Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Bando (Oasa) 1969

von H. G. Röhreke

Der folgende Text stammt von H. G. Röhreke, dessen Vater Otto Röhreke von 1914 bis 1920 Gefangener in Marugame bzw. Bando war. Er hatte im April 1969 Gelegenheit, das ehemalige Lager Bando aufzusuchen.
 

Die Seerechtskonferenz des Comité Maritime International, die Anfang April 1969 in Tokio stattfand, und meine hiermit verbundene erstmalige Anwesenheit in Japan sind der Anlaß für meine Absicht gewesen, eine Reise nach Bando, dem heutigen Oasa, auf der Insel Shikoku zu unternehmen. Die Reise sollte eine echte sentimental journey werden, weil an genanntem Ort mein Vater mehr als fünf Jahre seines Lebens zugebracht hat, und zwar in der Zeit von 1914 bis 1920 als Kriegsgefangener des ersten Weltkrieges. Seinen Erzählungen zufolge hat mein Vater, der im Jahre 1965 gestorben ist, diese Zeit zwar als harte Prüfung empfunden, die Behandlung von japanischer Seite aber stets als außerordentlich fair, ja entgegenkommend und die Kontakte mit der Bevölkerung als höchst erfreulich gewürdigt.

Meine Reise nach Bando hat sich nur verwirklichen lassen durch die äußerst liebenswürdige Hilfe von Menschen, die meinen Absichten großes Interesse entgegenbrachten. Besonders zu erwähnen sind

Den genannten Persönlichkeiten bin ich für all ihre freundschaftliche Hilfe, ohne die meine Absichten nie hätten realisiert werden können, zu aufrichtigem, herzlichem Dank verbunden.

Von Kyoto kommend, bin ich am 8. April über Osaka mit dem Flugzeug am frühen Nachmittag in Tokushima eingetroffen. Ich wurde dort von den Herren TADOKORO, TAKEDA und YAMAKI, letztere beide vom Vorstand der Deutsch-Japanischen Gesellschaft, empfangen. Wir besuchten gemeinsam den Präfekten, Herrn TAKEICHI, mit dem ich ein Gespräch über den Zweck meiner Reise und über meine bisher in Japan gewonnenen Eindrücke führte. Diesem Gespräch schloß sich im gleichen Raum eine Presse-Konferenz an, wobei etwa zwanzig Wort- und Bildreporter anwesend waren (bebilderte Presseausschnitte erhielt ich am nächsten Tag). Nach der Presse-Konferenz wurde eine Stadtrundfahrt unternommen, die in meinem Hotel SUMIYA endete. Das Abendessen fand auf Einladung des Präfekten, Herrn TAKEICHI, in japanischem Stil in einem Restaurant statt und dauerte annähernd vier Stunden. Besonders zu erwähnen sind der Blick, der sich in einen außerordentlich hübsch angelegten Garten des Restaurants eröffnete, und das gemeinsame Tanzen des AWA ODORI, womit das Essen schloß. Ich habe Herrn TAKEICHI, der auch Präsident der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in TOKUSHIMA ist, einen Band photographischer Aufnahmen Deutschlands überreicht.

