Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Alfred Meyer-Waldeck – der letzte deutsche Gouverneur von Kiautschou

Entwurf nebst Desiderata, zusammengestellt vom Redakteur

Vorbemerkung

Englischsprachige Kurzbiographie von Prof. Matzat; biographische Daten und Würdigung auch bei Burdick, S. 17–19.
 
 Die (gekürzte) Meldung unter II. und die Skizze unter III. sind unverändert wiedergegeben, ungebräuchliche Abkürzungen werden ausgeschrieben. Anmerkungen des Redakteurs stehen in [ ] oder in Fußnoten.
 

I. Meldung zum Amtsantritt1

Gouverneur Meyer-Waldeck
Als zu Beginn dieses Jahres in Tsingtau bekannt wurde, dass zum Nachfolger unsers damaligen Gouverneurs, des Admirals Truppel, sein bisheriger erster Mitarbeiter und Vertreter, Kapitän zur See Meyer-Waldeck, ernannt worden sei, wurde diese Nachricht hier mit lebhafter Freude verzeichnet. Wusste man doch, dass Kapitän zur See Meyer-Waldeck während seiner zweijährigen Tätigkeit im Schutzgebiet als Chef des Stabes des Gouvernements und stellvertretender Gouverneur mit Liebe zur Sache und grossem Verständnis gewirkt und sich die aufrichtige Zuneigung und das volle Vertrauen aller Kreise der Kolonie erworben hatte.2 So sind denn auch unser neuer Gouverneur und seine Familie bei der Ankunft in Tsingtau am 22. des Monats [= 22.11.1911] nachmittags von allen Seiten sehr herzlich begrüsst worden. Es gereicht uns zu besondrer Freude, diese Tatsache hier feststellen und Seine Exzellenz Gouverneur Meyer-Waldeck und seine Familie im Namen der Kolonie willkommen heissen, ihm eine lange und gesegnete Tätigkeit im Schutzgebiet und Freude an fruchtbringendem Schaffen wünschen zu dürfen!
Ein neuer Abschnitt in der Entwicklung des Schutzgebiets ist damit gegeben! Er nimmt in schwerer Zeit seinen Anfang. Politische Verwicklungen ernstester Art durchzittern das chinesische Reich, mit dessen Wohl und Wehe das Gedeihen unsrer Kolonie eng verknüpft ist. Während die allgemeine Unsicherheit hemmend auf Handel und Wandel wirkt, macht sich in unserm öffentlichen Leben vielfach Missmut und Gleichgültigkeit bemerkbar, wodurch naturgemäss die lebendige Anteilnahme der Bürgerschaft an der Verwaltung zu unser aller Schaden leidet. Es ist schwer zu erklären, wo hier die Wurzel des Uebels liegt; jedenfalls wäre es falsch und ungerecht, sie einzelnen Persönlichkeiten zuzuschieben.3 Grade auf diesem Gebiet aber erhoffen wir das beste von unserm neuen Gouverneur, dem es gelingen dürfte, alle Kreise der Kolonie mit der Ueberzeugung zu erfüllen, dass nur ein frisches Miteinander-, nicht Nebeneinander-Arbeiten dauernden Erfolg und Freude am Schaffen auch über den engern Rahmen des eigentlichen Wirkungskreises hinaus zu zeitigen vermag!
[Die hier folgenden Laufbahndaten sind weggelassen.]

II. Biographische Skizze von Eberhard von Mantey4

Meyer-Waldeck, Alfred, Vizeadmiral, * am 27. November 1864 in St. Petersburg, † am 25. August 1928 in Kissingen, beigesetzt in Heidelberg.

M. war der Sohn des Kaiserlich russischen Kollegienrats, Großherzoglich badischen Hofrats, Professors (Germanist und Schriftsteller) von Meyer, zuletzt Professor in Heidelberg.5 Seine Mutter war Dorothea, geborene von Boursy. Da seine Vorfahren aus Arolsen stammten, wurde ihm im Jahre 1903 die Namensänderung »Meyer-Waldeck« genehmigt.
Bis zum Jahre 1874 blieb M. in Petersburg und besuchte dann das Gymnasium in Bonn und in Heidelberg, wo er nach dem Abiturientenexamen im Jahre 1883 zunächst auf der Universität studierte.

