Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Kameradschaftstreffen

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Treffen der "Tsingtau-Kämpfer" in Dissen am 7. November 1936

 

I. Tsingtauer-Treffen in der Zwischenkriegszeit

Wie viele Treffen ehemaliger Tsingtauer zwischen 1920 und 1936 stattgefunden haben, ist nicht bekannt. Der Hauptredner bei der Dissener Veranstaltung, Hugo Homann1, führte aus (siehe unten), man wäre "bisher nur vereinzelt und in kleinen Gruppen" zusammengekommen und begründete das mit "den verworrenen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen" in der Weimarer Republik. Diese pauschale Erklärung war in der rechten Szene üblich; es gibt allerdings keinen einzigen Hinweis darauf, dass, von wem auch immer, den Tsingtauern nach 1920 irgendwelche Hindernisse in Bezug auf Gemeinschaftsveranstaltungen in den Weg gelegt worden wären. Mindestens für die Zeit zwischen Ende 1923 (Ende der Inflation, Scheitern des Hitler-Ludendorff-Putsches) und 1929/30 (Beginn der Weltwirtschaftskrise und Aufstieg der NSDAP) waren auch die "Verhältnisse" keineswegs verworren. Insoweit wird man nach anderen Gründen suchen müssen.

Von den erwähnten "vereinzelten" Treffen kommen sicherlich jene infrage, die von der "Vereinigung ehemaliger Japan-Kriegsgefangener" und der "Sammelstelle Kurumer Reservisten" veranstaltet wurden; nähere Angaben hierzu fehlen aber. Letzteres gilt auch für ein "Treffen von Tsingtau-Veteranen in Buer – 2. bis 4. Mai 1931", von dem auf der Internetseite "Gelsenkirchener Geschichten" die Rede ist.

Keine weiteren Informationen sind auch für ein zweites großes Treffen in Dissen 1939 vorhanden.
 

II. Editorische Hinweise zum Bericht über Dissen 1936

Der nachstehende Artikel aus einer örtlichen Tageszeitung wird unverändert wiedergegeben, was es zugleich notwendig macht, auf drei Aspekte hinzuweisen.

1. Der Bericht ist in dem zeittypischen Jargon verfasst, wobei – angefangen mit der Überschrift – der Begriff "Kamerad" bzw. "Kameradschaft" besonders herausgehoben wird. Dieser Begriff war spätestens seit 1933 ideologisch hoch beladen, wie ein einfacher lexikografischer Vergleich zeigt:
   – Im "Brockhaus" von 1931 hieß es noch lapidar: "Kamerad = Kampfgenosse, Gefährte, Bezeichnung und Anrede der Soldaten untereinander. / Kameradenvereine = vielfach Bezeichnung der nach der Auflösung des alten deutschen Heeres 1919 gegründeten Vereinigungen, in denen sich die ehemaligen Angehörigen der früheren Regimenter usw. zusammenschließen."2
   – Ganz anders das spätere gleichgeschaltete Meyer-Lexikon: "Kameradschaft ist ... die vollkommene Form des Männerbundes, der unter dem Gesetz von Führung–Gefolgschaft steht und einer soldatisch-heroischen Ordnung gehorcht. In diesem Sinn ist der Begriff K. zum politisch-soziologischen Zentralbegriff des Dritten Reiches und der neuen völkischen Weltanschauungen geworden (in dieser Form aus dem Kriegserlebnis entstanden). ... [Es ist ein Begriff, der] ein ganzes Volk erfaßt und und seine sozialen Ordnungen und Stände bestimmt..."3

2. Im Hintergrund des Dissener Treffens stand die Frage: Können die Tsingtauer auf die gleiche Anerkennung seitens des Regimes hoffen, wie sie z.B. den Kriegsteilnehmer an der europäischen Westfront, zu denen auch Hitler gehört hatte, zuteil wurde? Es hatte durchaus Stimmen gegeben, welche die militärische Leistung der Verteidiger Tsingtaus eher niedrig einschätzten, auch im Hinblick auf deren relativ geringe Verluste. Hitler selbst hatte sich hierzu bisher nur indirekt geäußert, indem er in Wort und Schrift "Todesmut" und "Opferbereitschaft" als höchste soldatische Tugenden pries.4

