Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Nagoya

StartseiteGefangenschaft in JapanLagerNagoyaBericht Voigtländer → Ausstellung


Die Ausstellung von Kriegsgefangenenarbeiten vom 22. bis 30. Juni 1919

von Hermann Voigtländer

Der Bericht von Hermann Voigtländer, dem Chronisten des Lagers Nagoya, gehört zu einem Konvolut von Texten, die er kurz vor der Entlassung verfasste bzw. zusammenstellte und mit Brief vom 21. Dezember 1919 dem deutschen Pfarrer Schroeder in Tokyo übermittelte. Ein Durchschlag des maschinengeschriebenen Originals wurde dankenswerterweise von der Familie Voigtländer zur Verfügung gestellt.
 

Am 5. Mai 1919 regte das japanische Lagerkommando eine Ausstellung von im Lager entstandenen Handfertigkeitserzeugnissen an: Solche Ausstellungen hätten in anderen Lagern mehrfach stattgefunden und grossen Erfolg gehabt. - Es war nicht leicht, diese Anregung in die Tat umzusetzen. Früher, in den ersten Jahren der Gefangenschaft, drängten alle Kräfte nach Betätigung; doch wurden zu jener Zeit alle Anfänge solcher Arbeiten streng unterbunden, die Beschaffung jeglichen Werkzeuges verboten. Erst 1917 trat mit einem Wechsel des Lagerkommandos eine Änderung dieser Anschauungen ein; doch findet seit dieser Zeit die noch vorhandene Arbeitslust hinreichend Betätigung in verschiedenen Fabriken Nagoyas, auch durch Gartenbau und Nutzgeflügelzucht. Die Ungewissheit bezüglich des von Woche zu Woche erwarteten Friedensschlusses liess gleichfalls den Ausstellungsgedanken als bedenklich und verspätet erscheinen. Jedenfalls mussten die Möglichkeiten und Ziele einer solchen Ausstellung von vornherein beschränkt bleiben: "Es handelt sich nicht (heisst es in einem am 7. 5. veröffentlichten Aushang im Lager) um eine Ausstellung, wie sie in andern Lagern mehrfach stattfanden, und zu deren Vorbereitung die Zeit nicht geeignet und wohl auch nicht hinreichend sein würde. Vielmehr sollen in der Hauptsache kleinere Gegenstände, etwa in der Preislage bis zu Yen 3.- oder 5.- ausgestellt werden, soweit möglich zum sofortigen Verkauf, also in grösserer Zahl auf Vorrat hergestellt." Ferner war in dem Aufruf darauf hingewiesen, "dass so noch in letzter Stunde Gelegenheit geboten sei, deutsche Arbeit und Handfertigkeit grösseren Kreisen hier vor Augen zu führen, und dass gleichzeitig denen, die sich mit Arbeiten beteiligten, ermöglicht werde, sich einen kleineren oder grösseren Betrag für Einkäufe oder für die Heimreise zu erwerben".

Der Erfolg dieses Aufrufes war nicht ermutigend! Nur 15 Anmeldungen gingen ein, meist Bilder und kleinere Holzarbeiten, Schnitzereien und Brandmalereien. Die Hauptbedenken, die gegen den Ausstellungsgedanken angeführt wurden, waren: Mangel an Betriebskapital, an Werkzeug, zu teurer und teilweise unmöglicher Materialeinkauf durch die Kantine, zu knappe Vorbereitungszeit. (Als letzter Ausstellungstermin war von vornherein vom Lagerkommando die zweite Hälfte Juni festgesetzt.) Ein Haupthemmnis war auch die durch fast fünfjährige Gefangenschaft hochgezüchtete Gleichgültigkeit, die jedem neu auftauchenden Gedanken zunächst ablehnend, vielfach negativ kritisch gegenübersteht.

