Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Aonogahara

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Besuch des Lagers Aonogahara am 07.07.1918

Bericht von Dr. F. Paravicini
 

Inhalt

  1. Bericht [im Original S. 10-13]
  2. Liste von Invaliden und Kranken [im Original Anhang I, S. 30]
  3. Anmerkungen

Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen ausgeschrieben, Anmerkungen in [...] oder als Fußnoten hinzugesetzt.
 


Bericht

Besteht seit 20. September 1915; besucht am 7. Juli 1918. Wird erreicht in etwa anderthalb Stunden Autofahrt von Kakogawa aus, einer Station der Shimonosekilinie, eine Eisenbahnstunde westlich von Kobe. Eine etwa 100 Meter über Meer gelegene Heide mit viel Gebüsch, Kieferwaldungen, Teichen und weiten Exerzierplätzen umschließt das Lager, dessen Baracken früher für das japanische Militär bestimmt war. Die Gefangenen, 251 Deutsche mit 4 Offizieren und 226 Österreicher mit 4 Offizieren, wurden vor drei Jahren von Hiroshima1 hierher verbracht und leben hier auf einem Flächenraum von 22.680 Quadratmetern, wovon 2.446 Quadratmeter Barackenfläche. Von den fünf großen Baracken beherbergt eine Kanzlei, japanische Unteroffiziere, kriegsgefangene Offiziere und Lazarett, eine zweite enthält wieder einen Lazarettraum und dient daneben den gefangenen Unteroffizieren als Unterkunft, in einer dritten befindet sich ausschließlich deutsche Mannschaft, und in die zwei übrigen teilen sich Deutsche und Österreicher. Die Deckoffiziere haben ihre kleinen Zimmer zu zweit und dritt an den Enden der Mannschaftsbaracken.

Nach Aussagen des Lagerkommandanten befassen sich 12 einmal im Jahre gewählte Korporalschaftsführer mit dem Lagerhaushalt, Essen, Bekleidung, Krankenanmeldung, Reinigung, Feuerverhütung, Postverteilung und Verbesserungen.

Postverteilung erfolgt je nach Eingang und Dauer der Zensur, bei besonderen Gelegenheiten möglichst innerhalb drei Tagen. Offiziere können 5 mal im Monat schreiben, die anderen 2-4 mal.

An Hülfsgeldern laufen im Monat 500 bis 1000 Yen ein, daneben schicken die verschiedenen Frauenvereine hier und in China und Einzelpersonen viel.

Deutsche Missionare kommen bei der Nähe Kobes und Kyotos häufiger als anderswo.

Die Gefangenen arbeiten ohne Zwang, aber recht fleißig. Die Schneider und Schuhmacher im Lager bekommen 7 Sen Taglohn, Küchenchefs 7 Sen, Köche 4 Sen, das letztere sind die gewöhnlichen Ansätze für sogenanntes »Roeki«, eine Art Kontraktarbeit, die hier wegen Mangel an leitenden Fachleuten nicht ausgeübt wird. Gartenanlagen und zahlreiche Lauben machen das Lager freundlicher, und es soll dafür mit der Zeit noch mehr Raum geschaffen werden. Im Lager werden hergestellt: Lebensmittel, z.B. ausgezeichnetes Gebäck, Musikinstrumente, Tabakdosen, in letzter Zeit wurde auch etwas Maschinenbau versucht. Außerhalb des Lagers sind 10.000 Quadratmeter zinsfrei zur Verfügung gestellt, und früher unfruchtbares Heideland wurde hier durch den Fleiß der Gefangenen in gutes Ackerland umgewandelt, das Kartoffeln, Rüben, Spinat, Tomaten etc. erzeugt und willkommene Extrazulagen zur Kost liefert. Daneben werden Schweine, Kaninchen, Enten und Tauben gezüchtet. Im Herbst soll eine Ausstellung von Lagererzeugnissen stattfinden, und der Lagerkommandant hofft, das Kriegsministerium werde den Gefangenen auch den Verkauf erlauben.

