Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Matsuyama

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Das Lager Matsuyama am 6. März 1916

Aus dem Bericht von Sumner Welles

Auf diplomatischen Druck erlaubte die japanische Regierung 1916 einem Vertreter der US-amerikanischen Botschaft in Tokyo, die Gefangenenlager zu inspizieren. Aus dem Bericht des Botschaftssekretärs Sumner Welles wird hier der das Lager Matsuyama betreffende Teil wiedergegeben.
Quelle: Bundesarchiv/Militärarchiv; die Übersetzung wurde 1916 vom Auswärtigen Amt besorgt. Unterstreichungen wurden weggelassen, Fußnoten (in rot) vom Redakteur hinzugesetzt.
 

Am 6. März [1916] 8 Uhr früh traf ich im Gefangenenlager in Matsuyama ein und wurde am Eingang zu einem der Gebäude vom Kommandanten, Oberstleutnant Miyakawa, und seinem Stab erwartet.

In Matsuyama sind insgesamt 415 Gefangene in drei getrennten Tempelgrundstücken untergebracht. In dem ersten befinden sich 180 Mann, in dem zweiten 80 und das dritte beherbergt 140 Gemeine und 15 Offiziere. Die Verhältnisse sind in allen drei Lagerplätzen gleich. Es sind sehr wenig Krankheitsfälle vorgekommen und Klagen über schlechte Behandlung wurden von keinem Gefangenen vorgebracht. Die große Schwierigkeit liegt hier wie in einigen anderen Lagern darin, daß die Gebäude ihrem Charakter nach zur Unterbringung von Gefangenen ungeeignet sind und daß bei der sehr beschränkten Ausdehnung des Tempelbezirks nur ungenügender Platz zum Wohnen und Schlafen und noch weniger Raum für den Aufenthalt im Freien zur Verfügung steht. Hiervon abgesehen, hat die Lagerverwaltung ihr Äußerstes getan, um die Härten des Lagerdaseins zu mildern und den Gefangenen Zerstreuung zu verschaffen. Das Essen ist gut, und die Gefangenen sind mit ihm bis auf die Eintönigkeit in der Kost zufrieden; sie haben genügend Decken und Bettzeug, wobei die Betten freilich aus eigenen Mitteln beschafft werden müssen. Die Leute sind alle gut und warm gekleidet und sehen gesund aus. Die Bade- und sanitären Einrichtungen sind jedoch nicht gut, und es würde bei dem dort gebräuchlichen System unmöglich sein, diese Einrichtungen auf dem äußerst beschränkten Platz innerhalb der Lagerumzäunung zu guten zu machen. Die Kantine wird in bemerkenswert entgegenkommender Weise geführt. Zu jedem Lager gehören Krankensäle, die aber klein und eng sind; ein Arzt hat ständig Dienst.

Ich sprach mit zahlreichen Gefangenen, deren Klagen samt und sonders die Enge ihrer Unterkunftsräume, die Zugluft in den Häusern, die Nähe der Latrinen bei den Schlafräumen, usw. betrafen. Alle diese Klagen sind begründet. Über schlechte Behandlung seitens der Offiziere oder Wachmannschaften wurde nicht geklagt; tatsächlich schienen auch die Beziehungen zwischen dem Lagerkommandanten und den gefangenen Mannschaften besonders gut zu sein. Er hat den dienstältesten Unteroffizieren Einzelzimmer einräumen lassen und ihnen zahlreiche Vergünstigungen gewährt.

Außer den allgemeinen Beschwerden erhielt ich noch von zwei Klagen Kenntnis, die wichtig scheinen und zu denen der Anlaß leicht hätte vermieden werden können. Die erste ihrer Art nach überraschende Angelegenheit, die aber auch vom Kommandanten als wahr zugegeben wurde, war kurz vor meiner Ankunft geregelt worden. Es handelte sich um einen Gefangenen, bei dem Wahnsinn in heftiger Form ausgebrochen war und der trotzdem einige Wochen mit anderen Gefangenen in einem Raum zusammen gehalten wurde; die mit ihm in demselben Zimmer gewesenen Leute erzählten mir, daß sie während dieser ganzen Zeit aus Furcht, daß er irgend etwas anstellen könnte, nicht hätten schlafen können und daß ihre Nerven darunter sehr gelitten hätten. Nachdem sie zwei Wochen lang vergeblich auf seine Entfernung gedrungen hätten, ließ ihn der Kommandant in das städtische Krankenhaus bringen, um ihn aber nach wenigen Tagen als geheilt in das Lager zurückführen zu lassen. Nach Verlauf einiger weiterer Tage unternahm der Geisteskranke einen gefährlichen Angriff auf einen der Gefangenen und wurde darauf endgültig fortgebracht.1

