Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Reisen deutscher Schul-Kreuzer nach Japan zwischen 1926 und 1933


Vorbemerkungen

Gerade mit Bezug auf das »Musterlager« Bando wird häufig behauptet (vgl. Wikipedia), dass die gute Behandlung der deutschen Gefangenen in Japan mit ausschlaggebend, mindestens aber förderlich dafür gewesen wäre für die rasche Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen nach dem Friedensschluss 1919. Einen direkten Zusammenhang konnte bisher jedoch niemand aus den diplomatischen Akten hüben und drüben herleiten; selbst eine bloße Erwähnung jenes Hintergrunds fehlt darin. Beide Nationen gingen sozusagen unter Ausklammerung der Jahre 1914–1919 »zur Tagesordnung über«, wobei das Hauptverdienst für den reibungslosen Übergang zweifellos Wilhelm Solf zukam, dem Ende 1920 berufenen ersten deutschen Nachkriegs-Botschafter in Tokyo.

In den 1920er Jahren waren die Interessen und Anstrengungen der deutschen Außenpolitik und Exportwirtschaft sehr viel mehr auf China als auf Japan fokussiert; bis zur Mitte der 1930er Jahre änderte sich das auch nicht. Daneben gab es aber Stimmen, die – aus unterschiedlichen Gründen – für eine engere Zusammenarbeit mit Japan plädierten. Zu ihnen gehörte auch die deutsche Marineleitung, die in Japan auf entsprechendes Gegeninteresse stieß. Deren Beziehungen zwischen 1919 und 1942 hat Sander-Nagashima beschrieben, auf den ich mich im Folgenden stütze.1 Dabei beschränke ich mich jedoch auf die fünf Reisen deutscher Schul-Kreuzer nach Ostasien zwischen 1926 und 1933.2
 

1. Kreuzer Hamburg (1926)

Das erste Schiff, welches die nach Kriegsende um fast 95 % verkleinerte deutsche Marine zu einem Freundschaftsbesuch nach Ostasien entsandte, war der alte Schul-Kreuzer Hamburg (Bauzeit 1902/04, 3.651 ts Wasserverdrängung brutto) unter dem Kommando von Fregattenkapitän Groos.

Die Fahrt war Teil einer Weltumfahrung, die vom 14. Februar 1926 bis zum 20. März 1927 dauerte und über Westindien, den Panamakanal, die nordamerikanische Westküste und Hawaii nach Japan führte und von dort über Ceylon und den Suezkanal zurück in die Heimat. Die Marineleitung hatte erwogen, unter anderem auch die ehemaligen deutschen Besitzungen Ponape, Truk und Tsingtau anlaufen zu lassen3, beugte sich aber nach langem Hin und Her dem Einspruch von Solf (bzw. des Auswärtigen Amtes), der diese Pläne als psychologisch-diplomatisch inoppurtun bewertet hatte.

Vom 23.07. bis 18.08.1926 hielt sich die Hamburg in Yokohama, Kobe und Nagasaki auf. Die Behandlung durch die japanischen Politiker und Militärs – bis hinauf zum Admiralstabschef und zum Marineminister – war sehr zuvorkommend, bisweilen herzlich. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden, jedoch war dem Kommandanten berichtenswert, dass die Bordkapelle während der Besuchszeit Konzerte in Kobe, Kyoto und Osaka gab, »die jeweils von Zehntausenden von Menschen besucht worden waren« (S. 203). Auch Solf zog ein positives Resumee und verwies auf eine Rede des Bürgermeisters von Yokohama: Dieser habe »alle Probleme zwischen Japan und Deutschland als erledigt erklärt und dann die Hand zur Erneuerung der ›alten Freundschaft‹ ausgestreckt« und dadurch »vielleicht am besten die Stimmung des Durchschnittsjapaners wiedergegeben« (S. 204).
 

2. Kreuzer Emden (1927)

Durch die positiven Erfahrungen beflügelt, plante die deutsche Marineleitung für 1927 eine weitere Reise, und zwar mit dem modernen Kreuzer Emden (III) (Bauzeit 1921/25, 6.990 ts) unter dem Kommando von Kapitän zur See Foerster.

