Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Tsingtau–Japan–Wladiwostok–Triest 1914–1920

Von Ivo Maria Baierle, Fregattenleutnant a. D., Görkau
 

Der Verfasser war einer der jüngsten Offiziere auf dem k.u.k. Kreuzer Kaiserin Elisabeth und erhielt im August 1914 das Kommando über seine an Land mitkämpfenden Landsleute. Er hat einige Aufzeichnungen hinterlassen und zu einer nicht genau bekannten Zeit einen maschinengeschriebenen Bericht erstellt.
Dass dieser sehr lebendig geschriebene Beitrag hier erscheint, ist sozusagen Ergebnis einer Drei-Generationen-Recherche von Tochter, Enkel und Urenkel; ihnen sei herzlich für die Überlassung der Unterlagen gedankt.

Der Redakteur hat Schreibfehler im Original korrigiert, Abkürzungen aufgelöst und Anmerkungen in [...] oder als Fußnoten hinzugesetzt.
 

Anfang August 1914 wurde die Hälfte der Offiziere von S.M.S. Kaiserin Elisabeth nach Hause beordert.1 Ich gehörte leider nicht zu dieser Gruppe und sah mich schon für die Kriegsdauer – vom Krieg mit Japan war noch keine Rede – zur Untätigkeit verdammt.

Gegen Mitte des Monats August erhielten wir ein (gefälschtes2) Telegramm: "Elisabeth abrüsten, Besatzung Tientsin". Der Befehl wurde ausgeführt, und außer dem Kommandanten [Makoviz], dem Gesamt-Detail-Offizier [Pauspertl] und einigen Mannschaften für die Instandhaltung rückte der Rest der Besatzung per Bahn nach Tientsin ab. Wir wurden dort in den Räumen des deutschen Ostasiatischen Marinedetachements, das unterdessen nach Tsingtau verlegt war, untergebracht. Kurz darauf erhielt die Elisabeth ein weiteres (richtiges) Telegramm: "Elisabeth Tsingtau mitkämpfen." Auf Grund dieses Telegramms fuhren wir mit der Bahn – allerdings mit Rücksicht auf die chinesische Neutralität alle in Zivil – nach Tsingtau zurück. Die Japaner hatten in der Zwischenzeit ihre ersten Truppen an der Ostküste Schantungs gelandet und stießen auf Tsingtau vor. Die Frage war nur, ob wir mit der Bahn durchkommen würden, ehe die Japaner die Schantung-Bahn abschneiden konnten. Bis auf geringe Reste gelang es allen, Tsingtau zu erreichen.

Unterdessen war auch von See her die Blockade durchgeführt und die Mausefalle komplett. Im Einvernehmen mit dem deutschen Gouverneur setzte die Elisabeth zwei [Kanonen] 15 cm/L40, sechs [Kanonen] 4,7 cm, zwei 7-cm-Landungsgeschütze, 6 Maschinengewehre, 1 Offizier und 120 Mann zur Verstärkung der Landfront an Land. Das war für Tsingtauer Verhältnisse – circa 2.500 Mann [Friedensstärke] – eine beachtliche Streitmacht. Überraschenderweise erhielt ich das Kommando. Die nächsten Wochen vergingen mit dem Bau der Batterie 15 und dem Bau der Zwischenraumstreifen mit den 4,7 cm. Unterdessen hatten sich die japanischen Landstreitkräfte in Stärke von circa 62.000 Mann der Grenze des Schutzgebietes genähert, schwer behindert durch schlechte Wege und starken Regen. Die 15-cm-Batterie, der ich mich in erster Linie widmete, lag in einer Ravine dicht hinter den Infanterie-Stellungen, um die Reichweite der Geschütze (12 km) möglichst auszunutzen. Die Hauptaufgabe war, die Anfuhrwege – soweit sie nicht von den deutschen Batterien erfasst werden konnten – unter Feuer zu nehmen. Für die Japaner war das eine böse Überraschung, denn die anderen Batterien und ihre Schussfelder waren ihnen ja – dank ihrer Spionage – genau bekannt.

Der Chef des Stabes beim Gouvernement [Saxer] stellte mich bei der ersten Kommandeurbesprechung (lauter Kapitäne, Oberstleutnants etc.) den versammelten Herren vor: "Herr Fregattenleutnant, Oberstkommandierender der österreichisch-ungarischen Landstreitkräfte im Fernen Osten." In dieser illustren Gesellschaft kam ich mir mit meinen 21 Jahren ziemlich dämlich vor.

