Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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»Erinnerungen an die Belagerung Tsingtaus und an meinen Aufenthalt in der Gefangenschaft in Japan bis zur Heimreise«

von Rudolf Fischer

– Teil 2: Im Lager Kurume 1914 bis 1918 –
 

Das Tagebuch des Feuerwerksoberleutnants Rudolf Fischer berichtet, wie der Titel angibt, über die Zeit vom Kriegsbeginn im August 1914 bis zur Rückkehr in die Heimat im Februar 1920.

Der hier vorgestellte zweite Teil reicht bis vom Abtransport in das japanische Gefangenenlager Kurume bis zur Verlegung ins Lager Bando. Es fällt auf, dass sich die Situation für die gefangenen Offziere bald nach der Verlegung in das neue Barackenlager verschlechterte, was auch bei unserem Autor eine starke Verbitterung zur Folge hatte. Diese schlug sich dann auch auf sein Japanbild nieder, das im Wesentlichen sehr negativ ist (ähnlich wie bei seinen Offizierskameraden Klemann und Pfeiffer).

Ausgangspunkt war ein mehr als hundertseitiges, handschriftliches Tagebuch, das von unbekannter Hand (einem Familienmitglied?) transkribiert wurde. Das Ergebnis, ein 48-seitiges Typoskript, wurde von einem Familienmitlied zur Verfügung gestellt – dafür herzlichen Dank!

Der Redakteur hat die Rechtschreibung maßvoll modernisiert, Abkürzungen aufgelöst und zugunsten der Übersichtlichkeit zusätzliche Überschriften und Absatzmarken eingefügt. Sachbezogene Anmerkungen stehen in [ ] oder in den Fußnoten.
 

Übersicht:

  1. Im Behelfslager Kurume
  2. Im Barackenlager Kurume 1915/16
  3. Im Barackenlager Kurume 1917
  4. Im Barackenlager Kurume 1918; allgemeine Bemerkungen

 

1. Im Behelfslager Kurume

20. November 1914
Am 16.11. traten wir den Marsch nach Schatsykou an, das 20 km von Tsingtau entfernt am Wasser liegt. Die Einschiffung konnte in Tsingtau nicht erfolgen, da die Bucht noch voll Minen liegt. Die Japsen haben beim Suchen bereits zwei Boote, ein Torpedoboot und mehrere Leute verloren. Da gestattet war, etwas Gepäck mitzunehmen, konnte man während des Marsches die komischsten Bilder sehen. Chinesenkarren, Rikschas, Kinderwagen, Kindersportwagen, alles rollte bunt durcheinander. Rad-und Achsenbrüche konnte man infolge der schlechten Feldwege und Überlastung der Fahrzeuge fortwährend beobachten. Der Zug, der aus 600 Kriegsgefangenen bestand, war rund zwei Kilometer lang, es war der reine Leichenzug. Die Japaner führten uns auf Seitenwegen nach Schatsykou, daher der lange Marsch. Nach 6-½-stündigem Marsch langten wir in Schatsykou an. Wer etwas zu essen hatte, konnte essen, wer nichts hatte, durfte hungern. Abends 7 Uhr waren die Gefangenen endlich eingeschifft, ich auf dem Dampfer Kajo Maru.
Da dieses Schiff ein kleiner Passagierdampfer ist, glaubten wir Offiziere, eine Koje zu bekommen, um wieder einmal in einem Bett schlafen zu können. Da hatten wir uns aber sehr geirrt. Nur die ältesten acht erhielten eine Koje, wir jüngeren mussten in einem mit Matten ausgelegten Raume schlafen. Zum Zudecken gab es eine dünne, fadenscheinige Decke, als Kopfkissen diente mir, wie schon in Taitungtscheng, mein Überzieher. Nur gut, dass ich dickes Unterzeug und einige wollene Decken hatte.
Das Essen war fürchterlich. Erstens wenig und zweitens fast japanisch. Viel Zwiebeln und sonstige scharfe Gewürze, aber nicht nach unserem Geschmack. Brot gab es nur einmal, der Tee (pro Mann eine Tasse) war nicht zu genießen, Kaffee gab es nicht. Wir waren halb verhungert, als wir nach 66-stündiger Fahrt am 19.11. in Moji ankamen.
Nach einer Verteilung der Offiziere und deren Burschen auf drei Garnisonen ging es per Bahn 1:30 Uhr sofort weiter. Ich war mit noch 13 Herren für Kurume bestimmt, das wir abends 6:10 Uhr erreichten. Die Eisenbahnfahrt war das Schönste von der ganzen Reise. Landschaftlich ist Japan bekanntlich sehr schön, und so konnten wir in 4 ½ Stunden eine ganze Anzahl schöner Landstriche an uns vorüberziehen sehen.
Bei der Ankunft wurden wir von dem japanischen Oberleutnant Yamamoto, der deutsch spricht, in sehr freundlicher Weise empfangen. Er ordnete sofort die Beförderung unseres Gepäckes an und geleitete uns nach den vor dem Bahnhof bereitstehenden Rikschas – die beste Beförderung überdies, um uns nicht in der Dunkelheit zu verlieren. Ein Polizist per Rad begleitete die Gruppe. Wir 14 Offiziere wurden in einem ehemaligen Hotel (Kokaen), in dem schon 15 Offiziere von uns wohnten, in einem großen Saale untergebracht. Für jeden von uns war ein Bett mit Strohsack und sechs dünnen Decken, einem Tisch und einem Stuhl bereitgestellt. In der ersten Nacht habe ich selten gut geschlafen.
Unter Hotel darf man sich nun nicht das vorstellen, was man bei uns Hotel nennt. Es ist ein leeres japanisches Haus mit Papierfenstern und den üblichen Strohmatten als Fußboden. Die Inneneinrichtung bestand lediglich aus den vorher genannten, extra für uns roh gezimmerten Möbeln. Außen befindet sich an der Süd- und Westseite eine breite Veranda, die, wie mir scheint, ein angenehmer Aufenthaltsort ist.

11. Dezember 1914
Nun sind wir bald einen Monat hier. Wir bekommen das Gehalt der japanischen Offiziere (46 Yen monatlich), das für einen Europäer äußerst gering ist. Davon werden die Verpflegungskosten abgezogen. Wir haben uns jetzt eine eigene Messe eingerichtet, da uns das von den japanischen Küchen zubereitete Essen nicht schmeckt.
Nach ungefähr acht Tagen unserer Ankunft konnten wir schon von morgens sechs Uhr bis abends sechs Uhr allein ausgehen, eine Vergünstigung, die uns äußerst angenehm war. Als Sicherheitsmaßnahmen mussten wir in japanischer und deutscher Sprache eine Erklärung abgeben, dass wir während des Spazierengehens keinen Fluchtversuch unternehmen (siehe Kopien).1 Wir bekommen daraufhin einen Pass ausgehändigt sowie eine Karte mit den Grenzen, innerhalb derer wir uns bewegen konnten.
Diese Freude sollte aber bald ein Ende haben, denn am 7. Dezember kam plötzlich der Befehl, dass das Verlassen des Hauses bis auf weiteres verboten ist. Der Grund soll in der Rückkehr der japanischen Truppen aus Schantung zu suchen sein; hoffentlich ist es kein anderer Grund. Nun ist die Tageseinteilung eine sehr einfache: Nach dem Frühstück, das gegen neun Uhr beendet ist, machen unsere Burschen die Wohnungen rein, und wir ergehen uns während der Zeit auf der um das Haus führenden Veranda. Nachher werden Zeitungen gelesen, die wir jetzt nachgesandt bekommen, nur sind sie immer eines ziemlich alten Datums. Nach dem Mittagessen wird ein Stündchen geschlafen, dann bereitet man sich eine Tasse Kaffee und spielt bis zum Abendbrot Skat. Der Abend ist immer sehr langweilig. Bücher und Zeitschriften sind fast gar nicht vorhanden, und die Beleuchtung, wenn auch elektrisch, ist unzureichend.
Während des Feldzuges gegen Tsingtau haben die Japaner Kriegsnoten als Zahlungsmittel ausgegeben. Anliegende Note (50 sen Schein) gelangte während meines Aufenthaltes in Taitungtscheng in meine Hände.2

