Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Shizuoka

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Das Lager Shizuoka am 2. März 1916

Aus dem Bericht von Sumner Welles

Auf diplomatischen Druck erlaubte die japanische Regierung 1916 einem Vertreter der US-amerikanischen Botschaft in Tokyo, die Gefangenenlager zu inspizieren. Aus dem Bericht des Botschaftssekretärs Sumner Welles wird hier der das Lager Shizuoka betreffende Teil wiedergegeben.
Quelle: Bundesarchiv/Militärarchiv; die Übersetzung wurde 1916 vom Auswärtigen Amt besorgt. Unterstreichungen wurden weggelassen, Fußnoten (in rot) vom Redakteur hinzugesetzt.
 

Am 12. März 1916 um 4 Uhr nachmittags traf ich im Gefangenenlager von Shidzuoka1 ein, an dessen Eingang mich der Kommandant Hasumi und sein Stab erwarteten.

Die Unterkunftsgebäude von Shidzuoka liegen an zwei verschiedenen Plätzen in einiger Entfernung von einander; in der einen Abteilung haben 7 Offiziere mit ihren Burschen und 25 Unteroffiziere sowie einige Gemeine Aufnahme gefunden; in der anderen Abteilung sind die übrigen Mannschaften untergebracht. Im ganzen befinden sich im Lager 114 Gefangene.

Der Gesundheitszustand des Lagers ist nicht gut gewesen, was zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass die meisten der hier untergebrachten Gefangenen in Tsingtau mehr oder weniger schwer verwundet worden waren. Trotzdem waren zur Zeit meines Besuches nur noch 2 Mann schwer krank. Aus Mangel an Platz fehlt dem Lager ein Krankensaal, und die erkrankten Gefangenen werden dem Garnisonhospital überwiesen. Ein Arzt findet sich täglich im Lager ein, die Gefangenen klagen jedoch über Mangel an Vertrauen zu ihm. Ein Gefangener ist an den Folgen einer im Kriege erlittenen Verwundung gestorben.2

Den Offizieren ist gestattet, nach Belieben Bestellungen in der Stadt zu machen, auch ist für Offiziere und Mannschaften täglich eine Kantine geöffnet. Die Post für die Offiziere unterliegt keinerlei Einschränkung, während die Mannschaften nur 4 Briefe monatlich schreiben dürfen. Kleidung, Bettzeug und Kost sind wie in den meisten Lagern ausgezeichnet. Eine Verhängung von Disziplinarstrafen gegen Offiziere ist nicht notwendig gewesen und auch Mannschaften sind nur in einigen Fällen disziplinarisch bestraft worden. Ein Mann, der einen seiner Kameraden bestohlen hatte, erhielt eine Gefängnisstrafe3, alle anderen Urteilssprüche, deren Zahl klein ist, gingen nicht über 30 Tage Arrest im Wachlokal hinaus.

In beiden Lagerabteilungen fehlt es an Platz. Zu dem von den Offizieren bewohnten Teil gehört jedoch ein kleiner Garten, in dem sie spazierengehen können, sowie ein Tennisplatz. Dicht daneben liegt ein kleiner Schulhof, auf dem sich die Offiziere täglich 1 ½ Stunden lang ergehen können und zwar zu derselben Zeit, während der sich auch die Mannschaften dort aufhalten. Die Lagerabteilung, wo die Gemeinen untergebracht sind, befindet sich in der Stadt, ist von einer hohen Umzäunung umgeben und an zwei Seiten von öffentlichen Straßen begrenzt. Der Lagerplatz selbst wird fast gänzlich von dem Wohngebäude für die Mannschaften ausgefüllt. Der einzige Platz, auf dem sich die Leute bewegen können – von dem täglich 1-½-stündigen Spaziergang auf dem bereits erwähnten kleinen Schulhof abgesehen –, ist ein Hof von etwa 80 zu 20 Fuß Größe4, auf dem sich aber auch die Küche und die Aborte befinden, so dass kein Überfluß an frischer Luft herrscht.

