Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Ninoshima

StartseiteGefangenschaft in JapanLagerNinoshima → Bericht Paravicini


Besuch des Lagers Ninohima am 04.07.1918

Bericht von Dr. F. Paravicini
 

Inhalt

  1. Bericht [im Original S. 22-26]
  2. Liste von Invaliden und Kranken [im Original Anhang I, S. 32]
  3. Liste beförderter Eingaben [im Original Anhang II, S. 34]
  4. Anmerkung

Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen ausgeschrieben, Anmerkungen in [...] oder als Fußnoten hinzugesetzt.
 


Bericht

Besteht seit 19. Februar 1917, auf der Insel gleichen Namens, etwa 8 Kilometer südwestlich vor Hiroshima, der bedeutendsten Stadt westlich von Kobe, in der Inlandsee. Von uns am 4. Juli 1918 von dem seiner Naturschönheiten und Tempel wegen berühmten Miyajima aus besucht. Das Lager liegt nahe am Strand am Südwestfuße des etwa 300 Meter hohen, mit Gras, Buschwerk und etwas Wald bewachsenen, zum Teil bebauten Inselgebirges.

Die Baracken wurden im russisch-japanischen Krieg als Quarantänestation benutzt. Es sind deren vier für Mannschaften, eine für Deckoffiziere und Unteroffiziere, eine für Offiziere, eine dient als Revier. Sie nehmen etwa 3.500 Quadratmeter Fläche ein, während das ganze Lager mit Verwaltungsgebäuden, Küchen, Bäckerei, Kantine, Bädern, Waschräumen, zwei Tennisplätzen, einem großen Spielplatz usw. etwa 16.000 Quadratmeter deckt. Es leben hier 536 Deutsche, davon 28 Offiziere, und 9 Österreicher mit 2 Offizieren.

Die Lage auf einer Insel bringt etwas erschwerte Verpflegung und höhere Lebensmittelpreise mit sich. Das Fleisch kommt zum Teil von Tsingtau. Ziehbrunnen haben sich die Gefangenen selber gebaut. An den Hängen des hinter dem Lager ansteigenden Berges sind Lauben, Blumen- und Gemüsegärten in weiter Ausdehnung erstanden. Von hier aus ist der Ausblick auf das Meer und die anderen Inseln sehr schön, während dem Lager selber ein Bretterzaun nach der Meeresseite hin alle Aussicht nimmt. Das Lager liegt mitten in der strategischen Zone des Kriegshafens Kure, was früher als Grund der Beschränkung angegeben wurde.

Der Rapport des Lagerarztes ergab für jenen Tag Folgendes: Ein Mann mit chronischem Gelenksrheumatismus lag in seiner Baracke, einer mit Schnittwunde und einer mit sekundärer Syphilis waren an der Arbeit, im Revier waren 1 Bronchitis, 2 akute Gastritiden, 2 chronische Enteritiden, 1 Analfissur, 1 Fall von Hämorrhoiden, 1 komplizierte Fersenbeinfraktur, 2 sekundäre Luesfälle, 3 Neurasthenien, 1 nervöse Arythmie zugleich an Appendizitis leidend, 1 rheumatische Tendovaginitis.
Schwerere Fälle werden nach dem Garnisonsspital Hiroshima verbracht, das wir am 5. Juli besuchten. Im neuesten und schönsten Pavillon dieses weitläufigen, saubern und gut ausgestatteten Lazaretts, das mit den überall zwischen den Baracken liegenden Gärtchen und Bäumen einen freundlichen Eindruck macht, fanden wir 13 kranke Gefangene; von diesen litten 2 an Bronchialasthma, 1 an Lungentuberkulose, 1 an Leistenbruch, 4 an Appendizitis, 1 an Analfissuren, 1 an sekundärer Syphilis, 1 an chronischer, eitriger Mittelohrentzündung, 1 an Unterschenkelgeschwür und 1 an Distorsion des Kniegelenks. Einem der Asthmafälle ging es ziemlich schlecht. Im übrigen herrschte hier eine bessere Stimmung als an irgend einem der andern von uns besuchten Orte. Der Tuberkulöse, über 50 Jahre alt, aber trotz Kehlkopfkomplikation sehr blühend aussehend und anscheinend auf dem Wege der Besserung, spazierte im Garten und klagte bloß über Langeweile. Von den Appendixfällen waren drei frisch im Frühstadium operiert und in sehr guter Verfassung. Auch die früheren, im folgenden erwähnten Fälle, meistens Frühoperationen in Lokalanästhesie, hatten gute Resultate gegeben.