26. Dezember 1914
Das liebe Weihnachtsfest ist nun vorüber. Es ist doch das schönste Fest, das wir Deutschen feiern. Ob hoch, ob niedrig, ein jeder, der sich es, wenn irgend möglich, leisten kann, putzt sich sein Bäumchen an und freut sich des weihevollen Tages und des Verlangens, andere beschenken zu können. Wenn die Gefangenschaft uns unsere Wünsche auch sehr reduziert hat, so war doch eine ganz nette Feier zustande gekommen. Durch Strafgelder und freiwillige Sammlungen hatte das Komitee eine nette Summe Geld zusammengekratzt, wofür Geschenke und Christbaumschmuck gekauft wurden. Auch konnte mit einem Teil der Küche unter die Arme gegriffen werden. Die japanische Regierung hatte jedem Herrn eine Umhängetasche als Geschenk gemacht, und die zwei eingeladenen Offiziere waren auch erschienen und haben sich sehr über die Feier gefreut; sie haben sogar das Kaiserhoch mit ausgebracht und bedauert, dass wir nicht bei unseren Lieben sein konnten.

29. Januar 1915
Wieder ist ein Monat vergangen ohne besondere Vorkommnisse. Den Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers haben wir in würdiger Weise gefeiert. Nach etwas besserem Essen wurde von den Offizieren Theater gespielt auf einer selbst angefertigten Bühne. Es wurde sehr nett gespielt, besonders ein von Oberzahlmeister Böhme selbst verfasster Einakter, der im Himmel spielt und dessen Inhalt der Krieg 1914/15 ist, fand sehr viel Beifall.
Unser Major Anders hatte beabsichtigt, den Geburtstag Seiner Majestät mit der Mannschaft in Koradai am 27.1. vormittags zusammen zu feiern, was aber von den Japsen nicht erlaubt wurde. Aus Rache dafür hat Anders die drei japanischen Offiziere, die er zu unserer Feier abends eingeladen hatte, wieder ausgeladen. Yamamoto kam aber trotzdem (vielleicht kommandiert) zum Theater und hat sich auch gut amüsiert. Yamamoto hat scheinbar viel für uns übrig; man merkt es aus allen seinen Reden. Er kommt auch sehr oft zu uns und unterhält sich stundenlang mit uns. Bei der Mannschaft im Tempellager ist er auch sehr beliebt. Er schlägt mit Vorliebe die große Trommel, wenn dort musiziert wird.

30. Januar 1915
Gestern brachte uns Yamamoto plötzlich die Mitteilung, dass uns Offizieren die Teilnahme an der abends stattfindenden Kaisersgeburtstagsfeier des Tempellagers gestattet sei. Es war vielleicht die Entschädigung für die Absage vom 27.1. Wir waren natürlich sehr froh darüber, denn unsere Mannschaften wollten uns doch ihre Künstler vorführen. Auch war es für uns wieder einmal eine Gelegenheit rauszukommen. Der Weg nach dem Tempellager ist immerhin ½ Stunde.

1. März 1915
Da ich jetzt genügend Zeit habe, werde ich versuchen, etwas über die Armierung Tsingtaus und über meine Tätigkeit während der Belagerung der Festung niederzuschreiben und werde, da Major Anders es wünscht, einen Vortrag darüber halten.

[Der Text ist hier wiedergegeben.]

4. April 1915
Gestern abend habe ich einen Vortrag gehalten über das eben unter dem 1.3.15 Niedergeschriebene.

15. April 1915
In unserem Leben ist eine Verbesserung eingetreten. Wir dürfen jetzt täglich von 8 bis 10:30 vormittags in dem von unserem Heim nicht weit entfernten Tempelgarten unter Aufsicht von Posten spazieren gehen. Dieser Tempel liegt ziemlich hoch, sodass wir von da aus eine ganz gute Aussicht haben. Dahin gehen wir, wenn uns die Kämpfe in den Karpathen allzu viel Kummer bereiten.3 Uns werden zurzeit alle deutschen Zeitungen, auch die deutschen China-Zeitungen, vorenthalten, sodass wir nur auf den im englischen Fahrwasser befindlichen »Japan-Chronicle« angewiesen sind.
Zum Zeitvertreib haben wir uns eine Schar Enten angeschafft, die sich auf den Teichen in unserem Garten sehr wohl fühlen. Der Garten weist auch einige Bäume und Sträucher auf, und der Graswuchs ist sehr üppig, sodass wir in dieser Hinsicht nicht klagen können.
Einen Gesangverein haben wir auch gebildet. Wir üben hauptsächlich Volkslieder ein, womit wir uns manch angenehmen Abend bereiten.

2. Mai 1915
Gestern haben wir den 1. Mai gefeiert. Aber nicht etwa den sozialistischen 1. Mai, sondern den 1. Mai als Anfang des Wonnemonats. Es war ein herrlicher Tag, und der Abend wurde noch herrlicher. Kein Lüftchen regte sich, und die südliche Wärme machte sich schon angenehm bemerkbar. Wir hatten uns auf der mondbeschienenen Veranda ohne Aufforderung zu einer Flasche Sakmä4 zusammengefunden und merkten gar nicht, dass daraus ein regelrechter Kommersabend geworden war. Nachdem das erste Lied »Der Mai ist gekommen« usw. verklungen war, stieg ein allgemeines Lied nach dem anderen und Willi von Bobers würzte mit seinem Tenor den Abend besonders. Es war jedenfalls ein Abend, wie er zu Hause ohne die holde Weiblichkeit nicht schöner sein kann, und wir hatten vor allen Dingen unser Los für einige Stunden vergessen.

1. Juni 1915
Herrgott, war das eine Erleichterung, als wir von dem Durchbruch bei Gorlice hörten.5 Wie eine Erlösung ist es über uns gekommen. Hoffentlich geht es nun lustig weiter bis zum baldigen Frieden. Ende des Jahres können wir dann in der Heimat sein.
 

