Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Gefangennahme und Abtransport

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"Abschied vom Tsingtau Club am 20. Juni 1915"

Vor einigen Monaten erhielt ich ein ebenso überraschendes wie interessantes Geschenk: Der österreichische Philatelist Herbert Robisch sandte mir die hier abgebildete Original-Postkarte.

Abschied Rückseite

Absender ist Landsturmmann F. M. Eugen Müller aus dem Lager Osaka (interne Gef.-Nr. 663), Adressat Herr Aug. Musper in Firma Gebr. Schaefer, Heidenheim an der Brenz.1 Müller bedankt sich mit der "Empfangsbestätigung" vom 28.01.1916 "für gehabte Mühe, bei erhaltenen Cigarren" und bittet Grüße auszurichten "an alle bekannten Herren Kollegen" sowie "an Ihre w[erte] Familie".

Es ist eine typische Kriegsgefangenen-Postkarte mit dem vorgeschriebenen Hinweis "Service des prisonniers de guerre" am oberen Rand und den üblichen Stempeln: In der Mitte der rote Zensurstempel (Kenetsuzumi), weiter rechts - ebenfalls rot - die persönlichen Stempel (Han) der Zensoren Niwa (undeutlich) und Kakihara, der Postleitstempel für Deutschland (Doitsu) und in der rechten oberen Ecke der rote ovale Lagerstempel. Unter letzterem ist der schwarze Stempel des Postamts Osaka-Horie abgeschlagen, und die "Bearbeitung" endete mit dem schwarzen Stempel des Auslandspostamts Osaka vom "4.2.16" am linken Rand.2

Die Fotografie auf der anderen Seite der Karte zeigt 22 Tsingtauer Männer im besten Alter.

Abschied

Anhand der offenbar eigenhändigen Unterschriften und mit Hilfe unseres Korrespondenten Prof. Matzat konnte die Identität der meisten geklärt werden. Es sind von rechts nach links (siehe die Ziffern – beim Klick auf das Bild erscheint das Original):

  1. K. Zylska (?)
  2. Ernst Siemssen
  3. F. Le Roux (?)
  4. R. Merz
  5. Prof. Dr. Hans Wirtz, Lehrer an der Dt.-Chines. Hochschule
  6. ?
  7. Alfred Siemssen
  8. Eugen Müller (der Absender)
  9. ?
  10. Hermann Solf
  11. Arthur Woserau
  12. Fritz Rittmüller, Direktor der Deutsch-Asiatischen Bank in Tsingtau
  13. Fr. Höhnke, Mitinhaber der Firma Schwartzkopf & Co. in Tsingtau
  14. Gustav Diestel
  15. Hans Christian Augustesen
  16. ?
  17. ?
  18. Dr. med. Adolf Eyl, Privatarzt am Faberkrankenhaus Tsingtau
  19. Hans Evers
  20. Fritz Klöckner
  21. H. Hansen (oder Constantin Hansen, beides Kaufleute in Tsingtau)
  22. Paul Hachmeister

In die Fotografie einkopiert – siehe das Original – ist die Zeile "Abschied vom Tsingtau Club am 20. Juni 1915". Damit wird die Tatsache angesprochen, dass die Sieger nach der Kapitulation nicht sogleich alle wehrfähigen Männer nach Japan brachten, sondern einige Dutzend in Tsingtau wohnen und arbeiten ließen, vor allem Geschäftsleute. Einige davon kamen zu einem späteren Zeitpunkt, im März 1915 oder im September 1915 (wie Evers, Hachmeister, Klöckner, Müller, Woserau) oder erst im Januar 1916, ins Gefangenenlager. Manche konnten auch bleiben; wieder andere (wie die beiden Siemssens und auch Rittmüller) konnten ausreisen oder wurden sonstwo hin verbracht.

Fand demnach am 20. Juni 1915 eine Abschiedsfeier im Tsingtau-Club statt? Irritierend ist hierbei, dass Gustav Diestel auf dem Bild zu sehen ist, von dem festzustehen scheint, dass er bereits im März 1915 ins Lager Osaka kam. Die Gruppenaufnahme könnte also zu einem früheren Termin zustande gekommen sein und wurde, von wem auch immer, nachträglich bearbeitet und als Postkartenmotiv verwendet.

Tsingtau Club Dass die Männergruppe auf der Treppe des Tsingtau-Clubs posierte, ist auch an den beiden Säulen rechts und links erkennbar. Dieser Club war bald nach der Jahrhundertwende von deutschen Großkaufleuten (chinesisch "Tai-Pan") gegründet worden, die dort unter sich bleiben wollten. Zunächst in gemieteten Räumen untergebracht, ließen die Clubmitglieder 1909/10 ein eigenes Gebäude nach den Plänen des bekannten Architekten Rothkegel errichten, und zwar an der Ecke Kaiser-Wilhelm-Ufer und Friedrichstraße; dem Verein selbst wurde 1910 unter Beteiligung des Bundesrats die Rechtsfähigkeit verliehen.3

Das Club-Gebäude besteht noch heute als Sitz der (chinesischen) Gesellschaft für Technik und Wissenschaft.

 
Fußnoten

1 Beim Empfänger könnte es sich um jenen August Musper handeln, der noch 1935 im Heidenheimer Adressbuch als Privatier verzeichnet ist, und bei der Firma um die dort ansässige "Cigarren- und Stumpen-Fabriken Gebrüder Schaefer", die Produkte wie "Herrenkrone" herstellte.
2 Alle Angaben zu den Stempeln bei Seitz, S. 265 ff.
3 Eine entsprechende Akte befindet sich im Bestand 111-1 Nr. 8801 des Hamburger Staatsarchivs. Den elitären Charakter des Clubs betont auch Steinmetz, S. 15; für die Mitglieder wurden auch Weine importiert:
Weinkarte Tsingtau Club
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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