Die Reise begann am 14. November 1926, führte über Afrika herum nach Südostasien, zu den Kokos-Inseln4 und nach Japan, sodann die gesamte amerikanische Westküste hinab und die südamerikanische Ostküste hinauf und endete am 14. März 1928. Auch in diesem Fall war die Reiseplanung Gegenstand von Diskussionen.5

In Japan wurden vom 4.5. bis 7.6.1927 die Häfen Nagasaki, Itsukushima, Shimizu, Yokohama und Hakodate angelaufen, wobei es wieder zu Treffen mit höchstrangigen Politikern und Militärs kam. Wieder präsentierte sich die Bordkapelle als Übermittler deutscher (Musik-) Kultur: Das Konzert in Nagasaki und die Doppelkonzerte in Shimizu fanden »vor vielen Tausend Zuhörern« statt (S. 212, 216), der Auftritt im Hibiya-Park in Tokyo trug dem Schiff und seiner Besatzung »herzliche Sympathiekundgebungen« (S. 220) seitens der japanischen Bevölkerung ein, und die abschließenden Konzerte in Sapporo und Otaru lockten 10.000 bzw. 40.000 Menschen an. Besonders gewürdigt wurde auch, dass der japanische Marineminister zu Ehren seiner Gäste in Yokohama den importierten deutschen Film über die Emden (I) aufführen ließ.6
 

3. Kreuzer Berlin (1928)

Für die dritte Auslandsreise griff die Marineleitung auf den alten Schulkreuzer Berlin zurück (Bauzeit 1902/05, 3.821 ts). Sie führte vom 1. Dezember 1927 bis 7. März 1929 unter dem Kommando von Fregattenkapitän Kolbe nach Ostasien und Australien und von dort zurück in die Heimat.

Erstmals wurde am 2.4.1928 der Hafen Keelung auf der von Japan seit 1895 besetzten Insel Taiwan (Formosa) angelaufen; weiter wurden bis zum 21.6.1928 die Häfen Kobe, Otaru, Aomori und Miyazu besucht. Auch dieses Mal erfreuten sich die Gäste großer Aufmerksamkeit und Wertschätzung seitens offizieller japanischer Stellen. Eine Hauptattraktion waren abermals die Konzerte der Berlin-Bordkapelle in Keelung, Kobe, Kyoto, Osaka, Otaru und Sapporo mit bis zu 40.000 Zuhörern.
 

4. Kreuzer Emden (1931)

Aus finanziellen Gründen verzichtete die deutsche Marine 1929 und 1930 darauf, Schiffe nach Ostasien zu entsenden. 1931 war dann wieder die Emden (III) an der Reihe: Vom 1. Dezember 1930 bis 8. Dezember 1931 fuhr sie unter dem Kommando von Fregattenkapitän Witthoeft(-Emden) durch den Suezkanal über Colombo nach Manila, lief von dort aus die chinesischen Häfen Nanking und Shanghai sowie die Kokos-Inseln an, gastierte danach in Japan und kehrte um Afrika herum nach Wilhelmshaven zurück.

In der Zeit vom 30.4. bis 10.7.1931 wurden die japanischen Häfen Nagasaki, Osaka, Itsukushima, Tsuruga, Hakodate, Otaru und Yokohama besucht. Förmlicher Höhepunkt war das Festbankett, zu welchem Prinz Nobuhito von Takamatsu, ein jüngerer Bruder des Showa-Kaisers, eingeladen hatte. Kommandant Witthoeft hatte Gelegenheit, über das Schicksal der Emden (I) zu referieren, auf der er als Artillerieoffizier gedient hatte. Aufsehen erregten darüber hinaus zwei Gedenkveranstaltungen (S. 249): Zum einen wurde eine »Gedenktafel für die bei der Belagerung Tsingtaus und in japanischer Gefangenschaft gestorbenen Deutschen« feierlich eingeweiht; zum anderen legte der Kommandant einen Kranz im berühmten Yasukuni-Schrein nieder. Die Bordkapelle der Emden (III) gab in Osaka mehrere Konzerte in Parks; ein Rundfunkkonzert wurde in ganz Japan ausgestrahlt. In Hiroshima »fanden gleich mehrere Veranstaltungen und Einladungen für die Deutschen statt, deren Höhepunkt das inzwischen übliche Konzert der Bordkapelle in der größten Halle der Stadt bildete. Hierbei wurde die Kapelle ihrerseits dadurch geehrt, dass ein Chor von 400 Schulmädchen deutsche Lieder vortrug und zum Abschluss das ›Deutschlandlied‹ in deutscher Sprache sang. Witthoeft führte diese, selbst für japanische Verhältnisse, ungewöhnliche Deutschfreundlichkeit darauf zurück, dass es im ersten Weltkrieg ein Kriegsgefangenenlager nahe der Stadt gegeben hatte« (S. 245 f.).7
 

