Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Augenzeugenberichte

StartseiteAugenzeugenberichte → Bötjer


»Die Gefangenschaft«

von Otto Bötjer
 

Artilleristenmaat Otto Bötjer gehörte zur Bedienungsmannschaft der Iltisberg-Batterie und kam mit seinen Kameraden ins Lager Fukuoka. Dort verschlechterte sich die Situation im Laufe des Jahres 1915 beträchtlich; insbesondere ist von Mißhandlungen durch die Wachmannschaft die Rede. Durch die Verkleinerung des Lagers Ende 1916 verbesserte sich die Lage wieder, jedoch gibt es hierüber keine weiteren Aufzeichnungen.

Die Transkription des Tagebuchs wurde durch Bötjers Tochter Thea vorgenommen und gelangte später in die ehemalige Sammlung Walter Jäckisch. Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen aufgelöst, Anmerkungen in [...] oder als Fußnote hinzugesetzt. »[Tbl.]« steht für einzelne Textteile, die der Verfasser anfangs aus dem »Kriegstagebuch« des »Tageblatts für Nord-China« übernommen hat.
 

Inhalt

  1. Ende 1914
  2. Anfang bis Juni 1915
  3. Juli bis Ende 1915
  4. Anfang 1916

 

[Ende 1914]

7.11.14 Morgens, 6:10 Uhr, gefangen genommen. Auf Befehl von Kapitänleutnant Wittmann übergeben mit einem Vizefeldwebel (Falke), Obermaat Schulte, Krüger und ich; außerdem 13 Mann (Untere Iltisberg-Batterie) – 6 Mann verwundet.
Nachmittags 15:00 Abmarsch der Oberen und Unteren Iltisberg-Batterie sowie Batterie Huitschuenhuk hinter die Prinz-Heinrich-Berge nach dem Dorfe Fou-schan-ho (teilweise unsererseits zerstört).
Abends kampieren im Freien bei großer Kälte. Etwas nass. Sehr viele [haben] Schnupfen.

8.11.14 Sonntag: Quartier im Dorfe Peitsun, in einer Hütte mit 8 Unteroffizieren und 10 Mann.

9.11.14 Nachmittags 16:00 Uhr findet in Tsingtau auf dem Gouvernement-Friedhofe die feierliche Beisetzung der in den letzten Kämpfen Gefallenen statt. [Tbl.]
Im Quartier: Bouillonsuppe von japanischem Büchsenfleisch; selbst gemacht.

10.11.14 Noch in Tsingtau verbliebene Kriegsgefangene werden nach Taitungtschen überführt. Im Quartier: Milchsuppe von Büchsenmilch.

11.11.14 Im Quartier: der letzte deutsche Proviant. Das Kommissbrot schmeckt wie Kuchen.

12.11.14 8:15 Uhr Abmarsch nach Schatzykou. 14:50 Uhr Ankunft. 16:30 Uhr Einschiffen auf Dampfer Judo Maru – Osaka.1
350 Mann in einem Luk. Schlief selbst an Deck, nachdem ich eine Nacht auf der Treppe geschlafen hatte. Es gibt bloß Hartbrot und heißes Wasser.

14.11.14 Jahrestag der Besitzergreifung Kiautschous 1897. Der Gouverneur, Seine Exzellenz Meyer-Waldeck, verlässt mit seinem Stabe Tsingtau. [Tbl.]

15.11.14 Sonntag: Ankunft in Moji. Herrliche Einfahrt.
3:30 Uhr Abfahrt nach Hakata, Ankunft: Dairi – 3:45 Kokura – Tobata – Yedamitzu (Hüttenwerke) – Kurosaki – 4:48 Orio – Ongagawa – Yebitzu/Akama (Durchfahrt eines Tunnels von 5 Minuten Dauer) – Togo – Fukuma – Koga – Kashi – 7:35 Yodschizuka – 7:45 Uhr Ankunft in Hakata
8:30 Uhr Transport nach dem Gefangenenheim Fukuoka! Es ist ein zu diesem Zweck geräumtes Bordellviertel. Hunger fürchterlich! Abendbrot: Pellkartoffeln, Fisch, Tee (sehr mies).

16.11.14  Feierlicher Einzug [in Tsingtau] der japanischen Truppen, denen eine britische Kompanie beigegeben ist. Hinter dem Hotel Prinz Heinrich nimmt Generalleutnant Kamio, im Beisein der fremden Militärattaches, die Parade ab. Vier japanische Flieger überfliegen während dem in regelmäßigen Abständen die Stadt. [Tbl.]
Es gibt Teller, vier Decken, Kopfrollen mit Bezug. Betten keine da. Man liegt auf Strohmatten.

17.11.14  Wir dürfen mal ins Nachbarhaus gehen. Alles ist eingezäunt und wird militärisch bewacht.

18.11.14 Seit langem mache ich mal wieder Zeugwäsche. Viel ist es ja nicht, denn was ich gerettet habe, ist meist blaues Zeug.

19.11.14 Es kommt der Platzkommandant von Fukuoka zur Besichtigung.
Heute gab es zum Mittag Reis; zum ersten Mal richtig satt geworden.
Brief an Mutter; ob er wohl ankommt?
Alle Postsachen sind der Zensur unterworfen und müssen in lateinischer Schrift geschrieben sein.

20.11.14 In Tsingtau übernehmen die Japaner die Lazarette. Das Rote Kreuz verlässt in Staffeln – bis einschließlich 29. nachmittags – Tsingtau. [Tbl.]
Unser Obermatrosenartillerist Welter wird typhuskrank. Alles wird desinfiziert. 10 Tage isoliert.

21.11.14  Die Tischler sind da. Heute Nacht haben wir gefroren. Es sind alles Holzhäuser mit Papierfenstern zum Schieben. Höchst undicht der ganze Laden! Es ist der japanische Winter, meist Regen und Sturm. Viel kälter wird es hier nicht. Manchmal haben wir sogar warme Tage.

22.11.14 Es bricht ein kleiner Brand aus beim Feuermachen. Alles Feuermachen wird verboten.

28.11.14 Heute Hausrevision. Es fehlte im Empfangssalon eine Glühbirne. Nach 2 Stunden war endlich festgestellt, dass keine drin war. So kleinlich!
Unsere Baderäume und W.C., nach europäischem Muster, sind bald fertig. Bisher haben wir immer japanisch ...

30.11.14 Heute geht es das erste Mal raus, zum Spielen auf der Pferdekoppel einer Kavallerie-Kaserne. Eine Gruppe wurde photographiert. Das Bild erschien am anderen Morgen im Generalanzeiger von Fukuoka.

3.12.14 Unser Haus (Nummer 6) wird Spritzenkommando. Ich bin Spritzenmeister, bekomme die Spritze mit 30 Mann. Außerdem brauchen wir noch einen Brandmeister und einen Schlauchführer (Kukki mit 10 Mann). Einmal wurde das Exerzieren uns von japanischer Feuerwehr vorgemacht. Dann von uns exerziert. Darauf stellten wir die Spritze unter, wobei der Dolmetscher meinte: »Nicht wieder so eilig«, denn die Kerls fuhren wie die ›Feuerwehr‹. Jetzt haben wir etwas zu tun.

4.12.14 Heute nachmittag können die Leute in die Stadt gehen, welche etwas zu kaufen haben. Ich nicht, denn ich habe keinen roten Yen; verkaufe deshalb meine Bordstiefel für 5 Yen. Bücher, Romane usw. müssen gestempelt werden.

