Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Augenzeugenberichte

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»Der Kampf um Tsingtau«, Teil II: Vom Iltisberg in den Schützengraben

von Jakob Neumaier
 

Unter den Augenzeugen des Krieges und der Gefangenschaft ist Jakob Neumaier einer der wichtigsten. Seine Tagebucheintragungen decken den gesamten Zeitraum von den letzten Junitagen 1914 bis zur Rückkehr in die Heimat Anfang März 1920 ab. Er schildert seine Erlebnisse bewusst aus der Perspektive des einfachen Soldaten, ohne »Feldherrnattitüde«, mit guter Beobachtungsgabe und mit viel Liebe zum Detail.

Der erste Teil von Neumaiers Bericht handelt vom Kampf um Tsingtau, der hier des Umfangs wegen in zwei Abschnitten wiedergegeben wird.

Die hier benutzte maschinenschriftliche Version des Berichts wurde dem Redakteur von dem leider verstorbenen Bochumer Sammler Walter Jäckisch zur Verfügung gestellt. Die Wiedergabe erfolgt unverändert, jedoch wurde die Rechtschreibung maßvoll modernisiert. Zugunsten der Übersichtlichkeit wurden Zwischenüberschriften eingefügt. Anmerkungen des Redakteurs stehen in [ ] oder in Fußnoten.

Übersicht:

  1. In der ersten Oktoberhälfte
  2. Unter schwerem Beschuss
  3. Im Schützengraben
  4. Die vorletzte Nacht
  5. Kapitulation

 

1. In der ersten Oktoberhälfte

Drei Kompanien unseres Seebataillons machten vom linken Flügel der Hauptverteidigungslinie aus einen Vorstoß, versuchten einen Ausfall [02.10.1914].1 Wir hielten in der Nacht die japanischen Stellungen bei dem Dorfe Syfang, gegen die unsere Batailloner vorgehen sollten, scharf unter Feuer. Den Erfolg des Vorstoßes konnten wir uns im Voraus ungefähr ausmalen. Wir hielten nicht viel davon, wenn es auch nur eine Art gewaltsamer Erkundung sein sollte. Dass die Japaner bei Syfang wie an den anderen Frontabschnitten sich eingegraben hatten und näher heran wühlten, war sowieso klar. Immerhin freuten wir uns, dass unsere Batailloner nicht nur abwehrten, sondern auch angriffen. Wir pulverten, was das Zeug hielt, auf die uns bezeichneten Stellungen der Japaner, hofften, dass unsere Infanteristen recht weit vorkommen würden. »Wenn sie nur glücklich wieder zurückkommen«, meinte mein Freund Gersdorf, »vorkommen tun sie jedenfalls«. Heute hörten wir denn auch schon, unsere Seebatailloner seien auf eine unheimliche Übermacht gestoßen, in der Dunkelheit in rasendes Kreuzfeuer japanischer Maschinengewehre gekommen, seien dann, von drei Seiten umringt, grausam durcheinander gejagt worden und mit knapper Not der Gefangennahme entgangen. Gegen Morgen seien die versprengten Teile der Kompanien wieder in die Hauptverteidigungslinie zurückgekommen. Der Kompanieführer Graf Hertzberg sei bei dem Vorstoß gefallen. Es habe noch mehr Tote dabei gegeben. Unsere Führung weiß nun wenigstens, wie weit der Feind noch von der Hauptverteidigungslinie entfernt liegt. Man sagt, wir könnten den großen Sturm jeden Tag erwarten.

Ein Fesselballon wurde vom Mathildenpass aus nahe am Küstenkommandeurstand hochgelassen, doch die Japaner funkten vom Kuschan aus sofort derart mit Schrapnells auf den plumpen, gelben Sack, dass er nach kaum einer halben Stunde wieder niedergeholt wurde. Unser Kompanieführer war in der Gondel des Ballons gewesen, er erzählte von seinem Schrecken und dass die Ballonhülle von Schrapnellkugeln arg durchlöchert worden sei, so dass es keinen Zweck habe, nochmal hochzugehen. Gestern ließ man bei uns am Westabhang des Iltisberges einen kleineren Fesselballon mit einer Strohpuppe in der Gondel aufsteigen, einen »Scheinballon«, um die feindlichen Batterien zum Schießen zu reizen und ihre Stellungen genauer herauszufinden. Aber wir haben schon auch Pech: Es wehte leichter Westwind, der böse Feind feuerte nicht auf unseren Ballon, und plötzlich riss das Haltetau, und der Ballon trieb tanzend am sonnigen, klaren, blauen Himmel der See zu. Es fiel den Japanern nicht mehr im Traume ein, auf den Ausreißer zu schießen. Sie mochten den Schwindel durchschaut und ordentlich gegrinst haben.

Feindliche Wasserflugzeuge erscheinen ab und zu über Tsingtau und werfen Bomben, treffen aber selten ihr Ziel, weshalb wir bisher ihre Manöver immer gemächlich beobachteten und leichtsinnig zusahen, wie ihre weißen Eier vom klarblauen Himmel sausten. Vier oder fünf Bomben werden gewöhnlich abgeworfen, auf ein Fort, auf das Artilleriedepot oder auf den Hafen und die Werft. Auch die Signalstation wird manchmal zum Ziel genommen. Bei dem Erscheinen der Flieger hatten wir es bisher nie eilig, in Deckung zu gehen, trotz Mahnungen der Vorgesetzten zur Vorsicht. »Die treffen ja doch nischt«, pflegte mein Freund Gersdorff zu sagen, wenn ein Flieger kam und unser Batterieführer [Bergwein] uns mit geradezu väterlicher Besorgnis anriet, wenigstens in der Nähe von Deckung zu bleiben. Aber seit gestern, als im Artilleriedepot ein Obermaat [Lange] durch eine Fliegerbombe schwer verletzt wurde, haben wir mehr Respekt vor den großen braunen Vögeln. Vor unserer Batterie schlug eine ihrer Bomben am Abhang ins Gebüsch und traf einen Hasen, von dem wir nachher nur noch blutige Fellstückchen an den zerfetzten Zweigen fanden.

Ein evangelischer Geistlicher hielt am Iltisberg Feldgottesdienst, einige Tage später ein katholischer Missionspfarrer. Alles, was nicht gerade Wache oder sonstigen Dienst hatte, nahm an beiden Gottesdiensten teil.

An dem Abhange der Punktkuppe, die westlich vom Iltisberg liegt, erbauten wir, um die feindliche Artillerie zu täuschen, einen Schein-Beobachtungsstand aus grüngestrichenen Brettern und zogen in der Nähe Scheingräben, arbeiteten eine halbe Nacht lang an dem Abhang und hoffen nun, dass der Feind diese »Stellung« tüchtig befunken wird. Aber er scheint den Schwindel wieder durchschaut zu haben. Er lässt die Stellung in Ruhe und jagt dafür fast täglich von der Landseite her einige Schrapnells auf unsere Batterie. Wir nehmen dies als Zeichen dafür, dass er wieder neue Batterien hinter den Höhen in Stellung gebracht hat und sich erst in aller Gemütsruhe einschießt. Die einzelnen Schüsse von den feindlichen Landstellungen sind wie Regentropfen von einem von der Landseite heranziehenden Gewitter.

Unser Torpedoboot S 90 lief in dunkler Nacht aus, kam unbemerkt durch die Kette der feindlichen Zerstörer und versenkte mit drei Torpedoschüssen weit draußen den japanischen Kreuzer Takatchio mit 270 Mann Besatzung [18.10.1914]. Der Kreuzer war in wenigen Sekunden mit Mann und Maus versunken. S 90 konnte nicht mehr nach Tsingtau zurück, wurde von japanischen Zerstörern gejagt, von der eigenen Besatzung bei Schanghai2 auf Grund gesetzt und auf Befehl des Kommandanten Kapitänleutnant Brunner gesprengt. Die Besatzung von S 90 wurde in China interniert.

Die drei Schlachtkreuzer3 Suwo, Tango und Iwami und der Engländer Triumph feuerten wieder einige Stunden lang hauptsächlich auf unsere äußere, an der Buchteinfahrt liegende Küstenbatterie Huitschuenhuk und auf das Infanteriewerk I, das nahe am Strande der offenen See liegt, nur wenige Granaten auf den Iltisberg. Während der Beschießung lief einer der feuernden Kreuzer, Iwami oder Suwo, auf eine Mine. Von unserem Panzerbeobachtungsstand aus wurde bemerkt, dass an der Bordwand des Kreuzers eine Wassersäule aufschoss, eine gewaltige Detonation erfolgte, der Kreuzer dann abdrehte, noch ein paar Schüsse mit den Heckgeschützen abfeuerte und dann mit leichter Schlagseite abdampfte nach dem Horizont hin. Allzuviel scheint ihm die Mine nicht geschadet zu haben, was wir aufrichtig bedauern.

Keine von den Tsingtauer Batterien kann ein feindliches Schiff erreichen. Huitschuenhuk, das am weitesten tragende Fort, reicht mit seinen 24-cm-Kanonen nur 14,5 Kilometer, während die feindlichen Kreuzer auf etwa 16 Kilometer Entfernung feuern. Unsere modernste Batterie, Bismarckberg mit seinen vier 28-cm-Haubitzen, reicht nur 10 Kilometer weit. Außerdem haben wir an schwerstem Kaliber nur noch die zwei 21-cm-Kanonen am Moltkeberg und vier 24-cm-Kanonen in der Nähe des Hafens, die Hsiauniwa-Batterie, nach dem in der Nähe gelegenen [früheren] Chinesendorf Hsiauniwa so genannt. Für den Abwehrkampf nach der Landfront haben, außer den genannten schweren Batterien, noch verhältnismäßig hohen Gefechtswert die vor dem Iltisberg auf der Ebene eingebaute Tschungschiawa-Batterie mit ihren zwei 15-cm-Haubitzen, die in der Nähe der Stadt auf einem Hügel gelegene Tsingtau-Batterie mit ihren vier 15-cm-Kanonen, zwei hinter der Infanterielinie liegende 12-cm-Batterien, die Batterie Passkuppe mit ihren vier 8,8-cm-Feldkanonen, selbstverständlich auch unsere zwei 10,5-cm-Geschütze und unsere sechs 12-cm-Bronzekanonen am Iltisberg. Auf der Punktkuppe, nächst dem Iltisberg, hat man an steilem Abhang eine Batterie von vier 6-cm-Bootskanonen erst in den letzten Tagen aufgestellt. Diese leichte Batterie, in den Gebüschen des Abhangs gut versteckt, soll dem Feinde beim Sturm noch hart und überraschend zu schaffen machen, wenn die Lage bei uns am Iltisberg und auf der Passkuppe brenzlich wird.

Seitdem sich der Feind auf der Landseite mehr und mehr bemerkbar macht, entwickeln unsere schweren Batterien eine lebhaftere Tätigkeit, doch sind die feindlichen Geschützstellungen hinter den Höhen in Schluchten und toten Winkeln anscheinend so gut versteckt, dass es auch unserem Flieger selten gelingt, die Schlupfwinkel genau herauszufinden. Aber dennoch scheint der Feind durch das Streuschießen unserer Artillerie schwere Verluste erlitten zu haben, denn vor einigen Tagen war, wie es hieß auf Antrag der Japaner, ein vierstündiger Waffenstillstand vereinbart worden, da die Japaner angeblich ersucht hatten, ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Toten zu beerdigen. Am 12. Oktober herrschte denn auch von mittags 12 bis nachmittags 4 Uhr auf beiden Seiten Waffenruhe. Es war in der Zeit eine seltsame Stille um Tsingtau. Wir gewöhnlichen Soldaten sagten misstrauisch, der Japaner wolle die Zeit wohl nur ausnützen, um ungestört neue Batterien hinter den Höhen in Stellung zu bringen.

