Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Narashino

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Das Lager Narashino am 15. März 1916

Aus dem Bericht von Sumner Welles

Auf diplomatischen Druck erlaubte die japanische Regierung 1916 einem Vertreter der US-amerikanischen Botschaft in Tokyo, die Gefangenenlager zu inspizieren. Aus dem Bericht des Botschaftssekretärs Sumner Welles wird hier der das Lager Narashino betreffende Teil wiedergegeben.
Quelle: Bundesarchiv/Militärarchiv; die Übersetzung wurde 1916 vom Auswärtigen Amt besorgt. Unterstreichungen wurden weggelassen, Fußnoten (in rot) vom Redakteur hinzugesetzt.
 

Ich besuchte das Gefangenenlager in Narashino am 15. März [1916] um 10 Uhr früh. Am Eingang des Lagers erwartete mich der Kommandant Oberstleutnant Saigo und der General von der benachbarten Garnison.

Das hochgelegene Lager befindet sich in beträchtlicher Entfernung von der Eisenbahnlinie. Es wird erst seit September 1915 benutzt; vorher waren die Gefangenen in einem der Tempel von Asakusa, Tokyo, untergebracht. Der Kommandant machte mir über die Verhältnisse im Lager folgende Angaben.
Insgesamt befinden sich 408 Gefangene hier, von denen 14 Offiziere sind. Der Gesundheitszustand ist ausgezeichnet gewesen, ernstere Erkrankungen irgend welcher Art sind nicht vorgekommen. Die Gefangenen werden mit Kleidungsstücken versehen, sobald die mitgebrachten Sachen abgetragen sind, und es ist ihnen gestattet, durch die täglich geöffnete Kantine zu beziehen, was sie brauchen. Die Mannschaften kochen und backen selbst für sich und ich konnte die ihnen gelieferten Nahrungsmittel sehen, die von ausgezeichneter Beschaffenheit waren. Die Leute können sich auf vielerlei Weise beschäftigen und haben Erlaubnis, ein Handwerk wie Schuhmachen, Schneidern usw. auszuüben, ferner wird den ganzen Tag über von den Offizieren in verschiedenen Fächern wie Sprachen, Mathematik, Geometrie Unterricht erteilt, an dem die Gefangenen fast sämtlich teilnehmen. Nur in 9 Fällen ist die Anwendung disziplinarischer Strafen bei den Mannschaften notwendig gewesen, bei den Offizieren sind Bestrafungen überhaupt nicht vorgekommen. Die Strafen, die den Leuten auferlegt wurden, bestanden in leichtem Arrest, der im Wachtlokal verbüßt wurde.

Ich besuchte zunächst den rangältesten deutschen Offizier, Oberstleutnant Kuhlo, der mir die Versicherung gab, daß er und die Mannschaften keinerlei Grund hätten, über die Behandlung zu klagen. Auf Wunsch des Kommandanten begleitete mich Oberstleutnant Kuhlo auf meinem Rundgang durch das Lager. Die Unterkunftsräume für die Offiziere sind behaglich, die meisten Offiziere sind zu mehreren in einem Schlafraum zusammen. Ein allgemeiner Speisesaal und sehr gute Küchenräume, Bäder usw. sind vorhanden. Die Küche und die Bedienung werden von den Offiziersburschen besorgt. Mehrere Offiziere hatten ein Klavier, von Freunden aus Tokyo war eine große Anzahl Bücher eingetroffen, und die Offiziere schienen alle sehr zufrieden zu sein.

Ich besuchte darauf die Unterrichtsräume der Gemeinen und der Unteroffiziere. Sie schlafen in gut gebauten Baracken und haben außerdem einen großen Wohnraum. Die Unteroffiziere haben in diesen Baracken kleine Zimmer, die von den übrigen Räumen abgeschlagen sind. Für jeden Mann sind 6 Decken und die übliche Strohmatratze vorhanden, und es würde darüber, daß keine Betten gestattet würden, nicht geklagt. Die Küchen sind neu und gut ausgestattet, ebenso alle sanitären Einrichtungen. Waschgelegenheiten stehen den Mannschaften zur Verfügung, wo sie ihre Wäsche selbst waschen können.

Erlaubnis zum Verlassen des Lagerplatzes wird den Gefangenen nur zum Zwecke der Vornahme von Ebnungsarbeiten auf dem Garnisongelände erteilt, wohin sie sich von Zeit zu Zeit zu diesem Zwecke begeben. Der Raum für körperliche Übungen innerhalb der Umzäunung ist jedoch reichlich. Die Mannschaften haben Fußball- und Handballplätze und mehr als genügenden Raum zum Spazierengehen. Für die Offiziere ist ein Tennisplatz vorhanden, den sie sich aus eigenen Mitteln haben errichten lassen. Die Gefangenen baten mich, ihren vorzüglichen, aus 60 Mitgliedern bestehenden Chor anzuhören, der von einem Gefangenen, einem ehemaligen ehemaligen Kapellmeister aus Stuttgart geschult und geleitet wird1 und für die übrigen Gefangenen oft Vorträge veranstaltet.

Die Leute schienen sich alle bei guter Gesundheit zu befinden und mit der Behandlung seitens der japanischen Verwaltung durchaus zufrieden zu sein. Es würde schwierig sein, im Lager selbst oder in der Art der Behandlung der Gefangenen irgend etwas zu bemängeln.

Der Gefangene Karl Fischer, früher Missionar in Kanton, beschwerte sich darüber, daß er als Kriegsgefangener behandelt würde, obgleich er niemals Waffen getragen habe. Der Kommandant sagte mir, daß der Kriegsminister die Eingabe des Missionars um Entlassung aus dem Lager nicht berücksichtigt hätte, weil sein Name auf der Linie der Diensttauglichen in Tsingtau gefunden worden war.

Um 1 ½ verließ ich das Lager von Narashino und kehrte nach Tokyo zurück.
 

Anmerkungen

1.  Gemeint ist Alfons Wälder.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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