8.12.14 Heute nachmittags geht's zum Spielen. Auf dem Rückwege durch die Geschäfts- und Handwerkerviertel von Fukuoka.

9.12.14 Nachstehend das Verhalten in japanischen Häusern: [Im Original steht hier diese Anweisung.]

10.12.14 Von heute ab darf geheizt werden. Natürlich nicht in Kachelöfen, sondern in kleinen eisernen Töpfen, in welchen man Holzkohlen brennt.

11.12.14 Von heute ab haben wir Selbstverpflegung aus unserer neuerbauten Küche. Unsere eigenen Köche kochen von jetzt ab. Auch 1 Yen gab's für jedermann. Ein Tropfen auf einen heißen Stein! (Liebesgaben von Shanghai).
Schwarzbrot gibt's auch in letzter Zeit, gestiftet von deutschen Firmen in Japan. Nur trocken, ach so trocken.
Auch einige Zeitungen kommen durch. Sieg auf Sieg zu Hause. Wir sind nur einmal froh, desto schneller kommen wir hier wieder fort.

12.-16.12.14  Nichts Besonderes.

17.12.14 Heute bekommt ein Reservist von uns mehrere Zeitungen – den ganzen Tag wird gelesen. Die Stammabteilung soll in Antwerpen sein?2

18.12.14 Eine Nachricht im »Norddeutschen Lloyd« vom 6.11.14:

BRAVO S 90
Über den erfolgreichen Ausfall S.M. Torpedoboot S 90 von Tsingtau, bei dem ein japanisches Kriegsschiff erledigt worden ist, haben wir schon kurz berichtet. Der Angriff hat insofern ein besonderes Interesse, als es unseres Wissens das erste Mal gewesen ist, dass ein deutscher Torpedobootsangriff im Ernstfall durchgeführt worden ist. Auf der Nordsee sollen jetzt manche Versuche der deutschen Torpedoboote, den Feind anzugreifen, gemacht sein. Geglückt ist bisher aber noch keiner, weil die englischen Schiffe es vorziehen, sich stets in achtenswerter Entfernung von den deutschen Torpedobooten zu halten. Bemerkenswert bei dem Ausfall von S 90 ist vor allem aber, dass es sich um ein einzelnes Boot, im Gegensatz zur Massenverwendung von Torpedobooten, wie sie in Europa durchgeführt werden und wie sie auch im japanisch-russischen Krieg gemacht worden sind, gehandelt hat, hier draußen. Dabei ist S 90 das älteste Torpedoboot und ist alleiniges der Flotte, welches seit 1900 ununterbrochen im Dienst ist. Es war an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gekommen und sollte Anfang Oktober abgewrackt werden. Infolgedessen hatte das Boot auch nur in diesem Jahre eine kurze Reparatur gehabt. Seit Anfang des Krieges hat es mit klaren Maschinen und Kesseln gelegen, wenn es sich nicht auf der Fahrt befand, und es hat viel gefahren. Jetzt hat S 90 sein Dasein abgeschlossen. Es ist von der eigenen Besatzung in die Luft gesprengt worden.
Uber seine letzte Heldentat hat sich sein Kommandant, Kapitänleutnant Brunner, folgendermaßen geäußert:
»Am 17. Oktober 1914 abends ging S 90 in See, passierte die Blockadelinie und wich drei japanischen Torpedobootszerstörern, die zum Blockadegeschwader gehörten, unbemerkt aus. Draußen kreuzte das Boot in der Nacht zum 18. Oktober auf der Suche nach feindlichen Schiffen. Endlich, gegen 1:30 Uhr, wurde eines in dunklen Umrissen entdeckt, einen Schornstein und zwei Masten hatte es. Wir pirschten uns heran; ich erklärte dem Rohrmeister die Lage; Leutnant zur See Steinmetz schickte ich an das vordere Rohr und Leutnant zur See Große an das hintere. Beide konnten durch ihre vorzüglichen Nachtgläser den Rohrmeister unterstützen. Der Oberleutnant zur See der Reserve Häußer behielt die Wache auf der Brücke. Nun war es Zeit zum Angriff gewordem. In spitzem Winkel ging es auf den Gegner los. Die Maschinen des Bootes gaben ihr letztes her; unter der Leitung des bewährten Obermaschinisten Schäfer wurden Maschinen und Kessel in ausgezeichneter Weise bedient. Das unbemerkte Herankommen an den Feind war mir nur möglich geworden durch das fast rauchlose Fahren der Heizer.
Nun waren wir auf 500 m herangekommen und ich drehte ab, um die Torpedos abzufeuern. In kurzer Reihenfolge fielen drei Torpedoschüsse, der letzte nur auf etwa 300 m Entfernung. Man konnte die Laufbahnen genau verfolgen, sie liefen auf das feindliche Schiff zu. Durch das mehrfache Aufblitzen aufmerksam geworden, gab der Gegner ein Alarmsignal – kaum war dieses beendet, so erfolgten die Explosionen; die dritte hatte geradezu eine gewaltige Wirkung! Ich hatte in der natürlichen Aufregung und der großen Nervenanspannung, in der ich mich befand, zunächst den Eindruck – die Offiziere und Mannschaften auch –, als wäre S 90 mit allen Geschützen unter Feuer genommen. Sprengstücke schlugen ringsum ein. Die Ereignisse folgten alle so blitzschnell aufeinander, dass ich mich jetzt nicht einmal erinnern kann, das gewaltige Krachen der Explosion gehört zu haben, das sogar S 90 erzittern machte. Dann aber sah ich, wie das ganze Schiff buchstäblich in die Luft flog; Schornstein, Masten, Geschütze, Kessel wirbelten in der Luft herum, und eine etwa 100 m hohe Feuerlohe schoss aus dem Schiff hervor. Ein Hagel von Sprengstücken ergoss sich über das Boot, und S 90 musste noch etwa eine Strecke von zweihundert Metern durchlaufen, ehe es aus diesem Hagel herauskam. Es ist ein Wunder, dass nicht einer der an Deck befindlichen Mannschaft getroffen wurde. Neben mir fiel ein etwa 3 kg schwerer Eisenklumpen nieder. Ich habe es nicht bemerkt und bin erst später darüber gestolpert. Der Torpedomaschinist bemerkte ein Sprengstück von mindestens einem Meter Durchmesser, das in hohem Bogen über das Boot hinweg flog und zweihundert Meter vor uns ins Wasser fiel. Außer einigen Beulen hat das Boot keinerlei Beschädigungen erlitten.
S 90 wurde vom Feind, dem die Explosion natürlich nicht entgangen war, sofort verfolgt, entkam aber in der ersten Verwirrung unter dem Schutz der Dunkelheit. Eine Rückkehr nach Tsingtau war unmöglich, da der Feind den Rückzug abgeschnitten hatte. Etwa nach Shanghai zu kommen, war aus anderen Gründen nicht möglich. Im Morgengrauen erreichte ich die Küste und sprengte das Boot mit dem verbliebenen Reservetorpedo noch eben vor Erscheinen des Feindes am Horizont. Vorher wurden, unter Ausbringen von drei Hurrahs auf Seine Majestät den Kaiser, Flagge und Wimpel niedergeholt. S 90 war ein totes Wrack! Die drei Rohrmeister aber, deren Torpedos alle getroffen hatten, sind Torpedobootsmannmaat Gräfe, Torpedobootsmannmaat Pfeifer und Kargus; die gesamte Besatzung hatte sich von Beginn der Ausfahrt an bis zuletzt vorzüglich gehalten und auf allen Gefechtsstationen mit Ruhe und Umsicht gearbeitet; selbst in den aufregenden Momenten des Angriffs funktionierte der gesamte Apparat genau so zuversichtlich und sicher wie in einem Friedensmanöver! Es ist ja nur schade, dass wir den Triumph oder einen anderen dicken ›Bobbi‹ nicht erwischt haben, aber Schiff bleibt Schiff. Auch bei meinen früheren Unternehmungen, im Gefecht mit Kennet und in Gefechten mit japanischen Landbatterien in der Bucht von Kiautschou, war die Haltung der Besatzung vorzüglich und die Artillerieschießleistungen gleich gut. Obwohl S 90 dabei zeitweise vom Feuer eingedeckt war, ist es wie durch ein Wunder, dass wir vor jeglichen Treffern oder Sprengstücken bewahrt blieben. In solchen Augenblicken hatte ich das Gefühl, als ob der alte Herrgott noch immer auf Seiten der Deutschen steht.«

19.12.14 Scharnhorst, Gneisenau, Nürnberg sollen gesunken sein? Wir bekommen ja fast nur englische Meldungen. Was da für Artikel zum Vorschein kommen! Danach existiert Deutschland schon bald nicht mehr. Mehrere Bücher haben wir jetzt zum Lesen.

