Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Matsumaya

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Matsuyama Shuyosho (Auszug)

von Tokio Saigami
 

Das Buch, aus dem die folgenden Auszüge stammen, erschien 1969 im Verlag Chu Koronsha in Tokyo. Die Übersetzung stammt von dem ehemaligen Matsuyama-Gefangenen Kurt Meißner.
 

[Einführung von Kurt Meißner]

Der Verfasser des Buches, Herr Saigami, war in Sibirien kriegsgefangen. Er interessierte sich deshalb für das Leben in Gefangenenlagern. Herr Saigami schreibt: "Über Kriege werden viele Bücher geschrieben. Aber über Kriegsgefangene schreibt niemand etwas." Ihm fiel das Buch eines Gefangenenlagerkommandanten in die Hand, der über das Lager schrieb, in dem russische Gefangene zehn Jahre vor den Deutschen in Matsuyama gefangen gewesen waren. Dann fand Saigami etwas von einem Deutschen mit Bleistift Geschriebenes in einem der Tempel bei Yamagoe in Matsuyama. Er erkundigte sich in Deutschland und erhielt die Antwort, der Schreiber lebe noch in Hamburg, sei aber krank. In Matsuyama besuchte Saigami die Grabsteine von 98 in Matsuyama gestorbenen russischen Gefangenen. Er forschte auch nach dem Grab des in Matsuyama gestorbenen deutschen Kriegsgefangenen Arthur Lauenstein. Dann sammelte er alte Zeitungen aus der Zeit der Matsuyama Gefangenenlager. Weitere Anregungen kamen durch einen Brief, den Kamerad Gradinger 1962 nach Matsuyama schrieb. Das Folgende sind Auszüge aus dem Buch in der Reihenfolge des Buches.
 

[Auszüge aus dem Buch von Tokio Saigami]

Arthur Lauenstein starb am 6. November 1916 im Krankenhaus. Sein hölzernes Kreuz auf dem russischen Friedhof war eine Zeitlang verschwunden, vielleicht morsch umgefallen. [Anmerkung Meissner: Als ich am 22.4.1955 in Matsuyama war, war kein Kreuz für Lauenstein da.) Aber es ist spater neu errichtet worden.

Als am 7.11.1914 die Nachricht von der Übergabe Tsingtaus nach Japan kam, hatte niemand in Matsuyama kriegerische Gefühle, denn der Krieg in Tsingtau war ja nur kurz.

In der Matsuyama Mittelschule fragten Schüler, ob sie nicht wegen des Sieges frei bekommen konnten. Die Bitte wurde abgelehnt. Aber die Händler verkauften Masken und Perücken. Auch wurden Kerzen zum Illuminieren verkauft.

Es wurden die Städte für Gefangenenlager bestimmt und Offiziere für die Lager ernannt. Für Matsuyama: Oberstleutnant Maekawa, Hauptmann Shiraishi, Zahlmeister Hayashi, Leutnant Hongu. Sie kamen am 12.11. in Matsuyama an. Kokaido, Dairinji und fünf Tempel in Yamagoe wurden ausgesucht. Der Mietpreis wurde auf 20 Sen pro tatami (Matte) festgesetzt.

Die Händler in Matsuyama sagten, die Gefangenen sollen es gut haben. Es wurde bestimmt, 30 Sen für die Tagesnahrung der Gefangenen auszugeben. (Jeder japanische Soldat erhielt nur für 17 Sen Nahrung.) Nach Matsuyama sollten 316 Gefangene kommen.

Am 16. November hatte die Eisenbahn in der Iyo-Zeitung ein Inserat "Glückwunsch zum Sieg. Am 18. werden die deutschen Gefangenen ankommen. Wir werden von jedem Bahnhof unserer Bahn Fahrkarten zum halben Preis verkaufen." Von Takahama nach Matsuyama (9,4 km) kostete es damals 16 Sen. Die Fahrt dauerte 32,2 Minuten. Zehn Jahre nach den Russen jetzt Menschen aus einem noch entfernteren Lande sehen zu können, war verlockend.

