Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Fukuoka

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Das Lager Fukuoka am 8. März 1916

Aus dem Bericht von Sumner Welles

Auf diplomatischen Druck erlaubte die japanische Regierung 1916 einem Vertreter der US-amerikanischen Botschaft in Tokyo, die Gefangenenlager zu inspizieren. Aus dem Bericht des Botschaftssekretärs Sumner Welles wird hier der das Lager Fukuoka betreffende Teil wiedergegeben.
Quelle: Bundesarchiv/Militärarchiv; die Übersetzung wurde 1916 vom Auswärtigen Amt besorgt. Unterstreichungen wurden weggelassen, Fußnoten (in rot) vom Redakteur hinzugesetzt.
 

Am 8. März [1916] um 4 Uhr besuchte ich das Gefangenenlager in Fukuoka und wurde am Eingang zum Offiziershaus, einem ehemaligen Gebäude des Roten Kreuzes, von dem Oberstleutnant Shiraichi, dem gegenwärtigen Lagerkommandanten, und seinem Stabe erwartet.

Ehe ich mit der Besichtigung des Lagers begann, machte mir der Kommandant folgende Angaben.
Krankheiten sind im Lager so gut wie garnicht aufgetreten, was er in der Hauptsache dem Umstand zuschreibe, daß täglich ein Arzt im Lager anwesend ist. Ein einziger Todesfall ist vorgekommen, verursacht durch Typhus, den sich der Verstorbene noch in Tsingtau zugezogen hatte.1 Zur Anwendung disziplinarischer Bestrafungen haben die Offiziere gar keine, die Mannschaften nur wenig Gelegenheit gegeben. In Fällen, wo Fluchtversuche von Gefangenen gemacht wurden, sind diese durch die Zivilgerichte bestraft worden; die Bestrafung ist eine schwere gewesen, 3 Jahre Gefängnisstrafe bei Offizieren und 3 Monate bei Mannschaften; diese Strafen werden in einem Zivilgefängnis verbüßt. Bei gewöhnlichen Vergehen hat sich die über die Gemeinen verhängte Arreststrafe auf höchstens 30 Tage belaufen.

Die Offiziere wohnen in zwei europäischen Häusern, die in einer Entfernung von wenigen Fuß an der See liegen; sie haben große Gärten zum Spazierengehen und mehrere Tennisplätze zu ihrer ausschließlichen Benutzung. In dem größeren Gebäude wird das zweite Stockwerk von dem ehemaligen Gouverneur von Tsingtau, Meyer-Waldeck, bewohnt, dem ein großes Schlafzimmer, ein großes Wohnzimmer, das nach der See hinausgeht, und ein Badezimmer eingeräumt ist. Er teilt das Eßzimmer mit den vier anderen Offizieren, deren Wohnräume in demselben Gebäude liegen und die alle einen hohen Rang bekleiden. Ich hatte eine Unterredung mit dem früheren Gouverneur, bei der er mir sagte, daß die Behandlung der gefangenen Offiziere zuerst allen berechtigten Wünschen entsprochen habe, daß jedoch nach den von einigen Offizieren unternommenen Fluchtversuchen2 sämtliche Offiziere mit wachsender Strenge behandelt werden. Nachdem der Fluchtversuch stattgefunden habe, seien drei Offiziere, auf den bloßen Verdacht der Begünstigung hin, mit einer Rohheit behandelt worden, die Offizieren gegenüber äußerst unwürdig sei.3 Diese Offiziere seien von den japanischen Behörden ergriffen und in einen gewöhnlichen Kerker für Zivilverbrecher geworfen worden, ohne den Grund dieser Behandlung zu kennen. Während dieser Zeit ihrer Einsperrung seien den Offizieren nicht einmal die allernotwendigsten Gegenstände für ihre Ankleidung gegeben noch sei ihnen erlaubt worden, sich zu waschen. Nach Ablauf jener Zeit seien sie einzeln dem Vorsitzenden des Gerichtshofes vorgeführt worden, der schließlich gezwungen gewesen sei, an ihre völlige Unschuld zu glauben und sie nach ihrem alten Lager zurückgesandt habe. Was die Empfindlichkeit aller am meisten verletzt habe, sei gewesen, daß einer dieser Offiziere gezwungen worden sei, auf seinem Wege nach und von seinem Kerker mehrmas in Handschellen durch die offenen Straßen von Kokura, der Nachbarstadt, in der er verhört wurde, zu gehen.4 Dieser Bericht wurde später von den betroffenen Offizieren selbst bestätigt und vervollständigt.