20.12.14 Wir haben einen Fußball und Schlagbälle gekauft und heute damit gespielt.
Mehrere Großkampfschiffe haben unser Kreuzergeschwader zum Sinken gebracht. Deutsche Schiffe haben die englische Küste beschossen. Das wäre fein. Schade, dass wir hier untätig sitzen müssen. Die Krankheit unseres Welter soll schlimmer geworden sein.

23.12.14 Heute nachmittag 15:00 Uhr Weihnachtsverlosung von Spielen, Andenken und Esswaren. Ich erhielt ein Stück Wurst. Freude ist groß; doch etwas zum Abendbrot!

24.12.14 Weihnachtsabend. 18:00 Uhr Feier im Freien. In die Erde gesteckte Tannenbäume mit Lichtern; Harmonium und ein Kirchenchor von 30 Mann sorgen für die rechte, heimatliche Weihnachtsstimmung! Die Esssäle waren geschmückt, und der Gouverneur und Kapitänleutnant Wittmann, der die Weihnachtsfeier abhielt, kamen auf die Stuben, um sich dieselben anzusehen.
Es war allerlei von den Japanern gemacht worden, um es uns so gemütlich wie möglich zu machen. Das Harmonium wurde von Siemens-Schuckert zur Verfügung gestellt, die zur Verlosung gestellten Sachen von den Deutschen in Ostasien gestiftet, Tannenbäume, Lichter, Papier von den Japanern, Äpfel, Nüsse (Wal- und Erdnüsse), Mandarinen, von allem war etwas da.

25.12.14 I. Weihnachtstag.

26.12.14 II. Weihnachtstag. Nachmittags großer Kaffeeklatsch; Oberartilleristenmaat der Reserve Metzger, Obermaate Lemke, Maulhardt und Tietz waren zu Besuch. Ersterer mit seinem Bandonium. Der Kaffee schmeckte nochmal so gut. Sonst kennen wir nur noch Tee und nochmals Tee. Beim Kaffee bekam ich als erster Post in 5 Monaten, von Olly 2 Karten und zwar vom 28. und 31. Juli.

27.12.14 Zum Sterben langweilig. Heute einen Brief an Olly zur Post gegeben. Ob mein anderer Mutter erreicht hat? Man weiss verdammt nicht, wohin und wie die Post geht und ob man überhaupt nochmal Antwort bekommt. Fünf Monate ist die Post unterwegs. Alles andere wird wohl zurückgeschickt sein oder vom Feind vernichtet. Jedenfalls Rußland, Japan oder England.

31.12.14 Die Reservisten arrangieren für uns einen Bierabend; stiften 50 Flaschen Bier.
 

[Anfang bis Juni 1915]

1.1.15 Neujahr! Wie lange werden wir noch hier bleiben???

3.1.15 Fange jetzt an, Geographie zu lernen.

5.1.15 Muss mal wieder eine Zigarette kreuzen [?] gehen. 2 Stück 1 Pfennig. Jetzt was Feines. Sonst hätten wir jeden rausgeschmissen, der mit solchem Kraut in die Stube gekommen wäre; aber es ändern sich die Zeiten und ....

6.1.15 Wenn sie bloß zu Haus das Krupzeug verhauen wollten.3 Jetzt wird's zu öde.

7.1.15 Geographie geht vorwärts.

10.1.15 Heute wär der Tag des Herrn, wenn wir in Tsingtau wären und unsern Käsch bekommen hätten.4 Karte an Tante Mine. Brief an Großvater.

12.1.15 Heute wird es hier Winter. Es schneit sogar.

13.1.15 Sonst wird es hier eigentlich nur kalt nach dem Regen, und regnen tut es leider ziemlich oft. Dann gibt's meistens Wind, und der macht es so kalt. Heute frieren wir trotz unserer fünf Wolldecken, die sehr fadenscheinig sind, ganz gemein. Wir schlafen in blauem Zeug!

14.1.15 Wir frieren noch immer wie die Schneider.

15.1.15  Heute gibt es wieder Sonnenschein; der Schnee verschwindet wieder.

16.1.15 Heute soll es Geld geben. Eben kommt der Hausmeister5 zurück. Es gibt [Geld] morgen oder übermorgen. Gott sei Dank, dann können wir wenigstens mal wieder eine Zigarette rauchen.

17.1.15 Wieder ein Sieg über die Russen, 11.000 Gefangene?
In Rom soll Erdbeben gewesen sein.
Gestern ist unser Obermatrosenartillerist Welter, der dem Typhus im Lazarett erlegen ist, beerdigt worden nach vorherigem Verbrennen. Einfach schrecklich! Man sollte es gar nicht schreiben. Nachdem er als Schwerkranker – in dieser Kälte – eine ganze Nacht, trotz allen Klingelns nach einem Sanitätsgast, gelegen hatte, sahen die Ärzte, dass es mit ihm vorbei war. Er kam mit den anderen Kranken in eine Stube; am 15.1. morgens 6:30 Uhr verschied er. Noch am selben Tage kamen unsere Leute, um ihn einzukleiden und in eine Kiste zu legen. Diese war jedoch viel zu gross (sie ging nicht in den Ofen). Dann kam eine kleinere, aber viel zu klein, dass er da hinein passte. Dann kam das Hineinlegen – na ich will das Weitere verschweigen. Nachdem er verbrannt war, mussten unsere Leute – so will es japanische Sitte – die Asche zusammenfegen. Knochen, Schädel, Mützenfeder usw. waren noch nicht verbrannt. Still! Mir schmeckt das Essen mindestens acht Tage nicht.

18.1.15 Impfen gegen Typhus! Alle Leute.

20.1.15 Im Haus 1 fehlte ein Mann bei der Abendrevision. Wo war er hin??? Man brachte ihn auf die Wache.

21.1.15 Heute wurde der Ausreißer mit fünf Tagen [Arrest] bestraft!
Abends 22:45 Uhr Feueralarm.

22.1.15 Ein japanischer Flieger (Nakata) stürzt bei Tokyo ab.

26.1.15 Aufstellung und Singen zur Probe für die Kaisersgeburtstagsfeier für morgen!

27.1.15 Kaisersgeburtstagsfeier! Morgens 10:00 Uhr Aufstellung; Gouverneur hält eine Ansprache. Vorher wurde vom Chor das ›Dankgebet‹ gesungen. Nach der Ansprache drei Hurrahs auf Seine Majestät. Alles singt »Heil Dir im Siegerkranz«, »Deutschland, Deutschland über alles« und »Wacht am Rhein«. Mittags für jedermann eine viertel Flasche Bier und ein Yen Liebesgaben. Metzger spendiert jedem von den Unteroffizieren eine Flasche Bier. So leben wir ganz anständig.

