Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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»Erlebnisse in japanischer Gefangenschaft«

von Peter Kaulmann
 
Teil 1: Von Tsingtau ins Lager Fukuoka

Der Gefreite Peter Kaulmann gehörte zur Bedienungsmannschaft der Schweren Haubitzen-Batterie und kam im November 1914 ins Lager Fukuoka. Ebenso wie sein Mitgefangener Otto Boetjer berichtet er von schweren Misshandlungen durch die japanische Wachmannschaft, die freilich häufig durch das Verhalten der Gefangenen provoziert worden war.

Die Transkription des Tagebuchs wurde durch Kaulmanns Enkelin Gabriele vorgenommen, der dafür herzlich gedankt sei.
Der Redakteur hat Zwischentitel eingefügt, Abkürzungen aufgelöst, Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert und Anmerkungen in [...] oder als Fußnote hinzugesetzt.
 

Inhalt

  1. Transport nach Japan
  2. »Erlebnisse in japanischer Gefangenschaft: Fukuoka-Hakata« [Teil A: bis April 1915]
  3. »Erlebnisse in japanischer Gefangenschaft: Fukuoka-Hakata« [Teil B: ab Mai 1915]
  4. »Unser Los« [Gedicht]

 

1. Transport nach Japan

Am 12. November [1914] morgens 10 Uhr marschierten wir ab von dort1 und gelangten um 2 Uhr in die Schatzekou-Bucht, wo die japanischen Dampfer lagen, die uns nach Japan bringen sollten.

Das III. Seebataillon und die Matrosenartillerie wurden zuerst eingeschifft und dampften sofort ab. Um 2:30 Uhr wurden wir und das OMD [Ostasiatische Marine-Detachement] auf dem Dampfer Satsuma Maru eingeschifft. Wir gedachten auch sofort abzufahren, mussten jedoch noch auf den Stab warten, der noch in Tsingtau war und mit uns fahren sollte.2 Am 14. November kam der Stab bei uns an, 5:30 Uhr abends. Wir freuten uns alle, denn wir hatten zwei Tage gewartet bei Hartbrot, Büchsenfleisch und Wasser.

Hatten wir doch alle [vergebens] gehofft, auf dem Schiff anständiges Essen zu bekommen. Kaufen konnte man sich auch nichts, nur diejenigen die plenty [= viel] Geld in der Tasche hatten, zum Beispiel Reservisten. So kosteten z.B. sechs Eier einen Dollar, ein Teller Reis mit Curry einen Dollar, eine Schachtel Zigaretten drei Dollar. Als nun alles an Bord war, ging es abends 6:30 Uhr ab von der Kiautschoubucht, nach Japan zu. Wir hatten eine schöne Fahrt und haben viele schöne Inseln gesehen. Auch sind wir an der Insel [Tsushima] vorbeigekommen, wo 1905 die große Seeschlacht zwischen der russischen und japanischen Flotte stattgefunden hatte. Bald kamen wir an größeren Inseln vorbei, und am 17. November kamen wir in Moji an. Wir freuten uns alle sehr, denn auf dem Schiff waren wir eingepökelt wie Heringe. Des Nachts konnte kein einziger richtig schlafen, nicht einmal die Beine konnte man ausstrecken.

Bevor wir ausgeschifft wurden, kamen japanische Ärzte und untersuchten uns, dann wurden wir 10:30 Uhr ausgeschifft. Schon ehe unser Kasten [= Schiff] verankert war, waren wir schon von unzähligen Zuschauern umringt, die in Kähnen sich die Gefangenen ansehen kamen, weil es ihnen wohl zu lange dauerte, bis wir an Land kamen. Jedoch als wir die Landungsbrücke passierten, gab es fast kein Durchkommen mehr. Photographen und Kinoknipser hatten ihre Apparate fortwährend in Tätigkeit. Ganze Schulen von Kindern waren zugegen. Daselbst verweilten wir zweieinhalb Stunden. Um 12:15 Uhr fuhren wir ab von dort und gelangten um 4:00 Uhr nachmittags in unserm Bestimmungsort Fukuoka an.
 

2. »Erlebnisse in japanischer Gefangenschaft: Fukuoka-Hakata« [Teil A: bis April 1915]

Nach dreitägiger Seereise kamen wir am 17.11.1914 in Fukuoka an. Wir wurden mit großer Bewunderung und Staunen von einer kolossalen Menschenmenge empfangen. Es war ein großes Aufgebot an Polizisten nötig, um dieselbe in Schach zu halten. Nach einer halben Stunde kamen wir, durch das gaffende Volk geführt, in unserem von den Japanern titulierten »Quartier« an. Hier begann die Einteilung auf die einzelnen Häuser. Es waren im ganzen 12 vorhanden. Acht waren bereits mit der am vorhergehenden Tag eingetroffenen Matrosenartillerie belegt. Von den übrigen vier kamen in eines Reservisten, in eines die dritte Kompanie OMD, in das andere die Mannschaften vom Haipo-Wasserwerk. In das größte der vier Häuser, ein ehemaliges Bordell, kamen wir, die Schwere Feld-Haubitz-Batterie und die zweite Kompanie OMD, zusammen 140 Mann.