5. Kreuzer Köln (1933)

Als der Schulkreuzer Köln (Bauzeit 1926/30, 7.700 ts) am 8. Dezember 1932 unter dem Kommando von Fregattenkapitän Schniewind ihren deutschen Heimathafen verlies, schien der Untergang der Weimarer Republik noch nicht beschlossene Sache zu sein. Die Reise führte durch den Suezkanal nach Britisch- und Niederländisch-Indien und die Südsee nach Japan und von dort über China zurück durch den Suezkanal in die Heimat, in der sich bis zur Ankunft am 12. Dezember 1933 politisch grundstürzende Veränderungen vollzogen.

Der Aufenthalt im japanischen Stammland beschränkte sich diesmal auf Kobe (29.06.–11.07.1933), wo das Schiff und seine Besatzung mit der inzwischen gewohnten Herzlichkeit empfangen wurden. Auch zu den Konzerten der Bordkapelle fanden wieder sich wieder zahlreiche Japaner ein. – Die Darstellung von Sander-Nagashima muss an dieser Stelle insoweit ergänzt werden, als bei dem Besuch eine neue politische Dimension zutage trat: »Am ersten Tag gab der Club Concordia in Kobe einen Empfang für die Mannschaft, mit ›markigen Reden und einem Hoch auf unser neues, erwachtes Deutschland‹... Zum ersten Mal habe man in Kobe ›den erfrischenden nationalen Geist des dritten Reiches‹ gespürt. ... (Höhepunkt war ein Bierabend mit) der ersten öffentlichen Darbietung des Horst-Wessel-Liedes in Japan.«8

Die Reise führte von Kobe weiter nach Dairen (früher: Port Arthur, heute: Dalian), d.h. in einen von Japan seit 1905 besetzten Teil Chinas. Freilich stand der Besuch dort (15.–20.07.1933) unter keinem guten Stern: Unter anderem wurden zwei Besatzungsmitglieder wegen angeblicher Zechprellerei von der japanischen Polizei vorübergehend festgenommen. Hinzu kam, dass just zu dieser Zeit der Fall einer Mörderbande unter Leitung eines Deutschen in aller Munde war (S. 258).9

Über den Besuch der Köln in Tsingtau mit seiner inzwischen wieder angewachsenen deutschen Kolonie berichtet Sander-Nagashima gar nichts. An seiner Stelle sei Matzat zitiert10: »Ein besonderes Ereignis war in den Sommerferien 1933 Ende Juli der Besuch des 6000-t-Kreuzers Köln mit 580 Mann an Bord. Zum ersten Male seit 1914 hielt sich in Tsingtau wieder ein deutsches Kriegsschiff auf. Insgesamt blieb es 10 Tage dort. Sie waren angefüllt mit einer großen Zahl von Feiern und Empfängen im Deutschen Heim auf auf dem Schiff, an denen auch die Schüler teilnahmen.« Höhepunkt war eine Feier vor dem 1930 errichteten Ehrenmal für die deutschen Gefallenen mit anschließender Parade der Köln-Besatzung. Aus einer anderen Darstellung: »Zum ersten Mal seit 20 Jahren liegt ein deutscher Kreuzer vor Tsingtau, deutsche Marine marschiert durch die Straßen der einst deutschen Stadt, stolz weht wieder in alter Reinheit die Flagge schwarz-weiß-rot. Freude ist in allen Herzen.«11 – Die nationale Begeisterung steigerte sich noch kurze Zeit später beim Aufenthalt des Schiffes in Shanghai: »Den Höhepunkt der [dortigen] Feierlichkeiten bildete aber die Übergabe eines Hitlerbildes an den Kapitän der Köln, als diese am 14. August 1933 Shanghai wieder verließ.«
 