9.2.15 Eine Karte von Olga, Otto Süssengut, Heyer; alle beantwortet. Otto S. ist von meinem Ersatz, ging damals nach Wladiwostok und ist in Siberien, nahe Irkutsk, im Zivilgefangenen-Lager interniert.

23.3.15 Heute ist mein Geburtstag! Ich verschwieg das Datum. Es war niemand, der mir gratulierte.

25.3.15 Heute bekam ich die Gratulationskarte von Olga, am 23.2. abgeschickt! Sie hat sich das vorzüglich ausgerechnet.

27.3.15 Auch einen Brief und noch eine Karte erhielt ich von Olly. Sie ist krank und in einer Heilanstalt, die Arme, und wie geht es nun Mutter? Ich habe bisher nur immer Gutes von Hause erhofft. Dass es nun so kommen muss. Den Brief von Mutter, wie Olly mir in dem Ihrigen mitteilt, habe ich noch nicht erhalten. Bekomme ihn wohl auch nicht mehr.
Am 18.3. bekam ich noch Karten von O., C. Haftendorn und Geburtstagsteilnehmern. Außerdem von Karl Berbs, letztere war unterschrieben von Balkes, Eling, Lukian und Flachmann. Alles Ersatzkameraden, alte »Tsingtauer«! Es war mir eine große Freude! Sie sind alle in Helgoland und werden dort wohl auch nichts zu tun bekommen. An diesem Hosenknopf können sie [= die Engländer] sich die Zähne ausbeißen.

6.4.15 Was nützt alles Schreiben. Es wird zu langweilig hier. Lerne jetzt Englisch, Stenographie und Debattenschrift, ist schon vollkommen fertig und intus. Auch die Leute lernen alles Mögliche. Wenn es noch ein Jahr so weitergeht, sind alle Professoren!

15.5.15 Die vorige Woche brachte viel Aufregendes! Anscheinend wollten hier einige von uns ohne Einwilligung, abreisen. Einer hat zum mindesten die Sache verraten, und so ist die ganze Sache zu Wasser geworden. Schade! Die Japaner sind natürlich ungeheuer erregt. Rausbekommen haben sie bis jetzt noch keinen. Die Sache ist in vollständiges Dunkel gehüllt.
Artilleristenmaat Otto Götting und Obermatrosenartillerist Wintermantel sind in Haft genommen. Außerdem kam noch eine dumme Sache vor: Ein ziemlich schlagfertiger Unteroffizier der japanischen Wache vergriff sich an einigen von unseren Leuten, stieß mit dem Kolben, schlug mit dem Seitengewehr usw. Er reizte unsere Leute in einer Weise, die beinahe schwere Ausschreitungen zur Folge hatte. Mit Steinen wurde die Patrouille schon bombardiert, und auch der Unteroffizier sah am anderen Morgen ziemlich zerhauen aus. Es wäre der Patrouille bald schlecht ergangen.
Etwa zehn Mann wurden festgenommen. Sieben Mann mussten während einer ganzen Nacht vor der Wache stehen, ohne sich zu rühren, um inzwischen immer mit den Waffen bearbeitet zu werden. Ein Seesoldat, der sich zur Wehr setzte, bekam einen Kolbenschlag über den Kopf, der ihn schwer beschädigte. Derselbe wurde später abgeführt in irgendeinen andern Ort in irgendein Militär-Gefängnis. Wohin? Strafe?

19.5.15 Die letzten 14 Tage war ich als »Schreiber« im japanischen Büro kommandiert.

20.5.15 Es sollen von Fukuoka – wo jetzt circa 800 Mann interniert sind – 400 in andere Lager verlegt werden. Die ersten circa 120 Mann sollen nach Kurume kommen.
Große Neuigkeiten haben wir auch gehört. Die »Karpathenschlacht« soll entschieden sein zu unsern Gunsten. 300.000 Mann Gefangene gemacht in den letzten vier Wochen. Genaues weiß auch die Zeitung nicht anzugeben. Denn die Telegramme sind in der letzten Zeit ganz ausgeblieben infolge einer Unterbrechung des amerikanischen Kabels zwischen Manila und China! Die englischen Zeitungen geben auch hier draußen schon manche ihrer Verluste zu. Vieles erfahren wir auch durch die japanischen Zeitungen.
Ungeheuerliche Erregung muss ja über den Untergang der Lusitania herrschen, die trotz der Warnung des Botschafters [in USA], Graf Bernstorf, mit amerikanischen Passagieren untergegangen ist. Gut, dass sie es auch mal merken. Gott sei Dank, dass die Lusitania abgesoffen ist. Weg mit Schaden!
Die letzten Zeilen schreibe ich an einem wunderschönen Nachmittag. Warm scheint die Sonne (beinahe ein bißchen zu warm) in unser Fenster. Ich bin geradezu aufgelegt, so'n bißchen zu träumen. Wenn ich jetzt einen Briefbogen hätte, würde ich wohl etwas »Rührendes« zustande bringen. Weil's aber nicht kann sein?
Eine unangenehme Erscheinung macht sich schon wieder bemerkbar: Moskitos! An mir scheinen sie ihre besondere Freude zu haben. Bin schon ziemlich verstochen. Das wird noch allerhand geben, wenn wir keine Moskitonetze bekommen! Es soll auch »Malaria-Moskitos« geben. Alles andere, nur nicht krank werden. Bis jetzt, kann ich ja sagen, bin ich bei guter Gesundheit, mit Ausnahme von ein paar Erkältungen. Es ist doch nichts Nachhaltiges. Aber von »Malaria« usw. bin ich kein Freund!
Unser großer Gesangverein wird wohl auch – kaum erstanden – wieder in die Brüche gehen. Schade!