Offiziere und Unteroffiziere wurden in einem nach europäischem Stil eingerichtetem Gebäude, eine halbe Stunde von dem unseren entfernt, untergebracht. Was unsere Wohnhäuser anbetrifft, so waren es elende Yaksenhangten (Tierschuppen). An den Tagen nach unserer Ankunft gab es allerhand Beschäftigung. Die Wohnungen waren erst halb fertig. Sämtliches Gerät wie Teller, Tassen, Eimer, Backschaftsgerät und Schlafdecken wurde alles neu empfangen. Personalien-Wische mussten ausgefüllt werden, und es vergingen uns die ersten Tage ziemlich schnell. Wenn bloß der Kohldampf nicht gewesen wäre, denn die zehntägige Hartbrotkur, welche wir durchgemacht hatten, hatte eine ziemliche Öde und Leere in unseren Mägen geschaffen; dass das Essen, welches morgens aus Tee und Weißbrot, mittags aus Reis mit Curry und abends aus Pellkartoffeln, Soße, Tee und einem Weißbrot bestand, diese Öde nicht ausfüllen konnte, lässt sich leicht denken, da das Essen jeder Fälligkeit bar, ohne die ein Europäer aber schlecht leben kann. Zur Stillung des größten Kohldampfs gab es einige Kisten trockenen Hanf.3

Es wurden jetzt auch für sämtliche Häuser Tische und Bänke ausgegeben und Speisesäle eingerichtet. Dies war für uns auch besser, denn das Essen nach japanischer Mode von der Diele [?] wollte uns nicht recht behagen. Auf unseren Wunsch wurde dann auch von uns selber gekocht, nachdem vorher eine Küche für 800 Mann eingerichtet worden war. Doch fiel jetzt das Brot mittags weg, dafür gab es etwas mehr Fleisch und Fettigkeiten [?]. Auch wurden uns während dieser Zeit Sehenswürdigkeiten von Fukuoka und Umgebung gezeigt. Die andere Zeit vertrieben wir uns mit Kartenspielen und auch mit den verschiedenen, von uns selbst gezimmerten Spielen. Dennoch wusste man sich vor Langeweile nicht zu retten.

Mittlerweile kam das Weihnachtsfest immer näher, und wir trafen Vorbereitungen, auch hier das Fest würdig zu begehen. Die Speisesäle und Zimmer wurden mit den von den Japanern gelieferten Papierschnitzeln und sonstigen Gegenständen ausgeschmückt. Es wurden außerdem Zeppeline, Flugapparate und allerlei anderer Kram zusammengestellt und die öden Räume dadurch etwas wohnlicher gestaltet. Am Heiligen Abend wurde dann eine gemeinsame Feier veranstaltet, zu der sich die Offiziere eingefunden hatten. Der Platz war durch einige brennende Weihnachtsbäume geziert. Herr Kapitänleutnant Wittmann las uns die Weihnachtsgeschichte vor, dann folgte eine Ansprache des Gouverneurs [Meyer-Waldeck], und zum Schluss wurden noch einige Lieder gesungen; dann folgte die Besichtigung unserer Wohnräume durch unseren Offizier. Außerdem kamen verschiedene Liebesgaben zur Verteilung. Außer 1,50 Yen und Naschwaren gab es verschiedene nützliche Sachen. Auch kam bei einer Verlosung auf jeden Mann eine Kleinigkeit.

In dieser Zeit kamen die ersten zwei Mann von uns in den Kahn [= ins Gefängnis] wegen dringenden Verdachts, auf verbotenem Wege Familienanschluss gesucht zu haben (14 Tage Drücken).4

Am Neujahrstage gab es noch einmal 1 Yen und ein Weihnachtsgeschenk (für 30 Mann 4 Flaschen Wein). Das Wetter war in dieser Zeit derartig, dass man sich noch immer im Freien aufhalten und sich an Sport und Spielen ergötzen konnte. Immer näher rückte auch jetzt das große Fest für Soldaten, Kaisers Geburtstag [27.01.], und erforderte dasselbe verschiedene Vorbereitungen, welche einen Teil unserer faulen Zeit ausfüllten. Da wir von Tsingtau nicht viele Bekleidungsstücke mitgebracht hatten, trafen jetzt von Peking und Tientsin requirierte Sachen ein. Außerdem bekam jeder von unserer [dortigen] Gesandtschaftsschutzwache 100 Zigaretten und 10 Zigarren. Das war wieder mal ein gefundenes Fressen, denn das hiesige Rauchkraut ist ungenießbar und unerschwinglich teuer.

Am Tage der Kaisergeburtstagsfeier waren wieder sämtliche Offiziere erschienen. Der Gouverneur hielt eine kernige Ansprache, worin er hauptsächlich unserer Lieben in der Heimat gedachte. Er schloss mit einem dreifachen Hoch auf den Kaiser. Auch ein mittlerweile ins Leben gerufener Gesangverein sang einige Lieder, und damit fand diese einfache Feier ihren Abschluss. Auch gab es wieder 1,50 Yen Liebesgaben, verschiedene nützliche Sachen, etwas zu rauchen und für 10 Mann 2 Flaschen Bier.

Die nächsten Tage machte sich der Winter recht bemerkbar. Ja, am sechsten Februar fiel dicker Schnee. Da gab es für uns wieder mal eine Abwechslung, und manche Fensterscheibe hat unsere jetzt aufgespeicherte Kraft zu fühlen gekriegt. Auch wurden wir in den nächsten Tagen wieder ausgeführt. Eine sehr betrübende Neuerung wurde jetzt eingeführt: Es wurde von den Japanern, mit Ausnahme von zwei Briefen und zwei Karten, welche wir jetzt geliefert kriegen pro Monat, das Schreiben verboten, denn die Zensierung der Briefsachen macht den Japanern zu viel Arbeit. Diese Briefbogen und Karten sind abgestempelt, und wer sich verleiten 1ässt, andere zu benutzen, fliegt unweigerlich in den Kahn. Mit dem Bestrafen sind die Japaner überhaupt schnell bei der Hand: drei Tage fürs Ausschrauben einer elektrischen Birne, zehn Tage für das Wegwerfen eines Zigarrenstummels. (Ist schon alles dagewesen).