Am 9. April um 9:00 Uhr wurde ich vom Wagen der Präfektur zur Fahrt nach Bando, das sich heute Oasa nennt, abgeholt, begleitet von den Herren, die mich tags zuvor vom Flugplatz abgeholt hatten. Wir passierten dabei zahlreiche weiß gekleidete Pilger, die hier ihre Wallfahrt zu den achtundachtzig buddhistischen Tempeln Shikokus beginnen und damit noch immer in großer Zahl einer alten Sitte folgen. Über meine Eindrücke von Bando berichte ich weiter unten. Zu unserer Gruppe trat dort auch der Bürgermeister von Naruto, Herr Mitsuji TANI, als dessen Gast ich mich fortan betrachten durfte. Nach dem Besuch von Bando folgte ein kurzer Besuch des Tempels Reizan-ji, der über eine außerordentlich schöne Pagode verfügt. Dann ging es durch Reisfelder, durch die Stadt Naruto, über die große, moderne Konaruto-Brücke, vorbei an vielen Salinen-Anlagen hoch hinein in die Berge, in denen sich der Naruto-Nationalpark befindet. Hier, an der nordöstlichen Spitze Shikokus, sind die berühmten Naruto-Strudel, die sich in der Meerenge zu der nur eineinhalb Kilometer entfernt liegenden Insel Awaji bilden, dort, wo die Wasser der Inlandsee und des Pazifik zusammentreffen. Die Strudel sind an einem schönen Tag - und um einen solchen handelte es sich - ein außerordentlich pittoreskes Erlebnis. Nach einem wiederum in japanischem Stil gehaltenen Mittagessen in dem hoch über den Strudeln gelegenen Restaurant führte die Fahrt über die am Fuße der Felsen entlang laufende, oft mit Palmen gesäumte Küstenstraße zurück zum Flugplatz Tokushima. Der Abschied von meinen zahlreich gewordenen Freunden war ein sehr bewegter. Mein Flugzeug startete um 14:30 Uhr in Tokushima und landete ohne Zwischenstop um 16:15 Uhr in Tokio.

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Das ehemalige Kriegsgefangenenlager von Bando steht heute nicht mehr. Die letzten der etwa vierzig Baracken,in denen einige 900 Soldaten untergebracht waren, sind im vergangenen Jahr abgerissen worden. Man sah nur noch die gemauerten Fundamente von vier der einstigen Holzbauten und konnte aus ihren Abmessungen schließen, daß der dem Einzelnen zur Verfügung stehende Raum nicht allzu groß gewesen sein kann. Ganz in der Nähe des ehemaligen Lagers steht ein noch heute in Betrieb befindliches, gemauertes Stallgebäude, das von den Kriegsgefangenen zum Zwecke der Rinder- und Schweinezucht gebaut wurde. Auf dem Komplex des Lagers stehen jetzt viergeschossige Wohnblocks, die von Angestellten der umgebenden Betriebe bewohnt werden. Der Lagerkomplex liegt in der Ebene, aber ganz am Fuße mittelhoher, dicht bewachsener Berge, deren jenseitige Hänge zur Inlandsee hinabführen. Über diese Berge, in denen man früher Holz geschlagen hat, soll man oft zum Baden gewandert sein - eine sehr naheliegende Vorstellung angesichts der erheblichen Wärme, die hier schon Anfang April zu verspüren war (Shikoku liegt auf nordafrikanischen Breitengraden!).

Etwas oberhalb des ehemaligen Lagers, an dem in die Berge hineinführenden Weg liegt das Grabmal für die elf in der Zeit der Kriegsgefangenschaft gestorbenen Angehörigen des Lagers. Es ist ein etwa mannshoher Granitstein, in den die Namen und Daten der Verstorbenen eingemeisselt sind. Der Platz befindet sich in einem durchaus gepflegten Zustand, umgeben von Orangen-Bäumen, die zur Zeit meines Besuches bereits Früchte trugen. Unmittelbar neben dem Grabmal findet sich ein kleinerer Granitstein mit japanischen Schriftzeichen, Er ist zum Gedenken an einige Japaner errichtet worden, die beim Baden in dem ganz in der Nähe gelegenen kleinen Stausee umgekommen sind. Mir wurde bedeutet, daß die Nähe der beiden Grabsteine bewußt gewählt worden sei, um die toten Deutschen dort nicht allein ruhen zu lassen. Dieser Gedanke scheint mir symptomatisch für den Geist, mit dem man noch heute die deutsche Gedenkstätte umgibt. Ihre Pflege liegt seit langen Zeiten in den Händen von Frau TAKAHASHI, die mich mit einem ihrer Enkelkinder während meines dortigen Besuches geleitete. Als wir zum Grabmal kamen, entzündete sie an diesem einige Kerzen und auch etliche der kleinen buddhistischen Räucherkerzen. Ich selbst legte am Grabe einige Blumen nieder. Nach den Minuten des Gedenkens, die wir dort verbrachten, gab mir Frau TAKAHASHI einige der neben dem Grabmal wachsenden Apfelsinen mit auf den Weg und bat mich, alle noch lebenden Angehörigen des ehemaligen Lagers, denen ich begegnen möchte, von ihr zu grüßen.