22.5.15 Heute ist Pfingsten! Es ist nicht viel von einer Pfingstfreude zu spüren, und doch hat man etwas in sich, dass einen glauben macht, als müsse sich etwas Besonderes ereignen, ein Hoffen und so irgend etwas anderes, was einem die Brust so eigentümlich bedrückt. Am liebsten möchte man hinausschreien. Mir ist wenigstens bedrückt zumute. Warum, das weiss ich nicht.
Auch der Pastor, der weit, ich glaube von Tokyo, zum heiligen Fest zu uns gekommen ist, schien es in unsern Gesichtern gelesen zu haben – auch mir kam es so vor –, und in guten, lieben Worten sprach er uns von Glaube, Liebe und Hoffnung; erleichtert ging ich von dannen.
Auch die Offiziere hatten sich eingefunden und unterhielten sich nach der Predigt mit uns und den Leuten; doch ich konnte kein Wort mit ihnen sprechen. Es war mir alles zu viel, und allein ging ich nach Hause, legte mich auf meine Decken und träumte. Sonst war ich nie so religiös und träumerisch. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Auch an den Liedern, die unser Gesangverein unseren Offizieren zum Besten gab, hatte ich heute keinen richtigen Spaß, so gern wie ich sonst singe. Wie es wohl zu Hause ist? Sicher feiern sie dort das Fest auch nicht in dem Maße wie sonst.
Der Krieg, dies eine fürchterliche Wort, erklärt alles!
Sie haben wohl nur alle einen Gedanken, an ihre Lieben in der Ferne, seien sie wo sie sind, im Schützengraben, ob in Ost oder West, oder wie wir am Ende der Welt, oder längst gefallen und begraben. Doch alle, alle hoffen, dass es bald besser wird, dass der fürchterliche Krieg bald ein Ende hat. Das hoffen wir alle, und wenn's nach uns ginge, so könnten wir noch heute, wenn's sein muss, in einer halben Stunde abfahren.
Pfingsten ist was Besonderes. Für uns bekam der Tag ein festliches Aussehen. Eine graue, wollene Decke wurde über den Tisch gebreitet; ein paar Blumen waren irgendwo aufgetrieben – ich glaube, eine Japanerin hat sie irgend einem von uns ins Fenster geworfen, was öfter vorkommt. (Mit den Mädchen verständigen [wir uns] – wenn auch verboten – ganz gut, mit dem männlichen Geschlecht weniger, die soll der Deibel paarweis' holen.)
Zum Mittag gab es Sauerbraten, und schön schmeckte der, wohl das erstemal, weil Pfingsten ist. Nachmittags gab es Kaffee und Kuchen, den unser lieber Metzger stiftete, dem der liebe Gott noch während des Gottesdienstes 22 Yen geschickt hatte. So wurde es auch für uns Pfingsten! Wir sind sehr genügsam geworden, und auch die Kleinigkeit macht große Freude!
Eine wundersame Pfingstfreude wurde uns bereitet durch eine Nachricht von unserem japanischen Revierarzt! Er hält sehr viel von uns und überhaupt von uns Deutschen. Derselbe teilte uns mit, dass die Russen entscheidend geschlagen seien (großartig, wenn das wahr wäre) und dass zwei englische große Kreuzer oder sowas Ähnliches von uns versenkt wären. Wenn die erste Nachricht stimmt, muss doch bald das Ende nahen.
Unser Arzt, um von ihm ein paar Worte zu reden, ist eine zu drollige Nummer und steht mehr auf unserer Seite wie auf der der Japaner! Er geht immer rum im Lager – bald in dem einen Haus zum Kaffeetrinken, bald im andern, um das Kartenspiel zu erlernen – und mal wieder hier, um sich die Nase ein bißchen zu begießen. So erfahren wir unsere Siegesnachrichten von ihm auf schnellstem Wege, aber doch nur von ihm.
Mit den anderen Offizieren stehen wir auf dem Kriegsfuß. Besonders der kleine Yamamoto, der es uns eine Zeit lang durch seine Schikanen im Gefangenenlager unerträglich gemacht hat. Er kommt nur noch mit einer Patrouille ins Lager. Es wäre ihm schon manchmal schlecht ergangen. Doch jetzt genug für Pfingsten, ich schreibe sonst das ganze Buch noch voll.

17.6.15 Heute haben wir zum zweiten Mal vom deutschen Flottenverein 20 Zigarren und 20 Zigaretten erhalten. Von der japanischen Regierung erhielten wir in dieser Woche Unterzeug und weißes Zeug. Es war auch die höchste Zeit, denn Hemden hatte ich keine mehr. Den letzten Monat war es furchtbar heiß, und da hab ich überhaupt keines mehr getragen.
Hier hat jetzt die Regenzeit eingesetzt. Die kennen wir ja aus Erfahrung. Inzwischen die größte Hitze. Dann die Moskitos, doch wir haben unsere Netze aus Tsingtau erhalten, und da sind wir einigermaßen geschützt. Statt dessen peinigen uns jetzt die Flöhe sowie die Wanzen, die uns in Tsingtau so zugesetzt haben! Ich habe wohl kaum im Leben etwas von einem Floh gemerkt; doch hier, wo sie zu Hunderten nachts, infolge der Strohmatten, auf unserem Körper herum spazieren, da beißen sie mich sogar, dass ein Hund jammert. So richtig ›vom Regen in die Traufe‹
Mit unserem Englisch[-Kurs] sind wir jetzt fertig. Ich muss nochmal an Olly schreiben, dass sie mir eine größere Ausgabe schickt.
 

[Juli bis Ende 1915]

5.7.15 Heute gingen wir zum Baden in See, in der Nähe vom Offizierhaus.

6.7.15 Wir erhielten jeder zwei Päckchen neues Unterzeug, sodass ich jetzt schon fünf im Ganzen habe. Nur an weißem Zeug fehlt's.

28.7.15 Seit drei Wochen haben wir jetzt schon eine ganz fürchterliche Hitze! Schwitzen tut man, wenn man nichts tut, doch am meisten beim Mittagsessen. Das ist entschieden die anstrengendste Arbeit; aber man kann es doch gut aushalten: Erstens ist man ja schon eine Portion gewöhnt, zweitens brauchen wir ja nichts zu tun.
Auf keinen Fall möchte ich wieder so frieren wie in der ersten Zeit, da wir hier waren. Sehr angenehm ist es, dass wir schöne Badegelegenheit haben. Jeden Abend, 18:00 Uhr, nehme ich ein Bad; dann schwitzt man beim Anziehen schon wieder, trotzdem man nur Hose und Hemd an hat. Nachts wird es meistens etwas kühl, sodass man dann ziemlich schlafen kann nach des Tages Müh' und Last.
Jetzt etwas von der Post. In der letzten Zeit bekomme ich sehr viel, sodass ich nicht weiß, wie ich sie beantworten soll. Ich schreibe deshalb an Mutter und Olga, die die Grüße an die Betreffenden ausrichten müssen.
Heute hatten wir auch ärztliche Untersuchung, die jeden Monat stattfindet. Dabei erzählte der Arzt uns, dass die Deutschen vier km von Warschau entfernt sind. Es wird wohl noch etwas dauern, bis Warschau fällt. Man erzählt, dass im Ganzen 52 Festungswerke vorhanden sind. Das wird wohl eine harte Nuss zu knacken geben.
Mit dem Baden ist's wieder aus. Es ist vom Kriegsministerium verboten worden. Es wird wohl die Verantwortlichkeit nicht übernehmen wollen, wenn jemand ertrinkt.
Sind wir Weihnachten zu Haus?

6.8.15 Nun wird Warschau wohl bald fallen. Wenn es nach uns ginge, so wäre es schon soweit. Hier wurde schon einige Male erzählt, dass Warschau gefallen wäre. Heute stand in der »Daily News«, dass acht Forts von Iwangorod und außerdem Cholm gefallen wären.
Heute bekam ich einen Artikel aus der »Frankfurter Zeitung« vom 26.5.15 über unsere Behandlung in Fukuoka. Man kann dies ja in Briefen nach Haus nicht schreiben. Aber es ist der Wahrheit gemäß. Unsere Behandlung ist nicht so, wie sie zu Haus gepriesen wird. Die Abschrift folgt:

