Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt
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»Theater ohne Frau«
Auszüge aus dem Buch von Hermann Pörzgen (1933)
Vorbemerkungen des Redakteurs
Das Lagertheater gehörte im Ersten Weltkrieg zu den »Attraktionen« fast jedes größeren Gefangenenlagers – unabhängig von dem Land, wo sich das Lager befand. Mit diesem Phänomen beschäftigte sich Anfang der 1930er Jahre der Theaterwissenschaftler Hermann Pörzgen (1905-1976). In seinem Buch »Theater ohne Frau« gab er eine Zusammenfassung dessen, was seinerzeit über das Theaterleben deutscher Gefangener bekannt war. Viele Informationen bezogen sich auf sibirische, englische und französische Lager, aber er wertete auch Berichte über Lager in USA, Australien und Japan aus.
Was Japan betrifft, so lieferte er relativ viele Informationen vor allem über die Lager Bando und Kurume, die auch bei den zahlreichen Abbildungen des Buches gut vertreten waren, aber auch über kleinere Lager (siehe Ziffer 3). Die Zusammenfassung zu den japanischen Lagern (siehe Ziffer 2) ist sicher nicht vollständig, auch weil zu jener Zeit (1933) das Interesse an einer Aufarbeitung dieser historischen Episode nicht sehr groß war; grobe Fehler sind jedoch nicht zu verzeichnen. Letzteres gilt auch für die allgemeinen Ausführungen über das »Gefangenschaftserlebnis« (Ziffer 1), die in vielem dem entsprechen, was Eggebrecht vier Jahre früher (1929) publizierte.
Wie der Buchtitel sagt: Das Besondere am Theater in Gefangenenlagern ist das Fehlen von Frauen bzw. von weiblichen Darstellern. Der Autor notierte hierzu interessante Beobachtungen und Einschätzungen, die in einen weiteren Beitrag im Rahmen dieses Projekts einfließen sollen.
Der Redakteur hat Schreibfehler korrigiert, Abkürzungen aufgelöst, Zwischenüberschriften eingefügt und Ergänzungen in [...] oder als Fußnote hinzugesetzt.
INHALT:
1. »Das Gefangenschaftserlebnis als erste Voraussetzung des Lagertheaters« (S. 3-7)
Das seelische Befinden der Gefangenen, das ja im Theater den stärksten Ausdruck gefunden hat, hing in weitem Maße ab von den unterschiedlichen Lebensbedingungen in den einzelnen Staaten und Gefangenenlagern, gewiß. Aber darüber hinaus läßt sich doch das Gemeinsame festhalten, dass die Mentalität aller Lager beeindruckte und die gleichen Gemütsveränderungen bei Millionen von verschieden gestellten, verschieden behandelten und verschieden gearteten Menschen hervorrief.
Das erste und fürchterlichste, das alle in Lagern gehaltenen Kriegsgefangenen unterschiedslos erlebten, war die völlige Ohnmacht, war die Machtlosigkeit auf allen Lebensgebieten – sie waren restlos der Willkür eines höchst zufällig zusammengewürfelten Wachpersonals ausgeliefert.
Zu dieser Freiheitsberaubung kam für alle Gefangenen etwas, was den Gemütszustand eines jeden Menschen verheeren muß: Ungewißheit über die Dauer der Einschließung, Ungewißheit über die ganze politische Lage, über Sieg und Niederlage, über die Angehörigen und die eigene Zukunft. Man mußte warten! warten!
Schließlich noch: Man war nie allein. Die Zwangsgemeinschaft der Kriegsgefangenen, das nivellierende Massendasein, das enge Zusammenleben durch Jahre hindurch bewirkte ganz grundlegende psychische Wandlungen.