Am Fuße des Iltisbergs haben wir zwischen den Kuscheln [?] Scheinbatterien aufgestellt. Mit Kanonenschlägen werden dort Schüsse abgegeben, um den Feind von unseren echten Batterien abzulenken. Er schießt tatsächlich ab und zu auf diese Schwindelstellungen, und neulich war das Feuer auf die harmlosen Dinger so lebhaft, dass die zwei Matrosen, die sie bedienten, ihre liebe Not hatten, rechtzeitig in Deckung zu kommen. Allerdings verschwendete der Feind keine schweren Geschosse für unsere Scheinstellungen, sondern setzte dafür von der Landseite her schon einige große Brummer in verdächtiger Nähe unserer Küstenforts.

Unter den feindlichen Belagerungstruppen sind auch zwei englische Regimenter, ein Regiment weißer Engländer und ein Regiment Inder, was angeblich durch Funknachrichten in Erfahrung gebracht wurde. Unser Flieger Plüschow hat das englische Lager weit hinter der Front entdeckt, hat es an den Formen der Zelte erkannt und das Lager mit Bomben belegt. Er glaubt, einigen Schaden bei den Engländern angerichtet zu haben. Da wir in Tsingtau keine richtigen Fliegerbomben haben, arbeitet Plüschow mit selbstkonstruierten Bomben, die aus Konservenbüchsen bestehen, mit Sprengstoff und Eisenteilen gefüllt und mit primitiven Zündern versehen sind. Er sagte selbst, dass einige der Bomben beim Aufschlag sogar explodierten.

Die Geschütze der Kaiserin Elisabeth wurden [teilweise] abmontiert und sind nun auf verschiedenen Stellen unserer Landfront aufgestellt, da sich der Kreuzer in der Bucht vor der überlegenen feindlichen Landartillerie nicht mehr halten kann. Zwei von den österreichischen 15-cm-Schiffsgeschützen stehen am westlichen Abhang des Iltisbergs, von dem Berge gegen das Feuer der feindlichen Kreuzer, also nach der Seeseite hin, ziemlich gedeckt.

Vorgestern beobachteten wir einen Fliegerzweikampf. Unser Plüschow kam nachmittags von einem Frontflug zurück. Ein japanischer Doppeldecker kam ihm von See her in die Quere, suchte ihm offensichtlich den Heimflug zu versauen, schwebte bald dicht über ihm, und wir sahen deutlich, wie der feindliche Pilot auf unsere Taube mit einer Handfeuerwaffe schoss. Aber auch Plüschow feuerte, was Zeug hielt, mit seiner Pistole auf den Feind über ihm, denn andere Waffen für den Gegner hatte er nicht. Das Duell dauerte nur einige Minuten, dann hatte Plüschow den Iltisplatz erreicht und war unbeschädigt gelandet.
 

2. Unter schwerem Beschuss

Die Schlachtschiffe mit ihren 30,5-cm-Granaten und das englische Linienschiff Triumph mit seinen 25-cm-Granaten machen uns in den letzten Tagen die Hölle heiß. Wir schuften nach jeder Beschießung, um die zerstörten Verschanzungen wieder aufzubauen, füllen Sandsäcke, schichten sie aufeinander, bauen Betonunterstände auch neben den Geschützen, pflanzen Gebüsche um den Höhenrand, wo die feindlichen Granaten die Akazien und Zwergföhren weggefegt haben, errichten neue gedeckte Stände für die Batterieführer. Es ist ein verzweifelter Kampf um möglichste Sicherung und stete Feuerbereitschaft unserer Batterie. Was wir in stunden- und nächtelanger Arbeit aufgebaut haben, ist in wenigen Minuten von den Schiffsgranaten wieder in Klumpen und Fetzen zerschossen. Immer wieder fangen wir von vorne an. Uns selbst haben wir bisher immer rechtzeitig in Sicherheit gebracht, wenigstens ist bisher noch keine der Kasematten eingefallen.

Um die Arbeit machen wir uns die wenigsten Sorgen, obwohl bei uns auch manches angeordnet wird, was sinnlos ist. So mussten wir in einer Nacht auf Befehl eines unserer Reserveoffiziere leere Kartuschkästen mit Sand füllen und die große Rasenfläche über den Kasematten mit den gefüllten Eisenkästen eindecken, angeblich um unsere Räume möglichst gegen feindliche Granaten zu schützen. Wir sagten im Voraus, die gefüllten, nicht allzu schweren Kästen würden die Durchschlagskraft der Riesengranaten wenig beeinflussen, würden aber bei Einschlägen derart in der Luft herumfliegen, dass Geschütze und Mannschaft mehr gefährdet wären als durch Sand und Splitter. Nach mehrstündiger Arbeit mussten wir dann die Kästen auf Befehl unseres Batterieführers, der ein Einsehen hatte, wieder ausleeren und in die Räume verbringen. Einem Obermaaten fiel es ein, in eine Traverse zwischen den Geschützen einen Stollen graben zu lassen zur Aufbewahrung von kleinem Geschützzubehör, Richtkreisen, Laternen, Libellen und Tafeln, die wir sonst bei der Beschießung in den Kasematten verwahrten. Wir gruben den Stollen, deckten ihn mit Beton und Eisenschienen, und am nächsten Tage, nach kurzem Feuer der Schiffe, war die Traverse zusammengeschossen, der Stollen eingestürzt und das Gerät so verschüttet, dass wir es erst nach mühsamer Arbeit wieder ans Tageslicht bringen konnten. Einer unserer Reserve-Batterieführer kam auf den Gedanken, sich am Abhang vor der Batterie einen Befehlsstand mit Telephon bauen zu lassen. Wir lachten und gruben das Loch, deckten es mit Holzbalken, Erde und Eisenschienen. Während der nächsten Beschießung von See aus war der »Erfinder« des Standes in dem Loch. Er kam nachher, von oben bis unten voll Erde und Dreck, bleich und verstört, in die Batterie und sagte, keine zehn Pferde brächten ihn noch in den verfluchten Stand. Er sei in wenigen Minuten verschüttet gewesen, habe nichts mehr von der Außenwelt gesehen, keine Telephonverbindung kriegen können und sich halb erstickt, mit letzter Kraft ans Tageslicht durchgewühlt, als es draußen ruhiger geworden sei. Wir waren ein wenig schadenfroh.

Wieder eine starke Beschießung von See aus. Das Gerücht geht um, die Japaner wollen heute stürmen. Wir halten uns bereit, während des unheimlichen Granatfeuers an die Geschütze gerufen zu werden. Vom Beobachtungsstand wird gemeldet, ein Geschütz der 10,5-cm-Batterie (am Gipfel) habe einen Treffer bekommen, sei vermutlich stark beschädigt. Wütend bellen die Sprenggranaten in der Nähe unserer Betonmauern, und der Feuerschein der Detonationen blitzt durch die schmalen Ritzen der Luken. Staubige Luft und Halbdunkel in den Räumen. Die fahlen Lichter der Petroleumlampen flackern wie hilflos, als wollten sie jeden Augenblick erlöschen. Wieder klingelt das Telephon. Meldung vom Beobachtungsstand. Erst nach längerer Zeit erfahren wir durch den Telefonisten, was los ist. Volltreffer in die österreichische Batterie am Abhang [30.10.1914]. Vier Mann tot, Fregattenleutnant Baierle schwer verwundet. Und wir müssen stillsitzen, eingesperrt, bis die Bude einfällt und uns zudeckt? Die Nerven sind gespannt, die Gesichter nach der Türe gerichtet, fast starr. Wenn nur der Befehl käme: »An die Geschütze.« Nur raus und sich wehren können. Auf allen Mienen steht es. Alles ist zum Sprung bereit. Wir denken nichts weiter. Denken erst wieder und wundern uns, als es draußen ruhig wird.

Da kommt der Befehl: »An die Geschütze.« Zuerst mussten wir draußen schaufeln, Sandhaufen wegräumen, Trichter füllen, die Kanonen freimachen. Wir schwitzen, bis wir anfangen können zu schießen. Unsere alten Bronzekanonen, die kaum hundert Meter von der Österreicher-Batterie entfernt und nicht so gut wie diese nach der Seeseite hin gedeckt stehen, sind noch unbeschädigt. Wir haben schon unerhörtes Glück. Unter den feindlichen Sprenggranaten sind viele Blindgänger. Auch im Batteriehof liegen zwei silberblanke 30,5-cm-Geschosse. Eines davon in der Nähe des fünften Geschützes stört offenbar den Matrosen Derlien, der Munition heranschleppt. Er nimmt einen Spaten und rollt das Ding an den Straßenrand. Unser Falkenhagen sieht ihn, ist zunächst starr und »haucht« ihn dann an: »Derlien, sind Sie verrückt. Weg von dem Ding, Sie Hornvieh.« Aber Derlien hat es gerade schon am Rande des kleinen Abhanges, gibt ihm noch einen kräftigen Schubs mit dem Spaten und das Geschoss kollert hinab in den Graben. Mir stockt der Atem, wie ich es zufällig sehe, aber dann muss ich lachen. Der »Zuckerhut« platzt nicht. Er ruht faul, sanft und silberblank in dem langen Grase des Grabens.

Unser Gouverneur Meyer-Waldeck war mit dem Auto in der Iltisbergbatterie, sah sich die Leute an, die Geschütze, die Munitions- und Mannschaftsräume, grüßte uns freundlich, aber sehr ernst und sagte weiter gar nichts zu uns. Vor allem fiel uns auf, dass er stark ergrautes Haar hatte. Noch vor wenigen Monaten war sein Haar schwarz oder leicht grau meliert. Wie er durch unsere Batterie ging und allen forschend in die Augen sah, machte er trotz seines blühenden Gesichts den Eindruck eines von Sorgen gebeugten Mannes, der mit uns fühlt und bekümmert ist, dass er den hoffnungslosen Kampf bis zum bitteren Ende durchführen muss. Wir verstehen ihn und kämpfen gerne, mag kommen, was da will.

Wieder wurden wir von den Geschützen weg in die Kasematten gejagt und ließen wieder das Konzert der Schiffsgeschütze stumpfsinnig über uns ergehen. Doch gab es auch freudige Aufregung. Vom Panzerbeobachtungsstand hörten wir, der Engländer Triumph liege näher, komme in Schussweite unserer Huitschuenhuk-Batterie. »Huitschuenhuck feuert ... Treffer am Achterdeck des Triumph, Explosion dort ... Der Engländer dreht ab, scheidet aus der Gefechtslinie aus ... dampft ab.« Wir achten kaum noch auf das Heulen und Krachen der feindlichen Geschosse, so erfreut sind wir von dem kleinen Erfolg der Küstenbatterie. Nach etwa einer Stunde schwiegen auch die japanischen Kreuzer wieder. Unsere Batterie sah bös aus. Aber nach einer halben Stunde Arbeit hatten wir soweit aufgeräumt, dass wir wenigstens wieder feuern konnten. Munition sparen, heißt es täglich. »Diese Nacht dürfen nur hundert Schuss verfeuert werden ... diese Nacht fünfzig Schuss ... wenn kein außergewöhnlicher feindlicher Angriff erfolgt.«

Die allgemeine Kampflage ist für uns einfach »mies» und dem jüngsten Soldaten ebenso klar wie dem höchsten Führer. Die Halbinsel von Tsingtau, auf der Landseite von wohl mehr als zehnfacher Übermacht, auf der Seeseite von dem Blockadegeschwader abgeschlossen, ist ein eng begrenztes Feld, auf dem es keine Möglichkeit mehr gibt zu Bewegungsmanövern, zu überraschenden Vorstößen, nicht einmal zum Rückzug oder Ausweichen, um strategische Vorteile zu gewinnen. In die Enge gedrängt und unrettbar darin festgehalten, haben wir nur noch die eine Möglichkeit, nach allen Seiten zu schlagen, alle Kampfmittel an der Stelle einzusetzen, wo wir jeweils den Druck des Feindes am stärksten verspüren, um unser Fell möglichst teuer loszubringen. Keine kühle Überlegung, von Siegeszuversicht ganz zu schweigen, kann uns helfen, das Unmögliche möglich zu machen, Tsingtau zu retten. Aber es geht jetzt nicht mehr darum. Wir denken an unsere Kameraden, die in Frankreich und Russland kämpfen und sterben. Fast täglich meldet noch unsere Funkstation von schwer erkämpften Siegen unserer Truppen im fernen Europa. Es geht bei uns um unsere Ehre, um die Ehre der Heimat in der weiteren Welt für die Zukunft. Es soll nie heißen, die Kolonialsoldaten seien feige gewesen. Wir wollen nicht dem Feinde eine leicht errungene Beute sein, sind nicht gewillt, uns blindlings in seinen Rachen zu stürzen, sondern wollen zeigen, dass wir auch gelernt haben zu kämpfen, wenn wir auch keine großen Pläne mehr machen können. Unser Kampf ist wenig im Vergleich zu den Kämpfen unserer Kameraden in Europa, aber wir sind doch wohl von gleichem Holz. Der Feind steht auf allen Seiten. Sein erster größerer Ansturm kann uns zerschmettern, aber in unserem Gegenschlag nur soll er uns antreffen.