Beim weiteren Vorrücken der Japaner gerieten sie zuerst in den Feuerbereich der Batterie 15, später setzte die Elisabeth von der Kiautschou-Bucht aus mit flankierendem Feuer ihre verbliebenen 15 cm/L3o ein, was ebenfalls nicht im japanischen Programm stand. Das japanische Hauptquartier wurde nach den alten Informationen im Dorf Litsun aufgebaut, wo sich die Japaner völlig sicher fühlten. Wir warteten, bis alles fertig war und Litsun – die einzige Furt über den Litsun-Fluss lag mitten im Dorf – schön vollgepackt mit Artillerie, Munitionskolonnen etc. ein dankbares Ziel wurde. Der Angriff kam ins Stocken, und das Hauptquartier zog sich vorsichtig aus der Reichweite der Batterie 15 auf den Nordabhang der Hügel zurück. Die Japaner – von Natur aus vorsichtig, keineswegs feige – nahmen sich nun sehr in Acht, was natürlich weitere Verzögerungen ergab.

In Tsingtau wurde viel darüber gewitzelt, dass die Japaner sich strikt an die deutsche Dienstvorschrift (Kampf um Festungen) hielten. Es hieß dann: "Bis jetzt sind sie auf Seite 102, und der Sturmangriff kommt erst auf Seite 640." Dabei hätten sie uns ohne jede Vorbereitung durch ihre Übermacht glatt überrennen können.3 Ich bin der Ansicht, dass sie mit ihrer Gründlichkeit alles genau durchexerzieren wollten, was "der Kampf um Festungen" an Möglichkeiten bot.

Die Feuerüberfälle waren für uns eine Routine-Angelegenheit geworden. Leider mußten wir mit der Munition sehr haushalten, so dass die Batterie 15 nur eingesetzt wurde, wenn sich die Ziele wirklich lohnten. Die Elisabeth kreuzte auf der Bucht, und es war für mich ein eigentümliches Gefühl, hoch zu Roß zu beobachten, wie die Marine-Batterien, die die Japaner gegen sie und Jaguar in Stellung gebracht hatten, ihre Schießübungen veranstalteten. Zum Glück gab es nicht einen einzigen Treffer.

Am 31.10.14 begann die artilleristische Vorbereitung für den Sturm auf Tsingtau. In aller Herrgottsfrühe wurde die Batterie 15 von zwei Steilfeuer-Batterien (21 cm) unter Feuer genommen. Gegen 8 Uhr erhielten wir einen Volltreffer in den Kommandostand, der 9 Tote und 2 Schwerverwundete kostete.4 Wie durch ein Wunder blieben die Geschütze und die Restbestände von Munition intakt, so dass die Batterie unter Klobucar schon am nächsten Tag [wieder] feuerbereit war.

Der zweite Schwerverwundete, Artillerie-Instruktor Weiss, der zuerst zur Besinnung kam, hörte mich in meiner Bewusstlosigkeit in allen gängigen Sprachen der Marine fluchen und zog mich aus dem verschütteten Kommandostand heraus. Die Untersuchung im Lazarett im Hotel "Prinz Heinrich" ergab 12 Verletzungen durch Granatsplitter (abgesehen von zahlreichen kleinen Splittern, die noch heute in meiner Schädelwand stecken und verkapselt sind), aber keine Knochenverletzungen. Der linke Oberschenkelmuskel war durch einen Tangentialsplitter bis auf die Beinhaut (diese unverletzt) völlig zerfetzt, in der Kniekehle durch einen kleineren Splitter sämtliche Sehnen durch[trennt]. Rechts und links von der Halsschlagader je ein kleinerer Splitter, einige cm tief (scheinbar ist die Schlagader ausgewichen), die linke Schläfe ebenfalls durch Tangentialsplitter aufgerissen (Narbe sieht aus wie ein Durchzieher). Dazu kam natürlich der schwere Blutverlust, so dass ich von Gunther Plüschow ("Flieger von Tsingtau"), der mich unterwegs auf dem Transport ins Lazarett sah, als "tot" gemeldet wurde. Das eigentliche Wunder meiner Rettung ist jedenfalls die Tatsache, dass ich die Morphium-Spritze, die mir ein wohlmeinender Unterarzt für den Transport ins Lazarett verabreichte, in meinem damaligen Zustand überlebt habe!

Im deutschen Admiralstabwerk, Band "Kampf in den Kolonien", ist die Geschichte der Elisabeth und ihrer Besatzung in extenso gewürdigt. Leider ist mein Exemplar mit meiner gesamten übrigen Habe bei einem Bombenangriff im November 1943 auf Berlin vernichtet worden.