Am 4. März wurden wir zu einem Fußballspiel nach einem leidlich dazu geeigneten Platz geführt. Es wurden Stangen und Stricke zum Torebauen mitgenommen. Das in seinem Verlauf ziemlich spannende Spiel verlor das OMD mit 4 gegen 0 gegen die Matrosenartillerie. In den nächsten Tagen kamen auch die vom Reichsmarineamt ausgesetzten 1,20 Yen zur Auszahlung, jedoch nur bei Fortdauer der guten Führung, ließ uns der Oberst [= Lagerkommandant] durch unseren Hausmeister [= Haus-Ältesten] melden. Am 7.3. wurde das Rauchen im Freien verboten, nur in der Nähe der aufgestellten Wasserkübel war es gestattet. Außer einer Sendung Manila-Zigarren (pro Kopf 20 Stück) gab es auch jetzt von Peking und Tientsin wieder Liebesgaben wie Hemden, Hosen, Strümpfe, Taschentücher, Kämme, Spiegel, Tabakpfeifen, Karten, Schach- und Dominospiele. Auch eine Bibliothek stand, dank großmütiger Spenden, zur Verfügung.

Um unser Seelenheil besorgt, hielt auch dieser Tage ein katholischer Pfarrer im Lager eine heilige Messe ab. Damit uns beim Verlassen derselben nichts Menschliches widerfahren sollte [?], wohnten derselben ein Oberstleutnant, zwei Oberleutnants und zwei Dolmetscher bei.

Vom 11.-14. März gab es noch einmal Schneestürme und kaltes Wetter. Dasselbe machte sich um so bemerkbarer, weil uns von den Japanern am 10. März sämtliche Öfen abgenommen wurden.

Am 13. März fand im Haus 8 ein Maskenball statt, welches wieder einmal ein bisschen Abwechslung in unser eintöniges Leben brachte. Trotz der geringen Mittel waren doch alle möglichen Masken und Sachen organisiert worden, aus allen möglichen Instrumenten fand sich eine Kapelle zusammen, so dass sich jeder mit dem Bewusstsein abends in seine Koje legte, auch mal einen vergnügten Abend verlebt zu haben.

Am darauf folgenden Sonntag hielt ein bekannter deutscher Missionar in unserem Lager Gottesdienst ab. Sämtliche Offiziere und Mannschaften waren zugegen. Der Missionar hielt eine sehr schwungvolle Rede über geistliche und irdische Sachen und auch über die jetzigen Verhältnisse, doch drückte er sich so korrekt aus, dass es unmöglich war, bei den auch diesmal anwesenden Japanern Anstoß zu erregen. Dennoch wurde er von einem japanischen Oberst unterbrochen mit dem Hinweis, nur von geistlichen Sachen und nicht die Worte Deutschland und Vaterland zu sprechen. Nach Beendigung des Gottesdienstes begab sich der Geistliche, da er mit dem Gouverneur bekannt war, zu diesem, um ihn zu begrüßen, doch auch dieses verbat sich der japanische Oberst. Der Prediger musste ohne jeden Gruß das Lager verlassen.

Die nächsten Tage vertrieben wir uns wieder mit dem Besuch verschiedener Maskenbälle, welche noch verschiedene Häuser veranstalteten. Auch bei diesen harmlosen Vergnügen kam es zu Reibereien mit den Japanern. Einigen Häusern wurden für acht Tage die Tische entzogen, weil sie dieselben als Musikpodium benützt hatten.

In der Nacht vom 14.-15. [März] fielen zehn Zentimeter Schnee, doch hielt derselbe nicht lange an, mittags war schon alles Matsch. Trotzdem war eine Hundskälte, und fast jeder hat diese Tage in der Koje zugebracht, um sich etwas zu erwärmen.

Durch den Befehl, nur an bestimmten Plätzen rauchen zu dürfen, kam es einmal zu einer unangenehmen Szene. Einer der Unsrigen wurde an einem verbotenen Platz gekitscht [= erwischt] und mit zur Wache genommen. Hier wurde derselbe in einen Kreis gestellt und sollte stillstehen, bis er vom diensthabenden Offizier entlassen würde. Doch ging die Sache nicht so glatt ab, denn ein Teil von uns stellte sich vor der Wache auf, reizte und schimpfte so lange, bis sie anfingen, uns wegzujagen. Dann widersetzten sich einige, und als sie einen davon festhielten, riss derselbe sich los und suchte zu entkommen. Der diensthabende Offizier ließ alle sofort antreten und sämtliche Hauseingänge durch Posten besetzen. Auf seine Frage, wer vor der Wache gestanden hätte, meldeten sich ungefähr 20 Mann, auf seine weitere Frage, was wir dort zu suchen hätten, bekam er saudumme Antworten, so dass er ärgerlich, wie er war, diese Leute und den Ausgekniffenen auch vor der Wache bis zum Zapfenstreich stillstehen ließ. Am anderen Tage sollte der Fall genau untersucht werden, doch er ist vertuscht worden.

Am 24. März kam die Anfrage vom Büro, ob jemand gewillt wäre, da das Spazierengehen vom Kriegsministerium verboten ist, an einem 20 km von hier entfernten Ort an einem im Bau begriffenen Denkmal zu arbeiten. Es meldeten sich ungefähr 80 Mann, doch ließen die Japaner das Projekt vorläufig fallen, weil es ihnen zu wenig gewesen sind. Ein Gutes hatte die Sache: Wir konnten ein paar Mal zum Strand gehen. Unser Löhnungstag war auch wieder gekommen, und zu den monatlichen 1,20 Yen kam noch 1 Yen Liebesgaben aus der Stadt München, sodass sich die nächsten Tage leidlich leben ließen. Einige Tage später gab es nochmals Geld, welches von den Städten Dresden, Leipzig und von Krupp gestiftet worden war.