2. Im Barackenlager Kurume 1915/16

10. August 1915
Am 8. Juni sind wir in ein Barackenlager übergeführt worden, in das uns auch die Gefangenen aus Kumamoto am 9. Juni folgten. Wir sind jetzt zusammen 74 Offiziere und Beamte und rund 1200 Mann.
Der Platz, auf dem das Lager steht, ist sehr klein. Die Unterbringung der Offiziere ist mangelhaft. Die zwei Baracken, die den Offizieren als Wohnräume dienen, sind in mehrere durch Zwischenwände – die aber nicht bis nach oben gehen, sondern nur 3 m hoch sind – geteilte Verschläge getrennt, in denen immer drei Offiziere wohnen müssen. Die vordere Seite hat ein Fenster, und die hintere Seite ist vollkommen offen, sodass unsere Wohnungen genau wie Pferdestände aussehen. Durch diese Offenheit ist den Ratten der Weg zu uns vollständig frei, und diese Tiere, von denen es hier unzählig viele gibt, besuchen uns auch sehr oft und fressen mit Vorliebe Kleidungsstücke entzwei. Mit eigenen Mitteln haben wir uns die Verschläge vorläufig etwas wohnlich gemacht; wie es im Winter wird, müssen wir abwarten.
Großzügig und freigiebig sind die Japaner meines Erachtens nicht. Das Licht müssen wir selber bezahlen, dessen Preis sehr hoch ist. Auch unsere ganze Küchen- und Badeeinrichtung haben wir selber bauen und bezahlen müssen. Die Kosten betragen über 900 Yen. Ferner mussten wir alles Essgeschirr, Waschschüssel, Reinigungsgeschirr und sonstiges Hausgerät selber anschaffen. Wir bekommen nur ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl. Ich bin nur froh, dass ich, seitdem wir in dem neuen Lager sind, japanisches Seeoffiziergehalt bekomme, das 8,75 Yen (54,75 Yen) höher ist als das Armeeoberleutnantsgehalt. Für die zurückliegenden Monate bekam ich die Differenz sogar nachgezahlt.
Bewegungsfreiheit haben wir sehr wenig. Ein schmaler Gang, der uns etwas Gehen gestattet, führt an 19 Aborten vorbei, die bei der jetzigen Temperatur eine entsetzlichen Geruch verbreiten. Desinfektionsmittel liefern die Japaner auch nicht. Kein Baum, kein Strauch ziert das von einem hohen Bretterzaun umgebene Lager. Durch diese Wohnungsänderung haben wir Offiziere einen sehr schlechten Tausch gemacht. Es scheint auch, als ob die Japaner gehässiger werden. Abends 11 Uhr muss bei uns Licht aus sein, und Posten revidieren mehrmals, um festzustellen, ob wir auch im Bett liegen. Ende Juni verlangte ein Posten von mir, ich solle das Rauchen auf dem freien Platz vor unseren Baracken einstellen. Ich machte ihm verständlich, dass das Rauchen auf diesem Platze erlaubt sei, jedoch ohne Erfolg. Er holte seinen Unteroffizier und jener stellte dasselbe Verlangen an mich und schimpfte mich schließlich auf japanisch »baka«, was auf deutsch ungefähr »Dummkopf« heißt. Auf eine Beschwerde wurde mir einfach mitgeteilt, er sei belehrt worden. Als macht- und rechtloser Gefangener muss man eben solche Widerwärtigkeiten über sich ergehen lassen.

13. September 1915
Nach langer Überlegung haben die Japaner beschlossen, uns wöchentlich einmal auszuführen.

5. Oktober 1915
Das Ausführen ist schon wieder eingestellt worden.
Unsere Soldaten haben sich eine Musikbühne gebaut, die auch zum Theaterspielen benutzt wird. Jeden Mittwoch war bisher ein bunter Abend, der uns immer etwas erheiterte. Die Ausstattung der Bühne und die Kostüme sind beinahe erstklassig. Alles ist von unseren Leuten selbst angefertigt worden, es hat uns dieser Fleiß und die Kunstfertigkeit mit Staunen erfüllt. Plötzlich kam der Befehl, dass das Theaterspielen monatlich nur einmal gestattet sei. Es ging uns scheinbar zu gut, denn sonst lag kein Grund vor – lächerlich. Solche Schikanen kommen fast täglich vor, niemals aber wird die Wahrheit gesagt, warum eine Maßregel ergriffen wird.

16. Oktober 1915
Heute sind wir Offiziere wieder einmal ausgeführt worden.
Vor ungefähr 14 Tagen sind vier Leute ausgerückt.6 Während drei sofort wieder ergriffen wurden, kam der vierte erst nach einigen Tagen selbst wieder. Es ist fast ausgeschlossen, aus dem Lande dieses Volkes zu entfliehen. Erstens wegen des Unterschiedes zwischen der weißen und gelben Rasse und zweitens wegen der reichlich vorhandenen Geheimpolizisten. Das ganze Volk ist aus Misstrauen zusammengesetzt – der eine glaubt dem anderen nicht. Eine fast komisch wirkende Einrichtung besteht zwischen Militär und Polizei: Wir Gefangenen werden nicht nur vom Militär, sondern auch von der Polizei bewacht. Wenn Gefangene zu irgendeinem Gang von Posten begleitet werden, sind stets Polizisten dabei, selbst wenn japanische Offiziere dabei sind. Mir kommt es so vor, als wenn die Polizei das Militär kontrolliert.

20. November 1915
Am 15.11. stifteten die Japaner aus Anlaß der Krönungsfeierlichkeiten pro Kopf eine Flasche Bier und zwei Äpfel. Zwei Offiziere von uns, die die Annahme dieser Sachen verweigerten und zurückgaben, wurden auf das Büro gerufen und dort von den japanischen Offizieren des Lagers geohrfeigt wegen Beleidigung des japanischen Staates.7 Das Ohrfeigen der japanischen Offiziere unter sich ist überdies keine Seltenheit. Auch die Posten werden von den kontrollierenden Offizieren oft geschlagen, meist mit der Faust ins Gesicht. Es ist deshalb kein Wunder, dass unsere Leute so oft von Offizieren, Unteroffizieren und Posten geschlagen werden.
Um uns vor der kalten Witterung zu schützen, haben wir uns über unsere pferdestallartigen Wohnräume eine Decke einbauen lassen. Desgleichen eine Wand mit Tür nach hinten zum Gang. Der Preis dieser Einrichtung betrug für jede Bude 26 Yen, was für schlecht bezahlte Kriegsgefangene keine Kleinigkeit ist.

11. Dezember 1915
Gestern haben wir von den Japanern Hibatchis bekommen, die Kohlen dürfen wir selber bezahlen. Auch dies wollen wir gern tragen, denn die Hauptsache ist, dass wir nun nicht mehr frieren. Der Kohlendunst dieser Holzkohlen ist jedoch sehr unangenehm, er verursacht viel Kopfschmerzen. Von jetzt ab müssen wir abends schon um 10 Uhr Licht ausmachen und schlafen gehen.

28. Dezember 1915
Das Weihnachtsfest haben wir in würdiger Weise gefeiert. Abends wurde auf dem freien Platz vor der Bühne ein Gottesdienst abgehalten. Die Bühne selbst war von künstlerischer Hand in eine wunderschöne Winterlandschaft in Weihnachtsstimmung verwandelt, über die ein großer Tannenbaum seine Lichter ausstrahlte. Ich glaube sicher, dass ein jeder von uns während dieser andachtsvollen Stunde [in Gedanken] bei seinen Lieben in der Heimat weilte. Den Rest des Abends haben wir im gemütlichen Beisammensein verbracht.

28. Januar 1916
Den Geburtstag unseres obersten Kriegsherrn haben wir in aller Stille gefeiert. Ein Gottesdienst und eine markige Ansprache während des Essens.

7. April 1916
Heute ist unser braver Kamerad Leutnant der Landwehr Bösler infolge Tuberkulose aus dem Leben geschieden.

28. April 1916
Wieder ist ein Kamerad zur ewigen Ruhe gegangen. Diesmal ist es ein österreichischer Matrose [Sanz]. Nun liegen schon fünf Kameraden auf dem hiesigen Friedhofe.

10. Juni 1916
Seit der Ohrfeigenaffäre am 10.11. werden uns Offizieren alle möglichen Schwierigkeiten bereitet. So z.B. werden uns die in China und Japan erscheinenden Zeitungen entzogen. Das Licht muss trotz der heißen Zeit schon um 10 Uhr aus sein (früher 11 Uhr). Bis vor einigen Monaten hatten wir keine Appelle, plötzlich wurde einer um 5 Uhr nachmittags angesetzt, und jetzt ist noch ein zweiter morgens 7 Uhr hinzugekommen. Vor nicht langer Zeit mussten wir sämtliches Zivilzeug abgeben. Wir sind also gezwungen, uniformähnliche Sachen für teures Geld machen zu lassen. Die Tropenhelme und Sporthüte wurden mit schwarzen Buchstaben bemalt (Abzeichen für Kriegsgefangene). Unseren Leuten wurde gestattet, zwischen den Baracken Anlagen anzulegen. Als alles fertig war, mussten alle Bäumchen, die über Mannesgröße waren, entfernt und vernichtet werden. Den Mannschaften wird jetzt alles Werkzeug, nachdem sie es vorher kaufen durften, weggenommen. Die Kantine, die bis 9 Uhr abends geöffnet war, wurde plötzlich 6 Uhr abends geschlossen. Geschlagen werden die Leute immer noch.