3. Im Schwebezustand stand 1936 auch die weitere Entwicklung des Verhältnisses zu Japan. Seit 1920 hatten zwar normale diplomatische Beziehungen bestanden, aber die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik hatte sich eindeutig auf China konzentriert und Japan weitgehend beiseite gelassen.5 Beide Völker verkörperten jene "gelbe Gefahr", von der schon Kaiser Wilhelm II. in seinen berüchtigten "Sonntagsreden" gesprochen hatte; beide waren, in Hitlers kruder Begriffswelt, "nicht-arisch" und damit nicht "Kulturbegründer", sondern allenfalls "Kulturbewahrer".6 Unter dem Einfluss von Karl Haushofer und anderen hatte er sich freilich entschlossen, sich gegebenenfalls mit Japan zu verbünden (Abschluss des Kominternpaktes am 25.11.1936); die definitive Abwendung von China vollzog er jedoch erst 1938. In dieser Situation waren die "Tsingtauer" gut beraten, gegenüber Japan eine neutrale Position zu beziehen und insoweit keinerlei Revanche-Gedanken zu äußern.
 

III. Bericht im "Osnabrücker Tageblatt" vom 9. Nov. 1936

DissenKamerad, weißt du noch?
Zweihundert Tsingtau-Kämpfer trafen sich in Dissen
7

"Kamerad" – das ist das Wort, das in den Schützengräben des Krieges geboren ist, "Kamerad" – das ist das Wort, das ist das Wort, das die Kämpfer des Weltkrieges aufs innigste ineinander verband, "Kamerad" – das ist das Wort, das Haß und Zwietracht der Nachkriegszeit verschütteten, bis es im Deutschland Adolf Hitlers zu neuer tiefer Wahrheit erstand und nun auf allen Gebieten des öffentlichen Leben seinen tiefen Sinn aufs herrlichste entfaltet. "Kamerad" – so sprechen wir einander an und wissen, daß wir uns damit verpflichten, zu ganzem, selbstlosem Einsatz.

Kamerad zu sein, Kameradschaft zu üben, das ist die Herzenssache derer, die in den Trommelfeuern der Schlachten zusammengeschmiedet sind zu einer unlösbaren Gemeinschaft, zu einer Verbundenheit der Seelen, die Jahre und Jahrzehnte übersteht, und um alle die ein festes Band schlingt, die sie verstanden und geübt haben, auch wenn sie – in alle Winde zerstreut – voneinander getrennt leben. Dann ist es besonders beglückend für die alten Kameraden, wenn eines Tages der Ruf zu einer Wiedersehensfeier an sie ergeht. Welch' innere Freude, welch' große Begeisterung dann jene Männer an dem Tage ergreift, wo sie nach jahrelanger Trennung einander wiedersehen, das hat der empfunden, der beim Wiedersehenstreffen ehemaliger Tsingtau-Kämpfer am letzten Sonnabend im Dissener Festsaal war. Auf Einladung ihrer Dissener Kameraden waren an die 200 Tsingtau-Kämpfer nach hier gekommen, um am Tage der 22. Wiederkehr der Uebergabe von Tsingtau an die Japaner einige Stunden im Kreise der alten Mitkämpfer zu verleben.8

Herr Hugo Homann hieß in seiner Begrüßungsansprache Kameraden und Gäste herzlich willkommen. Er gab seiner besonderen Freude darüber Ausdruck, daß so überaus viele der Kameraden von Tsingtau erschienen waren und bezeichnete dieses mit Recht als einen deutlichen Beweis dafür, daß die Bande der Schicksalsverbundenheit nicht zerrissen sind. Er wies daruf hin, daß sich an diesem Tage zum 22. Male der Tag jähre, an dem die Verteidiger Tsingtaus vor der überwältigenden Uebermacht die Waffen strecken mußten. "Mit Wehmut denken wir an die Stunde, in der das Kiautschou-Gebiet verloren ging, aber auch mit Stolz gedenken wir des Kampfes, den wir fern der Heimat auf äußerstem Vorposten für die Ehre und das Ansehen unseres Vaterlandes durchgefochten haben. Wir haben das Wort unseres Gouverneurs Meyer-Waldeck, das er bei Ausbruch der Feindseligkeiten an den Kaiser telegraphierte: 'Einstehe für Pflichterfüllung bis zum Aeußersten' eingelöst und in die Tat umgesetzt" – so führte Herr Homann weiter aus und gedachte dann in ernsten Worten der gefallenen und der in der Gefangenschaft gestorbenen Mitstreiter, deren Andenken die Anwesenden durch Erheben von den Sitzen ehrten.

