Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Nagoya

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Das Lager Nagoya am 12. März 1916

Aus dem Bericht von Sumner Welles

Auf diplomatischen Druck erlaubte die japanische Regierung 1916 einem Vertreter der US-amerikanischen Botschaft in Tokyo, die Gefangenenlager zu inspizieren. Aus dem Bericht des Botschaftssekretärs Sumner Welles wird hier der das Lager Nagoya betreffende Teil wiedergegeben.
Quelle: Bundesarchiv/Militärarchiv; die Übersetzung wurde 1916 vom Auswärtigen Amt besorgt. Unterstreichungen wurden weggelassen, Fußnoten (in rot) vom Redakteur hinzugesetzt.
 

Ich kam im Gefangenenlager zu Nagoya am 12. März [1916] um 8 ½ Uhr früh an und traf am Eingang den Kommandanten mit seinem Stabe und den Garnisonskommandanten.

Das Lager ist neu, erst seit August 1915 errichtet und befindet sich auf einer hoch gelegenen Fläche in den Vororten der Stadt. Die Lage ist vorbildlich. Bis zum August 1915 waren die Gefangenen in einem Tempel in der inneren Stadt untergebracht, der sich aber als durchaus ungeeignet erwies, weswegen das gegenwärtige Lager von der Verwaltung errichtet wurde. Auf dem neuen Lagergelände haben die Gefangenen reichlich Raum für körperliche Bewegung; 5 Tennisplätze sind vorhanden, von denen einige zur ausschließlichen Benutzung der Offiziere bestimmt sind, ferner stehen Fußballplätze zur Verfügung sowie Gärten, die von den Gefangenen angelegt worden sind. Außerdem verlassen die Gefangenen das Lager auch oft zwecks Ausführung von Planierungsarbeiten und Wegebauten für die Garnison; den Offizieren wird von Zeit zu Zeit gestattet, Spaziergänge außerhalb des Lagers zu unternehmen.

12 Offiziere und 420 Gemeine und Unteroffiziere sind im Lager untergebracht. Die Offiziere wohnen in demselben Gebäude, in dem sich die Amtsräume des Kommandanten befinden. Ihre Burschen sorgen für Küche und Bedienung; besondere Badeeinrichtungen und Küchenräume stehen zu ihrer Verfügung. Der älteste Offizier, Oberstleutnant von Kessinger, hat ein geräumiges Zimmer für sich allein, die übrigen Offiziere haben gemeinsame Schlafräume, die bequem und gut angelegt sind. Zahlreiche Vergünstigungen sind ihnen eingeräumt worden; sie haben Erlaubnis, sich aus der Stadt oder durch die Kantine, die täglich geöffnet ist, Lebensmittel oder sonstigen Bedarf zu bestellen. Die einzige Beschränkung, die lästig erscheint, besteht darin, daß sie nur 4 Briefe und 3 Postkarten monatlich absenden dürfen. Die Mannschaften dürfen sogar nur 1 Brief und 2 Postkarten im Monat abschicken. Oberstleutnant von Kessinger sagte mir, daß die Offiziere keine Klagen vorzubringen hätten; es könne wohl manches verbessert werden, im ganzen aber sei die Behandlung ungewöhnlich gut.

Die Mannschaften sind in 4 Baracken untergebracht, deren jede in 4 Räume geteilt ist. Von jedem dieser Räume ist ein Teil zur Benutzung für einen Unteroffizier abgetrennt, die übrigen Unteroffiziere bewohnen einen solchen Raum zusammen. Die Lagerstätten bestehen nur aus Matratzen, die Räume sind aber alle gut geheizt und gut gehalten.

Die Mannschaften haben ihre eigene Küche und Bäckerei, in denen dafür bestimmte Gefangene tätig sind. Den Mannschaften ist besondere Gelegenheit geboten, ihre Wäsche zu waschen, und die Bade- und sanitären Einrichtungen sind ausgezeichnet.

Ehe ich zur letzten Baracke kam, erklärten mir die Gefangenen alle, daß sie keine Klagen anzuführen hätten, in diesem Gebäude aber nahm ich zusammen mit einem Verzeichnis der Namen der Beschwerdeführer eine Beschwerde der Gefangenen entgegen, die behaupteten, daß sie ungerechter Weise als Kriegsgefangene eingesperrt seien; außerdem wurden mir zwei andere schriftliche Beschwerden übergeben und mehrere Klagen darüber vorgebracht, daß nur eine so geringe Anzahl von Briefen in jedem Monat abgesandt werden dürfe, die in der Tat niedriger ist als in allen anderen Lagern.

Die Gefangenen schienen alle wohlauf, gut gekleidet und zufrieden zu sein. Der Gesundheitszustand ist im allgemeinen sehr gut gewesen; ärztliche Hilfe kann täglich in Anspruch genommen werden. In der ersten Zeit des Bestehens des Lagers ist ein Gefangener an Typhus verstorben, den er sich in Tsingtau zugezogen hatte.1 Gegenwärtig befinden sich zwei Gefangene im Garnisonhospital, von denen der eine an der Bright'schen Nierenkrankheit, der andere an Tuberkulose erkrankt ist.2

Disziplinarische Bestrafungen haben nur in sehr geringem Maße angewendet werden müssen, und es bestehen gute Beziehungen zwischen den Gefangenen und ihren Bewachungsmannschaften. Nach dem, was ich von der Örtlichkeit wie von der Leitung des Lagers bemerken konnte, lassen die Verhältnisse hier wenig zu wünschen übrig, und die allgemeine Zufriedenheit der Gefangenen läßt ebenfalls wenig Ursache zu Beanstandungen.

Ich verließ Nagoya um 11 Uhr.

Einen Lageplan und die bereits angeführten schriftlichen Beschwerden erlaube ich mir beizufügen.3
 

Anmerkungen

1.  Gustav Adolf Jansen verstarb am 13.02.1915.

2.  Die Identität der Kranken ist nicht bekannt.

3.  Diese Papiere lagen dem Übersetzer nicht vor.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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