Alle Lebensäußerungen der Gefangenen standen ja einer breiten Mitwelt zur Schau. Er gab seine Briefe offen ab, seine Bedürfnisse konnte er nur in Gesellschaft verrichten, keine Intimität, keine innere Bewegung blieb vor den anderen verborgen. »Jeder kannte die Geschichte des Nächsten, alle seine Erlebnisse. Man wich sich aus, um der Qual zu entgehen, sattsam Bekanntes abermals hören zu müssen. Stundenlang starrte man die kahlgetünchten Wände an.«1
Diese Menschen, die kein Privatleben führen konnten, gingen sich bald auf bie Nerven. »Welcher Mensch kann sich in der Hütte umschauen und den Mann heraussuchen, mit dem er sich nicht einmal verkracht hätte?«2
Für die veränderte seelische Haltung, die diese Faktoren im Gefangenenlager hervorriefen, hat der Gefangene selbst den Begriff »Lagerfimmel« geprägt. Die Psychologie spricht von »Stacheldrahtkrankheit«.3 Merkmale dieser Krankheit sind die Unverträglichkeit, Reizbarkeit, Verfolgungswahn, Melancholie, Widerspruchsgeist, Querulantentum. Man ist mißtrauisch. Standesdünkel, Chargendünkel macht sich geltend.
Es ist beachtenswert, daß diese Krankheit in keinem Zusammenhang steht mit der mehr oder weniger strengen Behandlung. Schlechte Behandlung erzeugt sie nicht und gute Behandlung hält sie nicht fern. Vielmehr hängt sie mit der sozusagen individuellen Vorbereitung auf das Lagerleben zusammen. Berufssoldaten litten viel weniger unter diesen Erscheinungen als Reservisten, diese immerhin nicht so sehr wie gerade Zivilinternierte, unter denen besonders häufig selbständige, unabhängige Charaktere sich befanden, Auslandsdeutsche, die aus der Heimat ausgewandert waren, um draußen in der Fremde ihre Persönlichkeit frei und ungehemmt zu entwickeln.
Selbstmordversuche, verzweifelte Fluchtunternehmen und Wahnsinnausbrüche waren die Folgen der Stacheldrahtkrankheit. »In jeder Hütte zu dreißig Mann befinden sich durchschnittlich drei, die von den andern als ernsthaft gestört angesehen werden.4
Das Namengedächtnis schwand. Die geistigen Kräfte der Gefangenen nahmen zusehends ab. Die ersten Irrsinnsfälle stellten sich ein. Gegen das drohende Gespenst geistiger Umnachtung gab es nur ein Mittel: Zerstreuung!«5
Zerstreuung – das trifft den Kern der Sache.
Ganz zwangsläufig entstand aus der seelischen Situation das Theater. Das Theater, das Amüsement und geistige Beschäftigung miteinander verband, das den geistig Schlichten so viel bieten konnte wie dem Intellektuellen, das seinem Wesen nach ja berufen ist, die Illusionsfähigkeit aller im Leben empfindlich Beeinträchtigten zu nähren. Nirgendwo in der Welt ist Theater mit solcher Notwendigkeit und Dringlichkeit ins Dasein getreten wie im Gefangenenlager. Man kann sagen, es mußte so unmittelbar aus den Verhältnissen aufwachsen, daß nur ausdrückliche Widerstände es hindern konnten. Nur solche Lager haben kein Gefangenentheater gehabt, in denen durch rigorose Maßnahmen das Theater im Keime erstickt worden ist.
Das Theater der Kriegsgefangenen steht in der Reihe der Gegenmaßnahmen, die, aus den Kreisen der Gefangenen selbst, gegen den Lagerfimmel, gegen die Stacheldrahtkrankheit unternommen wurden. Es ist nicht zu trennen von der Bemühung einsichtiger Männer, in den Lagern ein Bildungsleben zu schaffen; neben Vorträgen, Sprachkursen, Männerchören und Orchestern steht es als wichtiger Faktor der seelischen Therapie. Vielleicht als wichtigster, denn wenn Wissenschaft oder Musik immer nur für einen Teil der Lagerinsassen von Wert und Interesse sein konnten, so zog das Theater doch alle gleichmäßig in seinen Bann.
