Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Nagoya

StartseiteGefangenschaft in JapanLagerNagoyaBericht Voigtländer → Turnen


Spiel und Sport während unserer Gefangenschaft in Fukuoka und Nagoya

von Ernst von Raussendorff

Der Bericht von Ernst von Raussendorff wurde über Hermann Voigtländer mit Brief vom 21. Dezember 1919 dem deutschen Pfarrer Schroeder in Tokyo übermittelt. Ein Durchschlag des maschinengeschriebenen Originals wurde dankenswerterweise von der Familie Voigtländer zur Verfügung gestellt.


"Gesunder Geist kann nur in gesundem Körper wohnen."

Die Wahrheit, die in diesen Worten liegt, hat kaum jemand eindringlicher erfahren als wir, die wir fünf Jahre hinterm Stacheldraht eingesperrt waren. Jeder Versuch, unter Ausschluss körperlicher Tätigkeit die fünf Jahre nur durch geistige Betätigung zu verbringen, konnte nur auf Kosten von Nerven und gesundem Verstand geschehen. Zu dieser Einsicht sind nach und nach auch die immer noch allzu vielen gekommen, die die Tüchtigkeit und Frische ihres Körpers der geistigen Tätigkeit gegenüber als nebensächlich betrachtet haben. Und wenn es nur ein erholender Spaziergang ist, der Körper will, je nach den Jahren, seine Betätigung haben.

In der ersten Zeit unseres Gefangenseins in Nagoya sowohl wie in Fukuoka waren es natürlich die Sportsleute, die schon aus Liebe zur Sache mit Leibesübungen begannen. In Fukuoka war es zunächst, bei ganz beschränkten Platzverhältnissen, ein Dauerlauf um 5:00 Uhr morgens, auch noch früher, der eine kleine Anzahl, die aber ständig wuchs, zusammenführte. Dazu kam bald ein tägliches Stoßen mit dem Stein und schließlich das Faustballspiel auf ganz beschränktem Platz zwischen zwei Bretterwänden. Glücklicherweise erfolgte nach und nach die Auflösung dieses unvollkommenen Lagers. Ein großer Teil kam nach etwa 10 Monaten nach Nagoya und bezog mit den dort in einem Tempel untergebrachten Gefangenen zusammen das neu erbaute Lager beim Ozone-Bahnhof. Für zusammen etwa 500 Mann bot sich hier vor allem in gesundheitlicher Beziehung ein guter Aufenthalt, so weit von einem solchen überhaupt die Rede sein kann.

In fieberhafter Tätigkeit ging man sofort an die Planierung eines Fuß- und Faustballplatzes, und bald darauf entstanden nach und nach sechs Tennisplätze. Durch Unterstützung seitens des Hilfsausschusses Tokyo (Unterstützung mit Geräten und Bällen) war eine volle Entfaltung für Sport und Spiel sofort möglich. Hinterher, als dann in den einzelnen Truppenteilen feste Sportverbände entstanden, wurden die monatlichen Ausgaben durch Beiträge bestritten. Bei Auflösung des Lagers war es uns sogar möglich, teilweise nicht unerhebliche Überschüsse aus den Sportkassen nach Sibirien abzuführen.

In den beiden ersten Jahren war der Sportbetrieb im Lager überaus rege. Es kamen so viele Anhänger, dass zeitweise unsere Plätze nicht ausreichten, um dem Andrang gerecht zu werden. Man stelle sich vor: von 500 Lagerinsassen spielten täglich 10 Fußballmannschaften zu je 11 Mann, 10 Faustballmannschaften zu je 10 Mann, und sechs Tennisplätze waren von morgens bis abends in vollem Betriebe. Das ist eine erfreuliche Erscheinung, und nur diesen Verhältnissen haben wir es zu danken, dass unser Gesundheitszustand als sehr gut fast während der ganzen Dauer der Gefangenschaft zu bezeichnen war. Als im Frühjahr 1918 die Arbeit gegen Lohn außerhalb des Lagers in größerem Maße möglich wurde, ließ naturgemäß der Sportbetrieb nach, blieb aber immerhin noch rege. Vom sportlichen Standpunkt aus war dieses Ventil nur zu begrüßen, denn es bewahrte uns vor Überanstrengung und dem in Sportkreisen so gefürchteten "Übertraining". Dieses Übel hatte sich schon hier und da bei uns bemerkbar gemacht durch Stillstand und teilweisen Rückgang der Leistungen.