Die ersten Berichte, die über die in Japan in Kriegsgefangenschaft geratenen Deutschen einliefen, lauteten sehr günstig. Ihre Behandlung schien in angenehmerem Gegensatz zu jener der deutschen Gefangenen in anderen feindlichen Ländern zu stehen. Nun erhalten wir durch private Vermittlung eine Schilderung von Vorgängen in dem japanischen Gefangenenlager Fukuoka, die erheblich weniger günstig lautet als die bisher vorliegenden. Wir entnehmen daraus das Folgende:
»Ich bin in Fukuoka, dem größten Gefangenenlager in Japan mit etwa 860 Mann.
Die Offiziere waren von Anfang an getrennt von der Mannschaft. Wie Ihr auch aus diesem Brief ersieht, sind sämtliche Briefbogen und Postkarten mit einem 4-eckigen roten Stempel versehen, damit kein Gefangener mehr als zwei Briefe und zwei Karten im Monat schreiben kann. Die Absender ungestempelter Briefe werden mit Arrest bestraft. Steht etwas in Briefen, was den japanischen Zensoren nicht gefällt, dann wird der Brief stillschweigend unterdrückt oder der Schreiber gerufen und ihm gesagt, einen neuen Brief zu schreiben.
Nach einem von den Japanern aufgestellten Stundenplan sollen [wir] auch in jeder Woche zweimal ausgeführt werden. Anfangs geschah das in der Woche einmal, 1-2 Stunden lang. Seit zehn Wochen haben wir jedoch keinen Schritt außerhalb des Lagers gemacht.
Wegen einer Kleinigkeit erhielten 500 Mann (Haus 1-7) acht Tage Stubenarrest. Aktive Mannschaften, die kein Geld und keine Pakete erhalten, haben hier andauernd Hunger. Auf eine kürzliche Beschwerde erhalten wir nun täglich drei Brote, eines im Werte von 5-6 Yen. Das warme Essen, mittags und abends, ist dafür schlechter, d.h. weniger kräftig.
Die japanischen Häuser sind außerordentlich leicht und schlecht gebaut. Jeder Mann erhielt sechs Decken (aber was für welche!). Den ganzen Winter hindurch, der dieses Jahr ausnahmsweise streng war, froren wir meistens nachts. Oft hörte man morgens alte Leute erzählen, dass sie die ganze Nacht ›kein Auge voll‹ geschlafen hätten. Am 11. März mussten sämtliche Öfen mit den restlichen Holzkohlen abgegeben werden; gleich darauf starker Schneefall und einige Tage nasskaltes Tauwetter. Wie sehr wir die Kälte empfunden haben, könnt Ihr Euch vielleicht denken.
Am Anfang unseres Hierseins machten fünf Mann ein kleines Feuer auf dem Hofe, um sich Kaffee zu kochen. Als Strafe dafür mussten sie vollständig gebückt mit durchgedrückten Knieen unter einer Latte stehen, die über ihrem Rücken gelegt und an Pflöcken befestigt war. Ein japanischer Soldat sorgte mit Faust- und Kolbenschlägen dafür, dass keiner aus der vorgeschriebenen Lage kam. Nach 3/4 Stunden wurden sie erlöst, weil alle Gefangenen zusammenliefen und durch laute Rufe ihren Unwillen über diese unerhörte Behandlung Luft machten.
Ein Unteroffizier der Reserve kaufte aus eigenen Mitteln eine neue Glühbirne, die allerdings etwas heller brannte, weil er die alte zerbrochen hatte. Fünf Tage Arrest wegen 'Stromdiebstahl'!
Vor etwa sieben Wochen wurde uns – auf Befehl der japanischen Regierung – vorgelesen, dass die Japaner in Berlin beim Kriegsgericht sehr schlecht behandelt, ja sogar angespieen worden sind. Dann folgte die wörtliche Verlesung aller einzelnen Fälle, mit der Schlussbemerkung, dass die Japaner ›nicht Böses mit Bösem‹, sondern ›Böses mit Gutem‹ vergelten wollen. Das sei ›japanische Sitte‹. Gleichzeitig aber wurde die Verfügung der japanischen Regierung verlesen, wonach die geringsten Vergehen ›sehr strenge‹ bestraft werden. Das letztere ist auch tatschlich reichlich eingetreten.
Bis jetzt sind im Ganzen etwa 35 Mann mit zusammen 300 Tagen meist strengem Arrest bestraft worden. In letzter Zeit mehren sich die Arreststrafen. Im ganzen Lager sind etwa 10-12 Blechbehälter aufgestellt, um die herumstehend nur geraucht werden darf. Nur zu leicht wird dieses neue Verbot überschritten und wird mit Arrest bestraft. Das Ganze ist natürlich nur eine Schikane.
Vor drei Tagen wurde abends ein Gefangener von einem japanischen Soldaten getreten. Vielleicht hatte er geraucht. Gleich darauf kam ein japanischer Sergeant aus dem Büro, alarmierte die Wache, ging dem inzwischen flüchtenden Soldaten nach, erreichte ihn bei Haus 12, schlug ihn mehrmals ins Gesicht und transportierte ihn auf die Wache. Das ganze Lager war inzwischen angetreten und auf Vollzähligkeit gemustert worden. Auf der Wache stellte sich die Unschuld des Geschlagenen heraus, und er wurde wieder entlassen.
Die Arreststrafe wird von sämtlichen Gefangenen als ›barbarisch‹ und äußerst streng bezeichnet. Die Zellen bestehen aus großen Zimmern, die zugig und schlecht gebaut sind wie alle Häuser in Japan, den ganzen Tag nur Zwielicht, und werden natürlich auch nicht geheizt. In einer Ecke ist ein japanisches Klosett eingebaut. Als Nahrung drei Brote mit Tee (abgekochtes Wasser) und Salz. Jeden dritten Tag einen guten Tag. An diesem gibt's mittags ein meist kaltes Essen in einem rostigen Konservenkännchen; den Rest vom Mittag am Abend, auch kalt. Nachts vier Decken. An den schlechten Tagen schläft der Arrestant ohne Decke auf einer Holzpritsche. Die Schuhe sind immer angezogen, und waschen darf sich der Mann auch nicht. Ein Seesoldat hatte um Neujahr herum zehn Tage strengen Arrest zu verbüßen. Als er vom Arrest zurückkam, hatte er beide Füße verfroren und musste sich in ärztliche Behandlung begeben.
Kürzlich war Pfarrer Schröder aus Tokyo im Lager und hielt eine Andacht. Die meisten Offiziere waren anwesend. Er sprach über Psalm 46, in dem Kraft und Einigkeit, das Wirken hinter der Front, die seelische Stärke eines Volkes gepriesen wurde. Im Anschluss daran erinnerte der Pfarrer an die religiösen Plichten gegen das Vaterland. An dem Wort ›Vaterland‹ nahm der Oberleutnant Moroyama Anstoß und verbot ihm, das Wort ›Vaterland‹ zu gebrauchen. Nach Beendigung des Gottesdienstes wollte der Pfarrer den Gouverneur und die übrigen Offiziere begrüßen, wie er dies in allen Lagern getan hatte. Der genannte Offizier trennte die beiden und schrie den Pfarrer in kaum verhaltener Wut an: »Sprechen Sie nicht!« Es war eine peinliche Situation, und ich hörte den Pfarrer noch auf dem Büro zu dem japanischen Offizier sagen, »hier in Fukuoka sei ein recht netter Zustand; noch in keinem Lager sei er mit einer solchen Grobheit und Schroffheit behandelt worden wie hier. Er werde sich in Tokyo beschweren«.
Eines Tages fehlte morgens um 9:00 Uhr bei der Frühmusterung ein Mann in Haus 5; er war ausgetreten. Während des Abzählens meldete sich der Mann vorschriftsmäßig zur Stelle. Der japanische Oberleutnant Moroyama sprang mit krebsrotem Gesicht auf ihn zu, stieß ihn mit beiden Fäusten in den Bauch und brüllte ihn an: »Wo warst Du?« Der hausälteste Unteroffizier sagte darauf zu dem Offizier: »Einen deutschen Soldaten solle er nicht schlagen, denn er könnte wiedergeschlagen werden, und das wolle er verhindern.« Der Oberleutnant schrie den Obermaaten an, »das sei Widerstand und er solle auf das Büro kommen«.
Einige Monate später wurde ein Reservist von Haus 11 von demselben Offizier in den Bauch gestoßen, sodass er taumelte, weil er zu spät zum Antreten kam und den untersten Knopf seiner Litewka nicht geschlossen hatte. Auf dem Büro schrie und tobte dann der Offizier mit dem Hausältesten von Haus 5, obwohl ihm Letzterer wiederholt versicherte, er habe es nur gut machen wollen, das sei kein Widerstand, und bat ihn, er möchte ihn nicht auch noch schlagen. Jener drohte ihm wiederholt mit Erstechen usw. Er sagte ihm auch noch, ›die Soldaten zu schlagen sei japanische Sitte, und nach dieser Sitte würden wir behandelt‹.
Aber bei unserer Gefangennahme sprachen die Offiziere des Öfteren ihre Hochachtung über unsere gute Verteidigung aus und versicherten uns wiederholt, dass die deutsche Soldaten-Ehre von ihnen unbedingt respektiert würde!
Den Fall von Pfarrer Schröder wollte kürzlich ein Reservist in einem Brief nach Hause schreiben. Arrest war bereits angesetzt, er kam aber noch einmal mit einer Warnung davon, weil er sich so gut verteidigte. Der Brief wurde unterdrückt.
Heute Nachmittag bemerkte ein japanischer Soldat, der am Straßenfegen war, dass aus einem Hauseingang Zigarettenrauch heraus kam. Er sprang darauf zu, fasste einen zufällig dort stehenden einjährigen Maaten und führte ihn dem Leutnant Susuki vor. Obgleich er durch einen gleich mitgegangenen Zeugen bewies, dass er nicht geraucht hatte, nannte ihn der japanischen Offizier einen Lügner, schlug ihn ins Gesicht und ohrfeigte ihn im Zimmer umher, wobei er etwa rief: »Ihr Deutschen müsst nicht glauben, dass wir so dumm sind, wie Ihr Euch denkt!«
Heute wurde ein Erlass des japanischen Kriegsministeriums verlesen, nachdem wir nun nicht mehr ausgeführt werden.
Der Briefschreiber versicherte wiederholt, dass er nur Tatsachen berichte.

