Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Osaka

StartseiteGefangenschaft in JapanLagerOsaka → Bericht Welles


Das Lager Osaka am 11. März 1916

Aus dem Bericht von Sumner Welles

Auf diplomatischen Druck erlaubte die japanische Regierung 1916 einem Vertreter der US-amerikanischen Botschaft in Tokyo, die Gefangenenlager zu inspizieren. Aus dem Bericht des Botschaftssekretärs Sumner Welles wird hier der das Lager Osaka betreffende Teil wiedergegeben.
Quelle: Bundesarchiv/Militärarchiv; die Übersetzung wurde 1916 vom Auswärtigen Amt besorgt. Unterstreichungen wurden weggelassen, Fußnoten (in rot) vom Redakteur hinzugesetzt.
 

Ich besuchte das Gefangenenlager in Osaka am 11. März [1916] um 8 ½ Uhr morgens und wurde am Eingang von dem Kommandanten, dem Vertreter des Garnisonskommandanten und dem Stab des ersteren erwartet.

Das Lager hat eine niedrige Lage an der Grenze der Stadt inmitten des Fabrikviertels. Die Gebäude, in denen die Gefangenen wohnen, sind Holzschuppen, die von der Stadtverwaltung vor einiger Zeit errichtet worden sind, um durch Feuersbrunst obdachlos Gewordenen als Unterkunft zu dienen. Das ganze Lager, dessen Anlage aus dem beiliegenden Plan gut ersichtlich ist, ist von einem 10 Fuß hohen Holzzaun umgeben, der es den Gefangenen unmöglich macht hinauszusehen.

Insgesamt befinden sich 509 Gefangene in Osaka, von denen 33 Offiziere sind. Ein Gefangener, der nach seiner Gefangennahme von der Deutschen Regierung zum Zahlmeister befördert worden ist, wird von der Lagerverwaltung zwar als Offizier behandelt, jedoch ist seine Löhnung nur um 10 Sen höher als diejenige der Gemeinen.1 Die Häuser, in denen Gemeine, Unteroffiziere und Offiziere untergebracht sind, sind alle gleich. Jedes Gebäude ist in 10 Räume geteilt, und der einzige Unterschied ist, daß in jedem dieser Räume entweder ein Offizier oder zwei Unteroffiziere höheren Grades oder 3 Unteroffiziere oder 4 Gemeine wohnen. Die Zimmer sind sehr klein und sehr niedrig und haben anstatt der Türen und Fenster die gewöhnlichen japanischen "shoji" oder papierbezogenen Schiebetüren. Den Offiziersräumen gegenüber liegt ein kleiner Platz, der sich in einer Breite von etwa 15 Fuß an dem Gebäude entlangzieht und mit Blumen bepflanzt ist und auf dem die Offiziere getrennt von den übrigen Mannschaften spazierengehen können. Im übrigen haben die Offiziere wenige Vorrechte. Sie baden in den allgemeinen Bädern nur vor den anderen Gefangenen; sie haben keine Gelegenheit zu Spielen im Freien, selbst wenn sie die Kosten der Errichtung von Tennis- oder Fußballplätzen selbst tragen wollen. Erlaubnis zum Verlassen des Lagerplatzes wird ihnen nur erteilt, um sich zusammen mit den Gemeinen auf ein in der Nähe gelegenes Feld zu begeben. Sie haben ihre Burschen und können sich bestimmte Dinge aus der Stadt bestellen und ihre Nahrungsmittel selbst kaufen; im übrigen sind ihre Lebensbedingungen genau die gleichen wie diejenigen der Mannschaften.

Die Unterkunftsräume für die Gemeinen sind überfüllt. Die Leute haben Betten, Matratzen und je 6 Decken und erhalten während der Wintermonate auch Kohlen geliefert. Vor dem Dezember und nach dem Februar müssen sie sich nach ihrer Angabe ihre Kohlen aus eigenen Mitteln kaufen. Die Küchenräume und das gelieferte Essen sind ausgezeichnet. Zur Bewegung steht den Gefangenen ein verhältnismäßig kleiner Platz zur Verfügung, der kürzlich zum Lager hinzugefügt worden ist und den Mannschaften für ihre Spiele Raum genug bietet. Für diejenigen, die nicht spielen oder spielen können, ist ein Weg von einigen 100 Ellen zum Spazierengehen vorhanden. Der für Bewegung im Freien verfügbare Platz ist für 509 Menschen ungenügend, und tatsächlich gab auch der Kommandant die vollkommene Unzulänglichkeit dieser Einrichtung zu.