Zu den Stätten des Erinnerns an die ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen gehört auch der Shinto-Schrein Oasa Jinja. Empfangen von einem weiß gekleideten Shinto-Priester betraten wir den Schrein, beteten vor dem offenen Altar und begaben uns dann über die mit Lampions geschmückten Wege in das äußerst gepflegte Gehölz. Da die Kirschbäume gerade zu blühen begonnen hatten, zeigten sich die gärtnerischen Anlagen in schönstem Gewände. Bald fanden sich Hinweisschilder in japanischer und lateinischer Schrift, die auf die "Deutsche Brücke" deuteten - eine selbst in Prospekten vom Naruto-Distrikt wiedergegebene Sehenswürdigkeit der Gegend. Es handelt sich um eine über einen kleinen Bach führende Bogenbrücke, die von den Pionieren des damaligen Lagers im deutschen Stil errichtet wurde. Unweit davon befindet sich eine noch kleinere, aus zwei Bögen bestehende Brücke, die ihrer Konstruktion wegen die "Brillenbrücke" genannt wird. Die Brücken erscheinen mir deshalb bemerkenswert, weil sich ihr Stil in hervorragender Weise dem Charakter der landschaftsgärtnerischen Anlagen anpaßt, in denen sie errichtet sind. Der Rundgang durch den Park endete mit einer Eintragung in das Ehrenbuch des Schreins, die ich dem Gedenken meines Vaters widmete. Der mich geleitende Shinto-Priester überreichte mir zur Erinnerung einige Aufnahmen des Schreins und brachte mich dann bis zu dem großen die Straße überspannenden Tor, wo wir uns gegenseitig mit vielen guten Wünschen voneinander verabschiedeten.

Mein Besuch im ehemaligen Lager der Kriegsgefangenen, am Grabmal und im Shinto-Schrein hatte, vermutlich durch vorherige Presse-Mitteilungen, offensichtlich das Interesse der Öffentlichkeit erregt. So geschah es, daß sich unmittelbar nach unserem Eintreffen am ehemaligen Lager mehr als ein Dutzend Kraftfahrzeuge einfanden. Es kamen Vertreter der Gemeinde Oasa, Bürger aus der Umgebung und eine ganze Schar von Presse- und Fernsehreportern. Sie alle begleiteten mich zu den verschiedenen Plätzen wie in einer Prozession, nahmen mich immer wieder auf und stellten Fragen nach den von mir empfundenen Eindrücken. Ich wurde am Grabe gefilmt, verschiedentlich mit Frau TAKAHASHI aufgenommen und mußte mehrfach die "Deutsche Brücke" passieren, um dem Fernsehen Genüge zu tun. Den Bemerkungen, die hierzu gemacht wurden, habe ich immer wieder entnommen, daß man meinen Besuch nicht nur als ein Erinnern nun schon "in der zweiten Generation der Kriegsgefangenen", wie es hieß, würdigte, sondern auch als Beitrag zur Pflege der deutsch-japanischen Bindungen empfand. Aus diesem und damit in Zusammenhang stehenden Erlebnissen habe ich auch den Eindruck gewonnen, daß man sich dort in Tokushima in weiten Kreisen mit Deutschland verbunden oder zumindest doch an Deutsehland interessiert fühlt. (Die gegenwärtige Teilung unseres Landes war im übrigen verschiedentlich Gegenstand von Fragen.) Es scheint kein Zweifel, daß die ehemaligen Kriegsgefangenen mit ihren zahlreichen Beiträgen, die sie zur Förderung der dortigen Landwirtschaft geleistet haben, mit der von ihnen geübten Pflege von Musik, Sprachen, Sport und durch das enge Verhältnis, das sie zur Bevölkerung unterhielten, bleibende gute Eindrücke hinterlassen haben. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob es nur hieran oder auch an anderen Umständen liegt, daß man sich dort stark an der wissenschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands interessiert zeigt.