Nachstehend einige Bemerkungen zu den einzelnen Sportzweigen:

Fußball. Gespielt wurde nach den Regeln des Deutschen Fußballbundes in Übungs- und Wettspielen untereinander oder zwischen den einzelnen Truppenteilverbänden. Mehrfach fanden Serienspiele mit Wertung statt. Die Leistungen einzelner Spieler, die früher das Spiel kaum dem Namen nach kannten, waren verblüffend. Allerdings ließ sich noch bis zum Schluss erkennen, wer sein Können und seine Erfahrungen von Deutschland mitgebracht hatte, denn es fehlte hier für die Anfänger von vornherein ein gutes Gesamtspiel einer Mannschaft, um sich ein richtiges Urteil über gutes Spiel bilden zu können, und dann fehlt die langsame, gründliche Durcharbeitung. Immerhin waren einzelne Spiele einwandfrei erstklassig, so dass wir es wagen durften, diesen den Japanern fast noch unbekannten Sport zweimal im Park und einmal auf einem Schulplatz vorzuführen.

Faustball. Gespielt wurde nach den Regeln der Deutschen Turnerschaft. Es bildete sich bald eine ganz erhebliche Zahl feststehender Mannschaften, die ihr Können mehrfach in Turnieren zur Schau führten. Wer die Meinung hat, dass es sich beim Faustball um einen gemütlichen Alten-Herren-Sport handelt, der nicht genügend Anstrengung vom Körper fordert (ich war auch dieser Meinung), der konnte hier eines Besseren belehrt werden. Durch viele Übung, und vor allem dadurch, dass richtige Faustbälle hier nur schwer zu beschaffen waren und infolgedessen eine größere Fußballnummer genommen wurde, gestaltete sich das Spiel recht interessant. Es wurde sehr scharf, schikanös und anstrengend. Ein Propagandaspiel wurde in Gifu vorgeführt.

Tennis. Gespielt wurde nach den allgemein gültigen Tennisregeln. Trotzdem das Spiel für unsere Verhältnisse recht teuer war, blieb die Beteiligung äußerst rege. Viele haben ihre letzten Groschen für Bälle und Schläger geopfert. Die Erfolge Einzelner waren verblüffend, und nur zwei alte Kämpen konnten sich zuletzt noch gegen die guten Leistungen vieler Neulinge mit Erfolg wehren. Mehrere allgemeine und interne Turniere zeigten Können und Begeisterung. Ein Propagandaspiel wurde im Sommer 1919 in Gifu vorgeführt.

Leichtathletik. Die volkstümlichen Übungen, die unter diesem Namen zusammengefasst werden, wurden bald im Verein mit den Turnern gepflegt. Ausführungen und Leistungen sind im Bericht über das Turnen in Nagoya zu finden. Zu erwähnen wäre noch die Abhaltung eines großen Sportfestes anlässlich Kaisers Geburtstag 1916, wo unter reger Beteiligung, etwa 100 Mann, recht gute Leistungen im Springen, Stoßen mit dem Stein und Laufen erzielt wurden. Das Hauptereignis bildete an diesem Tage der 500-Meter-Lauf mit Geländeschwierigkeiten in Form eines Mannschaftslaufens zu fünf Mann. Die beiden ersten Sieger für Einzelleistung (es wurde Mannschafts- und Einzelleistung gewertet) hatten vor ihrer Militärzeit keinerlei Sport betrieben, und unter gewöhnlichen Umständen wären sie wohl kaum jemals auf den Gedanken gekommen, Beine und Lungen im Wettkampf zu messen. Sie erledigten die Aufgabe nach kurzer, intensiver Vorbereitung in geradezu glänzender Weise. Der erste gebrauchte für die Strecke die Zeit von 4 Minuten 56 Sekunden. Es war kein Zufall, dass beide Sieger Nichtraucher waren.

Unglücksfälle beim Sport. Während der fünf Jahre waren leider beim Fußballspiel drei Beinbrüche zu verzeichnen. Wenn man aber bedenkt, dass zwei Jahre lang fast täglich über 100 Spieler, fast alles Neulinge, im Fußballsport sich austobten, so sind diese Unglücksfälle als sehr gering zu bezeichnen. Sonst sind nur ganz geringfügige Schäden vorgekommen.

Das alles fällt aber nicht ins Gewicht. Der Sport hat uns in erster Linie geholfen, über die endlos lange Gefangenschaft hinwegzukommen, ihm verdanken wir es allein, dass wir noch verhältnismäßig frisch an Körper und Geist in unsere Heimat zurückkehren können als brauchbare Bausteine für den Wiederaufbau unseres schwer geprüften Vaterlandes.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
Zuletzt geändert am .