Herr Homann führte dann weiter aus, daß, wenn die Treffen der Tsingtau-Kämpfer bisher nur vereinzelt und in kleinen Gruppen stattgefunden hätten, der Grund dafür in den verworrenen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu suchen sei, die nun glücklicherweise längst überwunden sind. "Denn heute wird das Steuer des Reiches von starken Händen sicher geführt, und das Wort unseres Führers, daß der Kampf um die Wiedererlangung unserer Kolonien niemals aufgegeben wird, erfüllt uns, die wir aus eigener Anschauung den Wert von Kolonien kennen, mit Dankbarkeit und Freude."9 Sein Gruß an den Führer fand brausenden Widerhall, und hellauf erklangen das Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied.

Dann machten die dampfenden Schüsseln die Runde. Hei, wie das schmeckte im Kreis der Kameraden. Manches Wort der Anerkennung für das Gebotene und des Dankes an die Dissener Kameraden für die Einladung zu dieser Feier würzten das prächtig mundende Mal. Inzwischen rückte auch die 22 Mann starke Abordnung der Hamburger, die sich infolge einer Motorpanne ihres Kraftomnibusses verspätet hatte, in den festlich geschmückten Saal ein und wurde mit dem weltbekannten Schlachtruf der Hamburger aufs lebhafteste empfangen. Nachdem allen Wünschen des Gaumens und des Magens ausreichend Genüge getan war , nahm die "große reese Partie", das ist der Austausch der Erinnerungen, das Fragen nach dem Woher und Wohin, nach diesem und jenem und tausend Kleinigkeiten den Anfang, der dort niemals ein Ende findet, wo sich Gefährten des Kampfes wiedersehen. Vorträge, die das Tsingtau-Erlebnis in dichterischer Form behandelten, wechselten ab mit dem Singen liebgewordener Soldatenlieder, Bilder wurden hervorgekramt, Erinnerung wachgerufen. "Bist Du nicht...?" – "Ja, der bin ich!" Und die Augen strahlten vor Freude, fest ruhte Hand in Hand, und manchmal huschte auch ein Zeichen tiefer innerer Bewegtheit über die männlichen Gesichter. "Was machst Du jetzt?" "Ich bin Schlosser, und Du?" "Ich bin Landrat..."10

Fragen und Antworten rissen nicht ab. Viele Kameraden, auf diesem oder jenem Grunde am Erscheinen verhindert, hatten Kartengrüße, Briefe und Telegramme gesandt. Auch Herr Landrat Westerkamp, der leider nicht kommen konnte, entbot den Tsingtau-Kämpfern telegraphisch seine besten Grüße und Wünsche. Ein Kamerad rief sogar telephonisch aus München an. Er hatte nicht schreiben wollen, um wenigstens fernmündlich wieder die Stimme eines Kameraden zu hören, mit dem er das bittere Los der Gefangenschaft im Lager Bando geteilt hatte.

Wenn Kampfgenossen sich wie Kinder freuen können, wenn sie einander nach langer Zeit wiedersehen: Hier war's der Fall. Soldatische Kameradschaft feierte herrlichste Wiederauferstehung. "Weißt Du noch? – Weißt Du noch?" – so ging es von Mund zu Mund. Des Erzählens war kein Ende.

Was bedeuten Rang und Stand, Herkunft und Wissen unter Männern, die das Kriegserlebnis zu enger Gemeinschaft verbindet!11 Gemeinschaft – Kameradschaft – sie sind das Schönste im Leben eines Mannes, eines Volkes. Sie zu neuem, unzerstörbarem Leben entfacht zu haben, ist das Verdienst des Nationalsozialismus. Aus diesem Bewußtsein heraus wurde ein Telegramm an den Führer gesandt, das folgenden Wortlauf hatte:
"Zweihundert ehemalige Tsingtau-Kämpfer, in Dissen am Teutoburger Wald zu einem Kameradschaftstreffen vereinigt, senden ihrem Führer in unwandelbarer Treue und Ergebenheit ihre Grüße und geloben vollen Einsatz in Deutschlands Kampf für koloniale Gleichberechtigung."