Wir feuern nachts unter feindlichem Schrapnellfeuer, das von der Landseite kommt. Es ist in den sternklaren Nächten manchmal sogar sehr romantisch, wenn hoch über uns die Geschosse platzen, »am Mond«, wie wir sagen, wenn glühende Sprühregen niedergehen und die Schrapnellkugeln kraftlos herabfallen, weniger romantisch, wenn es dicht über den Köpfen kurz zischt und kracht, dass jeder von uns sich wie geschleudert unter die Brustwehr in die Nischen duckt. Bis jetzt hat nur ein Mann unserer Batterie einen Schrapnellschuss, leider eine schwere Verletzung an den Hüften, abbekommen. Immerhin sind wir auch im Schrapnellfeuer noch ziemlich übermütig. Wir können ja dem Feinde noch Antwort geben. Leider wird die Munition schon arg knapp. Ein Häuflein Schrapnells muss für den letzten Sturm gespart werden, für den Sturm auf die Forts, wenn die Infanteriewerke überrannt sind, was doch kommen wird.

Die beiden 10,5-cm-Geschütze am Gipfel des Iltisbergs sind außer Gefecht gesetzt. An einem Geschütz ist das Schwenkwerk, am anderen das Rohr zertrümmert durch Treffer von See aus. Nachts unter schwerem feindlichen Feuer wird Rohrwechsel vorgenommen, das noch gute Geschützrohr mittels Hebegestells an Stelle des zerschossenen Rohres auf die Lafette gesetzt. Das Werk gelingt ohne Unfall, trotz des feindlichen Feuers. Sie können oben am Gipfel nun wenigstens mit einem Geschütz weiterfunken.

Den ganzen Tag lang feuerten Landbatterien und Schiffe, darunter auch wieder der Engländer Triumph, auf die Forts und auch auf die Stadt. In unserer Batterie sah es abends wild aus. Die Geschütze, teilweise verschüttet, wurden in aller Eile wieder freigemacht, dann einige Schüsse hinausgejagt, auch in aller Eile, denn der Feind machte nur kurze Feuerpausen. Brustwehren, Traversen und Batteriehof sind kaum noch zu erkennen, sind umgewühlt, von Gebüschfetzen, Splittern, Sandsackresten und Holztrümmern bedeckt. Kaum kommt man noch dazu, einige Ordnung zu schaffen. Es hat auch keinen Zweck weiter. Wir können noch schießen, auch ohne Deckung. Was nützt uns da noch weitere Ordnung? Dennoch erhalten einige Leute in der Dämmerung den Auftrag, hinter dem Batteriehof eine Müllgrube auszuheben. Ist natürlich ein Blödsinn. Obermaat Falke, unser allseits beliebter Papa Falke, der wirklich trockenen Humor besitzt, beaufsichtigt die Arbeit. Es schweigt der Feind eben. Der Himmel ist leicht bewölkt und einigermaßen hell. Plötzlich glauben die Leute das Summen von Flugzeugen über dem Iltisberg zu hören. »Flieger kommen!«, ruft einer, und einige wollen sich schon verdrücken, wohl weniger aus Angst als aus Ärger über die nutzlose Arbeit. Papa Falke aber weiß seine Pflicht und ruft pathetisch: »Haaalt, dableiben! Merkt euch, Jungens, solange ich noch heraußen bin, ist keine Gefahr.« Alles lacht und Papa Falke fragt verwundert, was es da zu lachen gäbe. Und alle arbeiten weiter.

Wir haben für unsere sechs Kanonen nur noch etwa 150 Schuss Munition. Der Feind lässt uns kaum noch zur Besinnung kommen, hämmert wieder den ganzen Tag lang auf den Iltisberg. Abends ist die Beschießung von Land aus so stark, dass die Leute von der oberen Batterie bei uns in den Kasematten, wo die Küche ist, kein Essen holen können, da der Abhang und der Batteriehof dauernd unter Feuer liegen. Wir stellen im Laufen und Springen mittels eines Stahltaues und einer alten Rikscha eine Art Drahtseilbahn her, auf der das Essen für die Leute der oberen Batterie von unserer Kasemattentür aus über den Batteriehof gezogen wird. Aber bald ist auch diese Verbindung wieder zerstört. Nun hoffen wir wieder auf eine Feuerpause bei dem Feinde.

In der Nacht werden zwei unserer Geschütze auf Befehl gesprengt, da der Rest unserer Munition leicht von den vier übrigen Kanonen verfeuert werden kann. Zwei Geschützbedienungen werden frei. Wir zwölf Mann von den gesprengten Kanonen und zwei Maate erhalten den Befehl, uns mit Infanterieausrüstung zu versehen und zum Abmarsch nach der Infanterielinie bereitzuhalten. Wir sollen Abschied nehmen vom Iltisberg, sind der neugebildeten sogenannten Marinekompanie zugeteilt, die aus Leuten der bereits versenkten Kanonenboote, aus Matrosenartilleristen und Marineinfanteristen vom Detachement [OMD] Tientsin besteht. Selbstverständlich werden wir in die vorderste Kampflinie kommen, denn eine zweite Infanteriestellung gibt es nicht. Obwohl uns der Abschied vom Iltisberg zunächst etwas wehmütig stimmt, geht man doch ungerne von alten Kameraden und Vorgesetzten weg, so überkommt mich doch eine Art Freiheitsgefühl über der Aussicht, nun dem Feinde mit der Knarre in der Hand direkt gegenübertreten zu dürfen. Am Geschütz arbeitet man, ohne vom Feinde was zu sehen, mit dem Infanteriegewehr wehrt man sich sozusagen direkt, und ist man mehr auf die eigene Geschicklichkeit angewiesen. So ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf, und ich habe das Gefühl, auf eine gefährliche Jagd zu gehen.

Gegen 9 Uhr abends standen wir als Infanteristen, mit Gewehr, Patronen und knappem Proviant versehen, im fahlen Lichte des Kasemattenganges zum Abmarsch vom Iltisberge bereit. Die Kameraden hatten eben wieder einige Schüsse hinausgejagt und sich um uns versammelt, um uns gute Wünsche mitzugeben. Unser Batterieführer Falkenhagen schien sehr besorgt um unser Wohl. Mir schien es, als ständen Tränen in seinen Augen, als er uns kurz noch sagte: »... und nun haltet euch gut, macht der M.A. (Matrosenartillerie) Ehre, tut eure Pflicht wie am Iltisberg, es ist ja bald Schluss, denkt an uns und haltet euch tapfer, dann, auf Wiedersehen...« Er drückte jedem von uns noch die Hand. Er war immer ein schneidiger und gerechter Offizier, »ein kalter Brocken«, wie Gleixner sagte, und wir merkten nun zum ersten Male ein Zittern in seiner Stimme, eine geradezu rührende Besorgnis, die uns den gestrengen, sonst kurzangebundenen und gewandten Offizier auch als guten Menschen zeigte. – Draußen platzen unaufhörlich die feindlichen Geschosse über dem Berge. Unter drei »Hurra« unserer zurückbleibenden Kameraden marschierten wir zum Kasemattentore hinaus. Die Nacht war mondhell, und wir gingen ausgeschwärmt, in Hohlwegen und Mulden möglichste Deckung suchend, aus dem Werk, über den Krähenpass auf schmalen Wegen an den uns etwas deckenden Hängen der Punkt-, Krähen- und Taubenkuppe entlang der Stadt zu. Am hellen Nachthimmel sprang da und dort krachend ein gelbes Feuerwölkchen auf und streute rotglühenden Sprühregen, der langsam verglimmend niederging. Die 28-cm-Haubitzen, am plumpen Kegel des Bismarckberges wie in einen Kessel eingebaut, feuerten, spuckten riesige rote Stichflammen mit dumpfen Donnerschlägen in die Nacht hinaus. Deutlich hörte man, wie die schweren Haubitzgeschosse über dem nördlichen Gelände aus großer Höhe niedersausten, heulend wie ein ferner Sturm über den feindlichen Stellungen, und wie sie dort brüllend einschlugen.

Wir kamen in die Stadt. Die Straßen waren dunkel, die meisten Fensterläden geschlossen, die Häuser wie ausgestorben, selbst die Wirtschaften. Nur einmal begegneten uns zwei Posten, alte Leute von der Tsingtauer Bürgerwehr, die in der Stadt den Wachdienst versieht. Sie grüßten uns kurz, schienen sehr gedrückt, fragten nicht woher wir kämen, wohin wir wollten, sagten nur: »Bruch, traurig wird's, jetzt ist es bald aus mit unserm Tsingtau.« In der Kaiserstraße in den Geschäftsräumen der Großhandelsfirma Ehlers & Co., wo die Schreibstube der neugebildeten Marinekompanie eingerichtet war, hatten wir uns zu melden und erfuhren dort, dass wir der Besatzung des Schützengrabens 6 c, der am äußersten linken Flügel im Watt der Bucht liegt, zugeteilt seien. »Seht zu, dass ihr auf dem kürzesten Weg und möglichst in Deckung dorthin kommt«, sagte uns die Schreiberseele von einem Unteroffizier. Das war leicht gesagt. Wir kannten die ganze Gegend ja und wussten, dass wir über den großen freien Moltkeplatz mussten, unseren größten Truppenübungsplatz, auf dem es nicht viel Deckung gab. Dennoch begierig, nun auch als »Sandhasen« den Krieg kennenzulernen, tigerten wir los und kamen außerhalb der Stadt zunächst an den in Brand geschossenen Petroleumtanks der »Standard Oil Company« vorbei. Die hohen, verbogenen Eisenwandungen der Tanks, die wie riesige verbeulte Zylinderhüte aussahen, rauchten noch und glühten teilweise, und zwischen klaffenden Rissen züngelten da und dort bläuliche Flammen durch. Einige große feindliche Brummer orgelten gemächlich über uns hinweg und schlugen in der Nähe des Hafens, weit hinter uns, ein. Im Geschwindschritt kamen wir auf den freien, welligen Moltkeplatz, über dem schon lebhafter die feindlichen Schrapnells platzten, sodass wir weitere Abstände von Mann zu Mann nahmen und uns immer wieder in Mulden und Trichter warfen. Der Mond beleuchtete die weite Rasenebene verteufelt hell. Schließlich schlichen wir im Gänsemarsch, in weiten Abständen voneinander, an dem Damme der Schantungbahn entlang, der nahe am Strande der inneren Bucht nach Norden, zu unseren und den feindlichen Stellungen und weiter nach dem Dorfe Syfang und über die Grenze des Kiautschougebietes hinaus führt.

