Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Erster Bericht über die Eindrücke der 5. Lagerreise Ende April/Anfang Mai 1917

von Jakob Hunziker
 

Der Schweizer Pfarrer Jakob Hunziker, Missionar des »Allgemeinen evangelisch-protestantischen Missionsvereins (Weimar)«, war »der nachweislich aktivste Geistliche«, der sich um die Gefangenen in Japan kümmerte. »Von ihm liegen insgesamt neun Rundreiseberichte vor, deren Anzahl vermutlich der Anzahl seiner Reisen zu den Lagern entspricht.«1

Der vorliegende Bericht über die 5. Reise liegt als Kopie im Bestand RM 3 des Bundesarchivs/Militärarchivs vor. Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen aufgelöst, Zwischenüberschriften eingefügt und Ergänzungen in [...] oder als Fußnote hinzugesetzt.
 

Allgemein

Seit meinen letzten Mitteilungen sind in den Lagern einige Verschiebungen vorgekommen.

Das Lager Osaka wurde aufgehoben und nach Ninoshima, einer kleinen Insel im Hafen vor der Stadt Hiroshima, verlegt. In Osaka blieben die Insassen des Zuchthauses und die Invaliden, die immer noch auf die Reisebeförderung warten, zurück.

Die drei Lager in den Städten Tokushima, Marugame und Matsuyama auf der Insel Shikoku wurden zu einem im Dorfe Bando in der Nähe der erstgenannten Stadt vereinigt.

Auf die Wirkungen der Verlegungen werde ich später zurückkommen.

Der Gesundheitszustand in den Lagern ist nach wie vor bemerkenswert gut. Schwer krank fand ich in Kurume Hauptmann Moslener; ob die Befürchtungen, dass er die Krankheit nicht überstehen werde, sich erfüllt haben oder nicht, weiß ich nicht zu sagen. Von den Invaliden an den verschiedenen Orten wurde ich angegangen, ihnen doch behilflich zu sein, dass sie bald aus ihrer Lage erlöst werden, entweder durch Heimbeförderung oder durch Verbringung an einen Erholungsort Japans. Ich leitete ihren Wunsch an den [Schweizer] Gesandten, der sich schon oft in der Sache bemüht hatte, weiter. Leider konnte ich den Leuten nicht sagen, warum die Erfüllung ihrer Hoffnungen von Tag zu Tag hinausgeschoben würde. In Kurume und Ninoshima wünschten die Männer, welche ihre Frauen in Tientsin haben, dass letzteren wegen drohenden Unruhen die Rückkehr nach Tsingtau gestattet würde. Der Schweizer Gesandte hat sich auch dieser Sache angenommen.
 

Ninoshima

Die Insel liegt wunderhübsch zwischen anderen in der Bucht von Hiroshima. Die Luft ist ausgezeichnet und wird die Sommerhitze hier sicher auch weit erträglicher als in der großen Stadt Osaka sein. Leider fand ich die Stimmung der Offiziere eher schlechter als im alten Lager. Sie waren bitter enttäuscht über das im neuen Gebotene. Obwohl die Insel Raum in Hülle und Fülle bieten würde, hat man den zur Verfügung gestellten Raum sehr beschränkt. Ein hoher schwarzer Bretterzaun schließt das Lager so nach außen ab, dass den Leuten jeder Blick aufs Meer genommen ist. Die Zahl der Baracken ist so gering, dass für Unterrichts- und Versammlungszwecke kein Platz mehr übrig blieb. Der Unmut der Leute darüber ist sehr begründet, weil außerhalb des Zaunes noch einige unbenutzte Baracken liegen. Der Kommandant des Lagers mag gerecht sein, aber ist streng und pedantisch und findet den Weg nicht zu einer freundlichen Behandlung. Eine geraume Zeit durfte ich mit den Offizieren sprechen, und da der Dolmetscher nicht neben uns stand, so hatten sie Gelegenheit, ihre Beschwerden vorzubringen. Es ist sehr zu bedauern, dass die Kommandantur, welche dieselbe ist wie in Osaka, es versäumt hat, bei der Errichtung des neuen Lagers weitsichtiger vorzugehen.
 