Aus all den zahlreichen Begegnungen ist zunächst diejenige mit Frau TAKAHASHI noch einmal hervorzuheben. Sie macht die Pflege des Grabmals der dort verstorbenen deutschen Kriegsgefangenen durchaus zu ihrer eigenen Sache. Ich habe verstanden, daß sie, die jetzt etwa sechzig Jahre alt sein mag, die Absicht hat, das Grab bis zu ihrem Lebensende zu betreuen. Sodann ist Herr HASHINO zu erwähnen, ehemaliger Bürgermeister von Oasa, der sich lebhaft bemühte, mir Einzelheiten vom Lager und vom Dasein der Kriegsgefangenen zu erläutern. Schließlich wird unvergessen bleiben die Begegnung mit dem kleinen kahlhäuptigen und schon am Stock gehenden Herrn Hideiichi KURUSHIMA. Sein Alter zählt schon mehr als achtzig Jahre, und er ist einer der wenigen noch lebenden Japaner, die seinerzeit in ständigem Kontakt mit den Kriegsgefangenen standen. Herr KURUSHIMA brachte Milch ins Lager und hat mit Herrn Clausnitzer den Rinder- und Schweinestall gebaut, von dem oben die Rede war. Von lebhaften Gesten begleitet nannte Herr KURUSHIMA noch verschiedene andere deutsche Namen, die in seiner Erinnerung verblieben sind, und sprach von all' diesen Menschen wie von seinen Freunden. Auf meine Bitte führte er mich in sein Haus, gab mir seine Visitenkarte und schüttelte lange meine Hand zum Abschied.

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Unmittelbar neben dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager, am Fuße der Berge von Oasa, soll jetzt ein deutsches Clubhaus entstehen. Die Pläne, die bereits in Auftrag gegeben sind, sollen in diesem Jahr fertiggestellt und der Bau im nächsten Jahr durchgeführt werden. Bauherr ist die Deutsch-Japanische Gesellschaft in Tokushima, die Mittel werden, wie ich verstanden habe, vollständig vom Distrikt Naruto zur Verfügung gestellt. Das Clubhaus wird der Pflege der Beziehungen zu Deutschland dienen und Gegenstände zeigen, die die Entwicklung in unserem Lande repräsentieren. Sicherlich muß dieses Vorhaben als ein Zeichen außergewöhnlich großen Interesses an Deutschland gewürdigt werden, wenn man sich die Abgelegenheit des Platzes, die dortige geringe Bevölkerungsdichte und den hohen Aufwand an Mitteln vergegenwärtigt. Der Naruto-Bezirk, in dem Oasa liegt, ist nicht nur landschaftlich sehr schön, sondern scheint sich auch wirtschaftlich stark zu entwickeln. Davon zeugen nicht nur sehr gut ausgebaute Straßen und das imposante Bauwerk der Konaruto-Brücke, sondern auch zahlreiche moderne Industrieanlagen und der großzügige Ausbau des Nationalparks. Von der Nordostspitze Narutos wird in Kürze eine 1,4 km lange Brücke über den Strudel hinweg nach der Insel Awaji gebaut werden, um über die Küstenstraße dieser Insel in deren Norden die weitere Brücke zu erreichen, die in einer Länge von 5 km nach Kobe geschlagen werden soll. Gelingt dieses Projekt - das allerdings noch mit einigen Unbekannten belastet ist - dann wäre die Landverbindung zwischen Honshu und Shikoku hergestellt. Daß daraus großer wirtschaftlicher Nutzen für das Land entstehen kann, liegt auf der Hand.

Im Jahre 1970 wird in Osaka eine Weltausstellung stattfinden. Ihre Vorbereitungen finden schon jetzt große Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang ist mir gegenüber von Herrn TANI, dem Bürgermeister von Naruto, der Wunsch geäußert worden, nach der Ausstellung in Osaka einige deutsche Exponate in seinem Bezirk zeigen zu können. Man meint, daß man auf kaum eine andere Weise so gut einen Eindruck von deutscher Leistung würde gewinnen können als auf diesem Wege. Angesichts des lebhaften Interesses, das ich dort so vielfältig angetroffen habe, meine ich, daß man einem sehr guten Zweck dienen würde, wenn man auf diese Wünsche eingehen könnte.

Hamburg, 19. April 1969
H. G. Röhreke
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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