Der Gesundheitszustand im Lager ist gut gewesen, die vorgekommenen Erkrankungen waren größtenteils auf die Folgen der im Krieg erlittenen Verwundungen zurückzuführen. 12 Gefangene, die ohne Aussicht auf Besserung zu Krüppeln geworden sind, werden genau wie die anderen Gefangenen behandelt; sie baten mich, bei der Botschaft dahin vorstellig zu werden, daß sie aus der Gefangenschaft entlassen werden sollten, da sie für immer diensttauglich geworden seien.2 Der größte Teil der Gefangenen sah wohl aus und war gut gekleidet. Die Regierung hat einige Reservisten, von denen ungefähr 300 hier sind, mit weiteren Kleidungsstücken versehen.

Ich unterhielt mich eine Zeitlang mit dem Korvettenkapitän Hass, der unter den hier untergebrachten Offizieren der älteste ist. Er schrieb mir ein Verzeichnis der Beschwerden auf, das ich mit mir nahm. Besonders beklagte er sich über die Einschränkungen, die nach der Flucht einiger Kameraden allen Gefangenen auferlegt wurden, obgleich sie dabei keinerlei Vorschub geleistet hatten. Diese Einschränkungen waren sehr schwer und für einige Zeit in Kraft. Ich sprach ferner mit einem Offizier, der mir einen an mich gerichteten Brief eines Kameraden vorlas, der sich geweigert hatte, den japanischen Behörden sein Wort zu geben, daß er keinen Fluchtversuch aus dem Gefängnis machen wolle, und dem der Kommandant aus diesem Grunde verboten hatte, Briefe abzusenden oder zu empfangen. In seinem Briefe bat mich dieser Offizier, dessen Name Esterer lautet, die Botschaft möge sich mit seiner Frau in Verbindung setzen, die jetzt krank sei und mit ihren sechs Kindern in Shanghai, Leganning Road Nr. 42, wohne, und sie über den Grund seines Schweigens aufzuklären. Dem Kommandanten war es sehr unerwünscht, daß ich diesen Brief an mich nahm, da, wie er sagte, das Postverbot Machtmittel sei, daß er über den Offizier besitze. Angesichts dieses Umstandes nahm ich den Brief nicht mir mir, der nur die von mir vorstehend erwähnten Tatsachen enthielt.

Die nächste Unterredung hatte ich mit dem ältesten Unteroffizier3, von dem ich erfuhr, daß die Leute bei der geringsten Veranlassung von den japanischen Offizieren und Wachmannschaften geschlagen worden seien und noch gegenwärtig geschlagen würden. Der Kommandant sagte mir jedoch, daß es sich bei solchen Fällen nur um Aufmunterungen der Leute handele. Der Gefangene führte weiter aus, daß das Überprüfen der Briefe einen Monat oder länger in Anspruch nehme und daß die Gefangenen Pakete mit Lebensmitteln, die ihnen von ihren Verwandten gesandt würden, nicht ausgehändigt erhalten könnten, ohne daß der Inhalt von den Dolmetschern beiseite geschafft worden sei. Der Unteroffizier sowohl als auch Korvettenkapitän Hass waren augenscheinlich besorgt, ihre Beschwerden möchten Bestrafungen für sie nach sich ziehen. Ich ließ mir daher vom Lagerkommandanten die Versicherung geben, daß dies nicht der Fall sein würde.

Von mehreren Gefangenen erhielt ich schriftliche Beschwerden, in denen sie erklärten, daß sie nicht als Kriegsgefangene behandelt werden dürften.

Der Gefangene Walther, einer der Reservisten, beklagte sich darüber, daß er trotz seiner 16 Jahre als Kriegsgefangener behandelt würde. Im Gefangenenlager in Oita hatte ich schon den Vater dieses Gefangenen gesehen, der mir dasselbe erklärt hatte.

Ein Gefangener hielt mich an und teilte mir mit, er verlange seine Freilassung, weil er nicht Deutscher, sondern Russe sei4; er habe sich schon früher wegen seiner Gefangennahme beschwert, jedoch ohne Erfolg. Ich bedeutete ihm, daß in Osaka ein Russisches Konsulat und in Tokio die Russische Botschaft sei und daß er seine Beschwerde an eine dieser Stellen richten solle, nicht aber an mich, da die Amerikanische Botschaft nur die Interessen der deutschen und österreichischen Gefangenen wahrnehme. Wenn die Lagerverwaltung seine Beschwerde nicht an die russischen Bevöllmächtigten weitergeben wolle, könne die Amerikanische Botschaft nichts tun. Nach Angabe des Lagerkommandanten ist dieser Fall bereits geprüft und als sehr zweifelhaft liegend befunden worden.