Allmählich aber gelang es, für die Ausstellung (deren Organisation und Vorbereitung ganz in unseren Händen lag) Teilnahme und Schaffenslust zu wecken. Überall im Lager wurde gesägt, gehämmert, gebrannt und gemalt. Das Büro erwies sich entgegenkommend in einem bisher leider nie gekannten Mass; durch Gewährung von Einkaufsmöglichkeit in der Stadt, Arbeitserlaubnis auch nach dem Abendappell unterstützte es die Vorbereitungen, auch durch Besorgung von Kredit: Es veranlasste einen Nagoyaer Kaufmann, den Warenhausbesitzer Ito, zur Beschaffung von Werkzeugen und Rohmaterial Yen 300.- zur Verfügung zu stellen. Aus dem Ausstellungserlös wurde dieser Betrag später zurückgezahlt. So kam es, dass aus den 15 Anfangs-Anmeldungen zuletzt etwa 120 Aussteller wurden, die mehr als 500 Gegenstände ausstellten.

Für die Ausstellung waren uns zwei Säle des hiesigen Handelsmuseums kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Ausstellungsgegenstände wurden durch Lastkraftwagen des Ito-Warenhauses und einer andern Fabrik kostenlos zum Museum befördert; die Leitung der elektrischen Strassenbahn hatte für Fahrten zu Ausstellungszwecken Freifahrscheine gewährt.

Die Organisation der Ausstellung, die sehr bald ganz in unsere Hände überging und das japanische Büro von der erst beabsichtigten Mitwirkung an dem inneren und Kassenbetrieb ausschloss, war folgende: Alle Arbeiten wurden grundsätzlich ehrenamtlich und ohne Vergütung übernommen. Nach Möglichkeit wurden die Arbeitskräfte aus den Kreisen der Aussteller genommen, die so selbst an ordentlichem und reibungslosem Funktionieren interessiert waren. - Verkaufs-Organisation: 10 Ordner und Verkäufer, 5 Dolmetscher, die durch verschiedenfarbige Armbinden kenntlich gemacht waren. Jeder Gegenstand erhielt einen Doppelzettel, perforiert, mit Nummer und Preis. Der Verkäufer trennte einen dieser Zettel los und ging mit ihm und dem Käufer zur Kasse. Gegen Zahlung wurde letzterem eine Quittung ausgehändigt, die ihn zum Empfang des betreffenden Gegenstandes nach Schluss der Ausstellung berechtigte. Die zahlreich eingehenden Nachbestellungen wurden auf besondere, perforierte Doppelzettel notiert, von denen der Käufer gegen Bezahlung einen unter Angabe des Abholungstages erhielt. Alle Verkäufe, auch Nachbestellungen wurden nur gegen sofortige Barzahlung ausgeführt. Die Erfahrungen anderer ähnlicher Ausstellungen verlangten diese Massnahme unbedingt. Sie bereitete auch niemals Schwierigkeiten. - Das Geld blieb in den Händen des Kassieres bzw. auf der Bank und wurde nach Ablieferung des Gegenstandes an den Hersteller ausgezahlt. Als Lieferzeit für Nachbestellungen wurden zuerst 14 Tage angegeben. Allmählich häuften sie sich aber so, dass Lieferzeiten von 4, 6 und 8 Wochen verlangt und angenommen wurden. Kassen-Organisation: Die Kasse befand sich in der Eingangshalle des Museums, am Eingang zu den Ausstellungsräumen. 5 Kassierer und Buchhalter, die sich freiwillig zur Mitarbeit gemeldet hatten. Die Kassenführung wurde nach den Regeln moderner Buchhaltung so einfach wie möglich aber zuverlässig ausgebaut. Die Tageseinnahmen wurden allabendlich einer Bank überwiesen. - Die Leitung der Verkaufs- und der Kassenabteilung hatte je ein Reserveoffizier.

Die geschilderte Art der Organisation, bei der jede schwerfällige und bürokratische Handhabung ausgeschlossen, aber in hohem Masse an den Eifer und guten Willen der Beteiligten appelliert wurde, hat sich ganz vorzüglich bewährt und arbeitete reibungslos.

Im Lager wurde ein deutscher Ausstellungsführer gedruckt, der für 50 sen verkauft wurde. Eine einfache Zusammenstellung der ausgestellten Gegenstände in japanischer Sprache wurde für 1 sen verkauft in einer Gesamtzahl von 10.340 Stück. Der Reinerlös aus diesem Verkauf diente als Beitrag zu den Unkosten. In ähnlicher Weise verkaufte auch die Musik deutsche und japanische Programme.

