Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Fukuoka

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Anonyme Beschwerde über die Behandlung in der Gefangenschaft

Die hier wiedergegebene Abschrift eines Beschwerdebriefes gelangte mit einem Bericht der deutschen Botschaft in Peking vom 11. Januar 1917 in das deutsche Auswärtige Amt in Berlin. Der Verfasser ist nicht bekannt, mutmaßlich handelt es sich um einen Offizier. Auch der Name des Lagers wird nicht genannt, jedoch deutet alles darauf hin, dass es sich um Fukuoka handelt und der Brief Anfang Dezember 1916 verfasst wurde.

Die Abschrift wird unverändert wiedergegeben, jedoch hat der Redakteur Absätze eingerichtet, Schreibfehler berichtigt und Anmerkungen als Fußnoten hinzugesetzt.
 

Ich habe Gelegenheit, diesen Brief auf heimlichem Wege fortzusenden und muss deshalb auch Ihre Verzeihung für diese ungewöhnliche Briefübermittlung erbitten. Ich wähle diesen Weg um so lieber, als ich dadurch in der Lage bin, Ihnen über die hiesigen Verhältnisse ungeschminkter zu berichten.

Gott sei Dank kann ich die Behandlung, die wir zur Zeit genießen, nicht als »schlecht« bezeichnen. Aber es kann nicht [genug] betont werden, dass von irgend welchem Wohlwollen auf Seiten der japanischen Lagerleitung oder gar von ritterlicher Behandlung, von der leider, leider die heimischen und auch die Tientsiner Zeitungen nicht genug zu berichten wussten, wenigstens an diesem Platze, abgesehen von den ersten drei Monaten unserer Gefangenschaft, nie etwas zu spüren gewesen ist. Im Gegenteil kleinliche Schikanen und objektiv unbegründete Ablehnung fast jeden Wunsches in den kleinen Tagessorgen, die aber hier das ganze Leben ausfüllen, sind noch jetzt unser ständiger Ärger.
Es hat sich darin trotz des zweifachen, dankenswerten Besuchs eines amtlichen amerikanischen Vertreters – zuletzt vor einer Woche – bisher nicht viel geändert.1 Die harten über ein Jahr durchgeführten Strafbestimmungen wegen der Flucht2 – wie besonders die mindestens zweimalige Störung der Nachtruhe durch polternde revidierende Wachtmannschaften – sind freilich seit kurzem in Wegfall gekommen. Dafür wird neuerdings trotz mehrfacher Bitte unsererseits um Abstellung in der Behandlung der eingehenden Paketpost ein Verfahren beobachtet, dessen Vorhandensein von unserer Regierung zu Hause auf die Vorhaltungen der feindlichen Regierungen mehrfach abgeleugnet ist.3 Die einlaufenden Pakete werden nämlich in unserer Abwesenheit vor Aushändigung ohne jede Rücksicht auf Schonung des Inhalts meist von untergeordneten Organen geöffnet, so dass es schon häufig vorgekommen ist, dass einem ein wild durcheinander gewühltes, mit den Bruchstücken der Verpackung vermengtes Etwas in die Hand gedrückt wird ohne jegliche Kontrolle über den ursprünglichen Inhalt. Auch fehlten nachweisbar Gegenstände aus dem Paket, deren Fortnahme durch keinerlei Zensurbestimmungen – wie etwas nicht genehme Bücher und Schriften – bedingt war; hinzu kommt, dass einem nicht einmal gesagt wird, wenn und welche Gegenstände – besonders Bücher – aus dem Paket aus Zensurrücksichten entnommen worden sind. Ferner bleiben die Pakete aus Deutschland, sowie jedes Paket, welches Tabaksachen enthält, wenigstens 6 bis 8 Wochen in Moji auf dem Zoll liegen; auch werden alle Pakete, obwohl Kriegsgefangenenpost Zollfreiheit genießt, vorher auf dem Zoll geöffnet.
Einen weiteren Beschwerdegrund bildet die Tatsache, dass die Offiziersmesse für ihre Beköstigung und wir beim Ankauf von Gebrauchsgegenständen in der japanischen Lagerkantine ganz ungewöhnliche und mit den ortsüblichen Markt- und Ladenpreisen nicht übereinstimmende Preise zu zahlen haben (gemessen an den Preisen, die die hier wohnende Frau Kapitänleutnant von Saldern für ihren Lebensbedarf im Orte bezahlt und dem geringen Betrag, der für Mannschaftsverpflegung von den Japanern in Anrechnung gebracht wird und deren reichlicher Zumessung). Ob man das als Ausfluss bestehende Sguenze-Systems4 ansprechen muss oder als Übervorteilung zum Zwecke, dass das uns gezahlte Gehalt (Leutnant 40 Yen) möglichst bald in japanische Taschen zurückfliesst, mag dahin gestellt bleiben.