Letzteres kam für uns gerade recht, denn es war mittlerweile Ostern geworden, und so konnte man sich ein paar Flaschen Bier leisten. Am zweiten Feiertage hielt ein aus Kyoto kommender Geistlicher Gottesdienst ab. Am 25. April gab es 2,50 Yen Liebesgaben. Ausgang gab es nicht mehr, und so kam der wunderschöne Monat Mai, welcher uns gleich zu Anfang so viel Unangenehmes bringen sollte.
 

3. »Erlebnisse in japanischer Gefangenschaft: Fukuoka-Hakata« [Teil B: ab Mai 1915]

Es war am 3.5. kurz nach 5:00 Uhr [nachmittags]. Die alte Wache war eben abgerückt, und wir hatten gerade Abendbrot gegessen und wie so üblich unsere Zigarre in Brand gesetzt. Einige gingen, durch die Gutmütigkeit der anderen Wachen in Sicherheit gewiegt, mit ihren brennenden Zigarren zum Austreten über den Hof. Der Posten bemerkte das, rief einige von der Wache und wollte durch diese die Rauchenden auf die Wache schleppen lassen. Doch diese waren schlauer, hatten ihre Stummel schnell weggeworfen, und so mussten die Mungies (Japaner) unter unserem Hohngelächter mit leeren Händen abziehen. Durch Letzteres fühlten wir uns noch mehr berechtigt, da die Mungies selbst mit brennenden Zigaretten ankamen.

Dieser Auftritt hatte die Wachmannschaft und zum meistem den Wachhabenden verbittert. Selbiger ging umher wie ein brüllender Löwe, um sich ein Opfer zu suchen, woran er sein Mütchen kühlen konnte. Nur zu bald sollte er eine Gelegenheit dazu finden. Ein Reservist kam aus der Kantine mit einer brennenden Zigarette, warf dieselbe jedoch weg und trat sie aus. Das hatte der Wachhabende gesehen; auf den Reservisten losgehen, auf den Stummel zeigen und ihm ohne Weiteres eins hinter die Ohren hauen, war das Werk eines Augenblicks. Der Reservist hatte die Besonnenheit, sich nicht an dem Mungi zu vergreifen. Sofort waren die beiden von mehr als 100 Mann umringt, und der Wachhabende hätte trotzdem gekriegt, was ihm gehörte, wenn nicht die herbei eilenden Mannschaften den Wachhabenden aus dem Knäuel herausgeholt hätten.

Doch es sollte noch besser kommen. Der Wachhabende und der dritte Mann gingen in das andere Lager der Patrouille, und es kam dort, wegen derselben Geschichte, zu einer regelrechten Klopperei, bei der Steine eine hervorragende Rolle spielten. Vier Mann wurden von der Wache unter Fußtritten und Ohrfeigen auf die Wache geschleppt und mussten dort in einem eng um sie gezogenen Kreis stehen. Wehe, wer sich rührte oder die Hände nicht anlegte, der wurde mit Fußtritten, sogar mit Gewehrkolben bearbeitet. Das war für uns doch zuviel des Guten, aber jeder Versuch, diese vier Mann mit Gewalt vor die Wache zu holen, scheiterte, denn die Wache hielt jeden Zunahekommenden mit ihrem stets aufgepflanzten Bajonett, im schlimmsten Falle auch mit einer Kugel, in Schach. Sämtliche in der Nähe befindlichen Steinhaufen waren durch Posten besetzt, weil sie wussten, dass dies unser einziges Verteidigungsmittel war, und damit trat Ruhe ein.

Am anderen Morgen, ich lag noch in der Koje, hörte ich aus dem Waschhaus einen kolossalen Spektakel. Es hatte da einer von uns einen Japaner, der sich auch waschen wollte, auf etwaige Blutleere [?] untersucht, doch der Übeltäter entwischte. Nach diesem Vorfall ging der Wachhabende mit einigen Mann durch die Häuser und trieb alle noch Schlafenden durch Backpfeifen und Fußtritte in die Höhe. Aus Haus 8 schleppte er einen auf die Wache, dort angekommen, trat er ihn, als der seinem Befehl stillzustehen nicht sofort nachkam, derartig gegen die Schienbeine, dass sich derselbe vor Schmerz setzen musste. Jetzt wollten sie ihn durch Stoßen, Treten und Ohrfeigen wieder zum Aufstehen zwingen, doch es war alles umsonst und sie ließen ab von ihm. Der Wachhabende hatte mittlerweile für Abwechslung gesorgt und noch mehr Missetäter zur Wache geschleppt, einen aus unserem Haus, weil er beim Erscheinen des Grimmigen einen Warnungsruf (»Warschau«) ausgestoßen hatte. Dasselbe galt auch als Grund der Verhaftung eines Reservisten aus Haus 11 und eines Aktiven von Haus 12. Außerdem war noch einer aus Haus 11 wegen zu langen Schlafens [dran] und als letzter und zehnter Mann, mit dem wir am vergangenen Abend eingerückt waren, hatten sie noch einen Maat vom anderen Lager gekitscht.

Diese Leute wurden nun unter fortwährenden Fußtritten und Backpfeifen, ja sogar durch Kolbenstöße und Schläge mit dem Seitengewehr zum Stillstehen gezwungen. Das war denn doch für uns, trotzdem wir bereits an die gepriesene japanische Behandlung gewöhnt waren, zu viel und alles fing bei jedem Fußtritt, Ohrfeige oder Stoß an zu schimpfen, und als an dieser Behandlung der Wehrlosen auch die Funktionsunteroffiziere teilnahmen, kannte unsere Entrüstung keine Grenzen.

