Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Gefecht zwischen S 90 und Kennet

Das 1900 nach China entsandte Torpedoboot S 90 machte im Weltkrieg zweimal von sich reden: das erste Mal wegen seines Gefechts mit dem britischen Zerstörer Kennet, das zweite Mal durch die Torpedierung/Versenkung des japanischen Kreuzers Takatchio.

Vor kurzem kam die Nachricht aus Japan, die Kriegsflagge von S 90 sei wiedergefunden worden. Wir nehmen das zum Anlass, beide erwähnten Ereignisse kurz darzustellen, hier zunächst das Gefecht vom 22.08.1914; dabei stützen wir uns auf die (halb-)amtlichen Darstellungen auf deutscher und britischer Seite.
 

     
  1. Britische Kriegsschiffe vor Tsingtau
  2. Gefecht am 22. August 1914
  3. Hinweise und Fragen

 

[1] Britische Kriegsschiffe vor Tsingtau

Zur Erinnerung: Deutschland hatte am 01.08.1914 den Krieg an Rußland erklärt, am 03.08. an Frankreich. Tags darauf erklärte Großbritannien den Krieg an Deutschland; Japan – als nomineller britischer Verbündeter – ließ sich bis zum 15.08. Zeit, um von Deutschland ultimativ die Übergabe des Pachtgebiets Kiautschou zu fordern; dieses Ultimatum lief am 23.08. mittags ab. China, militärisch ohnmächtig, erklärte seine Neutralität.

Solange Japan nicht am Krieg teilnahm und in Anbetracht der geringeren Präsenz der französischen und der russischen Seemacht fiel Großbritannien die Funktion zu, die in Ostasien vorhandenen deutschen Streitkräfte – das Kreuzergeschwader und die Tsingtauer Garnison – einzuhegen bzw. unschädlich zu machen.1 Die größeren Einheiten des Kreuzergeschwaders befanden sich freilich im Juli/August bereits in der Südsee (bzw. im Gebiet der dortigen deutschen Kolonien), so dass die Aufgabe der ab 05.08. einsatzfähigen »Allied China Squadron« (Alliiertes China-Geschwader) unter Führung von Vizeadmiral Sir Martyn Jerram im Wesentlichen darin bestand, Kiautschou und dessen Verbindungen nach außen zu blockieren. Das Geschwader bestand aus zwölf meist älteren britischen Schiffen

Panzerkreuzer Minotaur und Hampshire; Linienschiff Triumph; Kreuzer Yarmouth und Newcastle; Kanonenboote Cadmus und Clio; Zerstörer Usk, Welland, Colne, Jed, Kennet

und dem französischen Kreuzer Dupleix.2. Um den 20.08. befand sich das Geschwader großenteils (unter Führung von Captain FitzMaurice) in weitem Abstand vor dem Tsingtauer Hafen und fing dort einige deutsche Transportschiffe ab; zu Kampfhandlungen kam es dabei nicht.
 

[2] Gefecht am 22. August 1914

a) Gefechtsverlauf

In der amtlichen Darstellung des deutschen Marine-Archivs wird der Gefechtsverlauf so dargestellt:3