[Laufbahn in der Marine]6
Im Jahre 1884 trat M. als Kadett in die Kaiserliche Marine ein. Seine erste seemännische Ausbildung erhielt er auf der Segelfregatte Niobe und der Kreuzerfregatte Moltke, mit welcher er zwei Reisen nach Westindien machte. Als Wachhabender Offizier finden wir ihn wieder auf dem Segelschulschiff Niobe, auf dem Panzerschiff Kaiser, das mit dem Übungsgeschwader nach dem Mittelmeer ging, auf der Brigg Muskito und auf der Kreuzerfregatte Gneisenau, die Ostamerika aufsuchte. Er besuchte dann den Torpedokursus auf dem Torpedoschulschiff Blücher und wurde in den nächstfolgenden drei Jahren auf verschiedenen Torpedobooten als Kommandant und auch als Flaggleutnant verwendet.
Als junger Kapitänleutnant kam M. zwei Jahre auf die Marineakademie und wurde anschließend Erster Offizier auf dem Kleinen Kreuzer Geier, der zunächst in Westamerika und dann in Ostasien sich auf hielt. Die Zeit an Bord des Geier in Ostasien rechnete man ihm als Kriegsjahre, da das Schiff bei den Chinawirren 1900/01 Verwendung gefunden hatte. Nach Rückkehr in die Heimat kam er für längere Zeit in den Admiralstab der Marine. Diese Tätigkeit wurde durch kleinere Bordkommandos und Übungsreisen mehrfach unterbrochen. Inzwischen war M. zum Korvettenkapitän befördert, wurde ein halbes Jahr lang Erster Offizier auf dem Linienschiff Wettin, um dann wieder lange Zeit als Admiralstabsoffizier beim I. Geschwader an Bord S.M.S. Wittelsbach zu wirken.

[Als Gouverneur von Kiautschou]
Dieses letztere Kommando lief im Herbst 1908 ab, und unmittelbar anschließend wurde M. zur Zentralverwaltung für das Schutzgebiet Kiautschou in das Reichs-Marine-Amt kommandiert.7 Nach kurzer Information übernahm er als Kapitän zur See die Geschäfte des Chefs des Stabes des Gouvernements Kiautschou. Vom 1. Januar 1909 bis zum Fall von Tsingtau, also fast 6 Jahre lang, ist er für Kiautschou tätig gewesen, und zwar zunächst etwas über zwei Jahre lang als Chef des Stabes, dann über Sibirien heimkehrend 3/4 Jahre in Berlin in der Kiautschou-Abteilung des Reichs-Marine-Amts, und schließlich den Rest wieder in Kiautschou als Gouverneur. Am 7. November 1914 wurde Tsingtau von den Japanern genommen und M. fiel in japanische Gefangenschaft. Er ist dann in dieser Gefangenschaft 5 Jahre und 81 Tage gewesen; erst im Mai 1920 kehrte M. nach 59tägiger Seereise auf dem japanischen Dampfer Nankai Maru nach Deutschland zurück. Nachdem er zum Vizeadmiral befördert war, erhielt er am 31. August 1920 seinen Abschied.

Seinem Herzen nach war M. in erster Linie Seemann. Es ist daher eine Tragik in seinem Leben gewesen, daß er niemals Kommandant eines großen Schiffes wurde. Aus diesem Grunde hat er auch als seine schönste Offizierszeit stets diejenige bezeichnet, in der er als Kommandant von Torpedobooten selbständig ein Kaiserliches Fahrzeug führen durfte. Bei seiner sehr großen Pflichttreue und seiner ganzen offiziersmäßigen Einstellung war es jedoch bei M. selbstverständlich, daß, als er für das verantwortungsreiche Kommando eines Gouverneurs von Kiautschou schon sehr frühzeitig erkannt und vorgebildet wurde, er sich unbedingt in diese Tätigkeit hineinarbeitete und ganz in seinem neuen eigenartigen Dienste aufging.
M. gehörte zu den Persönlichkeiten, die bei reicher Begabung, großer Zähigkeit und Energie, außergewöhnlicher Liebenswürdigkeit, sehr bescheiden und zurückhaltend sind. Er erfreute sich bei allen seinen Untergebenen einer großen Beliebtheit, man vertraute ihm unbedingt und wußte seinen vorzüglichen Charakter sehr zu schätzen. Es ist bezeichnend für M., daß in allen seinen Berichten die Tätigkeit seiner eigenen Person, das »Ich«, niemals erwähnt wird. Er schreibt immer nur ganz sachlich, berichtet in kurzem, knappem Stil nur die Tatsachen. Wenn man das ihm in Kiautschou unterstellte Offizierkorps befragt, so stellt sich heraus, daß M. nicht nur ein liebenswürdiger Gouverneur, sondern tatsächlich der Mittelpunkt und die Seele der Kolonie8 war, dessen Wirken überall sich ausdrückte, aber nicht durch besondere Tatsachen belegt werden kann.