23. Juni 1916
In der letzten Zeit werden unsere Mannschaften etwas besser behandelt, um uns Offiziere damit zu ärgern. Die Mannschaft wird spazieren geführt, es kommen weniger Arreststrafen vor, die Leute bekommen ihre Briefe schneller ausgehändigt und noch mehr.

30. Juni 1916
Heute wurde unseren Herren verboten, mit den Mannschaften zusammen Musikproben abzuhalten, und dem Mannschaftsgesangverein wurde das Üben in unserem Speisesaale untersagt.
Hier muss ich erwähnen, dass unser Gesangsverein, der sich in Kokaen so gut bewährt hat, aufgeflogen ist. Durch neu hinzugetretene Mitglieder der Kumamotoer Herren kam Missstimmung hinein, worauf der Dirigent sein Amt niederlegte. Viele Köpfe, viel Sinne.

10. August 1916
Vor einiger Zeit verlangte der Lagerkommandant von unserem Major Anders, dass er sich entschuldige, damit das frühere Verhältnis zwischen uns und den Japanern wieder hergestellt werden könnte. Als wenn wir uns zu entschuldigen hätten! Anders tat es natürlich auch nicht und wurde deshalb seiner Stellung als ältester Offizier enthoben und erhält außerdem zehn Tage strengen Stubenarrest. Seit einer Woche werden wir täglich zum Baden an den Fluss geführt. Der Weg dahin ist eine Stunde. Nach so langer Einsperrung ist das eine große Wohltat, die man uns damit erweist.
Die Post wird uns immer noch mehrere Wochen vorenthalten. Ich habe z.B. am 5.8.16 einen Brief von meiner Schwester bekommen, der war am 18.2.16 geschrieben und am 9.6.16 in Kumamoto angekommen ist; er hatte also eine Lagerzeit von acht Wochen. Ferner bekam ich am 2.8.16 eine Karte aus Schanghai, die am 28.6.16 geschrieben war. Zeitungen kommen nur in ganz geringer Anzahl zur Ausgabe.

12. September 1916
Wenn ich doch nicht die bösen Kopfschmerzen hätte; seit 1915 quälen sie mich schon. Ich muss alles vermeiden, was irgend dazu Anlass geben könnte. In Zeiträumen von 14 Tagen treten sie auf. Sie fangen an der hinteren rechten Kopfseite an und verbreiten sich allmählich über den ganzen Kopf. Als ich noch kein Aspirin hatte, bin ich beinahe verzweifelt, jetzt ist es stets meine Rettung. Ich darf es aber erst dann nehmen, wenn die Schmerzen ihren Höhepunkt erreicht haben.

15. September 1916
Seit Mitte August bekommen wir alle rückständige Post ausgehändigt, auch die neuere Post wird schon verausgabt. Das geschieht aber nicht etwa deshalb, weil wir artig gewesen sind, sondern weil sie wahrscheinlich merken, dass es immer mehr wird. Das Baden im Fluss hat wieder aufgehört, da in der Umgegend Cholerafälle vorgekommen sind.
Am 11. des Monats mussten wir Offiziere unsere Kimonos abgeben. Erst wird es uns gestattet, diese bequemen Kleidungsstücke für die heiße Zeit anzuschaffen, und dann werden sie uns aus Angst vor Fluchtversuchen abgenommen – wirklich ritterlich.

15. November 1916
Die Offizierskantine ist jetzt abgeschafft worden. Es gibt in der Mannschaftskantine nur noch die allernotwendigsten Sachen zu kaufen. Will man einmal einen besonderen Gegenstand haben, z.B. eine Latte oder ein Brett, so muss man sich erst einen Erlaubniszettel auf dem Büro ausstellen lassen (wenn es überhaupt genehmigt wird). Die Kantine ist außerdem nur noch von 11 Uhr bis 3 Uhr geöffnet. Den Mannschaften ist wieder bekanntgegeben worden, dass ihnen jegliches Arbeiten mit Werkzeug strengstens verboten ist.
Ferner ist den Mannschaften bei schwerer Strafe verboten, irgend einen Wandschrank oder ein kleines Klapptischchen in den Baracken anzubringen. Auch das Anbringen eines Brettes am Kopf- oder Fußende des Bettes, das infolge der kurzen Betten ein Bedürfnis ist, ist verboten. Leute, die dabei ertappt werden, fliegen ohne weiteres vom Bett in das dielenlose Arrestlokal. Eine Bitte, die genannten Gegenstände anbringen zu dürfen, wird stets abgelehnt. Jetzt hat man um unser Lager einen zweiten Zaun aus Stacheldraht gezogen, damit wir Barbaren ja nicht ausrücken. Die Japaner versuchen eben, uns das Leben so schwer wie möglich zu machen.

10. Dezember 1916
Von morgen ab dürfen wir wieder die Hibatchis heizen. Es wird aber auch Zeit, denn seit 1. November beträgt die durchschnittliche Tagestemperatur (nicht nachts) in meinem Zimmer nur 11,9°C.

14. Dezember 1916
Heute ging ein Gerücht über Friedensangebote durch das Lager.8 Wie sehr wir auch wünschen, dass es bald Frieden wird, so haben wir es vorläufig erst einmal nicht geglaubt.

24. Dezember 1916
Wie ausgerechnet sind heute die Weihnachtspakete aus der Heimat angekommen. Natürlich erhielt ich auch zwei von einem lieben, lieben Menschenkinde, von dem ich weiß, dass die Gaben gern gegeben sind, es ist mein bester Kamerad. Wie mich diese Gaben erfreut haben, kann ich gar nicht beschreiben. Ich kann nur sagen, dass ich beim Öffnen der Pakete vor Freude gezittert habe, und dass ab und zu eine Träne über die Backe rollte. Es ist für mich das schönste Weihnachtsfest, das ich seit meiner Kindheit verlebt habe.
 

3. Im Barackenlager Kurume 1917/18

1. Januar 1917
Über das Weihnachtsfest im Lager kann ich recht wenig sagen. Verausgabung einiger Liebesgaben an die Mannschaften und abends der übliche Gottesdienst. Die Pakete von den Lieben aus der Heimat werden jedoch manchen (wie auch mich) glücklich gemacht haben.

28. Januar 1917
Zur Geburtstagsfeier Seiner Majestät des Kaisers war es uns auch in diesem Jahr gestattet, die Kaiserbilder im Essraum zu bekränzen. Beim Mittagessen sprach Major Anders einige kernige Worte, und wir alle erhoben uns von den Plätzen. Laute Kundgebungen, wie Hurra usw., sind von den Japanern verboten.

20. Februar 1917
Wie recht wir doch hatten. Hoffentlich bereuen es unsere Feinde später, dass sie seinerzeit das Friedensangebot nicht angenommen haben. Der verschärfte Unterseebootskrieg wird hoffentlich den Engländern recht bald ungemütlich.

22. Februar 1917
Wie es scheint, arbeiten die Zensoren jetzt schneller, denn vor der letzten Deutschlandpost, die vor einigen Tagen eingetroffen ist, sind schon sehr viele Briefe verausgabt worden. Vielleicht haben wir es dem amerikanischen Vertreter oder gar dem neuen Lagerkommandanten zu verdanken.9

23. Februar 1917
Unerhört ist der Preis der Holzkohle gestiegen. Für einen Korb, der im vorigen Jahre 30 sen kostete, müssen wir jetzt schon 75 sen zahlen; die Qualität sowie die Quantität haben dabei erheblich abgenommen.