An dem Bahndamm fiel mir auf, dass die Öffnungen der großen Durchlassrohre, die in regelmäßigen Abständen den Damm durchbrechen, dicht mit alten Strohmatten verdeckt waren. Ich hob eine dieser Matten hoch und sah in dem kleinen Tunnel aus Zementrohr, aus dem mir ein Gestank von Tabakrauch, starker menschlicher Ausdünstung und Knoblauch entgegenschlug, sechs bis acht äußerst verwahrloste Chinesen, die mit jämmerlichen, erschreckten Gesichtern sofort zu winseln begannen: »Ooh, Master ... maju bumbumm machen ... plenty bouchaula ... alles chabushala...« und ähnliches chinesisch-deutsch-englisches Kauderwelsch, das ungefähr hieß: »Lieber Herr, nicht schießen! Uns geht es sowieso schon miserabel. Alles wird kaputt gehen...« Ich warf ihnen ein Päckchen Hartbrot hinein und deckte schnell ihren Unterstand wieder zu, dachte nur: Arme Teufel!

Gegen Mitternacht, nachdem wir vom Iltisberg her etwa zwei Stunden gewandert waren, erreichten wir die Gräben der Infanterielinie, gingen durch einen Stollen des Bahndammes und waren in der uns angewiesenen Stellung im Watt. Ein ganz unscheinbares Lager aus niederen, mit Sandsäcken gedeckten Bretterhütten fanden wir da im Sand an der Wasserkante, eine öde Gegend. Ein baumlanger Offizier mit grauem Mantel und verschlagener Mütze, mit rauhem, braunem Gesicht und etwas heiserer Stimme, empfing uns sehr freundlich und ernst. »So, schön, wir können Verstärkung notwendig brauchen. Also passt mal auf...« Er erklärte uns die Stellung näher, bezeichnete uns die Lage und Stärke der rechts anschließenden Stellungen, sagte dann, er hoffe, dass es uns bei ihm gefallen werde, er habe mit cirka 60 Mann, Leuten von seiner Kompanie vom Detachement Tientsin, von den Kanonenbooten und von der Matrosenartillerie, den äußersten linken Flügel zu halten, koste es, was es wolle. Die Stellung sei nicht sehr günstig gelegen, das würden wir bald merken, aber es sei auch ganz interessant hier. Wir lägen nahe am Feinde und müssten verdammt aufpassen, dass dieser uns nicht überrasche. Äußerste Aufmerksamkeit auf Posten und volle Kampfbereitschaft aller Leute sei zunächst die Hauptsache. Er wies uns dann unsere Plätze an der Brustwehr für den Alarmfall an und schickte uns dann in die Unterstände: »Sucht euch selbst Plätze zum Ausruhen, es ist ja etwas eng und niedrig in den Buden, abgeschnallt wird nicht, und behaltet die Gewehre in Händen.« Wir krochen in die Bretterhütten, wo wir im Scheine unserer Taschenlampen feldgraue Seebatailloner und einige Matrosen lang ausgestreckt, Gewehr im Arm, liegen sahen. Einige schnarchten sogar und brummten unwillig, als wir uns in die schmalen Liegeplätze, die noch frei waren, drängten.
 

3. Im Schützengraben

Der Schützengraben 6c zieht sich am Rande eines kümmerlichen, halb versandeten Zwergföhrenwäldchens von dem Bahndamme aus in etwa 80 Meter Länge bis an den sandigen Strand der Bucht hin. Hinter dem Föhrenwäldchen, durch dieses nach der Feindseite hin gegen Sicht gedeckt, liegen die Unterstände, eine Reihe niederer Bretterbuden, die mit einer Lage Sandsäcke gedeckt sind. Wohl auch das kleinste Kaliber der Artillerie kann diese Deckung durchschlagen. Tiefer eingraben kann man sich nicht, da man vom Wasser der Bucht überschwemmt werden würde. Mehr Sandsäcke aufzulegen, ist nicht ratsam, denn die Erhöhungen würden zu deutlich über die Zwergföhren hinausragen und dem Feinde ein gutes Ziel bieten. Von den Unterständen aus kann man nach etwa 30 Schritten, durch das schmale Wäldchen etwas gedeckt, die am vorderen Rande des Gebüsches liegenden Brustwehren erreichen, an denen natürlich dauernd Posten stehen. Unter den Brustwehren sind noch zwei primitive Unterstände. Rechts von unserer Stellung zieht sich der Bahndamm hinüber zu den kaum 300 Meter vor uns liegenden japanischen Stellungen, von denen in dem gelben Sande des Wattes nur einige schwache, lange Sandwellen zu erkennen sind. Links von uns haben wir die weite Kiautschoubucht, deren Wasser etwa 100 Meter hinter uns an den Bahndamm heranreicht. Vor uns im Watt und in dem dahinter liegenden Dorfe Syfang liegen die Japaner »in Massen«, »regimenterweise«, wie unsere Seebatailloner sagen, die schon drei Wochen hier hausen. Abgesehen davon, dass die feindliche Artillerie meist sehr weit über uns hinwegschießt, was für uns zunächst sehr angenehm ist, scheint unsere Stellung eine verflucht ungemütliche Ecke zu sein, aus der noch lebend herauszukommen wir nicht viel Aussicht haben.

Für uns Artilleristen aus den Forts ist das Leben in dem einsamen Graben noch ungewohnt, die Situation neu, fast fremd. Die Leute hier sind ernster, gedrückter, vorsichtiger, als wir es am Iltisberg waren. Besonders still und sorgenvoll scheinen einige ältere Reservisten zu sein, die wohl Frau und Kinder daheim haben. Doch sind auch einige unentwegte Spaßmacher hier. Die Verpflegung ist äußerst einfach und knapp. Einmal jeden Tag kommen Essensträger mit gekochtem »Verhau« von Infanteriewerk 5 zu uns. Da gibt es warmen Kasernenfraß. Im Übrigen nähren wir uns von Hartbrot und – Kaffeebohnen, von denen jeder ein Päckchen aus dem Fort mitbekommen hat. Dicht hinter den Unterständen an einem primitiven, brüchigen Backsteinherd, den hier Chinesen irgendwann errichtet haben mögen, versuchen wir ab und zu Kaffee oder anderes Gebräu, Reissuppe oder »Würfelsuppe« zu kochen. Manchmal gelingt das Werk, aber jedesmal, wenn der Feind etwas Rauch über unseren Unterständen bemerkt, jagt er einige Granaten herüber. Dann ist's mit der Kocherei für eine Zeitlang Essig, und wir knabbern wieder Hartbrot und Kaffeebohnen aus der Tasche. Wenn die Japaner einmal merken, dass unsere Stellung ziemlich dicht besetzt ist, werden sie uns wohl niedertrommeln. Vorläufig scheinen sie nur einige Posten in unserem Gebüsch zu vermuten. Zweimal haben sie uns schon eklig mit Granaten eingedeckt, wobei drei Mann verwundet wurden.

Die Feuerüberfälle kommen häufiger, aber auch regelmäßiger. Nachmittags zwischen 2 und 4 Uhr gewöhnlich nimmt uns eine leichte Batterie, die bei Syfang in einem Wäldchen steht, unter Feuer. Dann liegen wir verbissen und ziemlich stumm in den niederen Bretterbuden, während die Einschläge näher und näher kommen. Die Posten an den Brustwehren lauern gespannt auf Bewegung an den feindlichen Stellungen im Watt, stehen starr, wie eisern, an der Brüstung, die Nasen dicht am Rande, die Gewehre schussbereit aufgelegt, ab und zu von einer Sandwelle überschüttet, die durch Einschläge aufgeworfen ist, von Splittern umsurrt. Es sind Stunden, in denen man kein anderes Gefühl kennt als das der Wut zum Gegenangriff, keinen Gedanken als den, »loszufetzen«, zu schießen, was Zeug hält, Stunden, in denen man den feindlichen Infanterieangriff geradezu ersehnt. Die Lage ist dann so, dass man sich nur hoch sagt: Sicher ist, dass sie kommen werden und dass es kein Zurück für uns gibt – und das beruhigt sogar.

Wir feierten Weihnachten, Heiligen Abend, im Voraus. Die Seebatailloner haben seit Wochen in einem Holzverschlag des Unterstandes ein lebendes Schwein, ein ganz ansehnliches, gut »durchwachsenes« weißes Borstenvieh in Verwahrung für den Fall, dass wir vor Hunger schon müde werden. Seit Tagen war das Essen besonders knapp. Nun schlachten sie das Vieh. Sie hatten es, der Teufel weiß wie, bei ihrem Rückzug aus dem Vorgelände mitgebracht. Noch mehr Raritäten: In der Unteroffiziersbude hatte einer eine Pappschachtel mit Flittergold, Christbaumschmuck und einige Kerzchen aufbewahrt. Es gibt immer seltsame Menschen, die seltsame Sachen anscheinend zwecklos mit sich herumschleppen. Als uns ein Unteroffizier den eigenartigen Schatz aufdeckte, waren wir sofort darüber einig, dass wir noch Weihnacht feiern müssten, denn wir sagten uns, das richtige Christfest würden wir wohl nicht mehr erleben. Also dicht hinter den Bretterbuden eine niedliche Zwergföhre in den Sand gesteckt, Flittergold darüber und die Kerzchen an den Zweigen festgemacht! Geradezu andächtig beteiligte sich jeder an der Ausschmückung des Baumes. Dann setzten wir uns in den Sand und sangen mit gedämpften Stimmen, damit der böse Feind vorne im Watt nichts hören sollte: »Stille Nacht, heilige Nacht«, und unser langer Oberleutnant und der junge Feuerwerker [?] Müller, ehemaliger Einjähriger in unserer Kompanie, lehnten an der Bretterwand des Unterstandes, lächelten nachsichtig wohl über soviel Weichheit ihrer Krieger und summten schließlich selbst mit: »Christ der Retter ist da...« Es war in der Abenddämmerung des 3. November. Der westliche Himmel lag gelbrot über dem Perlgebirge, der Bucht und den blauen Hängen der Forts, auf denen graue Fontänen und Rauchballen von einschlagenden Granaten emporschossen. Ein einsamer, weißgelb schimmernder Stern stand im Westen über den bräunlichen Hängen des Perlgebirges. »Die Venus grüßt uns noch von der Heimat«, sagte Maat Luther. Wir wussten nicht viel zu sagen. Es war, als sträubte sich im Innern eines jeden irgendetwas dagegen, noch weiter sich in Gefühlen der Heimatssehnsucht oder in Gedanken an die Lieben zu verlieren. Mussten wir nicht »kalt« bleiben, wenigstens äußerlich?

Zwei in der Nähe einhauende Granaten bellten es uns in die Ohren. Unser Borstenvieh hatte, als man es aus dem Stall holte, um es mit dem Hammer zu betäuben, natürlich lästerlich geschrien und den Feind geweckt, der uns nun von dem Träumen ablenkte. Wir löschten unsere Weihnachtskerzen, stellten das Bäumchen in eine Ecke des Unterstandes und krochen auf unsere Lager, umgeschnallt, Gewehr im Arm. Noch einige Granateinschläge ließen die Buden erzittern, dann kam der zweite Teil unseres Festabends, das Festessen. Unser Koch hatte die Fleischstücke auf einer Blechplatte am Herde ohne weitere Zutaten, sogar ohne Salz gebraten, so gut es möglich war. Die Bratenstücke waren schön braun, wenn auch noch reichlich behaart, und schmeckten zu dem Hartbrot und infolge unseres Hungers wirklich gut. Jeder bekam eine Riesenportion, und wohl wenige sparten sich etwas davon für den nächsten Tag. Wozu sollte man auch nicht essen, solange es schmeckte! Aber auch der Feind schien von unserem Festschmause etwas gerochen zu haben, denn um Mitternacht sauste und krachte es plötzlich wieder lebhaft um unsere Buden. Da hieß es auch schon »In die Stellungen, marsch, marsch!« Durch alle Unterstände gellte der Ruf. Alles stürzte durch das Wäldchen nach vorne. Wohl über eine Stunde lauerten wir an den Brustwehren, aber der Feind kam noch nicht, die Posten mochten wohl phantasiert haben. Unsere Feststimmung war jedenfalls vollständig verflogen, als wir wieder in die Unterstände gehen konnten. Besonders beruhigt war in der Nacht keiner.