M. faßte sich als dienendes Glied eines Ganzen auf und übertrug diese Auffassung auch auf das ihm unterstellte Gouvernement. Er sah in Kiautschou nicht einen Selbstzweck, sondern ein Verbindungsglied zwischen Deutschland und China. Sein Ziel war, die Entwicklung von Kiautschou mit den dort vorhandenen wirtschaftlichen und kulturellen Kräften, nicht im Gegensatz zu China, sondern gleichgerichtet zu fördern. Nicht ein Fremdkörper sollte das deutsche Schutzgebiet dem Chinesischen Reiche sein, sondern, wie sich auch die politischen Verhältnisse gestalten mochten, sollte hier deutsches Wesen mit tausend neuen Wurzelfäden in Ostasien hineinwachsen.
Als M. seinen Dienst als Chef des Stabes im Jahre 1909 in Kiautschou begann, waren die grundlegenden Anordnungen für den Aufbau und Ausbau der Kolonie bereits festgelegt und hatten sich im Laufe des ersten Jahrzehnts unter Leitung der Gouverneure Rosendahl, Jaeschke, Truppel bereits bewährt. Die Bauordnung, die Hafenanlagen, die Eisenbahngründungen, die Aufforstung, die Gesundheitspflege, die gesamte Verwaltung, die Land- und die Steuerpolitik, wurden im Verein von Gouvernement und Reichs-Marine-Amt geregelt. Der Kiautschou-Etat stellte sich als ein Bestandteil des Reichsetats dar, die vornehmsten Einnahmen entstammten den gewaltigen Reichsbetrieben,9 Hafen, Werft, Wasser- und Elektrizitätswerk, und den vom Reiche verliehenen Privilegien, Eisenbahn, Banknoten usw. Diese Einnahmen dienten zur Unterhaltung des bedeutenden Verwaltungs- und Betriebsapparates. Für die Annehmlichkeit der Stadtanlage und den Schutz seitens des Reiches trugen die Bürger durch eine direkte und indirekte Steuer, sowie durch gewisse Gebühren bei. Durch die geschickte Leitung der Gouverneure haben die Einnahmen mit der Entwicklung Tsingtaus gleichen Schritt gehalten, auf Grund des Etats von 1912 ließ sich der Nachweis führen, daß das Schutzgebiet nach kaum I5jährigem Bestehen finanziell vollkommen selbständig geworden war. Natürlich waren die Ausgaben für das Militär und Geschwader als Reichssache von den Verwaltungen abzuziehen, denn sie wären dem Mutterlande ohne Kiautschou auch dadurch erwachsen, daß für Deutschland gewichtige wirtschaftliche Werte in China auf dem Spiele standen, die eines dauernden Schutzes bedurften.

Wie alle seine Vorgänger war auch M. bestrebt, an Kiautschou den Chinesen zu zeigen, wie groß Deutschlands Leistungsfähigkeit sei und sie für Deutschland zu gewinnen. Schon aus diesem Grunde legte M. besonderen Wert auf kulturelle Fragen, auf den Ausbau der deutsch-chinesischen Hochschulen, das Heranziehen einflußreicher Chinesen und das gute Verhältnis zu ihnen.
Vor dem Dienstantritt M.s war in Tsingtau bereits eine Hochschule gegründet worden. Auf seinen Antrag sollte diese Hochschule für die Aufnahme von 500 Schülern vergrößert werden, wobei etwa 300 Schüler die vorbereitende Unterstufe und 200 die fachwissenschaftliche Oberstufe besuchen konnten. Die Abiturienten der Unterstufe entsprachen nach fünfjährigem Lehrgang etwa den Abiturienten unserer höheren Lehranstalten und mußten Deutsch soweit beherrschen, daß sie dem Unterricht in der Oberstufe, der ausschließlich deutsch erteilt wurde, folgen konnten. Die vier Abteilungen der Oberstufe waren die staats- und rechtswissenschaftliche, die land- und forstwissenschaftliche, die technische und die medizinische Abteilung. Die medizinische Abteilung war erst im Jahre 1911, zur Zeit M.s, eingerichtet worden. Am stärksten war der Andrang zur technischen Abteilung.