28. März 1917
Trotzdem der März ein noch sehr kalter Monat ist, ist die Heizperiode am 18. März zu Ende. In der letzten Nacht ist die Temperatur im Freien auf –2°C gesunken. Morgens ist es im Zimmer besonders kalt (+6°), und tagsüber kann man sich darin auch nicht aufhalten, denn über +9°C steigt die Temperatur selten.

15. April 1917
Seit Mitte Februar habe ich keine Kopfschmerzen mehr gehabt. O wie würde ich mich freuen, wenn sie nie wieder kommen würden; es war rein zum Verzweifeln.

12. Mai 1917
In diesem Frühjahr ist es sehr lange kalt gewesen. Die bis jetzt verflossenen Maitage waren auch nicht besonders. Heute regnet es z.B. wie toll. Seit 8.5. bin ich auch unter die Tennisspieler gegangen. Vorläufig muss ich mit noch einigen Neulingen die Morgenstunde von 6 bis 7 Uhr dazu nutzen. Eine Erkältung war der erste Lohn dafür; ich musste 2 Tage das Bett hüten.

30. Mai 1917
Heute ist Hauptmann Buchenthaler mit 20 Tagen strengem Arrest bestraft worden, weil er in einer Beschwerde die richtige Aushändigung seiner Briefe angezweifelt hat. Es wurde als Beleidigung der japanischen Behörde ausgelegt.

13. Juli 1917
Heute war der heißeste Tag während unserer bisherigen Gefangenschaft; es waren im Schatten 36,5°C. Wir empfinden es natürlich doppelt so heiß, da wir die Freiheit nicht mehr kennen und keinerlei Abwechslung haben. Im Winter geht es uns mit der an und für sich geringen Kälte ebenso.

15. September 1917
Der Fall Rigas sowie die Wiedereroberung Galiziens und der Bukowina und der weitere Vormarsch nördlich Rigas hat große Freude bei uns hervorgerufen.10 Früher glaubte man noch nach einem gewaltigen Schlage, wie wir sie doch öfter geführt haben, das Kriegsende in allernächster Nähe zu haben, jetzt ist es aber ganz anders geworden. Alle Hoffnungen sind jetzt auf Russland gesetzt. Schnappt dieser unsichere Bundesgenosse der Alliierten erst ab, dann ist sicher das Ende des Krieges nicht mehr weit.
Der Postverkehr mit Deutschland lässt viel zu wünschen übrig. Auch die Verausgabung der Post, die am 6.6.17 in Japan angekommen ist, ist wieder einmal äußerst langsam erfolgt. Der größte Teil der Briefpost hat zwei Monate auf dem Büro gelegen, ehe sie ausgehändigt wurde.

18. September 1917
Unser Zimmer haben wir jetzt in drei Teile geteilt, wie es andere schon früher gemacht haben. Nach so langer Zeit hat man schließlich wieder einmal das Bedürfnis des Alleinseins. Der für jeden geschaffene Raum ist zwar klein, aber man hat doch wenigstens sein eigenes Heim.

4. Oktober 1917
Zur Zeit sind im Lager viel Leute an Dysenterie erkrankt. Nach dem Bericht eines japanischen Arztes soll diese Seuche 2 bis 3 Jahre hintereinander in einer Gegend auftreten und dann plötzlich verschwinden, um einen anderen Landstrich heimzusuchen.

15. November 1917
Nun sind meine Kopfschmerzen doch wiedergekommen. Ich bin ganz traurig, wenn ich daran denke, dass ich nun wieder alle 14 Tage diese Qual haben soll. Gehe ich zum Arzt, so erhalte ich ein Pulver, das nicht hilft, sodaß ich doch zum Aspirin greifen muß.

14. Dezember 1917
Seit Beginn der großen deutschen Offensive in Italien und der Verhandlungen mit Russland zwecks eines Sonderfriedens schneiden die Japaner all die schönen Nachrichten aus der japanischen Zeitung (die einzige in nur einem Exemplar erscheinende asiatische Zeitung) heraus. Kommt ein Pfarrer von der Deutschen Mission, um bei uns zu predigen, so darf er jetzt niemand mehr sprechen.11 Auch die Frauen, die ihre Männer besuchen, dürfen nicht vom Frieden oder vom Kriege sprechen; es wurde ihnen sogar verboten, Gespräche über China oder über sonstige politische Angelegenheiten zu führen.
Die Verteuerung der Gebrauchsgegenstände und der Esswaren nimmt von Tag zu Tag zu. Wie es scheint, gibt es für uns außerdem noch besondere Preise. Die Holzkohlen, die früher 25–30 sen kosteten, müssen wir jetzt mit 1,05 Yen bezahlen.

[undatiert]
Weihnachten ist wieder einmal vorüber. In der Freiheit dieses Fest zu feiern, ist doch ein ander Ding. Hier muss man um jede Kleinigkeit, die veranstaltet werden soll, betteln, und dann wird noch die Hälfte abgelehnt. Und dann Weihnachten ohne Angehörige, liebe, fröhliche Gesichter und ohne Kinder – macht nur traurig. Rücksichtslos sind unsere Peiniger auch noch dazu. Mitten in der Weihnachtsfeier, die im Freien stattfand, machte ein Photograph plötzlich eine gewaltige Blitzlichtaufnahme, dass alles erschrak; und ferner mitten im Gesang ließ der japanische Hornist sein Signal zum Abendessen (½ 7 Uhr) erschallen. Dieses ist an und für sich schon Blödsinn, da die Mannschaft schon um 5 Uhr Abendbrot bekommt. O wäre dieses Weihnachtsfest doch das letzte in Japan gewesen!
Der Sylvester war ein Tag wie jeder andere; die Mannschaft ging um 9 Uhr, wir um 10 Uhr schlafen.
 

4. Im Barackenlager Kurume 1918; allgemeine Bemerkungen

7. Januar 1918
Heute war der schwedische Pfarrer Neander in unserem Lager. Er reist im Auftrage des schwedischen Roten Kreuzes und hat zwei Jahre lang die Gefangenenlager in Russland besucht. Er hat uns in seiner Predigt viel davon erzählt. Er war ein prächtiger Mann. Schön von Gestalt und menschenfreundlich, unternehmungslustig und energisch in seinem Wesen. Den schlechtesten Eindruck haben auf ihn die Japaner des Kurumer Gefangenenlagers gemacht. Das Lagerkommando wollte ihn nämlich das Lager ohne Einlasskarte nicht betreten lassen, trotzdem er einen Pass vom schwedischen Gesandten hatte und der Besuch vom japanischem Kriegsministerium durch Verfügung genehmigt war. Der Pfarrer erklärte aber kurz: »Ich gehe nicht früher hier weg, bis ich meine Predigt gehalten habe«, und dies hatte Erfolg. Seine Erzählungen waren für uns alle (von oben bis unten) herzerfrischend. Als er davonfuhr, wurde ihm noch von allen Seiten zugewinkt und zugerufen.

29. Januar 1918
Am 26.1. abends hat es wieder einmal tüchtig geschneit. Kaisersgeburtstag war vollkommen weiß. Wir haben diesen Tag durch ein besseres Essen gefeiert, weiter war ja nichts erlaubt. Major Anders hielt bei Tisch eine markige Rede, aber ohne Hurra, denn dieses ist uns auch verboten.
Heute erhielt ich aus Deutschland einen Brief vom 26.8.17. Er trug den japanischen Ankunftsstempel vom 14.11.17, der Brief hat also 2 ½ Monate gelegen. Der größte Teil dieser Post liegt noch unzensiert auf dem Büro. Dieses Verfahren ertragen wir mit kleinen Unterbrechungen nun schon über drei Jahre – ob man wohl in der Heimat schon einmal etwas dagegen unternommen hat?