Im Laufe des Sonntags [8.11.] ging bei Herrn Hugo Homann folgendes Antworttelegramm ein:
"Den zu einem Kameradentreffen in Dissen vereinigten ehemaligen Tsingtau-Kämpfern danke ich für ihr treues Gedenken und das Gelöbnis ihrer Einsatzbereitschaft.
Ich erwidere ihre Grüße in kameradschaftlicher Verbundenheit!
Adolf Hitler."12
*
Nun sind die Stunden der Erinnerung verrauscht. Zweihundert deutsche Männer haben wieder einmal Sinn und Wert der Kameradschaft zutiefst empfunden. Sie um dieses beglückende Ergebnis reicher gemacht zu haben, ist das Verdienst der Dissener Tsingtau-Kämpfer. Ihnen gebührt auch an dieser Stelle der Dank aller, die an der Wiedersehensfeier in Dissen teilnehmen konnten.


 

Anmerkungen

1.  Homann war zugleich Sponsor des Treffens. Er hatte bei den Kommunalwahlen 1933 für die Liste der "Nationalen Front" kandidiert.

2.  Der Große Brockhaus, 15. Auflage, 9. Bd. (1931), S. 618.

3.  Meyers Lexikon, 8. Aufl., 6. Bd. (1939), S. 753 (Hervorhebung vom Redakteur). — Ausführlich dazu: Thomas Kühne, Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 2006. Zum heutigen Verständnis von Kameradschaft siehe § 12 Soldatengesetz: Sie "verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. Das schließt gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen ein."

4.  Siehe als Beispiel auch Hitlers Reichstagsrede vom 01.09.1939 mit Sätzen wie "Ein Wort habe ich nie kennengelernt, es heißt: Kapitulation." In der Endphase des Zweiten Weltkrieges sollte diese Einstellung Millionen von Menschen das Leben kosten.

5.  Siehe dazu z.B. Bernd Martin, Das Deutsche Reich und Guomindang-China. In: Hengyo Guo (Hg.), Von der Kolonialpolitik zur Kooperation: Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. München: Minerva-Publ., 1986, S. 325-375

6.  Siehe die einschlägigen Auslassungen in "Mein Kampf", S. 318 f., wo Hitler das für Japan ausdrücklich feststellte; China ignorierte er.

7.  Das Erinnerungsblatt (links) ist nicht Teil des Zeitungsberichts; seine Herkunft ist unklar

8.  Wie für andere Treffen auch ist eine Teilnehmerliste nicht überliefert. Die hohe Zahl von 200 relativiert sich, wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit noch etwa 4.000 ehemalige Japangefangene im Reichsgebiet lebten.

9.  Hitler hatte in seiner Programmschrift "Mein Kampf" mehrmals klargestellt, was er von Kolonien außerhalb Europas hielt, nämlich gar nichts; siehe etwa S. 718: "Denn daß das Schreien nach ... der Wiedergewinnung unserer Kolonien usw. wirklich bloß ein albernes Geschwätz ist, ohne auch nur einen Gedanken praktischer Ausführbarkeit zu besitzen, wird man bei ruhigem Überlegen wohl kaum zu bestreiten vermögen." Rein taktische Überlegungen veranlassten ihn später, in das Geschrei mit einzustimmen, aber realiter verschwendete er darauf keinen Gedanken, denn der "Lebensraum" war nach seiner festen Überzeugen nur in Osteuropa zu sichern und letzten Ende nur durch Krieg. Dem Festredner Homann dürfte das klar gewesen sein.

10.  Bei den bisher rekonstruierten Biographien hat sich noch kein Hinweis auf einen Landrat ergeben. Vermutlich wird hier lediglich eine typische rhetorische Figur zitiert, nämlich die angebliche Klassenlosigkeit unter der Nazi-Diktatur (siehe auch den drittnächsten Absatz unten).

11.  Der Verfasser des Artikels geht etwas unbedarft darüber hinweg, dass das "Kriegserlebnis" der Tsingtauer knappe zwei Monate andauerte, denen mehr als fünf Jahre in Gefangenschaft folgten. Die Kameraden werden sich vermutlich sehr viel mehr über jene fünf Jahre unterhalten haben – siehe aber den dritten Hinweis oben.

12.  Dieser Telegrammwechsel war zweifellos auf Sorgfältigste vorbereitet worden, Details sind hierzu nicht bekannt. Hitlers Telegramm dürfte für die meisten der Versammelten jedenfalls genau die Anerkennung gebracht haben, die sie sich ersehnt hatten, und zwar weitgehend unabhängig davon, ob sie der Nazi-Ideologie anhingen oder nicht.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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