Bando bei Tokushima

Der Leiter [Matsue] dieses Lagers, das nun fast 1.000 Gefangene enthält, ist der Kommandant des früheren Tokushima-Lagers. Ich habe in meinen letzten Mitteilungen darauf hingewiesen, dass in diesem die Behandlung der Gefangenen in jeder Hinsicht die wohlwollendste war. Diese humane Gesinnung kommt nun auch Bando zugute. Man sagte mir da gleich, dass die Leute der beiden andern Lager Marugame und Matsuyama sich in wenigen Tagen geändert hätten in den neuen Verhältnissen. Verdrießlichkeit und gedrückte Stimmung seien vollständig verschwunden. Die Offiziere haben Platz in Fülle. Zwei größere Teiche können ihnen im Frühjahr als Badeplätze dienen. Auch die Mannschaft hat Raum zur Genüge. Im Gegensatz zu Ninoshima wurden alle vorhandenen Baracken zur Verfügung gestellt und nur mit einem Stacheldrahtzaun umgeben. So haben die Leute die Möglichkeit, in die Ferne das Tal hinauf und hinunter zu blicken. Da die Einfriedigung sich bis gegen die Mitte des Berges, an dem das Lager liegt, hinzieht, so ist den Gefangenen auch die Möglichkeit gegeben, ihre Blicke über das nicht allzu ferne Meer schweifen zu lassen. Als ich dort war, hatte der Kommandant gerade dem deutschen dienstältesten Offizier [Kleemann] einen Raum für die anzulegende Allee geschenkt und mit ihm über die Pläne gesprochen. Auch die Tokushima-Leute befinden sich hier ganz wohl, obwohl etwas von den alten Gemütlichkeit durch die Größe des Lagers verloren gegangen ist. Der frühere Dienstälteste derselben, Kapitänleutnant Dümmler, der vorzüglich mit den Japanern umzugehen weiß, aber in dem letzten Jahre sehr an Nervengeschichten gelitten hatte, sagte mir, dass es ihm hier viel besser gehe und sein Übel fast verschwunden sei.
 

Kyuschu-Lager

Oita
Der Kommandantenwechsel hatte hier in der alten guten Stimmung des Lagers keine Änderung gebracht. Der neue Leiter ist ein sehr freundlicher Mann, und die Offizere befinden sich recht gut unter ihm. Die Soldaten finden ihn ein wenig pedantischer als den früheren, weil er sich nicht dazu herbeiließ, extra Spaziergänge wie der frühere zu bewilligen.

Kurume
Leider hat auch hier der Kommandowechsel keine Änderung geschaffen. Das Lager ist immer noch so eng wie früher, und die Stimmung ist keine bessere.

Fukuoka.
Auch über das Offizierslager ist nichts Besonderes zu sagen. Der Gouverneur [Meyer-Waldeck] sah frisch und kräftig aus. Hingegen fand ich Kapitän zur See Ludwig Saxer etwas leidend, vielleicht als Nachwirkung der Katastrophe, die ihn besonders erschüttert haben musste, da er sich der traurigen Sache besonders anzunehmen hatte.2
 

Hondo-Lager

Aonogahara
Es ist zu diesem Lager nichts Besonderes zu bemerken. Ich hatte hier nur wenige Minuten Gelegenheit, mit den Offizieren zu sprechen, innerhalb derer keiner den Versuch machte, eine Klage vorzubringen. Ein Zeichen, dass die Lagerverhältnisse im Allgemeinen befriedigend sind.

Nagoya
Das früher Erwähnte trifft auch jetzt noch zu, das Lager scheint mir zu den besseren zu gehören. Die Soldaten haben nette Blumenlager gemacht, und die kleinen Häuschen, die sich einige Offiziere gemacht hatten, waren mit Blumenbeeten umgeben. Das Lager macht infolgedessen einen recht schmucken Eindruck.

Shizuoka
Hier scheinen sich die Verhältnisse unter der neuen Kommandantur gar nicht verbessert zu haben. Ich konnte es diesmal erreichen, dass mir gestattet wurde, einige Worte mit den Offizieren zu sprechen. Die Erlaubnis dazu wurde mir aber sehr ungern gegeben und verlangt, dass sich die Unterredung ganz auf religiöse Gegenstände beschränke. Die Gefangenen, welche sowieso unter der Enge des Lagers zu leiden haben, empfinden selbstredend eine engherzige Behandlung umso mehr, und die Verhältnisse sind für sie recht schwer zu ertragen.