Als eine weitere Folge der Flucht einiger Offiziere führte Seine Exzellenz ein über mehr als einen Monat ausgedehntes Postverbot für alle Gefangenen an. Sie hätten außerdem nur noch Erlaubnis erhalten, während einer sehr kurzen Zeit am Tage auszugehen, und alle Offiziere einschließlich des Gouverneurs selbst seien gezwungen gewesen, eine Marke mit einer Nummer darauf zu tragen. Für die härteste Beschränkung aber hielt er den Befehl, wonach das Licht jetzt bereits um 9 Uhr gelöscht werden muß, zu welcher Zeit es ihm und den anderen älteren Offizieren unmöglich sei, einzuschlafen; später, wenn sie dann endlich imstande seien zu schlafen, kämen die japanischen Wachsoldaten 5 bis 6 Mal im Laufe der Nacht in jeden Schlafraum. Unter diesen Verhältnissen litte die Gesundheit der Offiziere.

Von diesen Beschwerden abgesehen, fand der Gouverneur nur Lob für die Leitung des Lagers durch den gegenwärtigen Kommandanten, der erst seit kurzer Zeit dazu ernannt worden sei. Der älteste österreichische Offizier5 sagte mir, daß ihm unter der Begründung, daß sich im Kriegsministerium kein italienischer Dolmetscher befände, seit 16 Monaten nicht erlaubt worden sei, sich mit seinen nächsten Verwandten, die Italiener seien, in Verbindung zu setzen. Er bat um Maßnahmen, durch die diesem Zustand ein Ende gemacht werde.

Ich besuchte darauf das angrenzende Gelände, das von 30 Offizieren bewohnt ist. Die Offiziere sind hier alle gut untergebracht und haben viele Bequemlichkeiten; sie haben ihre eigenen Burschen und genießen viel Freiheit, was die Beschaffung von Gegenständen betrifft, die sie von auswärts beziehen können. Sie klagten jedoch darüber, daß die Vorschriften, die nach der Flucht eines Offiziers für alle übrigen, die vollständig unschuldig seien, eingeführt worden seien, fast unerträglich wären. Unter dem jetzigen Kommandanten haben die Verhältnisse nach ihrer Aussage eine große Verbesserung erfahren.

Leutnant Cordera6 klagte darüber, daß er ein schweres inneres Leiden hätte und bat um die Erlaubnis, daß er einen Facharzt befragen dürfe.

Ich besichtigte schließlich das Lager, in dem sich etwa 360 Unteroffiziere und Gemeine befanden. Die von ihnen bewohnten Häuser sind zur Aufnahme von Europäern vollkommen ungeeignete gewöhnliche japanische Arbeiterhäuser mit äußerst beschränktem Grund und Boden, wo die Gefangenen sich bewegen können. Wegen Feuersgefahr ist den Leuten nicht gestattet, Feuer in ihren Schlafräumen anzuzünden, die ganz außerordentlich überfüllt sind. Die Eß- und Wohnräume, die gewöhnlich im Innern des Gebäudes liegen, sind sehr dunkel und auch feucht. Je 4 bis 6 Mann teilen einen Schlafraum, der im Durchschnitt nur 12 zu 14 Fuß mißt. Ich hörte von den Gefangenen, daß ihre Kost gut sei und daß die vorhandenen Einrichtungen für ihre Beschäftigung und für ihre Versorgung mit Post und mit Lesestoff befriedigend seien, daß jedoch der Mangel an Platz in den Wohnräumen und auch für körperliche Ausarbeitung7 sich als unerträglich erweise. Der für den Aufenthalt im Freien vorhandene Raum ist in der Tat nicht groß genug für ein Fünftel der Gefangenen.

Die Gefangenen beschwerten sich ferner über Fälle von Mißhandlung; diese Fälle hatten sich aber sämtlich vor der Ankunft des jetzigen Kommandanten ereignet.

Die Hauptklagen werden hier durch den Platzmangel und durch die Art der Gebäude, die dunkel und ungesund sind, hervorgerufen, und ich halte diese Beschwerden für ganz gerechtfertigt. Ich bin auch der Meinung, daß die augenblicklichen Unterkunftsräume der Gemeinen in Fukuoka äußerst ungeeignet für die Betimmung sind, die man ihnen jetzt gegeben hat.

Um 8 ½ Uhr abends fuhr ich von Fukuoka nach Osaka zurück.
 

Anmerkungen

1.  Heinrich Welter verstarb bereits am 15.01.1915.

2.  Zur Flucht von Kempe, Modde, Sachsse, Straehler und Wenckstern siehe den Bericht von Meller.

3.  Die Offiziere waren Dobenecker, Trendel und Wegener (siehe Meller-Bericht).

4.  Die Identität dieses Offiziers ist nicht bekannt.

5.  Es handelt sich um Makoviz.

6.  Vermutlich ist Cordua gemeint oder aber Cordes.

7.  Gemeint ist "Training" (im Original: "workout").
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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