Nach der zweiten Beschwerde wurde ein an Tuberkulose Erkrankter unter den anderen Gefangenen gehalten. Der Gefangene, um den es sich handelte, Ylle mit Namen2, wies äußerlich zweifellos die Anzeichen dieser Krankheit auf; der Kommandant versicherte aber, daß er von einem Facharzt untersucht und für gesund erklärt worden sei.

Die Gefangenen Homann, Preissel und Seitz, die früher Rote-Kreuz-Dienste in Tsingtau getan hatten, gaben mir ihre Beschwerden schriftlich.

Die Lage der gefangenen deutschen Offiziere ist von derjenigen der Mannschaften ganz verschieden. Keiner von ihnen ist mit den Gefangenschaftsbedingungen zufrieden. Wie ich schon anführte, sind sie in einem Teil des einen Tempelbezirkes, der auch von den Mannschaften bewohnt wird, untergebracht, ihre Wohnräume sind jedoch vollkommen getrennt von denjenigen der Mannschaften, und sie haben einen großen Garten, zwei Tennisplätze, ein Sommerhaus sowie einen Platz am Hügelabhang zu ihrer ausschließlichen Benutzung. Außerdem erhalten sie von Zeit zu Zeit Erlaubnis, Spaziergänge auf das Land zu unternehmen. Ein großes Wohnzimmer, besondere Küchen, Bäder, usw. stehen ihnen zur Verfügung und sie haben ihre Burschen, die ihre Bedienung besorgen. Sie haben eine Unannehmlichkeit insofern erfahren müssen, als alle 15 eine Zeitlang genötigt waren, ein ziemlich kleines Schlafzimmer gemeinsam zu benutzen; diesem Übelstand war aber vor meiner Ankunft abgeholfen worden, sodaß jetzt mehrere Offiziere Einzelzimmer haben.

Der älteste Offizier, Major Kleemann, übergab mir eine Sammlung von Karten, Zeichnungen und alten Briefumschlägen, um mir zu zeigen, wie lange Briefe zurückgehalten würden, sowie mehrere in deutscher und englischer Sprache mit der Schreibmaschine geschriebene Blätter mit Beschwerden. Ich erbat mir des Kommandanten Erlaubnis, die Blätter entgegennehmen zu dürfen, und tat dies dann in seiner Gegenwart. Während meine und des Kommandanten Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet war und noch ehe ich die Sammlung aus Major Kleemann's Hände in Empfang genommen hatte, benutzte einer der anderen Offiziere die Gelegenheit, um einige Blätter mit besonderen Klagen heimlich dazwischenzustecken, wurde jedoch von einem der Begleiter des Kommandanten dabei beobachtet. Der Kommandant übergab mir diese Blätter zum Durchsehen; sie enthielten nur Klagen des Offiziers über die Unmöglichkeit, private geschäftliche Verhandlungen zu führen und über die Ungeschicklichkeit, mit welcher der Lagerarzt sein Knie nach einem Unfalle behandelt hatte. Der Offizier, um den es sich hier handelte, machte den Eindruck, als ob sein Geisteszustand etwas gelitten hatte.3

Ich vermag nicht zu erkennen, daß die in Major Kleemann's Liste aufgeführten Beschwerden berechtigt sind oder durch das, was ich im Lager sah, in irgendwie nennenswerter Weise gestützt werden. Ihrem Rang entsprechend sind den Offizieren viele Vorrechte eingeräumt worden, sie haben deren weit mehr als die Offiziere in vielen anderen Lagern, die sich mit ihrer Behandlung durchaus zufrieden erklärten. Die Klagen der Mannschaften über Mangel an Platz für Übungen und über die Unbehaglichkeit der Gebäude, in denen sie wohnen, sind dagegen vollkommen begründet, und es ist augenscheinlich, daß das allgemeine Wohlbefinden der Gefangenen eine schwere Schädigung erfahren kann, wenn tuberkulöse oder geisteskranke Leute unter ihnen gehalten werden. Die Klagen des Majors Kleemann über Mißhandlung der Gefangenen konnte ich nicht bestätigt finden.