Im Theater wurde das fruchtbar, was wir zuvor als entscheidend für die entsetzliche Lage der Gefangenen ansprechen mußten. Die enge Lebensgemeinschaft, die Abgeschlossenheit von der Außenwelt, und noch ein Drittes: die Sexualnot – das kam dem Theater zugute. Es läßt sich kein besseres Publikum für das Theater denken als dieses durch gleiches Leid zusammengeschweißte, sehnsüchtige, weibhungrige.
Für das Lagerleben aber bedeutet das Theater den Weg zu frohen Gemeinschaftserlebnissen, es bedeutet einen Ausgangspunkt neuer Interessen, Gesprächsstoff, Erinnerungen. Das Theater hat das erzwungene, persönlichkeitsmordende Massendasein benutzt und in seiner Wirkung gewandelt. Es gab dem Geltungsdrang Raum, es lenkte die Empfindungen auf einen neuen Gegenstand und nahm die Aufmerksamkeit der gereizten und einander überdrüssigen Kameraden für ganz neue, fremde Personen in Anspruch, für dramatische nämlich, für eine ganz neue, fremde dramatische Welt.
Diese einfachste Wirkung des Theaters, daß es uns teilnehmen läßt am Leben solcher Menschen, die sich vorteilhaft von unserer gewohnten Umgebung unterscheiden, mußte die Gefangenen am tiefsten erschüttern. Während jeder einzelne mehr oder minder der Stacheldrahtkrankheit zu erliegen schien, stellten sich plötzlich durch das Theater Personen vor (»dramatische«, wie wir sagten), die davon ganz unberührt, die heiter, verliebt, heroisch oder verführerisch waren. Menschen, die in sauberer Wäsche lebten, die in wohlausgestatteten Wohnungen Besuche empfingen, die nicht zu wissen schienen, was ein Lagerfeldwebel war. Mit ihnen vergaßen sie ihre Umgebung, vergaßen erlittene Unbill und lebten für Stunden wieder in der Welt ihrer Illusionen, in der Heimat, im Frieden, im Kreise derer, die ihnen lieb und teuer gewesen sind.
Noch einer anderen Erscheinung müssen wir hier gedenken, einer Erscheinung, die gleichfalls eine Vorausetzung ist all dessen, was für Gefangenentheater im allgemeinen gilt.
Das Gefangenentheater waren die Gefangenen selbst. Auch diejenigen, die Theater spielten, hatten ihr gut gerüttelt Maß an der Stacheldrahtkrankheit teil. Auch sie haben erst aus Streit und Kleinlichkeit, aus Neid und Mißtrauen sich emporringen müssen. Auch sie sind nicht frei gewesen von Launen und Unverträglichkeit, von allen Merkmalen des Lagerfimmels. Im Gegenteil, fast will es scheinen, als ob, was nur natürlich wäre, gerade an den Theatern besonders sensible, reizbare und nervöse Menschen gewirkt haben. Die Geschichte eines jeden Gefangenentheaters ist eine Geschichte erbitterter Kulissenkämpfe. Um so bewunderungswürdiger bleibt, daß sich die menschliche Seele dennoch aufschwingen konnte zu solcher Höhe der Kunst, wie das Gefangenentheater sie oft erreicht hat, die menschliche Seele, die in den Niederungen des Gefangenenlebens allzu verwuchert schien.
2. »Gefangenenleben in Japan« (S. 51-56)
Zehn Ensembles haben für Japans Gefangene Theater gespielt.6 Für Gefangene, die im Fernen Osten bei der Übergabe deutscher Auslandskriegsschiffe (zum Beispiel Kanonenboot Jaguar) und vor allem beim Fall von Tsingtau im November 1914 gemacht worden sind.7 Darunter befanden sich keine bühnenerfahrene Männer. Die Deutschen Ostasiens waren in überwiegender Anzahl Kaufleute und Militärs, die den verschiedensten Schichten des Volkes entstammten.