Die Langsamkeit der Briefpost über Amerika ist ein Kapitel für sich. Wir haben doch eigentlich genug englische Gefangene, um Abhilfe durch vergeltungsweise Entziehung der Post zu erzwingen,5 die Franzosen führten seinerzeit sogar Beschwerde bei uns, dass die Briefpost 10 Tage zu spät ausgehändigt wurde.
Schließlich möchte ich noch erwähnen, dass wir im ganzen Jahr zweimal, und zwar zu Ostern zu einem kurzen Spaziergang, zu Pfingsten zu einem Tagesausflug ausgeführt wurden, während an manchen anderen Lagern in Japan recht häufige Spaziergänge gemacht wurden. Das Erscheinen des amerikanischen Botschaftssekretärs ist von uns allen dankbar empfunden worden, und es sind obige Verhältnisse auch dieses Mal ihm gegenüber zur Sprache gebracht worden. Wir haben auch erwähnt, dass uns die Japaner nach seinem ersten Besuch im Frühjahr 1916 in nicht misszuverstehender Weise durch verstärkt schikanöse und unwohlwollende Behandlung die Quittung erteilten, dass wir die Missstände vorgebracht hätten. Wenn ich Ihnen alles dieses vortrage, so tue ich es in der Annahme, dass es Sie gewiss interessieren wird, Genaueres über unsere Lage zu hören und den Ihnen doch wohl bekannt werdenden Bericht des amerikanischen Vertreters zum Vergleich heranzuziehen. Manches, worüber wir uns beklagt haben, wird Ihnen sicher als Aussenstehendem kleinlich und unwichtig erscheinen, aber gerade diese kleinen Quengeleien und das Empfinden vom Fehlen jeglichen guten Willens quält einen hier, wo das Bestreben, den Kriegsgefangenen das Los zu erleichtern, so völlig fehlt, während man immer und immer wieder liest, wie die Lagerleitungen zu Hause in den Bemühungen wetteifern, durch Theater, Konzerte und Spazierfänge das Gefangenendasein zu lindern und nur solche Maßnahmen zu treffen, welche nur aus militärischen Gründen erforderlich sind.6

Ich möchte nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass zwar die Verhältnisse, wie ich sie oben kurz zu schildern versuchte, die allgemeine Stimmung unter uns wiedergibt, dass aber vor zwei Wochen [am 15.11.1916] ein Personalwechsel auch in der Person eines neuen Chefs eingetreten ist und sich daher nicht übersehen lässt, wieweit etwa dieser im Gegensatz zum letzten Chef eine etwas weniger strenge Marschorder erhalten oder sie weniger rigoros zur Anwendung bringt. Soweit sein Wirken bisher – wie z. B. jetzt bezüglich der Heizvorschriften – in die Erscheinung tritt, scheint ein etwas milderer Wind zu wehen, aber auch der abgelöste Chef zeigte sich zuerst im rosigsten Lichte, um nachher umso unausstehlicher zu werden.
Was die beiden im Februar 1916 bestraften Kameraden anbelangt, so hat sich an ihrem beklagenswerten, bitteren Schicksal bisher nichts geändert. Leutnant Modde (Pekinger Vertreter von der Waffenfabrik Ehrhardt) und Dr. Hack (früher Hilfsarbeiter bei der Südmandschurischen Eisenbahn, Wirtschaftsabteilung7), verbüßen ihre drakonischen Strafen, Modde drei Jahre Gefängnis für den missglückten Fluchtversuch und Dr. Hack eineinhalb Jahre Zuchthaus (Netzestricken) für seine durch Täuschung der Japaner bewirkte Mithilfe. Den Ärmsten wurde ihre Strafe damals ohne gehöriges Gerichtsverfahren und Verteidiger-Bestellung verkündigt. Ein Gnadengesuch der Frau Modde in Peking und eine Verteidigungsschrift von Hack blieben unbeantwortet und ohne Erfolg. Das Urteil erscheint als ein übers Knie gebrochenes Urteil mit ausgesprochener Abschreckungstendenz. Was die japanischen Juristen eigentlich für ein Delikt konstruiert haben, um diese Strafen zu rechtfertigen, erscheint unerfindlich, da vertragsgemäss8 Fluchtvergehen nur disziplinarisch bestraft werden dürfen und ein Komplott nicht vorlag.
 

Anmerkungen

1.  Der erste Besuch fand am 08.03.1916 statt, der zweite im Dezember des Jahres.

2.  Hier wird auf die gelungene Flucht von vier Offizieren aus Fukuoka im November 1915 verwiesen.

3.  Es geht um folgenden Sachverhalt: Die deutsche Reichsregierung führt über die diplomatische Schutzmacht (bis 1917 USA, danach Schweiz) Beschwerde; nachdem die japanische Seite deren Berechtigung bestritten hat, begnügt sich die deutsche Seite (mangels handfester Beweise) mit der erteilten Auskunft.

4.  Gemeint ist wohl »squeeze« mit der Bedeutung »unter Druck setzen, verknappen« usw.

5.  Der Verfasser regt indirekt die Verhängung von Repressalien an; zu diesem Mittel haben die kriegführenden Parteien relativ häufig gegriffen.

6.  Hier sitzt der Verfasser der eigenen deutschen Propaganda auf, die natürlich die Verhältnisse in deutschen Lagern überaus rosig darstellte; ähnlich verfuhren Briten und Franzosen.

7.  Mit »Hilfsarbeiter« ist hier ein befristet Beschäftigter gemeint, bei dem es sich auch um eine Person mit Staatsexamen oder Promotion handeln kann.

8.  Dieser Hinweis bezieht sich auf Artikel 8 der Landkriegsordnung. Insgesamt muss dessen Handhabung durch Japan als völkerrechtswidrig bezeichnet werden; das trifft für andere Kriegsführende freilich auch zu.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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