Doch den unsterblichen Verdienst für sein Vaterland erwarb sich der betreffende Wachhabende durch ein unser ganzes Inneres in Wallung bringendes Stückchen. Ein Seesoldat stand am Rauchkübel und guckte sich den Klamauk mit an, als plötzlich der Wachhabende auf ihn zukam und ihm eine klebte, doch mein »Häusler«, nicht faul, setzte sich zur Wehr und färbte ihm seine blauen Schlitzaugen gelblich. Doch sprangen jetzt verschiedene von der Wache ihrem Vorgesetzten zu Hilfe und schlugen, trotzdem sich noch einige von uns einmischten, mit dem Kolben auf den Unglücklichen ein, sodass er blutüberströmt ins Revier geschleppt werden musste. Hier wurde er unter Fußtritten und Rippenstößen verbunden. Trotzdem das Blut fortwährend durch den Verband sickerte, wurde er zu den anderen vor die Wache gestellt und sollte auch stillstehen. Als er das nicht konnte, haute ihm einer mit dem Seitengewehr über die Backe und die Finger, dass das Fleisch in Fetzen herunterhing.

Am gemeinsten zeigte sich hierbei der Küchensergeant, welcher mit einem Knüppel in der Faust wie unter einer Hundemeute arbeitete, doch als ihm einige zum Hohn seinen ins Deutsche übersetzten Namen »Flohberg« nachriefen, suchte er durch alle möglichen Schikanen den Übeltäter ausfindig zu machen. Zuletzt musste das ganze Haus 9 antreten, und wir mussten, da sich niemand meldete, ungefähr vier Stunden auf einem Fleck stillstehen und konnten während dieser Zeit nur vier- oder fünfmal rühren. Danach mussten wir schwören, nicht wieder den Namen Flohberg zu gebrauchen. Die Offiziere, welche mittlerweile gekommen waren, sahen sich alles ruhig an und erlaubten dann, dass sich die vor der Wache Stehenden bis zum Beginn der Verhandlungen vor dem Büro setzen konnten.

Und es begann die jede Kultur verleugnende Verhandlung. Der erste Fall, Johnson, wurde verdreht und [die Beschwerde] glatt abgewiesen. Der zweite Fall wurde für genügend angeglichen erklärt, und die vier Mann konnten ihrer Wege gehen. Die anderen wurden ebenso abgewiesen und sollten später ihre Beschwerde schriftlich einreichen. Der letzte Fall, Häusser: Der hatte eine schriftliche Beschwerde eingereicht, die jedoch in japanisch umgeschrieben war; die sollte er, ohne dass ihm dieselbe gedolmetscht wurde, unterschreiben. Als er dies nicht tat, wurde er gefesselt und mit drei Mann Bedeckung in Untersuchungshaft abgeführt. Zur weiteren Verhandlung sollte der amerikanische Konsul zugelassen werden, doch ist nichts weiteres für die Sache geschehen.

Am 10. Mai gab es wieder 1,50 Yen Liebesgaben, natürlich hatten sich einige von den paar Kröten besoffen, und so kam es auch diesmal für Haus 9 wieder zu einer unangenehmen Geschichte. Einer des jüngeren Jahrgangs wurde in seinem Suff frech und bekam dafür ganz gehörig das Fell voll. Aus Rache darüber schrieb er einen anonymen Brief an die Japaner, worin er die Betreffenden beschuldigte, aus einem in unserem Hof befindlichen Tempel Sachen gestohlen zu haben. Das Ende vom Lied war »Hausdurchsuchung«, doch fanden die Japaner nur bei einem etwas, er bekam dafür 10 Tage »drücken«.

Vor 14 Tagen machten einige Maate den Versuch auszukneifen, doch wurde der Plan, der sehr gut ausgearbeitet war, vom Hausmeister verraten, und die betreffenden Beteiligten sitzen in Untersuchungshaft, da man ihnen bisher noch nichts beweisen kann. Am 15.5. machten wir wieder mal einen größeren Ausflug durch die Stadt. Im Ostpark, wo wir uns längere Zeit aufhielten, dachten wir, aller sonstigen Befehle entgegen, uns mit Japanern zu unterhalten und konnten auch kaufen, was wir wollten. Nachdem wir uns dann noch eine halbe Stunde am Strand aufgehalten hatten – jedoch durften wir nicht baden, trotzdem es sehr warm war –, ging es wieder nach Hause, wo man die Nacht drauf noch mal so schön schlief. Der uns führende Offizier versprach uns, für die Pfingstfeiertage beim Oberstleutnant einen größeren Ausflug zu erwirken.

Die nächsten Tage verliefen ziemlich gleichmäßig in ihren eintönig geregelten Bahnen. Vor einiger Zeit war schon einmal das Gerücht aufgetreten, dass die Hälfte von uns wegkommen sollten von hier. An diesem Tag wurde nun öffentlich bekannt gegeben, dass vorläufig 17 Unteroffiziere und die Mannschaften von Haus 10 und 12 nach Kurume verlegt werden. Heute am 12. Mai wurde uns, nachdem diesen Tages die Verhandlung im Fall Häusser stattgefunden hatte, das Urteil bekannt gegeben. Es lautete für den armen Kerl auf 8 Monate Gefängnis.

