 60 | 1920 zum Abbruch verkauft |
19.11.1918 | Torpedoboot V 80 | 06.1920 zum Abbruch verkauft |
19.11.1918 | Torpedoboot V 127 | zum Abbruch verkauft |
21.11.1918 | Küsten-Unterseeboot UB 125 | als O 6 unter japanischer Flagge, jedoch 1921 abgebrochen |
22.11.1918 | Untersee-Minenleger UC 99 | als O 5 unter japanischer Flagge, jedoch 1921 abgebrochen |
26.11.1918 | Unterseeboot U 46 | als O 2 unter japanischer Flagge, jedoch 1922 abgebrochen |
26.11.1918 | Unterseeboot U 55 | als O 3 unter japanischer Flagge, jedoch 1922 abgebrochen |
26.11.1918 | Untersee-Minenkreuzer U 125 | als O 1 unter japanischer Flagge, jedoch 1922 abgebrochen |
01.12.1918 | Küsten-Unterseeboot UB 143 | als O 7 unter japanischer Flagge, jedoch 1921 abgebrochen |
01.12.1918 | Untersee-Minenleger UC 90 | als O 4 unter japanischer Flagge, jedoch 1921 abgebrochen |
Nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages erhielt Japan darüber hinaus weitere 5 Schiffe zugesprochen:
Datum | Schiff | Verbleib |
---|---|---|
07.04.1920 | Linienschiff Nassau | Schiff B, 06.1920 zum Abbruch verkauft |
13.05.1920 | Linienschiff Oldenburg | Schiff M, 06.1920 zum Abbruch verkauft |
20.08.1920 | Torpedoboot T 181 | zum Abbruch verkauft |
03.09.1920 | Kreuzer Augsburg | Schiff Y, zum Abbruch verkauft |
30.09.1920 | Torpedoboot A 70 | zum Abbruch verkauft |
IV. Die Unterseeboote
Während die abgelieferten Überwasserschiffe ausnahmslos in Europa blieben und bald – meist in die Niederlande – zum Abbruch verkauft wurden, wurden die Unterseeboote »im Februar 1919 ... von japanischen Kriegsschiffen in England abgeholt, die mit ihnen über Portsmouth und Brest nach Japan fuhren« (Sander-Nagashima S. 52)4 – eine beachtliche Leistung angesichts der zurückzulegenden Entfernung!
Japan hatte zwischen 1905 und 1918 etwa zwei Dutzend eigene Unterseeboote überwiegend kleineren Typs in Dienst gestellt (Friedman S. 245 ff.). Weil die Absicht bestand, leistungsfähigere Boote zu bauen, schaute man sich die Kriegsbeute sehr genau an. Aber nicht nur das (Sander-Nagashima S. 52 f.):
»Als die übergebenen deutschen Boote am 18.06.1919 in Yokosuka eintrafen, wurden sogleich die Marine- und Militärattachés alliierter und assoziierter Mächte zu einer informellen Besichtigung eingeladen. Auch der Öffentlichkeit wurden die deutschen Beuteboote zugänglich gemacht. Hierbei wurden sie nicht einfach für Schaulustige im Marinehafen Yokosuka [an der Bucht von Tokyo] zur Besichtigung freigegeben, sondern liefen auch weitere Häfen ohne Marinestützpunkte an. ... Sie waren das Motiv von Ansichtskarten (teilweise sogar von kleinen Läden [feilgeboten,] die nichts anderes verkauften) und sie wurden von Besuchern überschwemmt.«
Wie die hier gezeigten Ansichtskarten belegen, kamen die Boote auch nach Nagoya, und entsprechende Ansichtskarten nebst Sonderstempeln wurden sogar an die Insassen des örtlichen Gefangenenlagers verkauft.
Jedenfalls sollen die Boote »von großem Einfluss auf die [künftige] japanische U-Bootkonstruktion« gewesen sein (Sander-Nagashima S. 53, siehe auch Friedman S. 249). Die folgende Tabelle nennt die wichtigsten technischen Daten (nach Gröner).
Name | Wasserver- drängung netto | Länge*Breite *Tiefgang | PS |
---|---|---|---|
O 1 ex U 125 | 1.163 ts | 82,00*7,42*4,22 m | 2.400 |
O 2 ex U 46 | 725 ts | 65,00*6,20*3,74 m | 2.000 |
O 3 ex U 55 | 715 ts | 65,20*6,44*3,64 m | 2.400 |
O 4 ex UC 90 O 5 ex UC 99 | 491 ts | 56,51*5,54*3,77 m | 600 |
O 6 ex UB 125 | 512 ts | 55,85*5,80*3,72 m | 1.060 |
O 7 ex UB 143 | 523 ts | 55,85*5,80*3,75 m | 1.060 |
Der Vergleich mit den oben angegebenen Daten lässt vermuten, dass auf den Karten die Boote/Typen U 46 bzw. UC 90/99 abgebildet bzw. angesprochen sind.
Anmerkungen
1. Umrechnung: 1 shaku = 30,3 cm, 1 sun = ein Zehntel shaku; siehe Abschnitt IV.
2. Zitiert nach der deutschen Fassung: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/armistice_germany_ger.pdf; französische Fassung: http://mjp.univ-perp.fr/traites/1918armistice.htm.
3. Zitiert nach der deutschen Fassung: http://www.documentarchiv.de/wr/vv05.html.
4. Angeblich mit Ausnahme eines Bootes, welches in Europa abgewrackt wurde (ebd. mit Verweis auf Jentschura).
Literaturhinweise
Fock, Harald: Flottenchronik. Die an den beiden Weltkriegen beteiligten aktiven Kriegsschiffe und ihr Verbleib. Hamburg, Koehlers Verlagsges. 1995
Friedman, Norman: Japan. In: Conway's All The World's Fighting Ships 1906–1921, London: Conway 1985, S. 221–251
Gröner, Erich: Die deutschen Kriegsschiffe 1815-1945. Band 1. München: J. F. Lehmanns 1966
Jentschura, Hansgeorg u.a., Die japanischen Kriegsschiffe 1869-1945. München: J. F. Lehmanns 1970
Roessler, Eberhard: Die Auslieferung der deutschen U-Boote nach dem Ersten Weltkrieg und ihre Hintergründe. In: Marine-Rundschau 76 (1979), Heft 1, S. 21-27 (ohne Bezug auf die an Japan abgelieferten Boote)
Sander-Nagashima, Berthold: Die deutsch-japanischen Marinebeziehungen 1919-1942. Dissertation Universität Hamburg 1998
© Hans-Joachim Schmidt
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