2. Februar 1918
Wieder bin ich in der Gefangenschaft ein Jahr älter geworden, und noch immer nicht ist das Ende dieser traurigen Zeit zu erspähen. Die schönsten Jahre fließen tatenlos in Schmach und Schmerz dahin. O Tsingtau, hätt' ich niemals dich gesehen!
Heute ist ein Tag wie bei uns im Sommer. 18°C habe ich im Zimmer, selbst abends 9:30 Uhr noch. Heute erfuhr ich auch, dass zwei hinter mir stehende Kameraden zum Kapitänleutnant befördert worden sind. Es ist ein komisches Gefühl, wenn man nichts verbrochen hat und doch übergangen wird. Die Freude der Beförderung könnte man uns Gefangenen ruhig machen, da man ja doch kein Gehalt bekommt.

1. März 1918
Der Pfarrer Neander, der uns am 7. Januar besucht hat (siehe oben unterm 7.1.18), soll in Korea von den Japanern verhaftet worden sein. Von diesem misstrauischen Gesindel war ja auch nichts anderes zu erwarten. Das Photographiealbum mit harmlosen Photographien aus unserem Lager und von der Umgegend, das er bei seinem Hiersein mit Erlaubnis der Japaner von einem Reservisten als Andenken erhalten hatte, erhielt der betreffende Reservist vor einigen Tagen von unseren Kerkermeistern zurück.

15. März 1918
Am 13.3. ist der Obermaschinistenmaat der Reserve Schlund an Tuberkulose gestorben. Die Leiche wurde gestern eingeäschert, und heute sind die Überreste seiner Urne nach dem Friedhöfe gebracht worden.

27. März 1918
Soeben vom Grabe des Sergeanten Pauly zurückgekehrt. Der arme Kerl hatte Darmtuberkulose, womit er sich furchtbar hat quälen müssen. Es sei hier bemerkt, dass Tuberkulose in Japan sehr verbreitet ist. Es mag auf die Hibatchiheizung zurückzuführen sein. Durch das Holzkohlenfeuer ist die Luft in den Räumen ununterbrochen mit feinstem Staub durchsetzt, den schwache Lungen auf die Dauer naturgemäß nicht vertragen können. Durch den Verkehr der vielen Menschen (1300 im dem sehr kleinen Lager (siehe folgende Skizze).12

1. April 1918
Im vergangenen Winter haben einige Herren von uns sehr interessante Vorträge gehalten, so z.B. über Chemie, Staatskunde, Aufbau des Nervensystems und über die Vereinigten Staaen von Nordamerika; einige Vorträge sollen noch folgen.
Die Preise in der Kantine haben schon eine schwindelnde Höhe erreicht, und die Preise für Proviant und Kohlen sind einfach unverschämt. Am übelsten sind unsere Leute dran, denn der Verpflegungssatz von 30 sen ist seit Anfang der Gefangenschaft derselbe geblieben. Es ist schamlos, wie wir von diesen gelben Affen übervorteilt werden. Dass die Preise in Wirklichkeit kaum in die Höhe gegangen sind, geht daraus hervor, dass Leute von uns, die draußen zur Arbeit waren, für 10 sen 6 Eier gekauft haben, während wir im Lager 5–6 sen für ein Stück zahlen müssen. Beim Kaufen von Obst war es derselbe große Unterschied.
Vor einigen Tagen haben wieder zwei Herren mit Vorträgen begonnen. Der eine Herr spricht über Ernährung und Verdauung, der andere über die Südseeinseln, speziell über Rabaul und Umgebung (Neu Pommern). Ein weiterer Vortrag über China soll noch folgen.

8. Mai 1918
Heute morgen ist im hiesigen Lazarett der Heizer Werner von S.M.S. Otter an Kehlkopftuberkulose gestorben.

10. Mai 1918
Die Überreste des verstorbenen Werner sind heute zur ewigen Ruhe gebettet worden.

16. Mai 1918
Soeben ist die Theatervorstellung zu Ende. Es wurde das Lustspiel »Im Clubsessel« gegeben. Die Mitwirkenden spielten ausgezeichnet, auch unser Dr. Arthur Bieber war wieder glänzend als Graf Seta-Lannatsch.