Durch feindliches Feuer sind die Sandsäcke von dem Dache unserer Bude abgehoben und total zerfetzt worden. Unser Oberleutnant – Florian heißt er – sagte: »Zwei Mann müssen leere Sandsäcke von Infanteriewerk 5 holen. Will jemand freiwillig hinüberlaufen? In den Laufgräben ist es ziemlich gefahrlos.« Der Japaner funkte ununterbrochen auf Infanteriewerk 5 und auf die Zwischenstreiche. Gersdorff und ich meldeten uns, liefen durch den Stollen des Bahndammes und durch die Zickzack-Laufgräben, in denen fußhoch Wasser stand, und kamen, ziemlich wenig belästigt vom Feind, im Werk an, wo man uns sehr eilig abfertigte, ein paar Bündel leere Säcke aufpackte mit dem Bemerken: »Kommt ja nicht zu oft! Wir haben mit uns genug zu tun, brauchen unsere Säcke selbst.« Wir liefen dann nicht in den Laufgräben, den verhassten Wasserrinnen, sondern über das freie Feld, um den Weg abzukürzen, in unsere Stellung zurück. Prompt platzten auch schon dicht über uns ein paar Schrapnells, und unser Oberleutnant hauchte uns nicht schlecht an, wie wir so leichtsinnig sein könnten, fünfhundert Meter über das freie Feld zu rennen, uns selbst und die Stellung zu verraten.

Ordonnanzen brachten Nachrichten von der Stadt, von den Infanteriewerken und den anderen Befestigungen. Der große Werftkran ist gesprengt. Das Elektrizitätswerk hat seinen Betrieb wegen feindlicher Treffer eingestellt, Tsingtau ist ohne elektrisches Licht. Das Schwimmdock und sämtliche Handels- und Kriegsschiffe sind im Hafen versenkt.4 Das Haipo-Wasserwerk vor Infanteriewerk 5 wurde von den Japanern gestürmt, wobei 24 Mann vom Seebataillon in Gefangenschaft kamen. Japanische Sturmkolonnen rücken bei Infanteriewerk 3 und 4 gegen das Haupthindernis vor. Sie versuchten schon mehrmals Bretter-Stege über das tiefliegende Hindernis zu werfen und Sprengungen vorzunehmen, wurden aber jedesmal abgeschlagen und hatten schwere Verluste im Maschinengewehrfeuer unserer Seebatailloner. Unsere Kriegsflagge am Signalberg, am höchsten Gipfel vor der Stadt, fiel mit dem von einer Granate zersplitterten Mast, wurde aber sofort an einem der beiden Funkmasten, die der Feind anscheinend schonen will, wieder gehisst. Jeden Quadratmeter der Halbinsel Tsingtau kann der Feind mit seiner Artillerie erreichen. Jede Nacht greift er an, bald an dem, bald an jenem Abschnitt der Hauptverteidigungslinie. Ein allgemeiner Sturmangriff auf der ganzen, nur etwa 6 Kilometer langen Front wird stündlich erwartet.

Der Weg von unseren Unterständen zum Stollen des Bahndammes ist durch von uns eingesetzte Zwergföhren gegen Sicht gedeckt. Gestern nachmittags schoss die feindliche Batterie, die ewig um uns herumtastet, eine breite Bresche in die Zwergföhrenreihe. Neue Föhren mussten dort aufgestellt werden an der Stelle, die übrigens gut vom Feinde eingesehen war. Abends waren mein Freund Gersdorff und ich wieder freiwillig bei der Arbeit, die in der Dunkelheit nicht allzu gefährlich schien. Aber schon als wir den ersten Baum aufrichteten, musste der Feind etwas davon gemerkt haben. Gersdorff hielt den Baum aufrecht, ich stampfte die Erde um den Stamm fest. Der Sandboden ist verflucht locker, und es dauerte eine Ewigkeit, bis der Baum feststand, und da blitzte es drüben im Wäldchen vor Syfang auch schon einige Male auf, und zwei, drei Granaten sausten in der Nähe in den Sand. Wir warfen uns zu Boden. Nach wenigen Minuten kamen wieder ein paar Schüsse. Noch einen Baum stellten wir auf. Der Feind tastete unsicher um uns herum, konnte immerhin zufällig uns eine auf den Kopf setzen. Unsere Arbeit ging verdammt langsam vonstatten. Ich sagte, noch ein Mann müsse her. Gersdorff holte einen Kameraden aus dem Unterstand. Nun ging es schneller. »Wenn es drüben aufblitzt, hinschmeißen«, sagte Gersdorff. Er hielt den Baum, wir stampften zu zweien, was Zeug hielt, und es blitzte drüben immer wieder auf. Dann lagen wir wieder, zack, bäuchlings im Sande, und sechs Beine streckten sich wie Sternzacken in der Runde. Ein Granatsplitter schlug Gersdorff gegen die genagelte Stiefelsohle. Er schlenkerte nur mit dem Bein und grinste, das Gesicht auf den Spaten gedrückt und uns von unten her zuschielend. Seine Achillesferse war nicht im Stiefel. Die Sohle hatte standgehalten. Nach etwa einer Stunde Arbeit war die Lücke ausgefüllt, stand das Gebüsch. Der Feind schien sich vorläufig damit abgefunden zu haben und ließ uns in Ruhe.

Nachmittags auf Posten an der Brustwehr sehe ich durchs Zeissglas, wie vor uns im Watt und am Dorfrande von Syfang sich die Japaner ganz unbekümmert herumtreiben, wie sie schaufeln, Bretter und Sandsäcke schleppen. In ihren gelben Kapuzenmänteln sind sie nur schwach auf der gelben Sandebene erkennbar. Man muss schon scharf hinsehen, aber dann, wenn sich das Auge an das einfarbige und einförmige Bild der Ebene gewöhnt hat, sieht man überraschend viel. Wie die Heinzelmännchen im Märchenbuch sehen die kleinen gelben Kerle aus. Auf einem gelben Schanzhügel steht einer mit verschränkten Armen, spuckt breitbeinig um sich und kommandiert anscheinend dabei seine Trabanten, die zwischen und auf den Sandwellen hin und her huschen und wohl irgendeine Überraschung für uns vorbereiten. lch fühle ordentliche Lust, hinüberzuknallen, aber es ist uns verboten zu schießen, ehe sie von drüben angreifen. Ich melde unserem Oberleutnant Florian, der durch die Stellung kommt, die rege Tätigkeit in den feindlichen Gräben. Er sagt nur »Schon gut, abwarten! Bei Tag werden sie kaum kommen.« Rechts vor uns, jenseits des Bahndammes, ist eine vorgeschobene Stellung von uns, ein gedecktes Blockhaus mit ein paar Maschinengewehren. Florian sagt, die Posten in dem Blockhaus würden auch uns rechtzeitig durch zwei rote Raketen das Signal geben, dass der Feind angreife und dass wir schleunigst die Stellung besetzen sollten. [43]

Vom Posten abgelöst, liege ich etwa eine halbe Stunde stumpfsinnig in der niedrigen Bretterbude, während der Feind wieder anfängt, uns mit seinen ekelhaften Flachbahngeschützen zu bespucken und die Einschläge näher und näher kommen, dass alle Wände wackeln. Die Bude ist so niedrig, dass man darin nur sitzen oder liegen kann. Wir haben wie immer umgeschnallt und Gewehr im Arm. Einige mimen Schlaf. Alle schweigen. Draußen bellt, kracht und heult es ununterbrochen, und ich merke, als es dicht vor dem Budeneingang einhaut, dass ich nervös mit den Zähnen zu mahlen anfange, nicht so »disponibel« oder wurstig sein kann wie sonst. Auch bei anderen erkenne ich so etwas wie Gefechtsfieber. Ich reiße mich zusammen, versuche gleichgültig den schmalen Balken über mir an der Decke zu betrachten, sehe dort zwei abgegriffene Bücher hervorlugen, mit denen sich seit langem wohl keiner mehr abgegeben hat. Ich ziehe sie gleichmütig heraus. Es ist ein »Gebetbuch für Ehemänner« und »Ludwig Thoma: Krawall«. Ich versuche in dem einen und dann in dem anderen zu lesen, kommen mir aber beide etwas einfältig vor, dass ich lachen muss, vor Rührung, glaube ich. Da gab es irgendwo einmal eine friedliche Welt, in der man solche Bücher las, denke ich. Nichts für uns! Ich lege mich wieder auf den Rücken, mime ebenfalls Schlaf. »Prrrang...«, ein Krach, ein Splittern zugleich, eine dichte Staubwolke und Holzfetzen fliegen. Die Bude ist plötzlich taghell, das Dach ist weg, Sand rieselt hinter uns herein. Das Gesicht voll Staub versuche ich aufzuspringen, aber langsam komme ich erst hoch. Mein linkes Handgelenk blutet. Es ist nicht schlimm, merke ich sofort. Der senkrechte Balken am Kopfende meines Lagers ist glatt abgeschlagen, dicht über der Stelle, wo ich mit dem Kopfe gelegen habe. Wäre ich gesessen und nicht gelegen, so wäre mein Kopf wohl flöten gegangen. Wie ich mich erstaunt umsehe, sind alle Kameraden schon aus der Bude bis auf meinen rechten Nebenmann. Die Granate war erst an der zweiten Bretterwand der Bude krepiert und hatte das Dach von innen zerrissen und emporgewirbelt, stelle ich kurz fest.

Der neben mir liegende Seebatailloner hat die Arme über das Gesicht geschlagen, den Bauch nach oben gekrümmt, die Absätze krampfhaft in den Boden gestemmt, liegt regungslos. Ich räume ihm schnell den Sand und die Holzsplitter vom Gesicht und Leib, fasse ihn unter dem Kopf und versuche ihn aufzurichten. Er blutet stark aus Mund und Nase. Wie ich ihn zum Sitzen bringe, schlägt er plötzlich mit den Armen wie verzweifelt um sich und lässt dann ächzend den Kopf zur Seite sinken. Ich rufe »Sanitäter!« und schleppe ihn vorsichtig bis vor den Eingang zum nächsten Unterstand. Da kommen zwei Sanitäter, und wir verbringen den Verwundeten in eine Ecke des Unterstandes, wo er verbunden wird. Er ist bewusstlos, hat anscheinend einen Splitter im Oberkiefer und eine starke Prellung an der rechten Schläfe. Wie ich wieder an die Tür des Unterstandes gehe, haut es wieder in die Bude, die ich mit dem Verwundeten vorher verlassen habe. Der Luftdruck wirft mich zurück, und ich sehe draußen noch Fetzen von Brettern und Sandsäcken auffliegen. Mir fehlt weiter nichts. Die Kameraden haben mich aufgefangen. Dichtgedrängt hocken wir in dem noch gedeckten Unterstand. Wenn's da einschlägt..., denke ich. Alle sind ziemlich bleich und etwas bläulich in den verstaubten Gesichtern, sehen eigentlich komisch aus. Es ist kalt in der Bude, und ich nehme an, dass wir nur von der Kälte so bleich und bläulich sind. Einige machen schon wieder Witze, fangen sogar zu singen an: »In der Heimat, in der Heimat ...« Wieder ein furchtbarer Krach, »Pfrrang...«, ein Splittern, Sandsäcke fliegen vor den Eingang, Sand rieselt. Nur eine Ecke unseres Daches ist weg. Wir sind ganz still geworden. Noch einige Granaten platzen in der Nähe, dann wird es etwas ruhiger draußen. Das Feuer ist zurückverlegt. Am Bahndamm und am Moltkeplatz brüllen jetzt die Einschläge. Wir haben sechs Verwundete, erfahren wir jetzt erst. Sie werden in der Dämmerung nach der Stadt zurückgebracht, während wir beginnen, die beschädigten Unterstände auszubessern, Balken und Sandsäcke auflegen. Eigentlich haben wir wieder großes Glück gehabt, stellen wir fest, als wir wieder stumpfsinnig in Reihen liegen, Gewehr im Arm.
 