Schlussbemerkungen

1. Im Nachhinein mag die Leichtigkeit erstaunen, mit der Deutsche und Japaner nach 1919 zur Tagesordnung übergingen. Sicherlich wurde das ermöglicht durch die relativ geringe Zahl der Opfer bei den Kämpfen 1914 und durch die Tatsache, dass beide »Völker« keinen Hass aufeinander entwickelt hatten. Die besondere Beziehung der beiderseitigen Marineleitungen führt Sander-Nagashima (S. 542) vor allem auf einen »gemeinsamen Nenner« zurück, nämlich auf »die Revisionsbedürftigkeit der bestehenden Verträge, d.h. aus Sicht der Reichsmarine des Versailler Vertrags, aus Sicht der Flottenfraktion der japanischen Marine der Washingtoner Verträge [1922]. In beiden Fällen waren die angelsächsischen Großmächte die Hauptgegenspieler.« Dass Hitler sich für die Revision des »Versailler Schand-Diktats« verbürgte, sicherte ihm vor und nach 1933 die Zustimmung weiter Kreise der Marine und wohl auch vieler Auslandsdeutscher.

2. Verblüffen mag auch die Popularität deutscher Musik in Japan, wie sie bei den vielbesuchten Konzerten der Bordkapellen zutage trat. In einem Bericht des deutschen Konsulats in Osaka wurde als Grund angegeben, »dass es in Japan keine Militärkapellen gebe«. Diese sehr prosaische Deutung greift aber wohl zu kurz. Hier sollte vielmehr Anschluss an die Arbeit von Hirschfeld gesucht werden, der für die 1920er Jahre die »materielle Ausbreitung westlicher Musik« mit Hilfe der Massenmedien konstatiert.12»Mit Beginn der Showa-Zeit [1926] wurde die klassische Musik aller Genres durch die Medien [siehe das oben erwähnte Rundfunkkonzert] für die breite Masse der Bevölkerung erreichbar, während zugleich auch die Populärkultur weite Verbreitung fand.« Was die Bordkapellen der deutschen Schiffe im Einzelnen zum Besten gaben (Marschmusik? sinfonische Musik? auch traditionelle japanische Musik?), ist nicht erforscht, aber die überaus hohen Zuhörerzahlen – insgesamt vielleicht 200.000 Menschen?! – bezeugen die Offenheit bzw. mindestens die Neugier des japanischen Publikums.
 

Anmerkungen

1. Sander-Nagashima (1998): Die deutsch-japanischen Marinebeziehungen. – Alle Zitate beziehen sich auf dieses Werk, soweit nicht anders angegeben; zu den technischen Daten siehe Gröner u.a. (1982), zu den Reisezeiten auch Hildebrand u.a. (1979).

2. Weggelassen wurde damit auch jene Japan-Mission im Jahre 1924, die mit dem Namen des Seeoffiziers (und späteren Geheimdienstchefs) Wilhelm Canaris verbunden ist (S. 145–164).

3. Ponape und Truk waren inzwischen japanisches Mandatsgebiet, das von den Japanern stark ausgebaute Tsingtau war 1922 an China zurückgegeben worden.

4. Dort wurde am 15.3.1927 eine Gedenkfeier an der Untergangsstelle des Kreuzers Emden (I) abgehalten.

5. Auf die zunächst erwogene Bereisung chinesischer Küstengewässern wurde verzichtet, was die Japaner als freundschaftliche Geste würdigten.

6. Hierin mag man auch einen Beleg für das abbröckelnde Verhältnis zwischen Japan und Großbritannien sehen.

7. Gemeint war das Lager auf der Hiroshima vorgelagerten Insel Ninoshima.

8. Zitiert bei Hans-Joachim Bieber: SS und Samurai. München: Judicium 2014, S. 337.

9. Gemeint war niemand anders als »Käpt'n Taudien«!

10.  Siehe seine »Kurzgefaßte Chronik der Deutschen Schule Tsingtau 1924 bis 1946« (S. 12), ergänzt durch den Bericht von Seufert.

11. Zitiert bei Astrid Freyeisen: Shanghai und die Politik des Dritten Reiches. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000, S. 100 (hiernach auch das folgende Zitat).

12. Hirschfeld (2005): Beethoven in Japan (S. 74, das folgende Zitat S. 76).
 

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