17. Mai 1918
Wie die deutsche Wissenschaft jetzt im Kriege von den Japanern ausgenutzt wird, zeigt folgendes: Der Leutnant der Reserve Tabbert bekommt die Nachricht, dass ihm im letzten Paket ein Wörterbuch gesandt worden ist. Da dieses jedoch fehlt, begibt er sich zu dem japanischen Oberleutnant Motomura, der Bücher und Zeitungen zensiert, um ihn danach zu fragen. Es entwickelt sich nun folgendes Gespräch: Tabbert: »Verzeihen Sie, ich habe vor x Tagen ein Paket empfangen, in welchem jedoch das angekündigte Wörterbuch Y fehlte. Würden Sie vielleicht so freundlich sein einmal nachzusehen, ob es vielleicht noch hier ist?« Motomura (nach längerem Nachdenken): »Ja, ich habe es.« Labbert: »O, Sie zensieren es wohl?« Motomura: »Nein, ich studiere.« Tabbert, etwas ironisch: »Ach so! Na, da kann ich es wohl auch einmal haben, wenn Sie damit fertig sind?« Motomura, die Luft durch die Zähne einziehend: »Ja, ich werde – es Ihnen – geben – dann.«
So geht es den meisten, die sich ein Buch schicken lassen. Ein halbes Jahr und länger muß darauf gewartet werden; viele Bücher verschwinden ganz. Ja, die Japaner sind sehr höflich und zuvorkommend. Es ist überhaupt zum K[otzen], unter diesem mißtrauischen, hinterlistigen, gelben Gesindel als Gefangener leben zu müssen.
Wenn man länger in diesem Lande lebt, begreift man erst, wie es möglich ist, dass so viele Besucher Japans sich in diesen Leuten täuschen. Die Täuschung beruht darin, dass der Besucher des Ostens nur flüchtige Vergleiche zwischen China und Japan anstellt, wobei Japan immer zu gut wegkommt. Der Europäer schätzt China zuerst zu seinem Nachteil ein und lernt erst später die Vorzüge des Chinesen und die feine alte Kultur kennen. In Japan urteilt er umgekehrt. Der durchreisende Europäer wird in Japan zuerst von der Höflichkeit des Japaners, von den geputzten Geishas und Japanerinnen und von der Kirschblüte (die bei uns viel schöner ist) geblendet. Verweilt er jedoch länger in diesem Lande, besonders wenn er von den Touristenstraßen abweicht, so merkt er bald, dass alles nur Aufmachung ist. Die Höflichtuerei ist meiner Meinung nach nur Gewohnheit, aus dem Herzen kommt es sicher nicht. Der Japaner ist hinterlistig, mißtrauisch, gefühlsroh und schmückt sich gern mit fremden Federn. Die Frauen sind durchweg besser, weil sie von ihren Herren und Gebietern nie als Dame behandelt werden. Sie sind deshalb geduldig und den Europäern für die gute Behandlung, die sie in den europäischen Familien erfahren, sehr dankbar.
Es ist bekannt, dass fast alle japanische Kunst von den Chinesen überkommen ist und dass die Japaner in der Kunst weit hinter den Chinesen stehen. Die Reinlichkeit der Japaner ist, wie schon oben erwähnt, nur oberflächlich. Er badet zwar oft, dafür trägt er aber seine Wäsche wirklich schmutzig. Das Baden (er badet sehr heiß) ist wahrscheinlich eine notwendige Folge der schlechten Heizungsart. Das Innere der Häuser wird selten mit Wasser gereinigt. Daher auch die unendlich vielen Flöhe. Dass der Fußboden – oder Sitzboden will ich es nennen – und die Fußbodenmatten stets so sauber aussehen, kommt daher, dass kein Mensch, auch kein Fremder, das Haus mit Schuhen oder Stiefeln betreten darf. An den Decken und Wänden hängt jedoch ein Spinnengewebe neben dem anderen. Zu denken gibt auch die polizeilich angeordnete jährliche große Reinigung der Häuser. Die japanischen Höfe strotzen vom Schmutz und altem Gerümpel. Während der Regenzeiten sind die Straßen dieses regenreichen Landes – Durchschnitt 1750 mm – furchtbar schmutzig, mit taka-getas [Holzschuhen] sind sie gerade noch zu betreten. Ein Europäer kann sich dieser Dinge natürlich nicht bedienen und ist deshalb übel dran.
Eine weitere Schweinerei, so kann man es nur nennen, ist die Gleichgültigkeit den unendlich vielen Ratten gegenüber. Anstatt die Tiere mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu vertilgen, sehen sie tatenlos zu, wie die ekligen Tiere auf offener Straße vor den Läden auf den Reissäcken und auf anderen Waren sitzen und sich gütlich daran tun. In unserem Lager haben wir schon über 1.500 von diesen Nagern vertilgt, aber eine Abnahme ist noch nicht zu bemerken.
Die geputzten Japanerinnen und Geishas, denen man auf den Touristenwegen und in den Großstädten begegnet, verschwinden auf dem Lande fast ganz. Dort ist das Volk von der Kultur nur wenig beleckt. Männlein und Weiblein arbeiten in der heißen Jahreszeit in und außer dem Hause mit vollkommen entblößtem Oberkörper. Die Polizei versucht diese Leute vor den Fremden zu verstecken, und meint, wenn sie gefragt wird, die Europäer nehmen Anstoß daran. In Wirklichkeit wollen sie als Großmacht und Kulturvolk ihre Nacktheit vor der weißen Rasse verbergen. Die Frauen, ohne Ausnahme, säugen ihre Kinder da, wo sie sich gerade befinden. Die Arbeiterin hat ihr Kind während der Arbeit auf dem Rücken und säugt es, wo es auch sei.
Großer Missbrauch wird mit fremden Fabrikmarken getrieben. Viele in Japan angefertigte Waren erhalten falsche Packungen und die Aufschrift einer echten Ware. Diese Aufschrift hat meist ein kleines Merkmal, an dem die Ware als japanische zu erkennen ist und das den Hersteller vor Strafe schützt. Der Europäer erkennt das natürlich nicht sofort und fällt gewöhnlich darauf rein. Unendlich viele dieser unerquicklichen Sachen könnte ich hier noch ausplaudern,dies würde aber den Charakter des Buches nicht entsprechen. Von den Nadelstichen, die sie uns hier im Lager versetzen, will ich gar nicht erst anfangen, denn diese würden ein Buch für sich geben.
Die Armee kann, soweit ich es beurteilen kann, eine gute genannt werden. Was ich von der Ausbildung (Drill) gesehen und gehört habe, muss von mir anerkannt werden; jedenfalls wird sie nicht als Spielerei – wie so vieles in Japan – betrieben. Aber das Menschenmaterial ist mit dem unsrigen, geistig wie körperlich, nicht im entferntesten zu vergleichen.

24. Mai 1918
Als wir in der Zeitung lasen, dass Deutschland nun auch mit Frankreich ein Abkommen getroffen hat, wonach die Kriegsgefangenen beider Länder, die über 18 Monate in Gefangenschaft sind, nach einem neutralen Lande gesandt werden, haben wir uns alle aufrichtig gefreut über diesen Erfolg. Aber hat man denn uns, die wir schon 3 ½ Jahre schmachten, vergessen? Glaubt man denn in der Heimat immer noch an eine sehr gute Behandlung in Japan? Denkt man denn gar nicht daran, dass wir in einem subtropischen Klima leben müssen? Wir in Kurume z.B. hausen in einem Lager, das für die große Anzahl der Insassen viel zu klein ist. (Siehe auch unterm 27.3.1918.) Sollte es denn gar nicht möglich sein, uns auch ohne Gegenleistung frei zu bekommen? Zu Hause weiß sicher niemand, wie unzureichend das Essen unserer Leute ist und wie raffiniert den Leuten das bisschen Geld in der Kantine aus der Tasche gezogen wird.
Uns unverheirateten Offizieren würde es kaum besser gehen, wenn wir nicht alle ein Gehaltsguthaben besessen hätten, das uns jetzt der T.U.F.13 vorschießt. Diejenigen aber, die erst 1914 nach Tsingtau kamen oder die, die nicht ökonomisch genug gewirtschaftet haben, müssen jetzt Schulden machen. Es ist eine zu komische Sache, die man hier erlebt. Der Staat zahlt allen verheirateten Kriegsgefangenen, die ihre Familien in Japan oder China haben, sowie allen Beamten, ob verheiratet oder ledig, das volle Gehalt und die Kolonialzulagen neben dem japanischen Gehalt. Diese Herren haben also außer der Freiheit nichts zu entbehren. Am Schlüsse einer Verfügung des Reichsmarineamtes standen die so klaren aber trostlosen Worte: »Für unverheiratete Oberleutnants und Unteroffiziere ist nichts da, traurig aber wahr.« Der Mann, der diese Worte geschrieben hat, wusste also, wie es mit uns steht, und trotzdem tut man nichts für uns.

27. Mai 1918
Diese wochenlange Ruhe auf dem westlichen Kriegsschauplatze, die hochtrabenden Reden und die falschen Angaben in den Telegrammen der Alliierten sind für uns Kriegsgefangene eine harte Nuß. Von Tag zu Tag warten wir auf die Fortsetzung der Offensive.14

31. Mai 1918
Endlich ist der Druck durch den neuen Durchbruch zwischen Reims und Soissons am 27.5. von uns genommen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass das nicht der Hauptstoß ist, denn ein Durchstoßen über Amiens nach dem Meer wäre doch eine wunderbare Sache.
Da die Zeitung infolge der neuen Offensive an der Westfront wieder sehr schöne Nachrichten für uns bringt, schneiden die Japsen wieder alle Telegramme aus der Zeitung aus der Zeitung heraus. Wir erfahren es später ja doch, aber wütend sind wir furchtbar.

4. Juni 1918
In letzter Zeit hat die japanische Regierung neues Papiergeld herausgegeben, und zwar sind es Scheine zu 50 sen, 20 sen, und 10 sen. Anliegend zwei Muster dieser Scheine.15 Vielleicht hat die japanische Regierung Gold aus dem Verkehr gezogen.
Ahorn- und Tuchabäumchen bepflanzt. Wir freuten uns über das Wachstum und Blühen der Blumen und ahnten nichts Böses. Gestern wurde uns plötzlich mitgeteilt, dass wir die Bäumchen zu entfernen haben, da sie die Aussicht des Postens beeinträchtigen. Der japanische Händler hatte ja sein Geschäft gemacht. Pfui Teufel, ihr elenden Japsenseelen.

15. Juni 1918
Heute trage ich wieder einmal der Sehnsucht langes Weh im Herzen. Ein scheußlicher Regentag hat mich heute zum Lesen verurteilt. Ich lese in einem Roman vom Abschiednehmen, und dies lässt mich zurückblicken auf mein verflossenes Leben. War mein Leben bis heute nicht auch ein ewiges Abschiednehmen? Muss ich denn mein Leben lang in der Fremde leben? In der Fremde? Auch die Heimat ist mir seit dem Verlust der lieben Eltern zur Fremde geworden. Ob es wohl jemals wieder eine Heimat für mich geben wird? Eine Heimat, wie ich sie mir in meinen Jünglingsjahren erträumt habe? Vor mir schwebt jetzt immer die Frage: Wird der Krieg nun alles zerstören oder festigen?

