Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Kurume

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Besuch des Lagers Kurume am 30.06.1918

Bericht von Dr. F. Paravicini
 

Inhalt

  1. Bericht [im Original S. 16-18]
  2. Liste von Invaliden und Kranken [im Original Anhang I, S. 31-32]
  3. Anmerkungen

Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen ausgeschrieben, Anmerkungen in [...] oder als Fußnoten hinzugesetzt.
 


Bericht

Besteht seit 4. Oktober 1914, besucht am 30. Juni 1918. In der Nähe des gleichnamigen Hauptortes der alten Provinz Chikugo, jetzt zur Präfektur Fukuoka gehörig, etwa 36 Kilometer südlich inlands von der am Meer gelegenen, blühenden Hauptstadt Fukuoka, an der Eisenbahnlinie Moji–Kagoshima, in der fruchtbaren, aber heißen Ebene der Insel Kyushu.

Das Lager, früher zu Isolierungszwecken für die japanische Armee verwendet, ist das bevölkertste und verhältnismäßig engste. 1259 Deutsche mit 55 Offizieren und 45 Österreicher mit 2 Offizieren leben hier auf einer Fläche von etwa 26.000 Quadratmetern, wovon die 16 großen Baracken mehr als ein Viertel einnehmen. Diese sind alle belegt, besondere Lese-, Unterrichts- oder Unterhaltungsräume fehlen. An Spiel- und Erholungsplätzen sind vorhanden: für Offiziere ein Spazier- und Faustballplatz von etwa 290 Quadratmetern und ein Tennisplatz von zirka 400 Quadratmetern Fläche, für Unteroffiziere ein Miniaturtennisplatz von 280 Quadratmetern, für die Allgemeinheit ein Laufplatz von 440 Quadratmetern in einer Ecke des Lagers, und der Hauptplatz von 680 Quadratmetern, im Zentrum mit Reck, Barren und einer monatlich einmal für Theatervorstellungen geöffneten Bühne. Als Spazierweg dient der schmale Raum zwischen den primitiven Latrinen und dem Bretterzaun, der aber von 7 Uhr abends an gesperrt ist. Außerhalb des Lagers ist kein Platz und keine Arbeitsgelegenheit. Die hie und da veranstalteten Massenspaziergänge wurden der in der Gegend herrschenden Ruhr wegen längere Zeit eingestellt; jetzt sollen aber wieder täglich Abteilungen hinausgeführt werden. Für Blumenzucht, Garten- und Ackerbau, Viehzucht etc. reicht der Platz nicht.1 Einige Ansätze dazu, sowie zu Handwerksarbeiten, für die es übrigens an Werkzeug mangelt, verraten den Trieb nach Betätigung. Musik ist erlaubt, und es darf einmal in der Woche ein Konzert stattfinden, hingegen ist das Singen im Verein verboten.

Außer den sich aus dem Vorangehenden ergebenden Klagen wurden Beschwerden vorgebracht über teure Preise in der Kantine, Verbot des Bezuges billigerer und besserer Lebensmittel von außerhalb, ungenügende Fleischlieferung (600 Kilogramm pro Woche), Knappheit der Ernährung im allgemeinen trotz der 2000 Yen Monatszuschuß des Hilfsvereins, ungenügende Beleuchtung durch die spärlichen 5- bis 10-kerzigen Lampen, dadurch und durch den das Gesichtsfeld einengenden Bretterzaun verursachte Augen-Schädigungen, Staubplage im Sommer, mangelhafte Heizung und zu wenig Bettdecken im Winter, Mangel an heißem Wasser, jahrelang ungewechseltes Bettstroh, mangelhafte Abfuhr der Küchenabfälle, Nähe der Klosetts und Küchen, Anbringung ungedeckter und nur einmal im Tage gereinigter Klosetts in den Arrestlokalen, Mangel an Luft, Licht und Pflege im Lazarett, dem die Kranken durch Verheimlichung ihrer Leiden zu entgehen suchen, obschon sie die Tüchtigkeit des Arztes hervorheben, ungenügende Dolmetscher, schlechter Postdienst, bei dem einlaufende Briefe oft monatelang liegen bleiben.2

Trotz alledem schienen wenigstens einzelne der Offiziere sich nicht allzusehr nach Versetzung in andere, begünstigtere Lager zu sehnen, sondern drangen eher darauf, dass an Ort und Stelle Verbesserungen und Erleichterungen geschaffen würden. Das war auch damals schon geplant, und es war durch unseren Gesandten schon wiederholt auf die Missstände hingewiesen worden.

Nachträglich geäußerte Wünsche bezogen sich noch auf die Zulassung sämtlicher Missionäre und auf freien Ausgang der Offiziere, wöchentlich eine Stunde.

Das Aussehen der Gefangenen ist auch hier im großen und ganzen gut, das Körpergewicht im Zunehmen. Geisteskranke sind keine hier, die Anzahl der Lungentuberkulosen wurde mir als drei angegeben, doch sollen außer diesen einige Lungenblutungen aus Furcht vor dem unfreundlichen Lazarett verheimlicht worden sein. Ich besuchte im Lazarett den offenbar an Ascites infolge Lebercirrhose leidenden Hauptmann M., für dessen Verbringung in eine freundlichere Umgebung ich beim Lagerkommando nach meiner Rückkehr schriftlich Schritte tat.

Dem sehr tüchtigen und allgemein beliebten Chefarzt verdanke ich ausgezeichnete deutsche Auszüge aus den Krankengeschichten der acht im Lager Verstorbenen. Es waren vier Lungentuberkulosen, zwei davon kompliziert mit Kehlkopftuberkulose, eine mit rechtsseitiger, exsudativer Pleuritis und eine mit Gangrän, ferner eine Darmtuberkulose, eine Weil'sche Krankheit, eine chronische, eiterige Otitis, die in Mastoiditis, Meningitis und kroupöse Pneumonie überführte, und ein Fall [Koch] von infizierten Steckschüssen der Bauch- und Hüftgegend, der am 15. Oktober 1914 von Tsingtau, wo er am 28. September die Verwundung erlitten, hergebracht wurde und am 25. Oktober 1914 allgemeiner Sepsis erlag.

Das Lager wurde im August um 167 Mann entlastet.
 

Liste von Invaliden und Kranken3


 

Anmerkungen

1.  Die bedrückende Enge im Lager Kurume wurde bereits in dem Bericht von Welles (1916) beanstandet. Offenbar hatte sich trotz mehrfacher Zusagen in dem Lager wenig zum Besseren getan, insbesondere hinsichtlich der bedrückenden Enge. Dass beinahe vier Jahre nach Eröffnung des Lager noch derart gravierende Mängel zu verzeichnen waren, stellt der japanischen Verwaltung bzw. dem für die Lager verantwortlichen Kriegsministerium ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Die Gründe bedürfen weiterer Erforschung.

2.  Im Gegensatz zu den anderen Lagern hatte sich auch in dieser Hinsicht seit dem Besuch von Welles wenig geändert. Insgesamt ist der Bericht vergleichsweise knapp und vermittelt einen etwas resignativen Eindruck.

3.  Dass von 1304 Gefangenen nur 3 invalide/krank gewesen sein sollen, ist zweifellos falsch. Es kann vermutet werden, dass wenig Mühe darauf verwendet wurde, vollständigere Daten zusammenzustellen, und zwar sowohl von japanischer Seite (Lagerkommandant bzw. Chefarzt) wie von deutscher Seite (Lagerältester).
 

©  für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
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