»Das Torpedoboot S 90 befand sich am 22. August 1914 nachmittags4 zu einer Aufklärungsfahrt in See und erhielt gegen 17 Uhr den Befehl, das um 18 Uhr beginnende Minenwerfen des Dampfers Lauting zu sichern und zur Warnung einlaufender Dampfer dort zu bleiben.
Beim Ansteuern der hier erforderlichen Position sichtete der Kommandant – S 90 lief auf westlichem Kurse – um 18 Uhr vier Strich Backbord achteraus ein Fahrzeug und hinter diesem noch zwei Rauchsäulen. Um 18:05 Uhr wurde das Fahrzeug als englischer Zerstörer erkannt, der mit höchster Fahrt parallelen Kurs steuerte. S 90 vermehrte die Fahrt allmählich auf äußerste Kraft, um nicht von Tsingtau abgeschnitten zu werden und um den Minenleger Lauting zu warnen. Die Entfernung von Gegner betrug schätzungsweise 40 bis 50 Hektometer.
Um 18:10 Uhr blitzte der erste Schuss beim Gegner auf, der sich schnell einschoss. [...] Kennet unterhielt ein ununterbrochenes, gut am Ziel liegendes Salvenfeuer. S 90 war eine Zeitlang von den feindlichen Geschoßaufschlägen völlig eingedeckt.
S 90 erwiderte das Feuer mit beiden Geschützen durch Schnellfeuer bei höchster Geschwindigkeit des Bootes. [...] Gleich zu Beginn des Gefechtes war von S 90 aus ein Treffer auf der Back des Gegners beobachtet worden, dem aber weiter keine Bedeutung beigemessen wurde, da Kennet mit der gleichen Geschwindigkeit weiterlief und sein Feuer mit unverminderter Heftigkeit fortgsetzte. [...]
Um 18:30 passierte S 90 die Insel Taikungtau in einem Abstand von 2,5 Seemeilen an Backbord. Um von dieser Insel und den dort liegenden Riffen freizukommen, mußte Kennet vorübergehend auf nördlichen Kurs aufdrehen. Danach stand Kennet noch achterlicher als zu Beginn des Gefechts. Die höhere Geschwindigkeit erlaubte es ihm jedoch, wieder aufzukommen und die Gefechtsentfernung auf 28 bis 30 Hektometer zu verringern. Als gegen 18:45 Uhr Kennet in den Wirkungsbereich der Geschütze des Forts Huitschuenhuk kam, drehte er mit hart Ruder ab und lief mit hoher Fahrt weg.«

Die britischen Zusammenfassungen in einer Monographie (a)5 bzw. im einem halbamtlichen Magazin (b)6 seien hier ergänzend zitiert (eigene Übersetzung):

(a) »Am Abend des 22. August zog Kapitän FitzMaurice sein Geschwader aus der Umgebung von Tsingtau zurück, um den Japanern nicht in die Quere zu kommen, falls sie nachts in Aktion treten sollten.7 Gerade als sich die Schiffe entfernten, beobachtete der Zerstörer Kennet den deutschen Zerstörer [sic] S 90, der von Osten her auf Tsingtau zusteuerte, und nahm die Verfolgung auf. Dabei erlitt er einige Schäden und Verluste durch die Kanonen des deutschen Zerstörers. Obwohl Kennet 136 Salven und einen Torpedo abfeuerte, scheint er S 90 überhaupt nicht beschädigt zu haben.«
(b) »Leider hatte der Feind [S 90] einen zu großen Vorsprung, und in seinem Eifer, zu ihm aufzuschließen, geriet Kennet unter den Beschuss einer 4-Zoll-Batterie in der Nähe des Iltisberges, während [das Kanonenboot] Jaguar ebenfalls aus dem Hafen auftauchte und das Feuer auf Kennet eröffnete, der gezwungen war, die Verfolgung aufzugeben und sich unter schweren Verlusten zurückzuziehen: drei Mann der Besatzung getötet, drei schwer verwundet (wovon einer später starb) und vier leicht verwundet, aber keine ernstlichen Sachschäden. Die Verluste betrafen die gesamte Bedienungsmannschaft des 12-Pfund-Geschützes an Steuerbord durch den Einschlag einer 4-Zoll-Granate [...].«

Unter Hinweis auf britische Quellen gab Burdick (S. 66 f.) eine in manchem abweichende Darstellung:

Der dritte Schuss von Kennet »bedeckte S 90 mit Wasser, zerriss die Flagge und zerbrach eine Verspannung (stay) am Hauptmast. [...] Auf der anderen Seite fügte das wilde [Geschütz-]Feuer von S 90 dem Verfolger einen substantiellen Schaden zu. Schon zu Beginn gelangen ein guter Treffer auf Kennet's Brücke und im Folgenden sechs weitere, von denen einer ein Geschütz ausschaltete. [...] Aber bevor ein deutsches Schiff Schaden nahm, erzeugte ein 24-cm-Geschoss von Huitschuenhuk einen Geyser nahe bei Kennet. Auch wenn der Schuss zu kurz lag, machte er Eindruck. Russel drehte ab, um sicheres Fahrwasser zu erreichen. Er hatte drei tote Männer und sechs verwundete, ihn selber eingeschlossen.«