Im Gesamtrapport des Spitals fanden sich an früher behandelten Gefangenen folgende Fälle: Influenza 1, Lungentuberkulose 3, Typhusbazillenträger 1, Neurasthenie 2, Ischias 1, Trigeminusneuralgie 1, Sarkom, vom Ischiaticus ausgehend, 1, akute Bronchitis 1, chronische Rhinitis 1, chronische Bronchitis 1, Emphysem der Oberkieferhöhle 1, Nasenseptumentzündung 1, Septumdeviation 1, Bronchialasthma 3, Oberlappenpneumonie 2, Aortenstenose 1, nervöse Arythmie 1, Hämorrhoiden 1, Hämorrhoiden mit Rhagaden 1, After- und Harnröhrentripper 1, akute Enteritis mit Hämorrhoiden 1, chronische Enteritis 1, akute Tonsilitis 1, Leistenbruch 1, Analfistel mit äußeren Hämorrhoiden und Gastritis 1, Appendizitis 8, Gallenstein 1, Mastdarmrhagaden 1, Striktur und Prostatahypertrophie 1, chronischer Tripper 1, syphilitische Lymphadenitis 1, sekundäre Syphilis 1, ulcus corneae 2, chronische Mittelohrentzündung 4, wovon 2 eitrig, chronisches Eczem 1, ulcus cruris 4, Gesichtsfurunkulose 1, Hydrops des Kniegelenks 1, Bursitis patellaris 1, Kontusion der Kniescheibe 1, Fraktur der Kniescheibe 1, Beinbruch 1, Distorsion des Kniegelenks 2, Schuß- und Bajonettverletzungen 7. Gesamtzahl der Todesfälle 3, Ursachen: syphilitische Darmperforation, Sarkom, akute Pleuritis.

Im Zuchthaus Hiroshima befinden sich zur Zeit 2 deutsche Gefangene, von denen einer nach Aussage des ihn besuchenden Schweizer Pfarrers Hunziker über nichts zu klagen hat. Der Andere empfindet die Härte, die man hierzulande besonders Flüchtlingen gegenüber an den Tag legt.

Die Hauptklagen des Lagers Niinoshima beziehen sich auf das sogenannte »Roeki«, das man vielleicht am ehesten mit »Pflichtarbeit« oder »Kontraktarbeit« übersetzen kann, dem aber so, wie es hier gehandhabt zu werden scheint, der Ausdruck »Zwangsarbeit« eher gerecht wird. Die Gefangenen transportieren in täglich wechselnden Abteilungen für 4 Sen Taglohn Erde auf Karren durch die Stadt Hiroshima. In anderen Lagern ist das Roeki weniger gemeine Kuliarbeit und wird von den Gefangenen als angenehme Abwechslung begrüßt. 160 Mann in diesem Lager, die sich als Nichtkombattanten bezeichnen und von denen 6 über 50 Jahre alt sind, beschweren sich in einer Eingabe über die ihrer Ansicht nach widerrechtliche Gefangenhaltung. Andere Klagen beziehen sich auf den Lärm im Lager, den mangelhaften Postdienst, das Unbeantwortetbleiben von Beschwerden, und wünschen, dass man in China lebenden Angehörigen von Gefangenen erlaubte, nach Japan zu kommen, wenigstens gelegentlich für ein paar Sommermonate. Der rangälteste deutsche Offizier [Haß] beklagt sich bitter, dass die gefangenen Offiziere schutzlos Beschimpfungen durch ihre eigene deutsche Mannschaft ausgesetzt seien, und betrachtet es als großen Übelstand, dass Offiziere und Mannschaften ein gemeinsames Lager haben. Vergleiche hiermit die gerade entgegengesetzten Wünsche der Offiziere in Nagoya und Oita.
 

Liste von Invaliden und Kranken


 

Liste beförderter Eingaben


 

Anmerkung

1.  Fußnote im Original: »Dieses ist durch das Kriegsgefangenenbureau in Genf geschehen.«
 

©  für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
Zuletzt geändert am .