Sie stießen in japanischer Gefangenschaft nicht nur auf die extremen Sitten und Bräuche des fremden Volkes, sondern, in Bezug auf ihre geistigen Bedürfnisse, auf einfache Verständnislosigkeit. Diese Verständnislosigkeit erklärt auch, daß das japanische Kriegsministerium ein halbes Jahr lang trotz wohlwollend humaner Haltung sich keine Erlaubnis zum Theaterspiel abringen ließ. (1915.) Wie fremdartig das Theaterspiel der Gefangenen den Japanern erschien, zeigt eine Begebenheit, die sich in Oita während der ersten Probe der »Räuber« zutrug. Die japanischen Wachtposten hielten sie für eine Rauferei. Sie verhafteten schleunigst die Mitwirkenden, beschlagnahmten alle »Waffen« – bis unter stürmischer Heiterkeit die Aufklärung durch den Lagerdolmetscher erfolgte.
Bei den Aufführungen erheischten die japanischen Sitten strenge Berücksichtigung. Man durfte zum Beispiel nicht klatschen. In Oita soll es außerdem verboten gewesen sein, aus den Fenstern des ersten Stockwerks der im Hofe stattfindenden Theatervorstellung zuzusehen, denn niemals dürfen in Japan Niedrigstehende auf Höherstehende herabblicken.8
Der erste Winter, den die gefangenen Deutschen in Japan verbrachten, war eine harte Zeit. Die Unterbringung war provisorisch. Man lebte in dünnen japanischen Papierhäusern, in ehemaligen schnell geräumten öffentlichen Gebäuden, die in keiner Weise den europäischen Bedürfnissen angepaßt waren. Ausdrücklich muß anerkannt werden, daß die Japaner den Gefangenen keine Lebensweise zumuteten, die einem Japaner unerträglich erschienen wäre. Aber das japanische Volk ist ein anspruchsloses, abgehärtetes Volk, das zum Beispiel auch im Winter keinerlei Heizung kennt. Es dauerte einige Zeit, bis den Gefangenen das, was die Japaner selbst nicht benötigten, zugestanden wurde.
Erst 1915 begann die Zusammenlegung der Gefangenen in größere, gutangelegte Konzentrationslager, die den europäischen Wünschen Rechnung trugen. So wurden die drei Lager Korodai, Kumamoto und Fukuoka in Kurume vereinigt (zirka 1140 Mann!).9 Tokushima, Marugame und Matsuyama wurden 1917 in Bando zusammengelegt auf der Insel Shikoku (zirka 1000 Mann). Oita wurde mit Narashino vereinigt.
In die neuen Unterkünfte gelangten durch diese Maßnahme ganze Gruppen, die im früheren Lager bereits Bühnenerfahrung gesammelt hatten und daher gleich mit ihren Leistungen vor die Kameraden aus andern Lagern hintreten konnten. Die größere Anzahl der nunmehr vereinigten Gefangenen erwies sich als – für das Theater – förderlich.
In Bando wetteiferten alsbald die einzelnen aus den alten Lagern hervorgegangenen Bühnengruppen. Der »Theaterverein Tokushima«, der in zweijähriger Arbeit ein gutes Repertoire gepflegt hatte, trat mit einer glänzenden Aufführung von »G'wissenswurm« hervor. In Matsuyama und Marugame hatten bis 1917 nur heimliche Aufführungen stattfinden können. Die aus diesen Lagern hervorgegangenen Spieler räumten daher den routinierteren aus Tokushima zunächst den Vorrang ein. Aber trotz des lokalen Verbots hatten die Theater in Matsuyama eine ganze Reihe von hübschen Aufführungen aufzuweisen gehabt. (...) Besonders die im Kreistagshaus (Kokaido) untergebrachten »unausgebildeten« Kriegsfreiwilligen, die zur Mehrzahl aus Intellektuellen und Kaufleuten bestanden, hatten wirkliche Leistungen, wie »Minna von Barnhelm« u.a., gezeigt. Diese Reservisten stellten im Lauf der Entwicklung unter der überwiegenden Masse aktiven Militärs die regsamsten Kräfte.