Weiter sprach ich den Gefangenen Liessfeldt, der an einer schweren Ohrerkrankung leidet, wie der Botschaft bereits mitgeteilt worden war. Der Gefangene erzählte mir, daß sich sein Gehör ein wenig gebessert, der Lagerarzt selbst aber ihn darauf aufmerksam gemacht habe, daß eine dauernde Wiederherstellung nur möglich sei, wenn er zu einem Facharzt, möglichst zu Dr. Horiuji in Osaka, kommen könne. Er bat deshalb noch einmal darum, daß sich die Botschaft bemühen möchte, ihm die Erlaubnis zum Besuch dieses Facharztes unter militärischer Bewachung zu erwirken. Der Gefangene ist ein gebildeter Mann und er war ausgesucht höflich in seinem Benehmen; wie ich vom Kommandanten hörte, hat er sich niemals das Geringste zu Schulden kommen lassen. Ich neige deshalb der Annahme zu, daß die Botschaft über den wahren Grund der Zurückweisung des früheren Gesuches des Gefangenen falsch unterrichtet worden ist.

Der große Übelstand im Lager von Osaka ist das Fehlen geeigneten Raumes zu körperlicher Bewegung. Auch die Klagen über die schlechte Behandlung der Gemeinen durch die Wachmannschaften scheinen mir einer tatsächlichen Begründung nicht zu entbehren. Die ganze Stimmung im Lager ist düster und gedrückt. Was in einigen anderen Lagern fehlt, wird den Gefangenen jedoch hier geboten, nämlich Gelegenheit zu Beschäftigung irgendwelcher Art. Es finden auch häufig Theateraufführungen statt.

Um 1 ½ Uhr mittags verließ ich das Lager zu Osaka.

Die von mir angeführten schriftlichen Beschwerden erlaube ich mir beizufügen.


Osaka, den 10. März 1916

1. Post. Die eingehende und ausgehende Post bleibt oft zwei Wochen liegen, ehe sie abgesandt oder ausgehändigt wird. Dies liegt daran, daß nur ein Dolmetscher vorhanden ist. Als Strafe für Fluchtversuche ist zweimal das Verbot, Post zu empfangen oder abzusenden, erlassen worden (für mindestens zwei bis drei Wochen Dauer). Wir haben dieses Verbot sehr ungerecht gefunden, da alle vollkommen unschuldig waren. Dies bezieht sich nicht auf die Offiziere, die nicht alle in derselben Weise bestraft wurden.
Mittels des Postverbotes sollten die Leute schließlich dazu gezwungen werden, ihr Wort darauf zu geben, keinerlei Fluchtversuch zu machen.

2. Es ist von den Offizieren und Mannschaften als sehr hart empfunden worden, daß das Licht um 10 Uhr ausgelöscht werden muß und sie stundenlang im Dunkeln wachliegen müssen.

3. Für den Aufenthalt im Freien steht nur ein Platz außerhalb des Gefängnisses zur Verfügung. Die Offiziere halten es für unmöglich, daß man in der durchaus ungesunden Luft an diesem ganz üblen Ort Erholung finden kann. Wie Verbrecher, nicht wie Kriegsgefangene wird man zu diesem Platz geführt. Es muß zugegeben werden, daß die Gelegenheit zum Aufenthalt im Freien vor einem Jahr unendlich besser war. Dem Wunsch, den hohen Zaun etwas niedriger zu machen, wie er in den meisten anderen Lagern ist, damit man etwas mehr als Himmel und Bretter sehen könne, ist nicht entsprochen worden.

4. Die Mannschaften sind mit Schlägen bestraft worden, eine Behandlung, die deutschen Soldaten wider die Natur geht; bei den japanischen Soldaten hat vielleicht keine böse Absicht vorgelegen.

5. In diesem Lager sind die Verhältnisse schlimmer als in allen anderen, wie Sie wohl bemerkt haben werden. Die Offiziere in russischen Lagern haben eine viel bessere Behandlung, wie der jetzt hier untergebrachte Hauptmann von Morawek bezeugen kann.