4. Die vorletzte Nacht

Am 5. November abends, wie ich von Posten abgelöst etwa eine Stunde in der Bude liege, knallen draußen an der Brustwehr einige Schüsse. Da ruft es auch schon durch die Unterstände: »Alles raus! Stellung besetzen! Sie kommen. Los, los! Marsch, marsch!« Granaten platzen irgendwo in der Nähe. An der Brustwehr tackt schon ein Maschinengewehr. Wir stürmen hinaus. Über unseren Köpfen singen fein die Kugeln, zischen die Granaten. Zweige fallen von den Zwergföhren: »Bitsch ... bitsch«, wie wir durch das Wäldchen rennen. An der Brustwehr stehen wir Mann an Mann. »Auf den Graben vor uns! Feuern was rausgeht! Auf den Grabenrand halten!«, höre ich die Stimme unseres Oberleutnants. Unsere drei Maschinengewehre und 60 Gewehre rattern los. Leuchtkugeln steigen auf. Zwei schmale Lichtkegel von unseren Grabenscheinwerfern leuchten schwach über das Watt. Dort auf der gelblichen Ebene ist es lebendig geworden. Gegen den Bahndamm gehen sie verstreut vor, die kleinen gelben Heinzelmännchen mit ihren Kapuzenmänteln, schwach auf der Ebene erkennbar. Dicht vor uns hauen die Granaten ein, werfen Sand und Staubmassen über uns. Vor uns am Watt huschen die kleinen gelben Gestalten näher. Wir halten drauf, was Zeug hält. Sprengstücke schwirren, Querschläger surren mir an der Nase vorbei, und unsere Maschinengewehre rattern wie toll. Über mir saust es, dass ich den Luftzug durch die Mütze spüre und meine Mützenbänder flattern. »Nur auf den Grabenrand halten!« ruft wieder unser Oberleutnant mit seiner ruhigen Stimme. Eine Explosion links von mir reißt mich zur Seite. Staub, Geschrei: »Sanitäter!« Wütend schieße ich weiter. Ein feindlicher Trupp ist bei dem Bahndamm deutlich sichtbar und verschwindet in unserem Feuer irgendwohin. Neue Schwärme gelber Männlein kommen aus dem Graben, springen vor. Wir halten scharf drauf. Da! Zwei, drei riesige Stichflammen fahren brüllend in Sand- und Staubwolken vor uns in die Nacht empor, turmhoch. Neben mir lacht jemand: »Hahaha, unsere Minen... Wartet Kerls...« Und unsere Maschinengewehre rattern. Mein Gewehrlauf ist heiß. Das Schloss funkelt im Scheine der Raketen, wie ich es immer wieder aufreiße und schließe. »Zack-zack«. Wieder fünf Patronen, scharf und ruhig gezielt, Schuss um Schuss hinaus auf alles, was sich da vorne rührt. Man sieht selten deutlich im wechselnden Aufleuchten und Erlöschen der Raketen und im Dunst der Minenexplosionen. Die still liegenden dunkleren Flecke auf der Sandebene können Felsblöcke oder Japaner sein. Nur einzelne aufspringende Gestalten und eine feine langgezogene Sandwelle, den Rand des feindlichen Grabens, kann man zuweilen deutlich unterscheiden. Jedenfalls sind sie in unserem Feuer noch nicht herangekommen. Auch schlagen ihre Granaten noch dicht bei uns ein. Wenn diese aufhören, werden die Männlein kommen. Sie müssten eigentlich schon da sein, auf die kaum 300 Meter Entfernung. Nur nicht dran denken! Schon zucke ich nicht mehr, wenn mir ein Windstoß einer Detonation ins Gesicht fährt, ein Splitter neben mir in den Sand schlägt, eine Granate dicht vor der Brustwehr einhaut. Das Gefühl des Sich-wehrens ist in allen Gliedern. »Wenn's trifft, trifft's«, lache ich innerlich und denke schon an meinen harten Gewehrkolben, an Japanerköpfe und Rundschlag. Wird wohl Wahnsinn sein, aber gerade recht das. Wir schlagen uns um unser Tsingtau, um unsere Ehre. Wozu haben wir sonst exerziert! Sehr einfach: Das Gefühl sagt es uns, gibt uns unbekannte Kräfte.

Neben mir schießt ein Sergeant vom Seebataillon. Er hat sein Gewehr durch den Schlitz eines kleinen Stahlschildes gesteckt, während ich das meine zwischen zwei dünnen Föhrenstämmen liegen habe. An dem Stahlschild prallen klingend feindliche Kugeln ab. Nicht für jeden von uns ist so ein Schild da. Auch vom feindlichen Graben tacken unentwegt jetzt Maschinengewehre. Wenigstens habe ich sie vorher nicht gehört. Der Sergeant neben mir scheint unheimliche Ruhe zu besitzen. Er spricht im Feuern mich einige Male an, ist schlecht zu verstehen in dem Lärm. »Kamerad, was für ein Landsmann? Bayer? So so? Mag ich gut leiden.« Er reicht mir seine Feldflasche: »Trink mal feste. Man kriegt doch Durst. Bin Berliner ... auch immer Durst...« Er lacht und feuert wieder. Ein Krach dicht neben uns und ein Windstoß zugleich. Es reißt uns zur Seite, und ein Sandschwall überschüttet uns. Ein Schrei gellt auf: »Sanitäter«, ein zweiter: »Hee, hierher!« Wir schütteln den Sand ab und feuern weiter. Der Scheinwerfer links von uns ist erloschen. Plötzlich setzt weit hinter uns rechts, vom Moltkeplatz her, ein helles Donnern ein: »Pammm... pammpammpamm...« Ich blicke mich kurz um. Hinter uns ruft unser Oberleutnant: »Aushalten! Feind kommt nicht vorwärts. Unsere Feldbatterie unterstützt uns.« Wie ich mich noch einmal umsehe, steht hinter mir ein fremder Offizier mit aufgeschlagenem Mantelkragen, die Hände in den Taschen. Scheint ein hoher Herr zu sein, sieht aus wie eine Bismarckstatue, steht unbeweglich aufrecht, duckt und rührt sich nicht, wie es auch heult und kracht um uns. Ist die Ruhe selbst, denke ich, schieße weiter und bilde mir fest ein, Bismarck stünde hinter mir und sähe mir zu. »Major Schomburg«, sagt mein Berliner kurz. Wir feuern unentwegt. Der Major spricht mit dem Oberleutnant, und ich höre etwas von »Hauptmann Stecher von der Feldbatterie ... versprochen, die Japsen aufzuhalten ... hat noch Munition.« Am feindlichen Graben platzen schon die Geschosse unserer Feldgeschütze. Himmelsmusik für uns. Wir fühlen Erleichterung und neuen Mut. Von den erwarteten feindlichen Massen ist nichts zu sehen als einige vor dem gegenüberliegenden Graben huschende Gestalten und auf dem Bahndamm ein sich bewegendes Trüppchen, von dem im Lichte einer Rakete einige Kapuzenmäntel zu erkennen sind, auf die wir feuern, was rausgeht, bis es dort wieder leer scheint. Rechts hinter uns im Graben redet jemand: »Maat Luther ist tot ... auch ein Mann vom Jaguar, Heizer Haase ... acht Mann verwundet ... Volltreffer auf den linken Scheinwerfer...« Ich fühle ein Würgen im Halse, als müsste ich geradezu weinen. Aber es ist nur eine Art Wut. Trotzig reiße ich am Gewehrschloss, während mir durch den Sinn geht: Wenn sie nur kämen! Einmal muss es sein! Maat Luther tot... Er ist mit uns vom Iltisberg gekommen, war ein ruhiger Mann, ein guter Korporal.

Was ist eigentlich da vorne los? Das Feuer flaut ab. Wir lauern misstrauisch. Nur noch einzelne Zischer über uns, vereinzeltes Singen noch von Gewehrkugeln. Es scheint weiter entfernt, schwächer, nur noch wie verärgertes Summen einzelner Wespen. »Feuer einstellen! Alles bleibt in den Stellungen! Kein Schuss wird vorläufig mehr abgegeben. Der Angriff ist abgeschlagen, auch bei Infanteriewerk 5 und bei Blockhaus 9.« Unser Oberleutnant ruft es durch die Reihen. Es dämmert langsam, wahrhaftig, der Morgen graut schon. So schnell ist mir noch keine Nacht vergangen. Weißer Reif liegt am Sande der Brustwehr. Es ist eisig kalt, merken wir erst jetzt. Braungrau, von leichtem Nebel überzogen, liegt die Sandebene, still wie ein Friedhof. Nein, nicht! Man hört da und dort ein schwaches Wimmern: »Uuuohuuuo...« Einige bräunliche Knäuel liegen etwa 200 Meter vor uns am Sande, und weiter vorne im Nebel glaube ich da und dort eine gelbliche Gestalt huschen zu sehen, dem feindlichen Graben zu. Am Bahndamme steht frei ein verlassenes japanisches Maschinengewehr, man erkennt es an dem dünnen Lauf, der zeigt fast senkrecht zum Himmel. Am Hange des Dammes bewegt sich ruckweise nach unten eine Gestalt in gelbem Mantel, halb liegend, stöhnt so laut, dass unser Oberleutnant schließlich sagt: »Man müsste den armen Kerl eigentlich holen...« Aber der verwundete Japaner liegt näher an den japanischen Stellungen als an unseren. Wie er am Fuße des Dammes in eine Mulde gesunken ist, hören wir noch sein Stöhnen. Da schwenken die Leute vom Blockhaus 9 eine Rotkreuzflagge. Sie wollen offensichtlich den Verwundeten holen. Richtig, da kriechen auch schon zwei Feldgraue auf den Bahndamm, aber da fängt auch schon ein Maschinengewehr vom feindlichen Graben zu tacken an, und unsere Sanitäter ziehen sich schleunigst wieder zurück nach dem Blockhaus. Die Japaner wollen also keinen ihrer Kameraden in unsere Hände fallen lassen, wenigstens keinen lebenden. Sie haben einen besonderen Ehrgeiz, der uns zwar etwas übertrieben erscheint, aber doch Achtung gebietet.