Ausser der Arbeit beschäftigen sich die Gefangenen mit Zeichnen, Musik, Turnen, Sport. Musiziert wird täglich nachmittags in den Lauben, an Feiertagen nach Programm. Für Tennis befinden sich zwei Plätze im Lager, sonntags wird Sport außerhalb des Lagers getrieben, z.B. Fußball. Einmal in der Woche findet ein halb- bis ganztägiger Ausflug nach sehenswerten Punkten der Umgebung statt.

Alle Gefangenen werden einmal im Monat ärztlich untersucht. Gegen Typhus und Paratyphus wird prophylaktisch injiziert. Viermal im Monat kommt der Zahnarzt aus Himeji, der Hauptstadt der Provinz Harima. Dorthin werden auch Schwerkranke ins Lazarett verbracht, während leichtere Fälle im Lager Behandlung finden. Im städtischen Krankenhaus ist zur Zeit keiner. Im Lagerrevier fand ich eine leichte Lungentuberkulose, eine Cystitis, eine Holzphlegmone, eine Magenatonie, einen alten Oberschenkelbruch und einen Malariakranken mit Gastritis. Gestorben sind im Lager bisher drei an Tuberkulose und einer an Diabetes, zwei von diesen waren krank, als sie ins Lager kamen. Im Durchschnitt beträgt die Körpergewichtszunahme seit Lagereintritt fast anderthalb Kilo; das allgemeine Aussehen ist gut.

Im Lager befinden sich sieben Ziehbrunnen, deren Wasser alljährlich untersucht wird.

Die Klagen der Offiziere bezogen sich hauptsächlich auf die Behandlung, die sie als absichtlich demütigend empfinden, besonders die kurze und barsche Anrede von Seite einiger jüngerer japanischer Offiziere, und die häufige Aufforderung, auf dem Bureau zu erscheinen, irgendwelcher Kleinigkeiten wegen. Der rangälteste deutsche Offizier2 erschien nervös und äusserst überreizt. Die Herren äußerten auch den Wunsch, häufiger Gelegenheit zu haben, sich auszusprechen, und machten darauf aufmerksam, dass man offiziellen Besuchern im Allgemeinen nur die guten Seiten des Lagers zeige und ihnen wenig Gelegenheit gebe, auf Klagen und Wünsche der Gefangenen einzugehen. In ruhigerer Weise äußerte sich der Hauptsprecher der Mannschaft3. Man hätte im Anfang die Gefangenen in Japan gut aufgenommen und ihnen ritterliche Behandlung in Aussicht gestellt, darin seien sie aber jetzt sehr enttäuscht worden. Er ging dann in sachlicher Weise zu anderen Klagepunkten über. Briefe blieben 3-4 Wochen nach Ankunft liegen, Mannschaften dürften pro Woche einen Brief und eine Karte, Unteroffiziere einen Brief und zwei Karten, Deckoffiziere zwei Briefe und zwei Karten schreiben, wüssten aber nicht, ob die Sachen abgingen, da die Aussetzungen der Zensur nicht mitgeteilt würden. Die Preise seien sehr gestiegen, so dass jetzt ein Drittel der Lebensmittel durch Hilfsausschuss und Liebesgaben, im Wert von etwa 1.000 Yen im Monat, bezahlt werden müßte. Kleider und Schuhe seien schadhaft. Barackenraum pro Mann 92 Zentimeter breit. Nachtruhe häufig durch die Wache gestört. Geld für Arzneimittel ungenügend. Vorträge und Unterricht seien verboten, doch werde dies Verbot zeitweise umgangen.
 

Liste von Invaliden und Kranken


 

Anmerkungen

1.  Schreibfehler: Es muss natürlich »Himeji« heissen.

2.  Lagerältester war Pauspertl von der k.u.k. Marine. Ob der Besucher tatsächlich (stattdessen) mit dem rangältesten deutschen Offizier gesprochen hat, bedarf weiterer Klärung.

3.  Identität nicht bekannt.
 

©  für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
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