Ganz besonders interessierte sich M. auch für den Bau eines Eisenwerkes. Unter M. spielte die außerordentlich wichtige Frage der Ausbeutung der Eisenerzlager am Tieschan ganz in der Nähe der Poschan-Kohlengruben und die Errichtung eines Eisenwerkes eine hervorragende Rolle.10 Die Schantung-Bergbau-Gesellschaft, welche die Konzession seit der Besetzung des Schutzgebietes in den Händen hatte, hatte von Jahr zu Jahr mit der Ausbeutung gezögert. Der Druck des Reichsmarineamts hatte schließlich zum Einlenken bewogen. Die wichtigen Verhandlungen wurden 1913 in Tsingtau geführt und diese gaben M. Gelegenheit, in tätigster Weise an dem glücklichen Abschluß mitzuwirken. Vor allem hat er hierbei auch verstanden, in geschickter ruhiger Art das Sachverständigengutachten über die Rentabilität der Ausbeutung der Eisenerzlager zu unterstützen. Der große Erfolg für die Kolonie bestand vor allen Dingen darin, daß es den Bestrebungen des Gouverneurs gelang, die Bergbaugesellschaft von der Richtigkeit zu überzeugen, daß das Eisenwerk in das Schutzgebiet selbst verlegt würde.
Durch die großzügigen Hochofen-, Stahl-und Walzwerkanlagen und durch die sich anschließende verarbeitende Industrie wurde ein ganz neuer großer Aufschwung der wirtschaftlichen Entwicklung des Schutzgebietes gewährleistet.11 In bezug auf die Eisenbahnprojekte hat M. den deutschen Gesandten in Peking mit allen Kräften unterstützt.

In seinem gastfreien Hause, das auch stets allen Offizieren des Kreuzergeschwaders offen stand, hat M. die Kolonie stets in vornehmer würdiger Weise repräsentiert. Er war auch ein guter Redner bei allen größeren repräsentativen Verpflichtungen, doch wurde er durch seine große Bescheidenheit und Zurückhaltung seiner eigenen Person beeinflußt.