6. Ende Januar wurde hier im Lager für das Liebeswerk des Roten Kreuzes in den sibirischen Gefangenenlagern der Betrag von 2000 Yen gesammelt. Trotz aller Bitten ist die Erlaubnis zur Überweisung dieses Betrages für den genannten Zweck durch die Bank in Kobe nicht erteilt worden.

7. Ist es nicht möglich, daß die gänzlich Verkrüppelten (Leute, denen ein Auge oder ein Bein fehlt, wie Leutnant Rollhausen oder Hauptmann Tschentscher), die nie wieder kämpfen können, entlassen werden?

8. Ich möchte noch einen Gefangenen namens Scheel erwähnen, der an schweren epileptischen Anfällen leidet und niemals gegen die Japaner gekämpft hat.
Ich möchte auch darum bitten, daß die Gefangenen im Hospital besucht werden.

9. Zum Schluß muß ich zugeben, daß wir essen, trinken und schlafen können; körperlich geht es den meisten von uns ordentlich, aber unsere Nerven haben gelitten und unsere Stimmung ist verloren (die meisten von uns haben seit mehr als einem Jahr nichts von draußen gesehen, nicht ein bißchen Grünes).

Die japanischen Offiziere, die sich täglich im Lager aufhalten, tun ihr bestes, um uns unser Leben zu erleichtern. Ich möchte ausdrücklich bemerken, daß diese Niederschrift im Interesse aller Gefangenen erfolgt ist, damit nicht etwa der Eindruck erweckt werde, als ob ich allein ungünstig über die Verhältnisse in diesem Lager urteile.

Hass, Korvettenkapitän


Osaka, den 10. März 1916

Ich gestatte mir ergebendst, auf meine wiederholten Eingaben hinzuweisen, nach denen ich zu Unrecht kriegsgefangen gehalten werde, sowie auf die Erklärung des Schiffsarztes Dr. Weischer, wonach ich auf Grund der Reservistenuntersuchung vom August 1914 wegen verschiedener körperlicher Mängel vom Militärdienst gänzlich befreit bin. Nach dem Völkerrecht ist die Internierung der für den Militärdienst Untauglichen verboten. Der solcher Übertretung des Völkerrechts schuldige Staat ist zu einer Entschädigung verpflichtet.

Sehr ergebenst   gezeichnet: Emil Hoeft


Tokio, den 30. März 1916

Osaka

Mit Beziehung auf meinen Bericht über die Verhältnisse im Gefangenenlager zu Osaka gestatte ich mir, den folgenden Artikel aus dem "Japan Advertiser" vom 29. März 1916 beizufügen, in dem berichtet wird, daß bei einer Feuersbrunst, die am 28. März 1916 im Lager ausbrach und deren Entstehungsursache unbekannt ist, 12 Lagerbaracken zerstört und 6 Gefangene leicht verletzt wurden.

"The Japan Advertiser", Tokio. Mittwoch, den 29. März 1916.
6 Deutsche bei einer Feuersbrunst in Osaka verletzt.
Die Baracken, in denen 485 Gefangene untergebracht sind, in Flammen.

6 deutsche Kriegsgefangene erlitten leichte Verletzungen bei einer Feuersbrunst, die gestern früh um 9 Uhr in den Baracken in Osaka ausbrach, wo 485 Kriegsgefangene untergebracht sind.
13 Gebäude wurden vollkommen zerstört, ehe man des Feuers etwa um 10 Uhr Herr werden konnte. 100 Soldaten vom 37. Regiment der vierten Division eilten zur Hilfeleistung herbei und übernahmen die Gefangenen, die bald in einem angrenzenden Platz untergebracht waren. 100 Polizeibeamte bewachten gemeinsam mit den Soldaten die Gefangenen, da man fürchtete, daß in der Verwirrung Fluchtversuche gemacht werden könnten. Auch die übrigen städtischen Polizisten waren bei der Bewachung der Gefangenen beteiligt.
Über die Ursache der Entstehung des Feuers, die noch unbekannt ist, wurde eine Untersuchung eingeleitet.
 

Anmerkungen

1.  Es handelt sich um Nürnberger, dessen Ernennung zum Zahlmeister deutscherseits auf den 30.10.1914 datiert wurde.

2.  Eine vollständige Liste der 12 Gefangenen ist bisher nicht bekannt.

3.  Vermutlich ist Feldwebel Strassburg gemeint.

4.  Es könnte sich um Ivanoff handeln, der anderen Angaben zufolge aber erst ab April im Lager war.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
Zuletzt geändert am .