Zurückgreifend bis Anfang April ist noch zu erwähnen, dass das am 24. März gestellte Ersuchen in dieser Zeit zur Ausführung gelangte. Ungefahr 80 Mann gingen, nachdem sie abends mit Menage für den ganzen Tag – drei Eier, Brot und Feldflasche voll Tee – ausgerüstet waren, in Begleitung eines Offiziers nach dem bestimmtem Platz. Als Vergütung bekamen sie, nachdem sie sich alles angesehen und zwei Stunden gearbeitet hatten, zehn Zigaretten, ein paar Erdnüsse und ein paar Mandarinen. Doch nachdem sie zweimal dort gewesen und die Japaner die arbeitenden Europäer photographierte hatten, ließen die Japaner das Projekt wieder fallen, denn sie hatten ihren Zweck erreicht.

Mittlerweile war es Pfingsten geworden, das dritte Fest in japanischer Gefangenschaft. Am Morgen des ersten Feiertages war ziemlich trübes und gemischtes Wetter, auch hielt der früher von den Japanern so unfreundlich abgefertigte Pastor Gottesdienst ab, dazu waren alle erschienen. Nach der Predigt durfte er, mit Erlaubnis der Japaner, von seinen Bekannten gesprochen werden. Der Nachmittag verging ziemlich eintönig, denn die meisten hatten kein Geld. Am zweiten Feiertage machten wir dann den versprochenen Ausflug nach dem Westpark. Es war ein herrlicher Sommermorgen, und wir marschierten mit Sang und Klang anderthalb Stunden bis dorthin. Nach einstündigem Aufenthalt, welchen wir durch Allotria ausfüllten, ging es dann nach Hause.

Des Nachmittags war wieder Ausflug, der für das andere Lager [= Haus] bestimmt war. Ich jedoch, da ich mich noch nicht müde genug fühlte, ging hinüber und machte unter großen Freuden diesen Ausflug auch noch mit, wobei wir eine Stunde länger marschierten als am vergangenen Morgen. In dem Ostpark angekommen, stillten wir zuerst unseren Durst mit japanischer Limonade. Einige gingen baden, die anderen unterhielten sich mit den dort uns bedienenden japanischen Mädchen. Nachdem der Photograph Bilder von uns zustande gebracht hatte, zogen wir in dem Bewußtsein, einen schönen Tag in Gefangenschaft verlebt zu haben, wieder in unser Lager zurück.

Am nächsten Tag, dem 25. gab es wieder 2,50 Yen, unsere Rettung in großer Not. Die nächsten Tage wurden wieder recht langweilig, sämtliche Spiele und Bibliothekbücher wurden uns jetzt, in Anbetracht verschiedener Mannschaften [?], gestattet, man weiß wirklich nicht, wie man die Zeit totschlagen soll. Nur für morgens gibt es noch das Rocketspiel [?].

Die von dem Dach unseres Hauses zu überschauende Bucht von Hakata bot dieser Tage ein großartiges Bild. Am Jahrestag der Vernichtung der russischen Flotte am 27. Mai 1905 hatten sich Torpedoboote eingefunden, und es fand morgens eine großartige Ruderregatta statt, nachmittags und abends noch verschiedene Übungen, sodass dieser Tag etwas schneller verging. Auch wurde dieser Tage viel von einer Kriegserklärung Italiens an Österreich gefaselt, doch es war schon zu viel erzählt worden, sodass niemand der Sache Glauben geschenkt hatte. Die Kriegserklärung ist heute am 25.5 für gewiss erklärt worden.

Am Sonntag den 30.5. war morgens Ausgang zu einem Fußballwettspiel. Das ganze Spiel, welches in seinem Verlauf ziemlich anregend verlief, wurde von uns gegen OMD 5 gegen 0 verloren. Die Hitze machte sich schon recht bemerkbar, und der mitgenommenen Kantine wurde lebhaft zugesprochen. Die nächsten Tage vergingen mit Zubereitungen und »Vorschriften bekannt machen« für unsere baldige Abreise. Heute am 1.6.1915 sind wir eingeteilt und »verlesen« worden, wo wir hinkommen sollten: Meine nächste Heimat ist voraussichtlich Nagoya.

Die nächste Zeit verging in der alten Leier. Am 9.6.1915 um 10 Uhr rückten die nach Kurume bestimmten Mannschaften ab, bepackt und beladen wie Lastkamele, da jeder sein Gepäck und sogar seine Decken selber schleppen musste. Zudem war schon zwei Tage regnerisches Wetter. An dem vorhergehenden Tage wurde das Gepäck schon einige Male revidiert und versiegelt, und am Morgen des Abmarsches wurde noch einmal nachgesehen, ob die Siegel unversehrt geblieben sind, damit nicht etwas Ungerechtes mitgenommen wurde. Das waren die Ersten, die fort sind.

Am 11. bekamen wir Moskitonetze. Die nächsten Tage gab es dann Sommerwäsche und Trainingszeug. Trotzdem der Juni der regnerische Monat in Japan ist, herrscht schon kolossale Hitze, so dass schon mancher Tropfen Schweiß geflossen ist. Ausgang oder irgendwelche Beschäftigung gibt es auch nicht mehr, so dass man immer von einem Tag zum anderen rumdöst. Gestern am 16.6. gab es 20 Zigarren und 25 Zigaretten vom deutschen Flottenverein Manila.

Heute ist ein sehr betrüblicher Fall festgestellt worden. Ein schon lange im Revier liegender Gefreiter der 1. Kompanie aus unserem Hause musste wegen Typhus ins Lazarett geschafft werden. Es sind bereits, um Ansteckungen zu vermeiden, Vorsichtsmaßregeln getroffen worden. Wir dürfen 14 Tage das Haus nicht verlassen und keine Kantine betreten, und es sind bereits die verschiedenen Räumlichkeiten wie Logis J.J. [?] desinfiziert worden.