Professor Schultze-Jena/Schanghai hat mich tadellos zusammengeflickt – wie er behauptete, "schöner als zuvor".

Am 7. November war der Kampf um Tsingtau dann zuende.

Mitte November erschien in meinem Krankenzimmer, das ich mit zwei anderen Schwerverwundeten teilte, ein kleiner japanischer Offizier mit dem Chrysanthemen-Orden zum Halse heraus und verbeugte sich tief vor uns Dreien – es war General Kamio, mein Kollege als Oberstkommandierender der Japaner. Damals gab es noch gute Sitten – auch unter Gegnern!

Mitte Januar 1915 waren auch die Schwerverwundeten soweit transportfähig, dass sie nach Japan gebracht werden konnten. Wir kamen in das Lager Osaka. Dieses Lager umfaßte ausser Militärs und Reservisten auch den Rest der deutschen Zivilbevölkerung von Tsingtau, vom Großkaufmann bis zum Trödler, vom Universitätsprofessor bis zum kleinen Handelsangestellten.5 Dazu natürlich in der Überzahl aktive Offiziere und Mannschaften. Nach kurzer Zeit suchte sich Jeder eine Beschäftigung, und es wurde alles Mögliche in Kursen gelehrt bezw. gelernt. Da ich mich immer schon sehr für Technik interessierte, hatte ich bald meine Privatlehrer in Schiffbau, Maschinenbau, Elektrotechnik usw. Professor Othmer (Geschichte, Germanistik, Sinologie), Geheimrat Rosenberger (Jurist, Philosoph und Musikkenner), alte Ostasienkaufleute, Bankdirektoren, Russlandkenner waren meine Tischgenossen, und ich muß schon sagen, dass ich ihnen allen sehr viel verdanke. Über Langeweile konnte ich mich auch während der Gefangenschaft jedenfalls nie beklagen.

Im Lager gab es auch einige gleichaltrige Einjährig-Freiwillige, darunter Erich Walter Herbell, der mein späterer Schwager wurde. Ich war der einzige österreichische Offizier im Lager, später kam noch Hauptmann Morawek hinzu (Feld-Artillerie). Morawek war September 1914 beim Rückzug in Galizien verwundet in russische Gefangenschaft gekommen und landete schließlich im Frühjahr 1915 im Lager Snaskoje bei Wladiwostok. Dort brach er aus, marschierte zu Fuß bis Peking, reiste von dort als "Hugnin", Schweizer Bürger, via Sibirien, Schweden nach Österreich, wo er im Herbst 1915 ankam. Mit den gleichen Schweizer Papieren wurde er über Holland, USA, Japan nach Peking in Marsch gesetzt mit dem Auftrag, die große Brücke über den Tsungari bei Charbin zu sprengen, über den der gesamte amerikanische Munitionsnachschub nach Russland rollte.6 Anfang 1916 wurde er in Yokohama von der japanischen Abwehr geschnappt, kam als Spion vor ein Kriegsgericht, wurde aber freigesprochen, und als Kriegsgefangener landete er schließlich bei uns. Schwein muß der Mensch haben, dass sie ihn nicht erschossen haben!

Da Morawek einen Auftrag hatte, waren wir uns beide innerhalb 24 Stunden darüber klar, dass wir aus dem japanischen Lager ausbrechen mussten. Zwei Deutsche wollten wir mitnehmen, einer sprach perfekt Japanisch und der andere ebenso vollendet Chinesisch.7 Das Konsulat in Tientsin wurde auf Umwegen verständigt und schickte einen Norweger als Vertrauensmann, um eine Dschunke zu chartern, die uns nach China bringen sollte. Das Lager lag am Fluss, ein Tunnel wurde bis zur Bohlenwand gebaut, Ende August sollte abends ausgebrochen und an Bord der Dschunke gegangen werden. Die Dschunke kam auch verabredungsgemäß mit dem Erkennungszeichen und ankerte querab von Lager. Das war gegen Sonnenuntergang. Um 21 Uhr sollte der Ausbruch erfolgen. Leider scheint der japanische Kapitän der Dschunke kalte Füße bekommen zu haben. Um 20 Uhr lichtete er Anker und verschwand. "Ein großer Aufwand wahrlich war vertan!"8

Anfang 1917 wurde das Lager nach Ninoshima in der Binnensee bei Hiroshima verlegt. Die hohen Berge von Itzukushima – weißt Du noch, wie wir mit der "Elisabeth" vor den roten Tori vor Anker lagen? – konnte man in der Ferne sehen. Es war ein altes Quarantänelager aus dem russisch-japanischen Krieg mit vielen Holzbaracken, jede aus zwei großen Sälen bestehend. Das war eine wesentliche Verschlechterung, denn in Osaka hatte jeder Offizier ein Zimmer für sich. Mit strategischem Blick hatte ich mir eine Ecke erobert und sie einigermaßen gemütlich eingerichtet.