Bei Tagesanbruch können wir, bis auf die Posten, in die kleinen, unter den Brustwehren befindlichen Unterstände gehen, finden da heißen Kaffee bereitgestellt und können uns endlich ausruhen. Seltsam, wie jeden nun trotz des wohltuenden heißen Trunkes plötzlich die Müdigkeit überfällt, nachdem die Nervenspannung gewichen ist. Auch ich falle schnell in ein Nickerchen Nach einiger Zeit weckt mich mein Berliner Sergeant und sagt, wir könnten wieder in die bequemeren Unterstände hinter das Wäldchen gehen. »Man kann sich doch besser aalen dort, nich wahr.« Ich gehe noch im Graben die Brustwehr entlang und höre von Posten, dass die Japaner alle ihre Toten und Verwundeten vor ihren Gräben geholt hätten. Ich sehe die gelbe Sandebene leer und leblos in tiefliegendem, bläulichem Nebelschleier liegen. Am Bahndamm steht noch einsam das japanische Maschinengewehr, das mit dem Laufe zum grauen Himmel zeigt. Weit rechts von uns, im Osten, tacken lebhaft Maschinengewehre. Ich gehe durchs Gebüsch und lege mich zu den Kameraden in den Unterstand. Alles ist schon wieder in Spannung. Man liest es in jedem Gesicht: »Bald wird es wieder losgehen...«

Der Hauptstoß der Japaner in der vergangenen Nacht hatte sich gegen das rechts von uns liegende Infanteriewerk 5 und gegen Blockhaus 9 gerichtet, war aber überall abgeschlagen worden. Dass der Feind nicht an unseren Graben herankam, haben wir wohl unseren Minen zu verdanken, die im Watt vor uns rechtzeitig aufflogen und den Feind wohl etwas stutzig machten, der natürlich immer bestrebt ist, uns in überraschendem Sturm, in möglichst kurzer Zeit und unter möglichst wenig Verlusten auf seiner Seite zu erledigen. Selbstverständlich mochte auch unser lebhaftes Abwehrfeuer und die Unterstützung durch unsere Feldbatterie den Feind noch aufgehalten und uns noch einmal gerettet haben. Da der Feind auch gleichzeitig auf das halbrechts vor uns gelegene Blockhaus 9 vorging, hatten wir ihn von unserer Stellung aus schön an seiner Flanke, so dass wir die Besatzung vom Blockhaus etwas entlasten konnten. Allerdings haben wir jetzt, nachdem dieser Sturm glücklich abgewehrt ist, eine neue Sorge. Der Feind drüben in Syfang und im Watt weiß nun bestimmt, dass in unserem Buschwerk nicht nur ein paar Posten stehen, sondern dass eine dichtbesetzte Stellung, die nicht gut gedeckt sein kann, in dem kleinen Wäldchen liegt. »Mensch, jetzt wird's erst dicke Luft«, meinte auch mein Freund Gersdorff. Auch mein Berliner Sergeant ist ziemlich pessimistisch geworden, scheint mir, denn er greift oft nach seiner Feldflasche, in der er immer Kognak hat, ich vermute vom Offiziersunterstand. Er teilt aber seine Trink- und Essensvorräte mit mir, nennt mich Kamerad Bayer, sagt öfter, man müsse sich nur nicht die Stimmung verderben lassen, und wir hätten immer noch ein Heidenglück gehabt. Zwei ältere Reservisten hörte ich in der Ecke des Unterstandes tuscheln und verstand etwas von »hat gar keinen Zweck .... wenn sie kommen, Zeug hinschmeißen ... hab Frau und Kind.« Ich musste unwillkürlich an das »Gebetbuch für Ehemänner« denken. Mochten sie machen, was ihnen beliebte. Viel konnten sie nicht mehr verderben mit ihrer Ängstlichkeit, die in unserer Lage eigentlich verständlich war. Wir Jungen können Gott sei Dank nicht soviel sinnieren oder wollen es nicht.

Der Vormittag verging in unserer Stellung, ohne dass uns der Feind belästigte, worüber wir uns wunderten. Erst gegen Mittag setzte bei uns das Gewitter der feindlichen Artillerie von Syfang her wieder ein. Aber es war nicht schlimmer als sonst. Eine unserer Bretterbuden ging zwar in Trümmer, und zwei Mann wurden verwundet, im Übrigen aber schlugen die meisten Geschosse, über uns hinweggehend, in den leeren Sand und ins Wasser der Bucht, das hinter uns bis an den Bahndamm heranreicht. Die Kanonade dauerte kaum eine Stunde. Nachmittags kauerten wir fröstelnd hinter unseren Buden im Sand und sahen zurück nach der Stadt. Über der grauen Felskuppe des Signalberges wehte unsere Kriegsflagge. Ein bleigrauer Himmel lag über der Stadt, der fahlen Bucht und den grünlichen Hügeln der Forts, auf deren Gipfeln ständig Staubwolken von einschlagenden Schiffsgranaten aufwirbelten. Weit im Osten, auf unserem Iltisberge, war zeitweilig der ganze Bergkegel von auffliegenden Erdfontänen und grauschwarzen Wolken umhüllt. Doch kaum hatte sich der Dunst wieder verzogen, da blitzte es auf dem Gipfel auch schon wieder auf, feuerte Iltisberg wieder einige Schüsse. Auch am plumpen Kegel des Bismarckberges donnerten, allerdings gemächlich in langen Abständen, noch die schweren Haubitzen, schleppend, wie müde werdend. Aber sie lebten noch in den Forts, die Kameraden können uns im Graben noch unterstützen.

Über unsere Sandecke hinweg zischten von Syfang her wieder einzelne Granaten, schlugen hinter dem Bahndamm irgendwo am Moltkeplatz ein. Von dort kroch eine dunkle Gestalt auf den Bahndamm, ein Chinese mit schmutzigblauem, langem Mantel, ohne Kopfbedeckung, mit wirrem Haar, sah uns vor den Buden liegen, blieb erschreckt mitten am Bahndamm stehen, sah sich hilflos nach allen Seiten um und fuchtelte mit den Armen zum Himmel. Gab er uns Zeichen oder dem Feind? War es ein Spion? Stand wie ein Prediger in der Wüste. Wir fluchten und winkten ihm zu, herunterzugehen. Musste der Idiot den Feind noch extra auf uns aufmerksam machen! Wir schrien: »Komm herunter, Kaffer! Come along, bloody fool! Hierher! Zuwa, quai-quai, Hanswurst.« Irgendwas davon würde er schon kapieren! Eine Granate schlug nicht weit von ihm ein. Da sauste er mit ausgebreiteten Armen und fliegenden Haaren auf unsere Stellung zu. Er zitterte am ganzen Leibe und stotterte: »Oh Master, mir helfen! Ich fort will von Tsingtau. Oh bouohaula, bouchaula...« Seine schmutzige Kleidung kam uns verdächtig bauschig vor, und wir untersuchten ihn zunächst, fanden aber nichts Verdächtiges. In seinem Kauderwelsch klärte er uns dann ungefragt darüber auf, warum er drei Hemden, zwei Jacken und zwei Mäntel übereinander angezogen hatte. Er meinte, dass durch soviel Zeug keine Kugel durchginge. Wir hatten einen Riesenspaß mit ihm. Unser Oberleutnant sagte: »Was sollen wir machen mit dem Kerl? Er sucht bei uns Schutz. Na, macht ihm eine gute Ecke zurecht, da soll er sich einstweilen verkriechen. Vielleicht bringt er uns Glück. Schaden kann er uns nicht mehr.« Wir verstauten ihn in eine der am sichersten scheinenden Ecken des Unterstandes, wo er sich, immer noch winselnd, aber auch schon grinsend, in ein Bündel alter Decken verkroch.
 

5. Kapitulation

Die Nacht kam und wir lagen wieder in den Buden bereit. Um Mitternacht löste ich einen Posten an der Brustwehr ab. Im Watt vor uns war es ruhig, nur ab und an sauste eine Granate von Syfang herüber, platzte ein Schrapnell hoch über uns, sang eine verirrte Gewehrkugel über unseren Köpfen. Weit östlich von uns tackten Revolverkanonen und ratterten Maschinengewehre. Dort musste heftiger Kampf im Gange sein. Unser Oberleutnant kam durch den Graben, fragte, wie es gehe und ob es nicht ganz nett sei hier. Er scheint mir immer etwas zynisch sorglos. »Passen Sie nur auf den Graben da vorne auf! Wenn sich da was rührt, sind wir dran. Wenn Sie zwei rote Raketen vom Blockhaus 9 aufsteigen sehen, alarmieren Sie sofort!« Die zwei Raketen kamen nicht. Aber weit rechts, schon hinter uns, anscheinend zu Füßen der Forthügel, tobte unentwegt der Kampf. Da hörte man auch deutlich das Geknatter japanischer Maschinengewehre heraus: »Errrrr.... rrrrrrrrr....«, in dem Knattern immer kurze Pausen, denn sie haben keine langen Patronengurte, sondern kürzere Patronenstreifen als unsere Maschinengewehre, auch nur 6 mm Gewehrkaliber, knattern etwas feiner als die unseren. War es möglich, dass da rechts von uns die Japaner schon durch das Haupthindernis gekommen waren? Ja, sie schienen schon rechts hinter uns zu sein. Um uns blieb alles ruhig. Ich wurde vom Posten abgelöst und kauerte fröstelnd bald wieder zwischen den Kameraden im Unterstand. Ab und zu ging draußen der Oberleutnant vorbei und rief mit seiner ruhigen Stimme in den Eingang: »Bereithalten! Bereithalten!« in der Frühdämmerung stand ich wieder auf Posten. Die Sonne kam blutrot hinter den stahlblauen Felshängen des Lauschan herauf, ungewöhnlich groß und schauerlich schien mir die tiefrote Halbscheibe, die da über den blauen Gebirgskamm hervorlugte. Ich blickte kurz zurück nach den Forts. Da! An den grünlichen Hängen des Moltkeberges und bei dem Krähenpass tummelten sich gelbe kleine Gestalten mit weißen Flaggen, japanischen Flaggen mit roten Scheiben offensichtlich, kamen höher an den Hängen hinauf, und von der Ebene vor den Hügeln hörte man noch lebhaftes Gewehrknattern, verworrenen Kampfeslärm, der sich mehr und mehr nach der Stadt zu zog. Aber unmittelbar hinter uns rührte sich nichts. Drum: Nur nicht lange zurückschauen! Unser Feind ist noch vor uns, ging mir durch den Sinn. Das Watt lag graubraun und still vor uns.

Aber östlich von uns: Der Feind hat in der Nacht die Mitte der Hauptverteidigungslinie angegriffen. Gegen 11 Uhr wurden in Infanteriewerk 4 eingedrungene Japaner durch Handgranaten wieder vertrieben. Nach Mitternacht gelang es den Japanern, zwischen Infanteriewerk 3 und 4 durchzubrechen. Dabei fiel unter anderen unserer Seebatailloner Oberleutnant Charrière. Durch die in unsere Linie geschlagene breite Lücke drangen die Japaner in Massen in Richtung auf die Küstenwerke und die Stadt vor. In kurzer Zeit waren die fünf Infanteriewerke einzeln umringt und die Verbindungen zwischen den Werken abgeschnitten. Das Bombardement von See und Land aus flammte noch einmal zu einem fürchterlichen Konzert auf. Hartnäckig knatterten noch die Maschinengewehre aus unseren von allen Seiten angegriffenen Infanteriewerken. Die feindlichen Massen waren nicht mehr aufzuhalten. In der Morgendämmerung stürmten die Japaner an den Hängen des Iltisberges, der Punktkuppe, des Moltke- und Bismarckberges hoch. Die Iltisbergbatterie feuerte noch mit Kartätschen, als sie bereits von japanischen Maschinengewehren umstellt war und beschossen wurde. Vier Mann vom ersten Geschütz lagen schwer verwundet vor diesem, als die übrigen Leute sich in die Kasematten zurückzogen. Aus allen Luken feuerten die Leute noch mit Gewehren, bis die Japaner an den Betonwänden in toten Winkeln Bohrmaschinen ansetzten und das Werk zu sprengen drohten. Da ergab sich die kaum 50 Mann starke Besatzung.

Inzwischen waren die Infanteriewerke, eines nach dem anderen, überwältigt worden. Die Leute von den Zwischenstreichen zogen sich kämpfend auf die freie Ebene zurück, in Richtung nach der Stadt. Die leichte Batterie auf der Punktkuppe mit 20 Mann Besatzung wurde von einem Regiment Japaner gestürmt, 19 Mann mit ihrem Führer, Oberleutnant Aye, fielen im Bajonettkampf auf der Punktkuppe, nur ein Mann, Obermatrose Stecher, entkam leichtverwundet nach der Stadt. Ein Volltreffer schlug in der Huitschuenhuk-Batterie das Geschütz von Turm 5 und sieben Mann der Bedienung in Klumpen. Bismarckberg verfeuert zuletzt seine Übungsmunition, Stahlvollgeschosse, die nicht krepieren können. Die Hsiauniwa-Batterie hat ihre Munition verschossen und sprengt ihre Kanonen. Die Artilleristen von den gesprengten Geschützen ziehen mit den Infanteriegewehren auf die zerwühlten Schanzen. Der Feind aber nähert sich schon der Stadt, die Sonne steigt blutrot hinter dem Lauschan auf. Die ersten Strahlen der Morgensonne schienen über das Schlachtfeld, über die stille, mattsilbern schimmernde Wasserfläche der Bucht und unser Watt.