Am 19.6. gab es 2,50 Yen. Die Auszahlung wurde deshalb so lange verzögert, weil die Japaner befürchteten, wir würden das von Tsingtau übriggebliebene Hartbrot, welches wir jetzt kauen mussten, wegwerfen und uns anderes Brot kaufen. Infolge des vorerwähntes Falles kam Kapitänleutnant Wittmann ins Lager und verlas uns noch einmal die Vorsichtsmaßregeln in ziemlich unzweideutiger Weise. An Liebesgaben erhielten wir in der ersten Hälfte dieses Monats eine Büchse Ham [= Schinken] und ein Paar japanische Strohsandalen. Gestern hatte die Matrosenartillerie Ausgang, und heute wurden die Anderen ausgeführt. Nur Haus 9 mußte zu Hause bleiben.

Jedoch es sollte noch besser kommen. Kaum waren die Verbote, die für Haus 9 bestimmt waren, aufgehoben, als wieder ein Matrose und ein Seesoldat aus unserem Haus erkrankten und ins Revier geschafft wurden. Da nun ein Typhusfall vorgekommen war, der aber schon 14 Tage vorbei war, hielten die Japaner unsere beiden Kameraden für typhuskrank. Wir, unsere 24 Mann, trugen sie nach dem Lazarett, welches etwa anderthalb Stunden von hier entfernt war. Dort angekommen, wurden unsere Kameraden in ein desinfiziertes Zimmer gebettet, und wir mussten wieder in unser Lager zurück. Die Lazarettgebäude lagen auf einem Berg, wo früher eine alte Burg gestanden haben soll. Sie waren von uralten Bäumen umgeben, die weit über die Gebâude hinausragten. In den Gebäuden, besonders in den Krankensälen, herrschte ziemliche Ordnung und Reinlichkeit.

Nachdem wir uns alles daselbst angesehen hatten, die Gebäude sowie die Umgebung, nahmen wir den Weg wieder zu unserem Lager. Hier angekommen, war der Befehl schon erteilt: Haus 9 muss bis auf weiteres desinfiziert bleiben. Das rief bei uns allen Traurigkeit hervor. Wenn das Geld auch alle war für in die Kantine zu gehen, so war immerhin unsere Freiheit sehr beschränkt. Jedoch wir gaben uns der Hoffnung hin, was nachher auch zur Wirklichkeit gelangte, dass unsere beiden Kameraden nicht an Typhus leiden würden. Es dauerte etliche Tage, da kam die Nachricht, dass bei dem Matrosen Lungenentzündung und bei dem Seesoldaten Malaria festgestellt worden sei. Die Verbote wurden sofort aufgehoben, und wir trieben unser Leben weiter wie vor der Einschränkung.

Wir wurden wieder (eingesperrt) ausgeführt durch die Stadt und auch zum Baden im See, was jeden Freitag für uns festgesetzt war. Jedoch diese Freude sollte für uns nicht lange dauern. Inzwischen war noch einer aus Haus 8, ein Matrose, an Lungenentzündung erkrankt, und des nächsten Tages hieß es: Das Baden ist wegen der vielen Krankheitsfälle von der japanischen Regierung verboten worden. Nun blieb uns noch das Ausgehen übrig, was fast alle Tage geschah. Am 10. Juli erhielten wir wieder Liebesgaben, die uns wieder ein bißchen ermutigten.

Am 12.-15. Juli hatten die Japaner Tempelfest, was vorher kolossal verbreitet worden war. Es wurden Holzgestelle von etwa 10 Meter Höhe errichtet, mit Stroh bedeckt und an den Seiten mit weißem Tuch verhängt. Darin wurden Götzen aufgestellt, der Kriegsgott, Drachen und sonstige Figuren, wobei wir nicht feststellten, was sie darstellen konnten. Um die Schönheit dieser Figuren zu erhöhen, wurden viele bunte elektrische Birnen befestigt, die jeden Abend von der Dunkelheit an bis abends 10 Uhr brannten. Außerdem liefen des Abends Hunderte von Personen mit Lampen herum durch die Straßen der Stadt, so ähnlich wie ein Fackelzug zu Hause. Mit dem 15. Juli abends war die Feier beendet. Es wurde alles wieder abgebrochen, und das Leben und Treiben ging weiter wie vor der Feier.

Am 17. Juli wurden wir wieder nach dem Ostpark ausgeführt. Daselbst konnten wir ziemlich frei umhergehen. Ich benutzte die Gelegenheit und begab mich in ein dort befindliches Panorama, dasselbe war wundervoll gemalt und stellt dar, wie die Mongolen in früherer Zeit gekämpft hatten.

Am 22. Juli bekamen wir den Befehl vorgelesen, womit die Kaiserin von Japan bekannt gab, dass Soldaten, die den deutsch japanischen Krieg mitgemacht hatten und dabei verkrüppelt wurden oder ihr Augenlicht verloren hätten, künstliche Augen erhalten sollen, oder sonst auf andere mögliche Art ihre Not zu lindern. Diese galt hauptsächlich den verwundeten deutschen Soldaten, und die Worte der Kaiserin sollten von uns allen als ein großes Werk angesehen werden.

Am 24. Juli erhielten wir 1,50 Yen Liebesgaben, die von uns allen herzlich willkommen geheißen wurden. Konnten wir uns doch wieder mal unseren Durst löschen, bei der großen Hitze, durch eine Flasche Bier. Am 27. war im anderen Lager Theater, wo das Lustspiel »Die Räuber« gespielt wurde. Trotz der wenigen Mittel, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden, hatten sie das Stück gut aufgeführt. Eine Bühne hatten die Spieler gebaut, wovon die Japaner nichts wussten. Sogar die Nachbarsleute von uns kletterten auf die Dächer und schauten sich das deutsche Theater an. Das war wieder mal ein schöner Abend für uns gewesen, und ein jeder, der dort gewesen war, fühlte sich in einen fröhlichen Abend der Heimat versetzt.