Die Bedingungen, unter denen Japans Gefangene lebten, waren denkbar günstig im Vergleich mit denen der europäischen Lager. Aber wie hier schon betont worden ist: Die »Behandlung« ist nur ein geringer Faktor im Hinblick auf die Summe der Leiden, die Unfreiheit, Einschließung und Massendasein hervorbrachten. Gute Behandlung verhinderte nicht die Stacheldrahtkrankheit.
Die Gefangenen Japans haben nur selten Gelegenheit zur körperlicher Arbeit gehabt. Eigentlich nur im Frühjahr. Ein Glück für sie war, daß die Mannschaft mit Offizieren im gleichen Lager beisammen wohnte. Diese nahmen gemeinsam mit den Intellektuellen den Kampf gegen die Stacheldrahtkrankheit auf.
»Sport«, schrieb eine japanische Zeitung damals, »ist das halbe Leben des Gefangenen.« Man trieb ganz bewußt eine seeliche Therapie. Und in der Reihe der Abwehrmaßnahmen gegen den Lagerfimmel fand das Theater auch hier seinen Platz.
Die Wirtschaftsverhältnisse der Gefangenen waren recht kompliziert. Da die Mannschaften nur selten Arbeit zugewiesen erhielten, gab es nur einen geringen Geldumlauf. In Oita und Matsuyama waren Eintriftspreise daher unmöglich. In Tokushima (wo fast nur aktives Militär sich befand) bestritt man die Unkosten aus dem Programmverkauf, in Bando betrug der Eintrittspreis 10 bis 20 Sen (bei »Luxusvorstellungen« mit hingestellten Stühlen 50 Sen). Hier waren drei Vorstellungen mit je 350 Besuchern vorgesehen. Es ist interessant, daß in Bando die sich anfangs in starker Konkurrenz gegenüber stehenden Theatergruppen eine gemeinsame Kasse führten. Jede Spielgruppe legte bem Theaterausschuß einen genau detaillierten Kostenanschlag vor und erhielt von ihm die erforderliche Summe zur Abrechnung. Die so geschaffenen Dekorationen wurden von der jeweiligen Gruppe eifersüchtig bewacht und erst nach langer Zeit dem gemeinsamen Gebrauch aller Gruppen zugeführt.
In Kurume entschied man sich, nachdem man zuerst durch Tellersammlung Unkostendeckung gesucht hatte, für die jeweilige Errechnung des Eintrittspreises aus den Inszenierungskosten. Er betrug durchschnittlich 15 Sen bei 420 Besuchern, erreichte allerdings auch gelegentlich höhere Summen. Die ersten vier Reihen (1. Platz) mußten den Löwenanteil der Kosten erbringen. Wahrscheinlich waren sie für die reichen Ostasienkaufleute und für Offiziere gedacht. »Raub der Sabinerinnen« kostet hier 50 Sen (gegen 20 Sen für die hinteren Plätze). Später wird dies Prinzip ausgebaut. »Altheidelberg«: 1. Platz 1 Yen; 2. Platz 20 Sen. Schließlich werden nur noch die reservierten Plätze bezahlt.
Zusammenfassend: Die Mittel zum Theater wurden in den japanischen Lagern überwiegend durch die wenigen Begüterten und Offiziere aufgebracht. Auch Geldeingänge des Lagers wurden dafür verwandt (zum Beispiel in Bando). Spielhonorare, Überschüsse usw. wurden nicht angestrebt. (Nur in Kurume trägt das Theater seit Pfingsten 1918 zur Menageaufbesserung bei!)