Am äußersten linken Flügel unserer Brustwehr stand ich mit Gewehr im Arm nahe am Wasser. Der Posten rechts von mir zeigte auf die Höhen der Forts zurück, die von Japanern wimmelten. »Sie sind durch, müssen bald zu uns kommen, verflucht nochmal«, sagte er. Unser Oberleutnant ging unruhig im Graben auf und ab mit harter, undurchdringlicher Miene. »Möglich, dass sie mit Booten da von links über die kleine Ausbuchtung von Syfang zu uns kommen und uns an der Flanke packen wollen. Dann müssen wir raus aus dem Graben, uns in Schützenlinie in den Sand legen. Gibt nichts anderes!« hörte ich ihn zu dem Feuerwerker sagen. Dieser meinte, sie würden wohl eher von rechts über den Bahndamm kommen. »Dann eben Schützenlinie mit Front zum Bahndamm!« sagte der Oberleutnant. Er gab jedem von uns Posten eine Zigarre und sagte: »Stecken Sie's nur gleich an, bevor es zu spät ist,« Er lächelte geradezu zynisch, als wollte er sagen: »Jetzt wird uns gleich der Teufel holen.« Östlich von uns tobten die Maschinengewehre. Und von unseren Forts rollte noch der Donner. In der Morgenhelle flammte der Kampf noch gewaltig auf. Ein Fort schien noch Salven abzugeben, und weit vom Osten her hörte man verworrenes helles Brausen, wie fernes Sturmgeschrei. Am Bahndamm rechts von uns kam eine Lokomotive mit einem Waggon, aus dem zwei Geschützrohre ragten, vom Hafen her, fuhr fauchend vorwärts und wieder zurück, hin und her, während die beiden Geschütze in rasender Feuergeschwindigkeit nach Syfang hinüber funkten, dass drüben Dächer splitterten und Bäume zusammenknickten. Nur einzelne Granaten kamen von Syfang herüber. Gewehrkugeln summten von irgendwoher wie verirrte Hummeln über uns. Da! »Rrruummrumm« – ein gewaltiges Donnern weit hinter uns, von der Stadt her, auf dem plumpen Kegel des Bismarckberges. Eine riesige schwarze Rauchwolke stieg dort auf zum hellblauen Morgenhimmel. Die 28-cm-Haubitzbatterie am Bismarckberg, die schwerste Tsingtauer Batterie, war in die Luft geflogen.

Plötzlich kamen unsere Leute aus den Unterständen durch das Wäldchen in den Graben: »Schluss! Aus ist's! Die weiße Flagge ist oben am Signalberg. Seht doch zurück, da beim Observatorium!« Wie heller Wahnsinn stand Lachen und Wut auf den Gesichtern der Maschinengewehrschützen, als sie die Gewehre von der Brustwehr rissen. »Runter mit dem Zeug, schlagt es kaputt! Nichts sollen sie kriegen von uns! Schmeißt alles ins Wasser! Los, bevor sie zu uns kommen! Die weiße Flagge ist am Signalberg?« Auf der grauen Felskuppe über der Stadt, neben dem massigen Bau des Observatoriums, wehte eine große weiße Flagge, und um Tsingtau war es seltsam ruhig. Kein Kanonenschuss mehr. Ein fernes Brausen wie tausendstimmiges helles Rufen. Siegesgeschrei der Feinde?

Viele von uns hielten noch unschlüssig ihr Gewehr im Arm. War denn alles zu Ende? Viele schlugen ihre Waffen in Trümmer, Tränen oder halb irrsinniges Gelächter im Gesicht. Kolben splitterten auf Felsblöcken, blitzende Gewehrteile, Seitengewehre und Patronentaschen flogen ins Wasser. War nichts mehr zu retten? Wie erstarrt sah man zu. Noch war kein Japaner bei uns, zu uns in den Graben gekommen. Und nun soll dies das Ende des Kampfes sein. Die Waffen in die Bucht werfen! Die weiße Flagge wehte über Tsingtau. Man konnte weinen oder fluchen, war es nicht vorauszusehen gewesen? Auch ich hielt mein Gewehr unschlüssig fest. War ich nicht noch auf Posten? War das die ganze Heldentat, der kurze Kampf? Stolz war jeder auf diese Waffe gewesen, die »Knarre«, die man jahrelang peinlichst gepflegt, mit der man so vertraut geworden war, am Exerzierplatz, am Schießstande, bei der Parade ...! Verfluchtes Ende, was nützen Gedanken und Erinnerungen? Die Japaner sollen die Waffen nicht bekommen. Aber viele von uns konnten sich noch nicht trennen vom Gewehr. Viele standen noch mit dem Gewehr in Reih und Glied, als unser Oberleutnant »Antreten« befohlen hatte.

Hinter den Unterständen auf dem Sandplatze standen wir. Noch war kein Japaner bei uns. »Setzt die Gewehre – zusammen!« Nur ein paar Gewehrpyramiden gab es. Der Oberleutnant trat näher. Seine Augen schienen verschleiert wie von Schmerz. Zum ersten Male merkten wir ein Zittern in seiner Stimme, als er sprach: »Kameraden! Wir haben unsere Schuldigkeit getan. Ich danke euch für eure gute Haltung. Unser Gouverneur will kein weiteres Blutvergießen. Die weiße Flagge weht über Tsingtau. Wir müssen den Kampf einstellen. Aber in der Heimat kämpfen und siegen unsere Kameraden. Sie werden auch uns die Freiheit erkämpfen und die Entscheidung über Tsingtau bringen. Unser Vaterland und unser oberster Kriegsherr: Hurra ...« Drei Hurra schallten über das Watt in den sonnigen Morgen. Dann stürzten auch wir, die Unschlüssigen, auf unsere Gewehre, schlugen sie in Trümmer und warfen sie mit Patronen und Seitengewehren ins Wasser der Bucht, achteten nicht mehr auf die Zurufe des Oberleutnants, der uns warnte und auf die am Bahndamm heranmarschierenden Kolonnen der Japaner zeigte: »Lasst es bleiben, sie kommen, 's ist doch Wahnsinn.« Ja, das mochte es sein. Ein endlos scheinender Zug Japaner zog am Bahndamm an uns vorüber und achtete kaum auf unser Häuflein Leute, marschierte wie eine müde, abgehetzte Truppe der Stadt zu.

»Macht's euch bequem, sie werden uns schon holen«, sagte unser Oberleutnant. Wir lagen trübsinnig im Sande, wirre Gedanken im Kopfe. Gefangen, gesund und mit heiler Haut. War das das Ende der stolzen Matrosenartillerie und des Seebataillons von Kiautschou? Man konnte es kaum fassen, aber man musste es glauben. Konnte es ein schlimmeres Ende geben? Jemand sagte: »Jedenfalls kommen wir wieder in die Heimat, Kinder, in die Heimat!« Was das schon heißt: besiegt in die Heimat kommen! Jeder lächelte bitter. Und doch stieg wohl in jedem ein neuer Gedanke auf wie eine wunderbare Erkenntnis: Das Leben war uns wiedergegeben, eine Zukunft, ein Wiedersehen mit der Heimat. Die Freiheit würde einmal kommen und dann, wir wollen es, ein neuer, ein hoffnungsvollerer Kampf. Wir werden jetzt unser Schicksal tragen, die Zähne zusammenbeißen. Noch ist nicht aller Tage Abend.

Ein Trupp Japaner hielt am Bahndamme an, machte Front zu uns. Der Offizier hielt seinen Leuten eine kurze, bellende Rede und stieß zuletzt etwas theatralisch mit dem Degen zum Himmel. »Bansai, bansai, bansai!«, krächzten die kleinen gelben Männlein. Schallendes Gelächter von unserer Seite antwortete ihnen. Sie schienen es stolz zu überhören, stellten Posten um uns auf, die uns zunächst stumm und misstrauisch eine gute Weile aus größerer Entfernung beobachteten, dann näher kamen und sich ganz freundlich gebärdeten, uns lächelnd zunickten und so etwas wie wegwerfende Gesten mit den Händen machten, als wollten sie sagen, dass sie froh seien, dass der Kampf zu Ende sei. Sie sahen auch sehr angegriffen aus. In ihrer Freude boten einige uns sogar Zigaretten an, die wir natürlich höflichst ablehnten. Ein japanischer Unteroffizier gab dann barsche Befehle, und die Posten forderten uns durch Gesten und Zurufe auf, ihnen zu folgen. Wir gingen mit, lässig, willenlos, kamen über den Bahndamm auf den welligen Rasen des Moltkeplatzes, wo sich bereits Hunderte unserer Kameraden von den Infanteriewerken ziemlich trübsinnig gelagert hatten. Japanische Offiziere strichen zu Pferd zwischen den Gefangenen herum und sprachen naiv freundliche Worte zu uns: »Sind Sie sehr traurig? Sie haben gut gekämpft! Sie werden gut behandelt werden.« Wir gaben nicht immer höfliche Antworten. Ein Posten trat auf mich zu und deutete mit dem Bajonett auf mein neues Koppel, das ich noch umgeschnallt trug. Ich stellte mich verständnislos und zeigte auf die leere Säbeltasche an meinem Koppel, lachte wohl auch verächtlich. Er setzte mir das Bajonett auf die Brust und ich schlug es mit dem Arm ärgerlich zur Seite. Da holte er wütend zum Stoß aus, zögerte aber noch mit dem Zustoßen. Will er mich nur einschüchtern oder wird er zustoßen? Ich versuchte ihn anzugrinsen, aber doch war mir nicht ganz wohl zumute. Wer kann in den fremden, starren Augen lesen? Mein Kamerad Gersdorff sagte: »Schmeiß doch das Zeug hin, Mensch!«, und ich warf das Koppel dem Posten vor die Füße. Der knurrte ärgerlich und ging weg. Was für arme Hunde wir geworden sind, dachte ich.

Über den weiten Moltkeplatz jagen Sanitätsautos von der Stadt her zu den Infanteriewerken und zur Stadt zurück. Einer unserer höheren Offiziere vom Seebataillon, den ich nicht kannte, erzählte, dass etwa 180 unserer Kameraden gefallen und etwa 400 verwundet in den Lazaretten seien. – Milder Herbstsonnenschein liegt auf dem welligen Moltkeplatz. Wir liegen müde und stumpfsinnig am Rasen und warten auf den Abmarsch. Es soll über die Schantungebene und durch das Gebirge nach irgendeinem Küstenort gehen, wo wir eingeschifft werden sollen für die Reise nach Japan, hören wir. Es gibt kein Zurück nach Tsingtau. Hier ist fremder Boden für uns geworden, den wir doch so gut von Friedenszeit her kannten. Die grauen Fortshügel sind still geworden, und japanische Flaggen wehen über den zerstörten Batterien und Infanteriewerken, über den Höhen von Tsingtau. Weit drüben leuchten die traulichen roten Dächer und die weißen Giebel der Stadt, unerreichbar für uns, die wir hier nun Fremde sind. »Antreten!« Unsere Offiziere geben unter japanischer Aufsicht Kommandos. Wir marschieren in langer Kolonne, von japanischen Posten flankiert, über die braune Ebene, an zerrissenen Gräben vorbei nach Norden, fort von Tsingtau, das uns eine zweite Heimat einmal war.
 

Anmerkungen

1. Die erwähnten Kompanien gehörten zum Ostasiatischen Marine-Detachement (OMD).

2. Der Ort, an dem das Boot aufgegeben wurde, ist nicht so weit von Tsingtau entfernt.

3. Richtig: Linienschiffe (älterer russischer Bauart).

4. Mit Ausnahme von Jaguar, das erst in der letzten Nacht versenkt wurde.
 

©  für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
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