Die Unkosten waren bei den geschilderten Verhältnissen naturgemäss nicht sehr hoch, insgesamt etwa Yen 200.-. Sie wurden, soweit nicht Programmverkauf und andere kleine Einnahmen sie deckten, durch freiwillige Beiträge der Aussteller aufgebracht, die grössere Einnahmen (etwa Yen 100.- und mehr) aus der Ausstellung hatten.

Die Ausstellung gliederte sich in mehrere Abteilungen: Malerei, Technische Zeichnungen; Apparate, Maschinen, Modelle; Holzarbeiten, Spielzeug; Web- und Wirkwaren.

Geöffnet war die Ausstellung täglich von 9 bis 5 Uhr. Täglich einmal konzertierte die Lagerkapelle im Erfrischungsraum oder dem grossen Museumssaal. An den beiden Sonntagen sang ausserdem der Lagerchor. Der Andrang der Japaner zu diesen Konzerten war ganz ausserordentlich gross. Regelmässig fanden viele Besucher keinen Platz mehr. Auch konnte man viele täglich wiederkommende Zuhörer beobachten. Der Beifall war stark und herzlich. Ein gewisser Unterschied in der Aufnahme der verschiedenen Musikgattungen war festzustellen: Je flotter, rythmischer und eleganter, desto wärmer die Aufnahme.

Der Ausstellung angegliedert war ein Erfrischungsraum, in dem von Deutschen belegte Brötchen, einfache Eier- und Fleischspeisen, Eis, Limonade zu mässigen Preisen verkauft wurden. Im selben Haus befanden sich Verkaufstände von japanischen Fleischer-, Bäcker- und Konditorei-Firmen, die durch deutsche Kriegsgefangene Waren deutscher Art herstellen lassen. Besonders zwei Mühlen- und Bäckereibetriebe fanden mit ihrem "deutschen Brot" (Weiss- und Schrotbrot) reissenden Absatz. Die im Erfrischungsraum befindlichen Betriebe hatten mit der eigentlichen Ausstellungsorganisation nichts zu tun. Doch beteiligten sie sich durch freiwillige Beiträge an den Unkosten. Ihr sehr erheblicher Umsatz wurde leider nicht festgestellt.

Am Vormittag des ersten Ausstellungstages fand eine Eröffnungsfeier statt, an der unsere in Nagoya lebenden Landsleute, das deutsche Offizierkorps, die Aussteller, Vertreter des Lagers, Vertreter der Zivil- und Militärbehörden Nagoyas und andere geladene japanische Gäste teilnahmen. Vorträge des Lagerchores und der Lagerkapelle, verstärkt durch eine im Lager erbaute Orgel, wechselten ab. Der Lagerkommandeur Oberst Nakashima hielt, unterstützt durch statistisches Material über Alter, Gesundheitszustand, Schulbildung, Berufe, Körpergrösse und -gewicht der Kriegsgefangenen, eine Rede.

Nach der Feier fand eine Besichtigung der Ausstellung statt.

Vom Lagerkommando war die Versendung von Einladungen zur Ausstellung an alle in Japan lebenden Deutschen gestattet worden, diese Erlaubnis aber praktisch dadurch fast aufgehoben, dass jede Unterhaltung mit den deutschen Besuchern, ja selbst deren Begrüssung, den Kriegsgefangenen verboten wurde. Das Verbot wurde jedoch teilweise milde gehandhabt, teilweise umgangen, sodass, wie wir hoffen dürfen, die wenigen Deutschen, die unsere Ausstellung besuchten, an die dort verlebten Stunden gerne zurückdenken werden. Wir durften folgende Landsleute auf der Ausstellung begrüssen:
 

Herrn und Frau Hermann Hellfritsch
Herrn Karl Voss
Herrn Dr. Hahn
Herrn Professor Dr. Würfel
Herrn Pfarrer Schroeder
Herrn H. Hansen

