Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Narashino

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Besuch des Lagers Narashino am 16.07.1918

Bericht von Dr. F. Paravicini
 

Inhalt

  1. Bericht [im Original S. 20-22]
  2. Liste von Invaliden und Kranken [im Original Anhang I, S. 32]

Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen ausgeschrieben, Anmerkungen in [...] oder als Fußnoten hinzugesetzt.
 


Bericht

Ein neues Lager, seit 7. September 1915 bestehend, nach dem auch die Offiziere von Fukuoka mit ihren Leuten verbracht wurden und das noch in ständiger Vergrößerung begriffen ist. Es liegt in der Nähe ausgedehnter, besonders der Kavallerie dienender Baracken, Kasernen und Exerzierfelder, etwa 30 Kilometer ostnordöstlich von Tokyo, mitten in Heideland und Äckern, und wurde von uns am 16. Juli 1918 in etwa anderthalbstündiger Autofahrt vom Roten-Kreuz-Gebäude in Tokyo aus erreicht.

Das Lager ist nicht mit dem üblichen Bretterzaun, sondern nur mit Stacheldraht umschlossen; es deckt eine Fläche von über 95.000 Quadratmeter, 9 1/2 Hektar, ist räumlich bei weitem das größte in Japan. Auf die 8 Mannschafts- und 3 Offiziersbaracken entfallen etwa 8.000 Quadratmeter. Sie beherbergen 546 Deutsche mit 40 Offizieren und 2 Österreicher, wovon der eine ein Offizier. Ein großer Spielplatz, 3 Tennisplätze, zahlreiche Lauben, von kleinen Gärten umgeben, ein Musikpavillon, Werkstätten, Schlächterei, Bäckerei, die ganz ausgezeichnetes Brot liefert, Wäscherei, Küchen, Baderäume usw. Es bleibt noch reichlich Raum für geplante Vergrößerungen und Verbesserungen übrig. Dem Kartoffel[an]bau wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Schlächterei befasst sich auch mit der Wurstfabrikation. Seife wird im Lager erzeugt. Ein Streichorchester erfreute uns durch vorzügliche Leistungen auf im Lager hergestellten Instrumenten, die Vorträge des Gesangvereins standen dahinter in keiner Weise zurück.

Hundert Mann ziehen täglich aus, um an der Vergrösserung des Lagers zu arbeiten. Löhne für derartige Arbeiten betragen 7 Sen im Tag für Unteroffiziere, 4 Sen für Mannschaften. An monatlichen Unterstützungen beziehen die Deckoffiziere 4,65, die Unteroffiziere 2,10 und die Soldaten 1 Yen, wie in den anderen Lagern. Das Arrestlokal dieses Lagers ist bis jetzt noch nicht benutzt worden. Im Mai in Deutschland abgegangene Briefe sind schon zur Verteilung gelangt.

Im [Kranken-] Revier fand ich zwei fast geheilte Lungentuberkulosen, eine Nierentuberkulose und eine Wanderniere, im nahen Garnisonslazarett eine leicht verlaufene, nicht operierte Appendizitis. In letzteres werden alle ernsteren Fälle gebracht; eine Liste der bis jetzt dort Behandelten ergibt: 1 tuberkulöse Meningitis, 1 akute Otitis media, 1 Tonsilitis mit Laryngitis, 1 Pneumonie, 1 Pleuritis, 1 akute Gasteritis, je einen Fall von Magenkrämpfen und Leberleiden, 7 Appendizitiden, 1 akute und eine chronische Kolitis, 1 Periproctitis, einen Fall von Hämorrhoiden, 1 Wanderniere, 1 Nierentuberkulose, 1 Hydrocele, 2 Patellarfrakturen, 1 akute Alkoholvergiftung und 1 Influenza. Im Lager kommen täglich etwa 20 Mann zur ärztlichen Untersuchung. Gestorben sind bis jetzt vier, an Tuberkulose der Lungen und Meningen, an Pyopneumothorax und an Appendizitis.

Der Lagerkommandant war in Deutschland und hat Verständnis für deutsches Wesen, findet aber seine Aufgabe oft recht schwer und undankbar. Wünsche und Klagen wurden mir vom früheren Gouverneur von Tsingtau [Meyer-Waldeck] unter Beiziehung seines rangältesten Offiziers [Saxer] persönlich vorgetragen, mit der einleitenden Bemerkung, sie sprächen nicht für sich, sondern für die Allgemeinheit. Die Herren betonten, wie besonders für die Invaliden aller Lager eine Verbesserung, womöglich Heimsendung angestrebt werden sollte. Ferner wiesen sie darauf hin, wie eine ausreichende Ernährung überall nur durch Zuschüsse möglich sei. Die richtige Basis für die Lieferungen wäre die Menge und der Nährgehalt der Speisen, nicht deren jetzt in stetem Steigen begriffener Geldwert. Gebrauchsgegenstände können nur durch die Kantine bezogen werden, welche europäischen Bedürfnissen wenig Warenkenntnis entgegenbringt. Es wäre wünschenswert, dass Freunde außerhalb des Lagers beim Einkauf helfen dürften. Die Post, besonders für die Gefangenen mit Familie in fernen Landen von größter Bedeutung, könnte noch wesentlich mehr leisten. Es wurde gewünscht, das Absenden kleiner Pakete, z.B. an die Kinder der vielen in China weilenden Familien, und Bezug von Sachen von dort zu erlauben. Eine allgemeine Klage bezieht sich auf das enge Zusammenleben, den Mangel an Einzelzimmern und an Ruhe. Die Massenspaziergänge sind, besonders für ältere Herren und höhere Offiziere, zumindest keine Erholung. Es sollte in diesem Lande, wo ja Flucht seit dem Eintritt Chinas in den Krieg unmöglich geworden, freier Ausgang der Offiziere gegen Ehrenwort angestrebt werden.
 

Liste von Invaliden und Kranken


 

©  für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
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