Eines Tages – wir waren beim Essen in der Messe – erschien ein japanischer Fotograf mit seinem Gehilfen und wollte uns für das Kriegsministerium fotografieren. Der Lagerälteste – Korvettenkapitän Hass – stand auf, erklärte "wir lassen uns nicht fotografieren", worauf wir alle den Raum verließen. Die Fotografie unterblieb. Kurze Zeit danach hieß es "alle an ihren Wohnplätzen um 14 Uhr, der Lagerkommandant will das Lager besichtigen". Oberstleutnant Suganuma erschien in Begleitung von drei japanischen Zivilisten: Dolmetscher, Fotograf, Fotografengehilfe. Der Oberstleutnant war unbewaffnet. Er steuerte zielstrebig auf meine Ecke hin und befahl die Aufnahme meiner Ecke. Ich stellte mich hinter den Apparat und weigerte mich, in meinem Korbstuhl Platz zu nehmen, "um das Bild zu beleben". (Bin ich wirklich so fotogen?) Der Oberstleutnant wiederholte durch seinen Dolmetscher seinen Befehl, und als ich mich nochmals weigerte – siehe Arroganz –, griff er mich beim Arm, der Dolmetscher und die beiden anderen Japaner griffen auch zu, und sie versuchten, mich zu dem Sessel zu zerren. Ich reagierte "Type Maulesel". Auf die Art war das schönste Tauziehen im Gange. Auch hier erwiesen sich wieder die Vorzüge der Akademie-Erziehung: ein kurzer schneller Schritt nach vorn, mit beiden Armen die Schädel gegeneinander knallen und ein Stoss vor die Brust. Und dann saßen der Oberstleutnant und die drei japanischen Zivilisten auf ihren Kehrseiten und machten recht verdutzte Gesichter.

Und wieder entsann ich mich der guten Erziehung der Marine-Akademie, machte dem Herrn Oberstleutnant eine korrekte Verbeugung und ging ab. Übrigens wurde niemand mehr fotografiert! Den Ringkampf hatte ich zwar gewonnen, aber das Kriegsgericht – darüber war ich mir klar – würde der Oberstleutnant gewinnen. Vorsichtshalber schickte ich am gleichen Tag eine Beschwerde an die Schweizer Botschaft, die unsere Interessen während des Krieges in Japan vertrat, dass ich von japanischen Zivilisten tätlich angegriffen worden sei und mich deshalb zur Wehr gesetzt habe. Nach 14 Tagen tagte das Kriegsgericht in Hiroshima. Die Japaner haben auch von den Deutschen das Militärstrafrecht abgeschrieben. Die Anklage lautete: "Tätliche Widersetzlichkeit gegen einen Vorgesetzten im Kriege" – Strafantrag: "zehn Jahre Zuchthaus." Ich verteidigte mich, dass ich mich lediglich gegen die tätlichen Angriffe dreier Zivilisten zur Wehr gesetzt habe, um meine Offiziersehre zu verteidigen; dass der Oberstleutnant dabei zu Fall gekommen sei, wäre bedauerlich. Im übrigen: Jeder japanische Offizier in der gleichen Lage hätte genau so gehandelt. Ich bin überzeugt, wenn ich das Gleiche in Frankreich oder Rußland getan hätte, so hätte man sehr kurzen Prozeß gemacht und mich abgeknallt. Nach kurzer Beratung erklärte das Gericht: Die Anklage wegen tätlicher Widersetzlichkeit wird fallen gelassen, dafür Anklage erhoben wegen Nichtbefolgen eines Befehls: drei Monate bis zwei Jahre Zuchthaus. Den Befehl hatte ich tatsächlich nicht befolgt, was ich in meinem Schlußwort auch offen zugab. Allerdings wäre das Fotografieren im Zustand der Unfreiheit ebenfalls ein Angriff auf meine Offiziersehre. Urteil: vier Monate Zuchthaus. Und die habe ich abgesessen!

Im Zuchthaus wurde ich behandelt wie ein rohes Ei (von Jedermann mit "O kaigun chui san" angesprochen), und nach einigen Wochen erschien der Oberstleutnant mit seinem Adjutanten in Paradeuniform vor meinem Käfig und entschuldigte sich in aller Form über den Vorfall. So geschehen 1917 - was waren das doch noch für Zeiten. Nach meiner Rückkehr ins Lager empfing mich der Oberstleutnant wie den verlorenen Sohn. Wenn ich mir die Sache heute überlege, so bewundere ich die charakterliche Größe dieses Mannes.