Es sei noch erwähnt, daß in den japanischen Lagern, wohl in Anlehnung an das in Japan gepflegte Kunstgewerbe, die Drucktechnik sich rege entfalten konnte. Das hatte zur Folge, daß uns besonders reiche Zeugnisse vom Bühnenleben der in Japan gefangenen Deutschen erhalten blieben. Zeitschriften mit vielfarbigen Bühnenbildern, Programme, Plakate und dergleichen haben in keinem Lager der ganzen Welt eine so reiche, geschmackvolle Ausstattung erfahren wie gerade in den japanischen. Das Lager Kurume gab sogar vor seiner Auflösung als Erinnerungsstück an das Lagertheater eine Sammelmappe mit sämtlichen Theaterprogrammen heraus. An Stelle der anfänglich nur hektographierten Zettel traten jetzt künstlerische Ausführungen in Steindruck.
Kurz vor der Heimkehr der letzten gefangenen Deutschen aus Japan erfolgte, auf japanische Anregung, ein Gastspiel des Lagertheaters Kurume im japanischen Theater der gleichen Stadt (mit Drehbühne ausgestattet!) vor japanischem Publikum. Man wählte »Toni« von Körner und einen Akt aus »Der gutsitzende Frack«, um dem Publikum einen Einblick in europäisches Gesellschaftsleben zu vermitteln. Außerdem buntes Programm. Der Erfolg war sensationell. 400 Yen Gesamthonorar kamen der Mannschaftsküche zugute. Außerdem wurden alle Insassen des Lagers am folgenden Tage in eine japanische Theatervorstellung geführt.
3. Anhang: Theateraufführungen in japanischen Lagern (in Anlehnung an S. 215-219)
Aonogahara – 1919 bis 1920 | ||||
Leitung | Spielstätten | Repertoire | ||
Klinke | Improvisierte Barackenbühne, festes Freilichttheater | Der zerbrochene Krug B.A. |
Der Nachtwächter | Die Kleinstädter |
Quellenangabe: »Ostasienalmanach, Jg. 1919/20, Shanghai, Nr. 2, S. 21 ff.« |
Bando – 3. Juni 1917 bis April 1919 | ||||
Leitung | Spielstätten | Repertoire | ||
Solger Spielleiter: Barghoorn Brandau Holtkamp |
Freilichtbühne; Theaterbaracke | Ehre Räuber G'wissenswurm Journalisten Minna von Barnhelm Pension Schöller Götz [von Berlichingen] Bunte(r) Abend(e) [B.A.] |
Sherlock Holmes Die Rabensteinerin Peter Squenz Bando im Kinpott*10 Der zerbrochene Krug Wallensteins Lager Das Leben ein Traum |
Der Widerspenstigen Zähmung Altheidelberg Heißes Eisen Die beiden Seehunde Egmont Im Weißen Rößl Stützen der Gesellschaft |
Laetzsch | Marionetten-Theater | Kälberbrüten Kasperl unter den Wilden |
Der fahrende Schüler im Paradies | Laune des Verliebten Faust |
Kurume – 18. August 1915 bis 18. Dezember 1919 | ||||
Leitung | Spielstätten | Repertoire | ||
Hallier | Freilichtbühne, Wohnbaracke, 420 Personen | Spreeathener* Schwiegeronkel Pechmeyer* Das Riesenkind* Oh, diese Weiber* Die Tuscaroras* Das verhängnisvolle Hochzeitsgeschenk Blau Unter vier Augen Im Forsthause Der sechste Sinn An die Luft gesetzt Doktor Kranichs Sprechstunde Raub der Sabinerinnen Hans Huckebein Familie Schimek Herr Senator Altheidelberg Der gutsitzende Frack Flachsmann Unterm Weihnachtsbaum Der zerbrochene Krug |
Herzdame Hochzeitreise Die Lore Braut aus Verlegenheit Erster Klasse Fridolin Das Wunderkind Sein Alibi Im weißen Rößl Als ich wiederkam Lottchens Geburtstag Auf Strafurlaub Minna von Barnhelm Telephongeheimnisse So? Meister Andrea Die deutschen Kleinstädter Im Klubsessel Die Neuvermählten Ich heirate meine Tochter Kollege Crampton |