7.11.15 Es ist einige Zeit her, dass ich hier etwas Neues eingetragen habe. Sei es, dass ich zu viel mit meinem Lernen beschäftigt war oder dass nichts Besonderes vorgefallen ist in unserem abwechslungslosen, stets gleichen Leben. Die Gemüter hier sind alle recht ruhig geworden. Die Aufregung der großen Erfolge in Rußland und die jetzige etwas ruhiger gewordene Zeit wirkt auch, gleich einem Thermometer, auf uns ein.
Nur gelegentlich des jetzt so vorzüglichen, stürmischen Fortschreitens in Serbien wird alles etwas lebendiger und denkt man auch – wie immer bei neuen Erfolgen – an das Ende des Krieges. Aber nur für Augenblicke erscheint das Thema ›Frieden‹, denn mit dumpfem Gleichmut hat sich alles in dieses Verhältnis gefunden.
Heute vor einem Jahr war es, wie wir uns – eine kleine Anzahl – einem starken Feinde mit schwerem Herzen ergeben mussten. Wir waren betäubt von all den Anstrengungen und Entbehrungen der letzten, so fürchterlichen Tage, und erst später wurde uns klar, was eigentlich vorgefallen war. So groß und doch so nichtig gegen die großen Ereignisse in der Heimat. Wie gern hätte ich an dem Tage der Kriegserklärung, den Tagen der großen Kundgebungen des Volkes usw. in Deutschland geweilt. Doch es war so erhebend, so schön, dies auch in der Kolonie, unter uns Deutschen, zu erleben. Nur alles ruhiger.
Und dann kam der Tag der Kriegserklärung an uns, an unsere kleine Besatzung von Kiautschou, von den Japanern. Wir waren vollkommen überrascht, und es schien uns allen vollkommen unglaubhaft. Von dem Moment spukten nur noch diese gelben Affen in unserm Gehirn.
Wohl die meisten sahen gleich weiter: Unsere kleine Mannschaft, die geringen Festungswerke, keine weittragenden Kanonen, ohne jede Hilfe, abgeschnitten von aller Welt! Kein Nachschub von Proviant und Munition. Auf uns allein angewiesen! Dieses übte den Druck und die Beklemmung auf alle Köpfe aus während des Wartens auf die Ankunft der Japaner. Wie sie da waren, wie wir sie sahen, war alles verflogen, und ein jeder dachte, sein Blut so teuer wie möglich zu verkaufen für seinen Kaiser, für sein Vaterland!
Und so wurde es auch, kein einziger hätte den Fall Tsingtaus überlebt, wenn nicht im letzten Moment der einsichtige Gouverneur dem Blutvergießen ein Ende gemacht – und dadurch unser bißchen Leben und dasjenige vieler ostasiatischer Kaufleute gerettet hat. Der Verlust der letzteren wäre ein schwerer Schlag für unser Land geworden; auf den Verlust unserer Soldaten, diese kleine Anzahl, wäre es nicht angekommen.
Mutters Geburtstag war am 26.10. Vordem habe ich nicht daran gedacht bis am Morgen des Tages. Zuvor hatte ich das Schreiben vergessen, und nachher gab's kein Briefpapier. In den letzten zwei Monaten bekommen wir nur einmal solches, sodass ich natürlich nicht schreiben konnte! Und wie auf Verabredung bekam ich von zu Hause keine Post. Schon die ganze letzte Zeit kamen nur jedesmal ein paar Briefe und Karten an. Was da wieder los ist, erfährt man ja nicht. Seit eineinhalb Monaten nichts mehr von Hause erhalten. Mutter oder Olga werden doch nicht krank sein? Aber ich denke, das ist nicht der Grund. Die Post wird wohl irgendwo liegengeblieben sein.
In sechs Wochen ist nun wieder das Weihnachtsfest. Das zweite, welches wir im fernen Osten, in Kriegsgefangenschaft, feiern. Keine Merkmale und Anzeichen verraten es uns, wie zu Hause uns so manche Umstände – seien sie auch noch so klein – uns auf das Fest vorzubereiten und uns zu freuen.
Nur unser Gesangverein, dem ja auch ich angehöre, macht sich wieder bemerkbar, nachdem er – der Hitze wegen – für eine Zeitlang Ausscheiden gemacht hatte. Im Übrigen merkt man kein Sich-freuen oder Erwartet-sein auf das größte aller Feste.

20.12.15 Heute die große Überraschung, dass fünf Offiziere fort sein sollen. Schon vor einigen Tagen munkelte man etwas, aber nichts Genaues. Die Aufregung war natürlich sehr groß, als es herauskam. Tag und Nacht lief es im Büro. Offiziere, Gerichtsbeamte und Polizeileute kamen und gingen.
Der Oberleutnant Moroyama [Marujame?] ging mit einem Geldbrief zum Offizierslager, und so kam es heraus, nachdem ihm die Sache vordem von den Franzosen verraten war, die wir hier im Lager haben. Es sind Puchot und Genossen, die Verräter. Die Offiziere, die fort sind, heißen: Oberleutnant Kempe, Wenckstern, Sachsse Kapitän, Straehler und Modde. Ihre Photographie war in allen Zeitungen veröffentlicht, und [das] habe ich selbst gesehen. Auf uns fällt die Sache zurück; wir müssen darunter leiden!
Seitdem ist zweimal Antreten am Tage, und zwar um 8:00 Uhr morgens und 17:00 Uhr nachmittags. Zeitungen bekommen wir nicht mehr, das ist der größte Schlag für uns, gerade wo jetzt anscheinend eine große Wendung eintrat. Auch Post wurde 14 Tage lang nicht mehr von uns angenommen, weil kein Dolmetscher zur Verfügung steht. Sonst konnten wir sie täglich zum Fortschicken weggeben, jetzt jede Woche einmal. Also: Es ist wieder sehr gemütlich, wie man sich denken kann.
Die Bewachung ist jetzt, nachdem das Kind ins Wasser gefallen ist, sehr scharf. Aber erfreulich ist es, dass nach so vielen Versuchen doch alles fein geglückt ist. Die ersten drei waren schon acht Tage fort, ehe es überhaupt mal heraus kam. Ein famoser Streich! Doch schade, so wie erzählt wird, sollen sie Modde bereits erwischt haben. Aber ich glaube nicht daran. Einige Burschen sollen sie eingesperrt haben. 5.000 Yen Belohnung sind ausgesetzt auf die Ergreifung; wird ihnen wohl schwer fallen.