Nach dem Zusammenbruch 1918 dauerte es noch ein ganzes Jahr, ehe wir – soweit wir in Böhmen geboren waren – freigelassen wurden. Die Japaner brachten uns nach Tsuruga an der Westküste auf einen russischen Dampfer und übergaben uns einem tschechischen Offizier, der uns nach Wladiwostok begleitete.9

Wladiwostok war damals in der Hand der Tschechischen Legion (circa 40.000 Mann). Als wir ankamen, gab es Artilleriefeuer in den Straßen, irgendein roter Putsch gegen die Tschechen war im Gange. Das Angebot, in die Legion einzutreten und den Heimtransport der Legion in die Hand zu nehmen, lehnte ich ab und drang darauf, mit meinen Leuten (insgesamt waren wir 21 Mann, Pauspertl war auch dabei) mit dem nächsten Transport abgefertigt zu werden. Nach einigem Hin und Her schifften wir uns auf die Yonan Maru (12.000 BRT, 9 ½ m Tiefgang) ein.10 Der Kapitän war sehr erfreut, dass ich mich um die Navigation kümmerte, denn die hatte ich ja bei Geyer11 wirklich gut gelernt.

Wir waren Weihnachten 1919 in Singapore, liefen unterwegs noch Djibuti an und passierten Anfang Februar 1920 den Suezkanal. In Port Said erkundigte ich mich auf dem italienischen Konsulat nach den Minenfeldern und Seewegen in der Adria und erhielt die Antwort: "Sie können fahren wie im Frieden." Als wir eines Tages gegen Abend Porer passierten, wunderte ich mich, dass das Leuchtfeuer nicht brannte. Ich setzte Kurs drei Seemeilen Abstand von der istrianischen Küste auf die Tagliamentomündung, und beim Morgengrauen drehten wir auf den Hafen von Triest. Ein Boot der Hafenbehörde kam längsseits und begrüßte den Kapitän mit der Frage nach dem "Piloten". Der Kapitän wies mit der Hand auf mich und erklärte, dass ich von Wladiwostok bis hierher die Navigation geführt hatte. Der Mann fiel aus allen Wolken, denn wir hätten ordnungsgemäß in Lussinpiccolo einen Kriegslotsen für die Fahrt nach Triest an Bord nehmen müssen. Mir wurde nun doch etwas schwach in den Knien, denn die Yonan Maru war mit ihren 9 ½ m Tiefgang und 1.400 Mann an Bord quer über die ganzen Minenfelder gefahren!

Dies war meine letzte nautische Leistung. Einige Tage später war ich in Prag, und von da waren es ja nur noch wenige Kilometer nach Görkau.
 

Anmerkungen

1.  Zum Schicksal der "Sieben" (Ihan, Kainer, Montecuccoli, Nekamm, Pierotic, Reichenberg, Rothenpieler, dazu die beiden Ärzte Arbesser und Moser) siehe Trulei.

2.  Die Überzeugung, das Telegramm sei gefälscht, wurde seinerzeit von vielen Zeitgenossen geteilt; wie zuletzt Donko klargestellt hat, war es aber »echt«.

3.  Diese Einschätzung wurde insbesondere von Vollerthun geteilt und propagiert. – Die erwähnte Schrift war die 95-seitige "Anleitung für den Kampf um Festungen" (K. u. F.) vom 13. August 1910 (D.V.E. Nr. 250).

4.  Siehe die Verlustliste.

5.  Der »Rest« bezieht sich auf den militärpflichtigen Teil der Tsingtauer Bevölkerung; siehe im Übrigen die Liste der bis 1920 am Ort Wohnenden.

6.  Hierzu ist nichts Genaueres bekannt.

7.  Identität unbekannt

8.  Leicht abgewandeltes Zitat aus Goethes Faust.

9.  Die Entlassung erfolgte vorzeitig am 14.11.1919, nachdem Baierle für die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit optiert hatte.

10.  Obwohl die BRT-Angabe abweicht, handelt es sich um die 1919 erbaute Yonan Maru der Nippon Kyodo K.K.K. Sie transportierte, einem Zeitungsbericht zufolge, genau 1.392 Personen. — Zur Legion und ihrer Evakuierung siehe auch diesen Bericht.

11.  Früherer Bordkamerad des Verfassers.
 

©  Familie Buchholz; für diese Fassung auch Hans-Joachim Schmidt.
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