Charleys Tante Zwei Bedingungen* Biberpelz Schwabenstreich Toni Nachtwächter Steinrich & Sohn* Schwarz–weiß Anatols Hochzeitsmorgen Glaub und Heimat Abschiedssouper Das falsche Gebiß Schwarzkünstler Fuhrmann Henschel Die verlorene Tochter Der Andere Pension Schöller Volksfeind Gastspiel im japanischen Theater B.A. 61 |
Quellenangabe: »Theo Ortlepp, Bühnenrückblick, Chronik in Versen zur 50. Vorstellung, Lagerdruck, Schreibm., Kurume 1919« |
Marugame | ||||
Leitung | Spielstätten | Repertoire | ||
. | . | Kaisersgeburtstagsfeier | B.A. |
Matsuyama – 1915 bis April 1917 | ||||
Leitung | Spielstätten | Repertoire | ||
Barghoorn | Kokaido (Kreistagshaus) | Peter Squenz Die Braut |
Das heiße Eisen Minna von Barnholm |
Kleptomanie |
Lätzsch | Kokaido (Kreistagshaus) | Marionettentheater | ||
Solger | Yamagoe (Tempel) | Der erste August | Wallensteins Lager | B.A. |
Hagemann | Dairinji (Tempel) | Einquartierung | Der fahrende Schüler | B.A. |
Narashino | ||||
Leitung | Spielstätten | Repertoire | ||
Marufke | . | Erster Klasse Gespenster Treffer und Nieten |
Stützen der Gesellschaft Neffe als Onkel Varieté |
Sato Die lustige Witwe* |
Oita – Ende 1915 bis 1917 | ||||
Leitung | Spielstätten | Repertoire | ||
S. | Speisesaal | Räuber B.A. |
Minna von Barnhelm | Die Mitschuldigen |
Tokushima – Frühjahr 1915 bis Frühjahr 1917 | ||||
Leitung | Spielstätten | Repertoire | ||
Brandau Holtkamp |
Wohnsaal | Josef Heyderich Der erste August Weihnachten im Schützengraben Die Dienstboten |
Das Tagebuch Sturmglocken Arbeit Der G'wissenswurm |
Meyers Erbförster Flachsmann Ehre |
Anmerkungen
1. Fußnote 1 im Original: »Dir. Alfred Steinpach, Wien«. – Dieser Autor gehörte vermutlich zu den österreichischen Gefangenen in Sibirien.
2. Fußnote 2 im Original: »Stobsiade 1. Juni 1916«. – Die »Stobsiade« war eine Zeitung des deutschen Kriegsgefangenenlagers Stobs in Schottland.
3. Fußnote 3 im Original: »Vgl. A. L. Vischer, Die Stacheldrahtkrankheit, Zürich 1918.«
4. Fußnote 4 im Original: »Vischer, S. 28, a.a.O.«
5. Fußnote 5 im Original: »Steinpach« (siehe Fn. 1).
6. Hier irrt der Autor: Auch in Ninoshima und Nagoya gab es Theater-Ensembles, über deren Aktivitäten ihm aber offenbar keine Informationen vorlagen. Wir werden diese bei Gelegenheit ergänzen. In Osaka hat es nur eine Aufführung gegeben, in Fukuoka, Himeji, Kumanoto, Shizuoka und Tokyo-Asakusa vermutlich keine.
7. Der Grund für die Hervorhebung von Jaguar ist unbekannt.
8. Diese Begebenheit wird von Neumaier berichtet, dessen Aufzeichungen dem Autor offenbar bekannt waren.
9. Mit »Fukuoka« ist die Verlegung von 133 Mann von dort am 11.07.1915 gemeint.
10. Der Stern (*) bedeutet (S. 136): »Nachweislich von Lagerinsassen für das Lagertheater verfasst. Auf die Mitteilung einzelner Verfasser-Namen wurde mit Rücksicht auf den überwiegend anonymen Charakter dieser ungedruckten Literatur verzichtet.«
© für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
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