25. Juni 1918
Heute ist vom Schweizer Gesandten ein Schreiben angekommen, in dem er mitteilt, dass das Deutsche Reich allen Offizieren, die von der japanischen Regierung weniger als 75 Yen erhalten, die Differenz als Unterstützung zahlt. Ich bekomme nun von jetzt ab 75 Yen gegen 54,75 Yen früher. Außerdem wird uns die Differenz für ein Jahr ausgezahlt. Für mich beträgt diese 243 Yen. Das Deutsche Reich hat also doch an uns gedacht, was ich am 24.5.18 noch bezweifelte.

28. Juni 1918
Heute sind uns die ersten unter dem 25.6. angekündigten Nachzahlungen gezahlt worden, und zwar die Differenz für drei Monate. Es ist doch eine Erleichterung, wenn man wieder etwas mehr zum Leben hat. Man kommt sich nicht mehr so arm wie eine Kirchenmaus vor.

30. Juni 1918
Heute war endlich der langersehnte Vertreter des Schweizer Gesandten hier.16 Er war Arzt und kam im Auftrage des Roten Kreuzes. Er sollte die sanitären Einrichtungen prüfen und Klagen darüber entgegennehmen. Letzteres ist in reichlichem Maße geschehen, aber ob es Erfolg hat, bezweifeln wir. Denn wenn der großmütige Befreier der unterdrückten Völker und der von Humanität überlaufende Menschenfreund Amerika seinerzeit nichts für uns herausschlagen konnte, wie kann da die kleine Schweiz etwas erreichen?

6. Juli 1918
Die ersten Früchte des Schweizer Besuches haben wir bereits gestern geerntet. Der japanische Hauptmann des Lagers entdeckte gestern in der Burschenbaracke einen Eiskasten zum Kühlen von Getränken, dessen Vorhandensein den Japanern vor zwei Jahren gemeldet worden ist und von diesen auch genehmigt wurde. Der Hauptmann ließ ihn kurzweg beschlagnahmen und erklärte einem hinzugerufenen, japanisch sprechenden deutschen Leutnant der Reserve,17 als dieser den Sachverhalt erklärte: »Sie lügen, alle deutschen Offiziere lügen.« Der Leutnant antwortete ihm sofort: »Ich lüge nicht und kein deutscher Offizier lügt.« Hierauf ergriff der Hauptmann eine zufällig daliegende Säge und schlug damit den Leutnant über den Kopf. Ferner ließ er mehrere hundert gekochte Eier beschlagnahmen.
Hier muss ich erwähnen, dass es in der Kantine nur rohe Eier zu kaufen gibt. Es haben sich daher ein paar Mann der Sache angenommen. Sie kochen die Eier und verkaufen sie weiter, so dass jeder, wenn er Geld hat, gekochte Eier essen kann. Die beschlagnahmten Getränke und Eier wurden den Leuten später wieder zurückgegeben, aber sie mussten sie um zwei bzw. ein sen billiger und zwar sofort verkaufen. Der Eiskastenbesitzer flog in Arrest.
Das Arrestlokal sitzt jetzt wieder ganz voll. Es muss furchtbar unangenehm darin sein, denn die Arreststanten müssen ihre Notdurft im Eimer verrichten, früher wurden sie ausgeführt. Die Speisenabfallkübel stehen nach wie vor bis oben hin voll zwischen den Baracken und verbreiten einen entsetzlichen Geruch. Auch der große Abfallkasten für Kartoffelschalen und sonstige Küchenabfälle verpestet die ganze Umgegend. Heute habe ich tausende von diesen weißen Maden herauskriechen sehen. Der Pächter dieser Abfälle nimmt sich nur diejenigen Sachen aus den Müllgruben, die er gebrauchen kann, alles Übrige lässt er liegen. Unsere Leute würden den Unrat herzlich gern entfernen, aber sie dürfen nicht.

11. Juli 1918
Soeben erfahre ich, dass ich Ende Juli oder Anfang August mit noch 15 anderen Offizieren in ein anderes Lager versetzt werde; der Ort wird uns, wahrscheinlich infolge der japanischen Heimlichtuerei, noch nicht mitgeteilt.

18. Juli 1918
Also Bando, auf der Insel Schikoku, ist der Ort meiner Versetzung. Ich freue mich, dass wieder etwas Abwechselung in mein eintöniges Leben kommt, zumal das Lager in Bando als ein sehr gutes bekannt ist. Auch ist mir die Versetzung deswegen angenehm, weil die Wanzen auf dem besten Wege sind, unaufhaltsam auch in die Offizierbaracken einzudringen, nachdem sie in allen Mannschaftsbaracken schon längere Zeit zu Hause sind. Zwei dieser Bestien habe ich schon erlegt. Wir 16 Offiziere werden auf drei Lager verteilt (Bando, Aonogahara, Narashino) und die hundert Mann, die auch noch wegkommen, auf vier Lager.18

3. August 1918
Gestern haben uns die Kameraden, die nach nach Aonogahara und Narashino versetzt werden, verlassen. Es war doch ein eigentümliches Gefühl für die Zurückbleibenden, als das kleine Häuflein, von vielen Bajonetten umgeben, das Lager Kurume auf immer verlassen musste. Niemand wusste, ist es dort wohl besser oder nicht. Das Abschiednehmen wollte kein Ende nehmen, bis das geschlossene Tor sie von uns trennte. Morgen Abend um dieselbe Zeit reicht man uns die Hand zum Abschied. Tagelang beglückwünscht man uns schon, denn das Lager Bando, dem wir 6 Offiziere und 71 Mann zugeteilt sind, gilt als das beste Lager in Japan. Wenn es nicht stimmt, haben wir immer noch die Abwechslung, die uns allen not tut.
 

Anmerkungen

1.  Hier nicht abgebildet.

2.  Hier nicht abgebildet.

3.  Die Lage in den Karpathen hatte sich bis Mitte März 1915 zugespitzt und blieb noch einen weiteren Monat lang bedrohlich; auch die Verteidiger erlitten hierbei enorme Verluste.

4.  Vermutlich eine Variante von Sake (Reiswein).

5.  Diese Schlacht hatte bereits am 01.05.1915 begonnen, d.h. die Gefangenen erfuhren relativ spät davon.

6.  Ahl, Lund, Zoellner sowie Sinn.

7.  Misshandelt wurden Boese und Florian.

8.  Reichskanzler Bethmann-Hollweg hatte in einer Rede vom 09.11.1916 die Friedensbereitschaft des Deutschen Reichs betont.

9.  Kommandant Masaki war am 15.11.1916 von Hayashi abgelöst worden.

10.  Riga wurde am 03.09.1917 besetzt, wovon die Gefangenen also relativ früh erfuhren.

11.  Gleiches wird auch von anderen Augenzeugen berichtet.

12.  Hier nicht abgebildet.

13.  Vermutlich einer der »Tsingtau-Unterstützungs-Fonds«.

14.  Die »Kaiserschlacht« hatte am 21.3.1918 begonnen und wurde im April und Mai – trotz stetig sinkender Erfolgschancen – fortgesetzt.

15.  Hier nicht abgebildet.

16.  Besuch von Dr. Paravicini.

17.  Nicht identifiziert.

18.  Hier fehlt Nagoya; siehe die genauen Zahlen.
 

©  Hans-Joachim Schmidt (für diese Fassung)
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