Narashino
Von diesem weiträumigen guten Lager gilt auch heute noch das im letzten Bericht Erwähnte.
 

Zuchthäuser

Ich besuchte an vier Orten die Insassen in den Strafanstalten. Gesundheitlich fand ich sie in ordentlichem Zustande. Dass die Einsamkeit und die ganz andere, fast unzureichende Nahrung auf den Gemütszustand recht nachteilig wirkt, kann man sich leicht denken. Es ist daher für alle [eine] große Wohltat, wenn sie wieder einmal einige Worte in ihrer Muttersprache reden können.

In Fukuoka fand ich einen der Insassen in den Nerven vollständig erschüttert, er litt infolgedessen auch an Verdauungsbeschwerden. Der Direktor, ein menschenfreundlicher Mann, hat ihm besondere Nahrung – vor allem Milch – verabreichen lassen, und, damit er nicht mehr alleine sein musste, erlaubt, dass einer seiner Mitgefangenen mit ihm zusammensein durfte.

In Takamatsu befand sich der Gefangene, welcher im Januar an sehr ungenügender Nahrung litt und auch von körperlichen Beschwerden heimgesucht war, in weit besserem Zustande. Er sagte mir, dass er nun 1/2 mehr Nahrung bekäme als bei meinem letzten Besuche und dass auch seine Beschwerden verschwunden seien.

Da seit Januar niemand mehr diese Gefangenen besucht hatte, der in [ihren] Sachen hätte handeln können, scheinen doch meine damaligen Vorstellungen gefruchtet zu haben. Ein anderer hatte verschärfte Strafe zu erdulden, weil er sich geweigert hatte, an den christlichen Festtagen zu arbeiten. Er berief sich auf die ihm beim Eintritte vorgelegten Reglemente, und als man von Seiten der Direktion nicht darauf einging, reichte er eine Beschwerde ein, die, wie man ihm gesagt hat, nicht weitergeleitet worden ist. Er verweigerte daraufhin wieder die Arbeit und wollte so lange »streiken«, bis die Klageschrift an das Kriegsministerium ausgehändigt würde. Natürlich trat wiederum Strafverschärfung ein. Die Nahrungsmenge wurde verringert. Er bekam vier Tage lang 1/3 weniger. Fünf Tage hatte er keinen Ausgang. Einen Monat lang wurde ihm das Briefeschreiben untersagt. Da die andauernde Arbeitsverweigerung [unleserlich], drohte noch weitere Maßregelung. Ich konnte den jungen Mann zur Einsicht bringen, dass jede Auflehnung fruchtlos sei und für ihn nur unangenehme Folgen nach sich ziehen müsse. Er versprach mir beim Abschied, wieder zu arbeiten und zeigte große Freude, dass er mit jemandem über die Sache hatte sprechen können.

Eine kurze Gefängnishaft von vier Monaten hatte ein österreichischer Offizier in Hiroshima abzusitzen. Er hatte sich bei der Verlegung des Osaka-Lagers nach Ninoshima geweigert, sich photographieren zu lassen. Ich fand ihn munter und in Bezug auf Behandlung befriedigt.

In Osaka fand ich keine Veränderung, als dass die Sehnsucht, bald aus der Haft entlassen zu werden, zugenommen hatte. Sie hatten Gelegenheit, Klagen vorzubringen, aber sie verzichteten darauf.
 

Anmerkungen

1. Klein, S. 264. – Zur Person siehe Otto Marbach: Missionar Pfarrer Jakob Hunziker-Sutz in Tokyo, in: Ostasien-Jahrbuch 1 (1921), S. 90-94. Von 1919 bis 1923 war Hunziker Pfarrer der Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache Tokyo-Yokohama.

2. Höchstwahrscheinlich ist hier die Ermordung der Frau von Saldern gemeint und der anschließende Freitod des Ehemanns Siegfried von Saldern gemeint.
 

©  für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
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