[Bewährung im Krieg]
Der Name Meyer-Waldeck würde aber niemals eine andere Bedeutung erlangt haben wie der seiner tüchtigen Vorgänger, wenn nicht im Weltkriege M. als Verteidiger von Tsingtau gegen Japan sich als tapferer Festungsgouverneur und Vorkämpfer seiner Kolonie gezeigt hätte. Welches Vertrauen man in Ostasien auf die Führung in Tsingtau setzte, geht ohne weiteres daraus hervor, daß jeder deutsche Wehrpflichtige bei Kriegsbeginn dorthin eilte, um ohne Rücksicht auf sein sonstiges Geschäft an dieser Stelle für Deutschland sein Leben einzusetzen. Auf diese Weise wurde die kleine Garnison um 50 Prozent verstärkt, so daß insgesamt in Tsingtau etwa 3700 Mann zur Verteidigung bereitstanden. Was jeder Einzelne von diesen Männern geleistet hat, geht daraus hervor, daß der Feind mit etwa 63 000 Mann angriff und bei der neuntägigen Schlußbeschießung ungefähr 44 000 Schuß Geschützfeuer auf Tsingtau gelegt hat. Eine solche heldenmütige Verteidigung ist nur dann denkbar, wenn ein unverzagter, tapferer, treuer Führer die Seele der Verteidigung ist.
Als Japan in den Krieg eintrat, das Ultimatum an Deutschland stellte, das von Deutschland überhaupt nicht einer Antwort für würdig befunden wurde, und dann gegen das Schutzgebiet vorging, sandte der Gouverneur M. am 18. August 1914 folgende Depesche an den Kaiser, die infolge der Übermittlungsschwierigkeiten so kurz wie möglich gehalten werden mußte: »Einstehe für Pflichterfüllung bis zum Äußersten.« Dies Versprechen kreuzte sich mit einem Befehl des Kaisers, der am 19. August in Tsingtau eintraf: »Seine Majestät haben befohlen, Tsingtau bis zum Äußersten zu verteidigen.« Nach dem Abtransport von Frauen und Kindern erließ M. an die Festungsbesatzung von Tsingtau am 23. August Folgendes:
»Die unerhörte Zumutung Japans [gemeint ist das Ultimatum] ist nach Form und Inhalt in gleicher Weise beleidigend. Niemals werden wir freiwillig auch nur das kleinste Stück Erde hergeben, über dem die hehre Reichskriegsflagge weht. Von dieser Stätte, die wir mit Liebe und Erfolg seit 17 Jahren zu einem kleinen Deutschland über See auszugestalten bemüht waren, wollen wir nicht weichen. Will der Gegner Tsingtau haben, so mag er kommen, es sich zu holen. Er wird uns auf unserem Posten finden. Der Angriff auf Tsingtau steht bevor. Gut ausgebildet und wohl vorbereitet können wir den Gegner mit Ruhe erwarten. Ich weiß, daß die Besatzung von Tsingtau fest entschlossen ist, treu ihrem Fahneneide und eingedenk des Waffenrnhms der Väter den Platz bis zum Äußersten zu halten. Jeder in zähem Widerstande errungene neue Tag kann die unberechenbarsten, günstigsten Folgen zeitigen! Zu stolzer Freude gereicht es uns, daß nunmehr auch wir für Kaiser und Reich fechten dürfen, daß wir nicht dazu verurteilt sind, tatenlos beiseite zu stehen, während unsere Brüder in der Heimat in schwerem Kampfe stehen. Festungsbesatzung von Tsingtau! Ich erinnere Euch an die glorreichen Verteidigungen Kolbergs, Graudenz und der schlesischen Festungen vor etwas mehr als hundert Jahren. Nehmt Euch diese Helden zum Beispiel! Ich erwarte von Euch, daß ein Jeder sein Bestes hergeben wird, um mit den Kameraden in der Heimat an Tapferkeit und jeglicher soldatischer Tugend zu wetteifern. Wohl sind wir zur Verteidigung bestimmt. Haltet Euch aber vor Augen, daß die Verteidigung nur dann richtig geführt wird, wenn sie vom Geiste des Angriffs erfüllt ist. Am 18. August habe ich Seiner Majestät drahtlich versichert, daß ich einstehe für Pflichterfüllung bis aufs Äußerste. Am 19. August habe ich den allerhöchsten Befehl Seiner Majestät erhalten, Tsingtau bis aufs Äußerste zu verteidigen! Wir werden Seiner Majestät unserem allergnädigsten Kriegsherrn durch die Tat beweisen, daß wir des in uns gesetzten allerhöchsten Vertrauens würdig sind. Es lebe Seine Majestät der Kaiser!« Unterzeichnet: Der Festungsgouverneur Meyer-Waldeck.

Ein fast wörtlich gleicher Erlaß wurde an die Bürger von Tsingtau gerichtet.
Nachdem der Gouverneur und die gesamte Besatzung von Tsingtau die vorstehenden Worte wahrgemacht haben, konnte am 7. November folgender telegraphischer Bericht an den Kaiser abgehen: »Festung nach Erschöpfung aller Verteidigungsmittel durch Sturm und Durchbruch in der Mitte gefallen. Befestigungen und Stadt vorher durch ununterbrochenes neuntägiges Bombardement von Land mit schwerstem Geschütz bis 28 Zentimeter Steilfeuer, verbunden mit starker Beschießung von See, schwer erschüttert, und artilleristische Feuerkraft zum Schluß völlig gebrochen. Verluste nicht genau zu übersehen, aber trotz schwersten anhaltenden Feuers wie durch Wunder viel geringer als zu erwarten.«
Der Japaner, der ungeheure Verluste erlitten hatte,12 erkannte die Leistung mit folgenden Worten an: »Ihr habt tapfer gekämpft. Wir bewundern und verehren Euch, die Vertreter der ruhmreichen Armee, die unsere Lehrmeisterin war. Das werden wir nie vergessen. Ganz Japan wird sich darum bemühen, Euch Eure Gefangenschaft so angenehm wie möglich zu machen.« Leider hat sich der letzte Satz an den in Gefangenschaft geratenen Deutschen und an dem Gouverneur M. in keiner Weise bewährt. Schwerste Jahre rücksichtloser Gefangenschaft sind gefolgt.13 Wie bereits erwähnt, kehrte M. erst 1920 in die Heimat zurück.