Nagoya
Nagoya
Nagoya
Sendai
Tokio
Yokohama

Aus der Ausstellungsstatistik:
 

Besucherzahl an 9 Tagen
Höchstzahl an einem Tage (29.)
Zahl der Aussteller
Bruttoeinnahmen
Auszahlungen an Aussteller
Höhe der Unkosten

ca.
ca.
ca.
ca. Yen
ca. Yen
ca. Yen

93.000
19.200
120
4.200
3.300
212

Alles in allem dürfen wir mit Befriedigung auf die Ausstellung zurückblicken. Die damit verbundene Arheit und Anregung war allen Mitwirkenden eine willkommene Abwechslung im Einerlei der Gefangenschaft und half, gerade in jenen für unser Vaterland so schweren Tagen des Friedensschlusses, über trübe Gedanken und nutzloses Sorgen hinweg. Der geldliche Erfolg war ein ausserordentlich guter, die Kauflust der Japaner sehr gross. Es schien geradezu Mode zu sein, einen von Kriegsgefangenen angefertigten Gegenstand zu besitzen. Die verlangten Preise waren nicht immer gerade bescheiden, doch überstieg die Nachfrage derart das Angebot, dass mit ganz geringen Ausnahmen alles verkauft wurde. Bei mehr Zeit zur Vorbereitung oder Neuanfertigung während der Ausstellung hätte das Mehrfache des Umsatzes erzielt werden können. Namentlich Bilder Bilder waren sehr gesucht; leider muss gesagt werden, dass ihr künstlerischer Wert nicht immer im Einklang stand mit den geforderten und erhaltenen Preisen. Dem Geschmack vieler Käufer: "je bunter desto besser" wurde mehr als wünschenswert Rechnung getragen. - Weniger allgemeines Interesse, dafür aber nachhaltigeren Anteil bei Sachverständigen fanden die ausgestellten technischen Zeichnungen: Motoren- und Kraftwagenkonstruktionen, Backöfen, Häuser verschiedener Art und Grösse waren in Gesamtskizzen und Detailzeichnungen ausgestellt. Mehrere davon wurden verkauft oder gaben Veranlassung zu weiteren Verhandlungen.

So ist auch in kultureller Beziehung diese Ausstellung vielleicht nicht ganz ohne Bedeutung geblieben und hat dazu beigetragen, die beiden Völker einander besser kennen und verstehen zu lernen, wenn auch nur an ihrem sehr bescheidenen Teile. Zwischen den Deutschen und den japanischen Ausstellungsbesuchern herrschte stets ein gutes Verhältnis, auch nicht das geringste Zeichen irgendwelchen Hasses oder verwandter Gefühle war zu bemerken; dagegen wurde von mancherlei Zeichen freundlicher Gesinnung und menschlicher Anteilnahme erzählt. Mehrere 1000 Schulkinder besuchten klassenweise unter Führung der Lehrer und Lehrerinnen die Ausstellung, ebenso eine Anzahl Militärschüler und hohe Zivil-und Militärbeamte.

Unser herzlicher Dank gebührt dem Lagerkommandeur, Oberst Nakashima, der durch den Ausstellungsgedanken uns Beschäftigungsmöglichkeit gab und bei dieser Gelegenheit, wie in vielen andern Fällen, sein Interesse für uns und Verständnis für unsere seelische Lage bewies. Bedauerlich bleibt, dass trotz besten Willens auf unserer Seite ein reibungsloses Zusammenarbeiten mit dem japanischen Büro auch während der Ausstellungszeit nicht zu erzielen war, zumeist infolge einer uns gänzlich unverständlichen Kleinlichkeit und Engherzigkeit, teilweise infolge bewusster Böswilligkeit der untergeordneten jungen und unfertigen Aufsichtsoffiziere.

Von diesen Unannehmlichkeiten, die uns ja nicht ungewohnt sind, abgesehen, war und bleibt die Ausstellungszeit für alle an ihr Beteiligten ein Lichtpunkt in den fünf langen Jahren unserer Kriegsgefangenschaft in Japan.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
Zuletzt geändert am .