b) Stärkeverhältnis, Ergebnis und Bewertung

Der nominelle Kampfwert von S 90 war deutlich geringer als der von Kennet, wie aus der Tabelle hervorgeht:8
 S 90Kennet
SchiffstypTorpedobootZerstörer
Baujahr18991902/03
Wasserverdrängung (brutto)394 t625 t
Bewaffnung2 x 5 cm L/404 x 7,62 cm L/50
Breitseitgeschossgewicht2 x 1,75 kg4 x 5,66 kg
Geschützreichweite6.200 m8.500 m
Real erreichbare Geschwindigkeit21 kn24 kn
Besatzung57 Mann70 Mann
Hinweis: 12-pdr-gun = Geschütz mit Kaliber 7,62 cm; 4-inch-gun = Geschütz mit Kaliber 10,2 cm (britisch) bzw. 10,5 cm (deutsch)

Für die deutsche Seite lautete das Resümee (Aßmann, S. 29):
»Daß S 90 in dem sehr ungleichen Kampf den Erfolg auf seiner Seite gehabt hat, verdankt es neben der sicheren Führung durch den Kommandanten [Brunner] den guten Schießleistungen der Geschützmannschaften sowie der Tüchtigkeit des Maschinenpersonals, das unter der vorzüglichen Leitung des leitenden Maschinisten, des Obermaschinisten Schäfer, eine Geschwindigkeit aus dem Boot herausholte, wie sie vor dem Gefecht lange nicht mehr erzielt worden war.«

Die britische Seite würdigte die Verluste mit einer auf beiden Seiten gängigen Formulierung (Naval Review, S. 318):
»Der Mut, die Unerschrockenheit und der Eifer, den die Offiziere und Mannschaften des Zerstörers zeigten, waren lobenswert und ein feines Beispiel zu Kriegsbeginn, als solche Beispiele am meisten benötigt und von unschätzbarem Wert waren. Man kann wahrlich sagen, dass die Männer nicht vergebens gestorben sind.«9
 

[3] Hinweise und Fragen

Es schmälert die Leistung von S 90 und seiner Besatzung nicht, wenn man feststellt, dass das Boot bei diesem Gefecht viel Glück hatte.

Neben der Frage, ob auch der Kennet-Kommandant getötet wurde10, ist bis heute nicht völlig klar, wer auf deutscher Seite – und wann – den/die Treffer auf Kennet erzielt hat.
Die aktuellste Angabe hierzu stammt von Kirchner bzw. von dessen Herausgebern (Fußnote S. 154): »Der Schaden entstand nicht durch direkten Beschuss von S 90, sondern durch eine deutsche Landbatterie, weil Kennet im Zuge des Gefechtes mit dem Torpedoboot zu nahe an die Küste gekommen war.« Über zwei entsprechende 10,5-cm-Geschütze verfügte die am weitesten östlich stehende Obere Iltisberg-Batterie.
 

Anmerkungen

1. Auch die Neutralisierung des Kriegsschauplatzes, wie von China bevorzugt, wäre in Frage gekommen, worauf sich zwar die Deutschen, nicht aber die Briten (und Japaner) einlassen wollten.

2. Deshalb nicht »britisches«, sondern »alliiertes« Geschwader!

3. Aßmann, S. 26 ff.

4. Uhrzeiten im Folgenden umgerechnet auf 24-Stunden-Format.

5. Naval Staff: The Eastern Squadrons, 1914. London 1922, S. 49.

6. Naval Review, Ausgabe 1915-2, S. 317 f.

7. Eine »Aktion« vor Ablauf des Ultimatums wurde in Betracht gezogen, weil Japan in den Kriegen gegen China (1894/95) und Rußland (1904/05) sogar ohne Kriegserklärung die gegnerischen Flotten angegriffen hatte.

8. Daten laut Internet-Recherche.

9. Gleichwohl zählte die Royal Navy das Gefecht nicht zu den wichtigen Ereignissen (»principle events«) in dieser Kriegsphase.

10. Wie schon Vollerthun (S. 48) berichtete auch Aßmann (S. 29), dass der Kennet-Kommandant, Lieutenant Commander F. A. Russel, unter den Toten war. Die britischen Quellen gehen hierauf nicht ein. Kirchner notierte seinerzeit (ebd., vermutlich Hörensagen), dem Komandanten wäre »das rechte Bein weggerissen« worden.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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