Vizeadmiral M. war verheiratet seit dem Jahre 1898 mit Johanna, geborenen Ney. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen.14
 

Anmerkungen

1.  Quelle: Kiautschou-Post, Ausgabe vom 26.11.1911, S. 378

2.  M.-W. wurde am 24.06.1908 zum Chef des Stabes beim Gouvernement Kiautschou ernannt und traf am 24.12.1908 dort ein. Ein knappes Jahr lang, vom 06.04.1909 bis 04.02.1910, war er Abwesenheitsvertreter des Gouverneurs. Am 22.02.1911 trat er die Rückreise nach Deutschland an.

3.  Unter den »Persönlichkeiten« ist zweifellos an erster Stelle der scheidende Gouverneur Truppel gemeint.

4.  Quelle: Deutsches Biographisches Jahrbuch. Bd. X: Das Jahr 1928. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1931, S. 172–176. – Mantey war von 1916 bis 1933 Leiter des Marine-Archivs.

5.  Alfreds Vater Clemens Friedrich Meyer – das »von« ist frei erfunden – war der Sohn des jüdischen Lederfabrikanten Nathan Meyer und dessen Ehefrau Johannette Ascherson. Unter der Herrschaft der Nazis und aufgrund deren wahnwitziger Rassengesetzgebung wäre Alfred demnach als »Vierteljude« eingestuft worden.

6.  Zum vollständigen militärischen Werdegang siehe »Deutschlands Admirale«, Band 3, S. 484–485.

7.  Warum M.-W. zunächst zum Stabschef, dann zum Gouverneur ausersehen wurde, ist nicht bekannt. Voraussetzung war zweifellos das Wohlwollen des Marine-Staatssekretärs Tirpitz, möglicherweise auch des Kaisers selbst, dem M.-W. bei Gelegenheit aufgefallen sein mag.

8.  Der Verfasser verwendet »Kolonie« und »Schutzgebiet« synoym.

9.  Diese Betriebe als »gewaltig« zu bezeichnen, dient erkennbar nur dem Zweck, die deutschen Investitionen – und mit ihnen sein Idol Tirpitz – möglichst groß erscheinen zu lassen.

10.  Die erwähnten Kohlengruben lagen etwa 150 km von Tsingtau entfernt (Karte) entfernt; das Ausbeutungsrecht war in Teil II des Pachtvertrags vom 06.03.1898 verankert.

11.  Auf welche »großzügigen Anlagen« sich der Biograph hier bezieht, ist ganz unklar. Tatsache ist: Bis 1914 entstand im Pachtgebiet keine einzige derartige Anlage, d.h. sämtliche Planungen gelangten wegen des Kriegs nicht mehr zur Ausführung.

12.  Auch die »ungeheuren Verluste« der Japaner entsprechen nicht den Tatsachen; das Gerücht als solches ist aber bis heute unausrottbar.

13.  Hier gibt der Verfasser die Klagen vieler deutscher Offiziere wider, die vom Großteil der Mannschaften nicht geteilt wurden.

14  Ergänzt aus der Kurzbiographie von Prof. Matzat: Heirat am 11.10.1898 in Kiel mit Johanna Ney (*31.12.1880 Spandau, †20.08.1964); Sohn Hans (*23.07.1902 Charlottenburg, †1965, Tochter Irina, Sohn Klaus); Tochter Hertha (*1906, †1919); Tochter Dagmar (*25.06.1908 Kiel, †2005, Tochter Sybille, Söhne Andreas, Johannes und Sebastian).
 

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