Die sanitären Einrichtungen in dem für die Offiziere bestimmten Gebäude sind genügend, obgleich die Offiziere dieselben Bäder benutzen müssen wie die übrigen Gefangenen, in der Abteilung für die Mannschaften sind die sanitären Einrichtungen dagegen nicht gut. Am tadelnswertesten jedoch ist der Umstand, dass die einzige Versorgung mit Trinkwasser, die für die Gefangenen besteht, aus einem Brunnen erfolgt, der noch nicht 9 Fuß von den Abortanlagen entfernt liegt, in denen die Zustände widerlich sind. Die Gefangenen beklagten sich bitter über diesen Umstand. Das Wasser, von dem ich kostete, hat einen fauligen und ungesunden Geschmack und Geruch. Wie mir der Kommandeur sagte, ist das Wasser geprüft und für rein befunden worden. Es liegt jedoch auf der Hand, dass das aus einer solchen Brunnenanlage gepumpte Wasser schließlich verunreinigt werden muss und dass solche Zustände eine Gefahr für die Gesundheit des Lagers bilden.

Die Räume, welche die Offiziere bewohnen, liegen zwischen denen für die Offiziersburschen und denjenigen für die anderen in diesem Teil untergebrachten Gefangenen. Die Räume sind sehr überfüllt und die für die Offiziere getroffenen Einrichtungen nicht bequem. Alle Offiziere sind schwer krank gewesen, und die Unfähigkeit, Erholung und Ruhe zu finden, hat ihre Genesung beeinträchtigt.

Ich sprach mit dem ältesten Offizier und später auch mit allen anderen Offizieren. Sie klagten am meisten darüber, dass sie nicht genügend Platz hätten, um sich Bewegung zu verschaffen, auch das Fehlen eines Unterschiedes in der Behandlung, die ihnen und den Mannschaften zuteil wurde, bildete einen Grund zur Klage. Der älteste Offizier, Korvettenkapitän Matthias, sieht krank aus und bat um Erlaubnis, einen Facharzt für Nervenleiden um Rat fragen zu dürfen.5

Was die Klagen der Mannschaften anbelangt, so betrafen sie sämtlich den Mangel an geeigneten sanitären Einrichtungen und an Raum zur Vornahme körperlicher Übungen sowie das Fehlen eines tüchtigen Arztes. Die beiden ersten Klagen sind sicherlich berechtigt. Im Anschluß an die Beschwerde über die Unfähigkeit des Lagerarztes zeigt mir der Gemeine Unkel seinen Arm, der, wie er mir sagte, gebrochen und vom Lagerarzt wieder eingerenkt worden war. Jetzt, nach Verlauf eines Jahres, vermag der Gefangene den Ellbogen überhaupt nicht und das Handgelenk nur wenig zu beugen.6 Viele ähnliche Klagen wurden erhoben.

Mit Ausnahme dieser Klagen schienen die Leute mit ihrer Behandlung zufrieden zu sein. Andeutungen über schlechte Behandlung wurden nicht gemacht, und die zwischen den Gefangenen und den japanischen Offizieren und Wachen bestehenden Beziehungen schienen gut zu sein.

Ich verließ Shidzuoka um 7 ½ Uhr abends.
 

Anmerkungen

1.  Welles bzw. der Übersetzer schreibt durchgängig »Shidzuoka«; wir bleiben hier, wie auf den anderen Seiten des Projekts, bei »Shizuoka«.

2.  Gustav Matheis starb am 13.04.1915.

3.  Die Identität des Soldaten ist nicht bekannt.

4.  Fußnote im Original: »Sämtliche Maße und Gewichtsangaben beziehen sich auf englische Maße und Gewichte.«

5.  Nach Berichten von Zeitzeugen trat das Nervenleiden bereits während der Kriegszeit auf.

6.  Ausgerechnet Unkel entwich zwei Tage später (!) aus dem Lager – hat die Beschwerde vielleicht zu seinem Fluchtplan gehört?
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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