Am 7. August wurden wir wieder ausgeführt nach dem Westpark. Derselbe liegt anderthalb Stunden von hier. Als wir dort ankamen, war ein jeder von uns durch die große Hitze, die herrschte, nass geschwitzt. Mit den paar Yen, die die meisten noch besaßen, wurde der Durst ein wenig durch japanische Limonade gelöscht, dann sahen wir uns den schönen Park an. Einige gingen im See baden, und wieder andere begaben sich zu den dort zerstreut liegenden Häusern, um vielleicht ein japanisches Mädel etwas Deutsch zu lehren. Nach zwei Stunden Aufenthalt marschierten wir wieder nach unserem Lager zurück.

Der Zehnte dieses Monats brachte uns wieder eine Bescherung, nämlich 2,50 Yen Liebesgaben. Ein jeder empfing sie mit Freuden und eilte zur Kantine, um den Durst durch einige Biere zu löschen. Sobald die paar Kröten aber alle sind, beginnt wieder das eintönige Leben.

Am 14. August hatten die Japaner wieder ein Fest, welches vier Tage lang gefeiert wurde. In dieser Zeit wurde nicht gearbeitet. Des Abends gingen die meisten zu ihren verstorbenen Angehörigen auf den Kirchhof. Der Kirchhof war hell erleuchtet durch das Räucherwerk und die Ampeln, die dort aufgehängt waren. Ein jedes Haus war durch Ampeln und Kerzen erleuchtet. Die Straßen liefen voller Menschen, und dabei wurde viel Feuerwerk angezündet. Als das Fest zuende war, freuten wir uns, denn wir hatten während dieser Zeit kein Fleisch erhalten.

Die Zeit bis zum 25. August verlief eintönig. Am 25. August erhielten wir pro Mann 1 Yen Liebesgaben. In diesen Tagen lief das Gerücht herum, dass wir versetzt werden sollten, was schon so oft geschehen sollte, aber noch nicht zur Wirklichkeit gelangt war. Doch jetzt kam der Befehl, dass wir am 18. September nach Nagoya versetzt würden. Wir freuten uns alle darüber, denn eine schöne Bahnreise sollte uns bevorstehen, die sicherlich mit vielen Sehenswürdigkeiten verlaufen würde. Am Ende des Monats mussten wir schon Sachen abgeben wie Bettlaken, Polster und dergleichen, da doch bestimmt worden war, dass wir am 18. September Fukuoka verlassen sollten.

Der Monat September hatte noch nicht begonnen, da war das Geld schon wieder alle, und wir sehnten uns nach dem nächsten Löhnungstag, dem 10. September. Jedoch erhielten wir schon am 8. September 2,50 Yen.

Die Befehle waren erteilt worden, dass wir am 19. September Fukuoka verlassen würden. Deshalb hielten wir unsere paar Kröten zusammen für die uns bevorstehende Reise. Nach und nach gaben wir unsere paar Sachen ab. Am 18. September mussten wir sämtliches Zeug abgeben, sogar unsere Decken. Die letzte Nacht haben wir in unseren Mänteln zugebracht. Der Proviant pro Mann – vier Brote, sechs Eier, vier Äpfel und eine Tüte Keks – war empfangen worden. Unsere Sachen waren abgegeben, außer einigen Kleinigkeiten, die wir als Handgepäck mitnahmen. So nahte der Morgen des 19. Septembers heran, vier Uhr morgens war Wecken, dann tranken wir Kaffee, und schon mussten wir antreten. Ein Lebewohl an unsere zurückbleibenden Kameraden, und wir marschierten unter dem Klange »Ich hatte einen Kameraden« zum Tor hinaus, der Bahnstation Fukuoka-Hakata zu.
 

4. »Unser Los«5

  1. In Japan fern dem Heimatland
    Sitzt gefangen ein deutscher Krieger.
    Sinnend stützt er sein Haupt auf die Hand –
    Oh Heimat, wann seh'n wir uns wieder?
  2. Wir haben gerungen in wildem Trotz,
    Wir wollten uns nicht ergeben.
    Wir wollten beweisen dem gelben Protz,
    Dass Ehre uns alles im Leben.
  3. Doch vergebens,
    Zu stark war die Übermacht,
    Die er uns entgegen getrieben,
    So fest wir auch standen auf treuer Wacht.
  4. Nun bin ich gefangen in Feindesland
    Und darf im blutigen Ringen
    Nicht für die Waffe mit fester Hand
    Kein einziges Opfer mehr bringen.
    Bis nach schier endlos scheinender Zeit
    Mir die Freiheit wieder lacht.

 

Anmerkungen

1. Gemeint ist das in zwei chinesischen Dörfern bezogene »Notquartier«.

2. »Stab» bezieht sich auf den Gouverneur, seinen Stabschef und weitere enge Mitarbeiter.

3. Der letzte Satz und die beiden Halbsätze davor sind nicht ganz verständlich.

4. »Drücken« kann wohl als verschärfter Arrest gedeutet werden. Mit »Familienanschluss« dürfte der Versuch gemeint sein, ortsansässige Prostituierte zu besuchen.

5. Das Gedicht könnte von Kaulmann selbst stammen. Er hat mehrere dieser Art im Tagebuch festgehalten, jedoch ist dieses das einzige, welches sich auf die Gefangenschaft bezieht.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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