21.12.15 Furchtbar schlechte Nachricht bekam ich von Hause, nämlich dass Olga so schwer krank sein soll, die Arme. Mutter schreibt, dass der Doktor glaubt, sie noch einmal durchzubringen! Schrecklich! Wenn wir doch bloß unsere Olly behalten. Wegen Unterstützung von Mutter habe ich nach Hause geschrieben. Wenn sie es nur richtig anfängt, dann bekommt sie bestimmt etwas. Die Mutter von einem meiner Freunde bekommt auch Unterstützung.
 

[1916]

1916 NEUJAHR! Am Neujahrsmorgen.
Vieles hat sich noch im alten Jahr ereignet. Vier Offiziere sind entwichen. Als es herauskam, waren sie schon acht Tage fort. Diese vier sind fortgekommen, wahrlich eine große Leistung! Den fünften, Oberleutnant Modde, haben die Japaner in Korea (?) bei der Bahnfahrt ertappt. Schön war es, dass die Sache solange geheim geblieben ist. Wenn revidiert wurde, so haben sich nämlich die Offiziersburschen ins Bett gelegt. Die Burschen und einige Offiziere sind in Untersuchungshaft gebracht worden. Wir bekommen seit dem Tage keine Zeitungen und andere Nachrichten mehr. Das ist allerdings ziemlich hart. Wir brauchen aber keine und bitten nicht darum. Die wichtigsten Nachrichten überbringt uns auf geheimem Wege der japanische Arzt!
Weihnachten ist jetzt auch wieder vorbei und ist einigermaßen verlaufen. Den ›Heiligen Abend‹ haben wir bei Grog und Punsch ziemlich gut verlebt. Eine Weihnachtsfeier hat nicht stattgefunden. Die Offiziere durften unser Lager nicht betreten. Die Lumpen (Japsen) hatten wohl Angst, dass noch mehr ausgingen.
Am ersten Tag hielt ein deutscher Missionar Andacht. Der Gesangverein trug vor ›Gebet vor der Schlacht‹ von Körner und einige bekannte Weihnachtslieder.
Am zweiten Tag machten wir für uns eine kleine Feier. Keil, Trilk, Kronenberger, Götting und ich im engen Freundeskreise. Zuerst machten wir einen Schweinebraten mit Bratkartoffeln, und nachher tranken wir echten ›Hamburger Eisbrecher‹ und Bier. Schön verlief der Abend bis 21:00 Uhr, dann ging's ins Bett.
Auch die Küche tat sich in ihrer Kunst besonders vor. Neujahrsabend wurde eingeleitet mit Kartoffelsalat und Eiern. Dann wurde der Rest des Rums und Weins in Grog vertrunken. Vormittags hatten wir Kartoffelpuffer gemacht. Eine unendliche Menge!
Abends um 21:00 Uhr sollte Ausscheiden sein, doch niemand dachte daran. Um 24:00 Uhr großer Lärm. Die Wache wollte Ruhe stiften. Sie kamen an die Richtigen. Zahllose Verhaftungen wurden vorgenommen und die Personen mit Kolben und Seitengewehr bearbeitet. Um ein Haar hätten sie (unsere Leute) die Wachen verhauen! Weitere Einzelheiten aufzuschreiben wäre zwecklos. Soviel ist sicher, wäre Moroyama in Dienst gewesen, hätte es Mord und Totschlag gegeben.
Das war das zweite Weihnachts- und Neujahrsfest, hoffentlich kein drittes mehr!

3.1.16 Der große Tag des Stillstehens! Grund: Es hatte jemand einen Ofenuntersatz auf die Wachstube geworfen. Verletzt wurde niemand.
Stiefel wurden gestohlen von unseren Soldaten. Bargatzki und Krämer wurden überführt und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.

14.3.16 Vor einigen Wochen bekamen wir einen neuen Oberstleutnant. Gerecht und streng. Moroyama kann nicht mehr, wie er will.

10.9.16 Eine lange Zeit ist verflossen, in der nichts Besonderes passierte. Moroyama ist längst fort.
Zu unseren Feinden ist seit einigen Tagen Rumänien getreten, der zwölfte! In Ostasien herrscht die Cholera. Auch in Japan ist sie eingeschlichen. Die am schlimmsten heimgesuchten Orte sind Nagasaki und Tokyo. Auch in Fukuoka ist sie schon. Man muss den Japanern nachsagen, dass sie gleich Vorkehrungen getroffen haben, um die Pest von dem Gefangenenlager fernzuhalten. Kein unbefugter Japaner darf das Lager betreten. Esswaren und andere von Japanern hergestellte Waren dürfen nicht ins Lager! [Es folgen die Anweisungen betreffs der Cholerafrage.]

17.11.16 Die Cholera ist erloschen! Esswaren usw. können wieder ins Lager gebracht werden.
Im Übrigen haben sich große Umwälzungen in unserem Lager vollzogen.
Unter größter Geheimhaltung ist die Auflösung unseres Lagers beschlossen. Doch wir erfuhren es schon vorher. Am 18. Oktober ging der erste Transport nach Oita mit Unteroffzieren von Haus 4, 5 und Heidenreich von Haus 6 sowie Mannschaften von Haus 6. Am 20. nach Narashino, Osaka, Nagoya und Aonogahara.
Sechs Unteroffiziere, darunter ich (außerdem Götting, Kronenberger, Pietz, Kuklinski, Luczeck) wurden ins Offizierslager verlegt. Das Lager befindet sich ebenfalls in Fukuoka. Wir haben es wohl am besten getroffen. Wohnverhältnisse sind bedeutend besser. Es ist ein europäisch gebautes Haus (Holz), noch von der Ausstellung (1914) her.
Eine schöne Stube, bißchen klein mit sieben Mann (darunter noch Marquardt). Gefroren habe ich hier noch nicht. Auch geku... [unleserlich] stehen wir uns besser. Freiwillig bekamen wir von den Offizieren eine Zulage von zwei Yen. Haben jetzt unser gutes Auskommen.
Am 10.-16.11. war in der Nähe Fukuokas Kaisermanöver; der Kaiser war in Fukuoka. Die Bewachung von uns war eine ausgezeichnete. Sieben Posten außer den zehn Schutzmannsposten passten auf, dass wir dem Kaiser nichts zuleide taten. Aus Anlass ihres Manövers waren auch Flieger hier. In der Gefangenschaft musste ich sitzen, um ein Fluggeschwader von zehn Flugzeugen zu sehen!
Heute erhielten wir die ersten zwei Yen, brillant. Das Essen ist wunderbar. Bedeutend besser als im Mannschaftslager! Weihnachten:6
 

Anmerkungen

1. Vermutlich ist die Indo Maru gemeint (Transkriptionsfehler).

2. Die Stammabteilung wurde bald nach Kriegsbeginn als Teil des Marinekorps an die flandrische Küste verlegt.

3. »Krupzeug« = soviel wie »Kroppzeug« (= Gesindel, Pack].

4. »Käsch« = Löhnung, Auszahlung der Vergütung.

5. »Hausmeister« = dienstältester oder sonstwie bestimmter Verantwortlicher für die Ordnung in einer Gefangenenbaracke.

6. Hinweis in der Abschrift: »27. November 1992: Das Tagebuch meines Vaters endet mit einigen Seiten, geschrieben in deutschen Stenographie. Leider kann ich den Text nicht entziffern. Thea Bötjer«
 

©  Hans-Joachim Schmidt
Zuletzt geändert am .