Ich verließ das Lager um 1 ½ Uhr.

Ich erlaube mir, die oben angeführten schriftlichen Beschwerden hier beizufügen. Zu der großen Karte, die mir Major Kleemann gab und welche die Wohnräume der Offiziere anzeigt, muß bemerkt werden, daß den Offizieren mehr Platz für körperliche Bewegung zur Verfügung steht, als auf der Karte angegeben ist und daß in dem als "Priesterhaus" bezeichneten Gebäude, das von den Offizieren jetzt allein bewohnt wird, 4 Offiziere nunmehr einzelne Schlafzimmer haben. Nur 11 und nicht 15 Offiziere bewohnen jetzt den großen Schlafraum im Hauptgebäude.


Die Krankenträger vom Tsingtauer Sanitätskorps, Joh. Preissel und Jul. Seitz, wurden nach dem Falle von Tsingtau gefangengenommen, obwohl sie am Arm die Rote-Kreuz-Binde mit dem Stempel der Kaiserlichen Regierung in Tsingtau trugen. Ein auf der Stelle in Tsingtau erhobener Einspruch wurde nicht beachtet; ebenso blieben zwei Eingaben, die von Matsuyama aus an das japanische Kriegsministerium gesandt wurden, unbeantwortet.

gezeichnet:   Joh. Preissel    Jul. Seitz


Matsuyama, 2. September 1915

An die sehr verehrliche Botschaft der Vereinigten Staaten

Da die sehr geschätzte Regierung der Vereinigten Staaten den Schutz und die Wahrnehmung der Interessen der Deutschen in Japan übernommen hat, richtet der Unterzeichnete die ganz ergebene Bitte an den Herrn Botschafter, er möge die Aufmerksamkeit des japanischen Kriegsministers auf folgende Tatsachen lenken.

Nachdem der Unterzeichnete in Tsingtau auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Roten Kreuz seine Freilassung aus der Gefangenschaft nachgesucht hatte, sandte er eine Eingabe an den früheren Lagerkommandanten mit der Bitte, sie an das japanische Kriegsministerium weiterzugeben. Diese Eingabe gründete sich auf die Tatsache, daß der Unterzeichnete wegen Herzschwäche und wegen eines Bruches durch einen Militärarzt in Deutschland vom Militärdienst befreit worden war. Bei Ausbruch des Krieges stellte er sich in Tsingtau, wo ihm der Posten des Führers eines Lazarettkraftwagens übertragen wurde und wo er für die Beförderung der Verwundeten zu sorgen hatte. In dieser Eigenschaft trug er eine Rote-Kreuz-Binde mit dem Stempel des Garnisonslazaretts, die noch in seinem Besitz ist. Diese Tatsachen können aus den Tsingtauer Akten ersehen werden.

Auf verschiedene schriftliche Bitten an den Kommandanten des früheren Gefangenenlagers erhielt der Unterzeichnete keine Antwort. Heute ist ihm auseinandergesetzt worden, daß seine Eingabe einbehalten und nicht nach Tokio zur Prüfung gesandt worden sei.

Die schon erwähnte Herzschwäche und der Bruch sind auch von dem Lagerarzt festgestellt worden.

Der Unterzeichnete bittet ganz ergebenst, daß die verehrliche Botschaft diese Angelegenheit in seinem Interesse bei dem japanischen Kriegsministerium aufnehmen möge, da Mitglieder des Roten Kreuzes gemäß den Bestimmungen der Genfer Konvention nicht kriegsgefangen genommen werden dürfen und, im Falle dies geschehen ist, aus der Gefangenschaft zu entlassen ist.

gezeichnet:   Hugo Homann, Matsuyama
 

Anmerkungen

1.   Die Identität des Kranken ist nicht bekannt.

2.   Korrekte Schreibweise: Ily.

3.   Die Identität des Offiziers ist nicht bekannt.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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