Um 7 Uhr kam der Zug in Takahama an. 60 Soldaten vom Matsuyama Regiment warteten dort schon lange. Weißer Atem kam aus allen Mündern. Für die Zuschauer waren 200 Meter vom Bahnhof bis zum Postamt reserviert.

Um 7 Uhr 20 Minuten warf die Satsuma-Maru Anker, etwa 200 Meter entfernt vom Ufer. Oberstlt. Maekawa, Hauptmann Shiraishi fuhren in Militärbooten an Bord. 30 Minuten später begann die Landung der Gefangenen. Je 40 Mann in einem Boot. Die wartende Menge schwenkte weiße Fähnchen. Man hörte: "Bitte nicht drängeln". Gefangene Soldaten trugen das Gepäck der Offiziere. Alle Offiziere trugen feinste Tuchuniformen, ihr Boot kam als letztes. Major Kleemann beobachtete, wie sein Gepäck ans Land gebracht wurde. "Oh wie elegant", sagten die Bauern, Fischer und Kinder, "unsere Offiziere sind nicht so fein." An den Seiten der Offiziere blitzten ihre Säbel.

Zuerst wurden alle Namen, Rang, Alter usw. aufgeschrieben. Je 4 Mann mußten gleichzeitig schreiben. Ein deutscher Offizier sprach brummend mit sich selbst. Es waren 415 Gefangene, davon nur 170 gewöhnliche Soldaten und 245 höhere Ränge. Es gab 17- und 18-Jährige und Leute über 6 und unter 5 Fuß groß. Oberlt. Marukami übernahm dann das Kommando über den Marsch von Takahama nach Matsuyama.

In der folgenden Zeit [des Marsches] wurde jeder Kontakt der Gefangenen mit der Bevölkerung verhindert. Es wurden im Lager zwar Ansichtskarten vom berühmten Dogo-Heißquellbad, vom Matsuyama-Schloß und Genrebilder mit hübschen Mädchen verkauft, aber die Wachen verhinderten jeden Einkauf und jedes Gespräch mit Zivilisten. Kommandant Oberstleutnant Maekawa wollte verhindern, daß Gefangene von Händlern übervorteilt werden!

Vor dem Abmarsch hielt Oberstleutnant Maekawa noch eine Rede, die der des Japanischen mächtige Gefangene Kurt Meißner gut dolmetschte: "Ihr seid nicht mehr Feinde, sondern Gefangene. Ihr müßt den Vorschriften entsprechend leben usw. usw." Dann marschierten sie nach Matsuyama. Major Kleemann (44) sagte, er sei Kavallerist und könne nicht gut marschieren, er sei gewohnt zu reiten. Er durfte mit anderen Offizieren mit der Bahn fahren. Einige verwundete Soldaten durften auch fahren. In abgetragenen Uniformen, viele in hohen Stiefeln, andere in niedrigen Schuhen, aber alle mit Feldflaschen. Rechts und links als Wache 60 japanische Soldaten. Die Sonne stieg hoch, rechts die Inlandsee - es war wie ein schöner Frühlingstag. Der Zug mit Oberstlt. Maekawa und Major Kleemann überholte die marschierenden Gefangenen. Diese trafen um 2 Uhr 30 in Matsuyama ein. Die Verteilung der Gefangenen auf die verschiedenen Lager in der Stadt war um 5 Uhr beendet. Die Gefangenen wuschen und badeten sich. Es wurde ihnen gestattet, um 8 Uhr 30 anstatt um 9 Uhr schlafen zu gehen.

Auf einer Postkarte, die ein japanischer Mittelschullehrer am 25. November 1914 von Matsuyama nach Niigata schrieb, steht geschrieben: "Matsuyama ist als Kriegsgefangenenort bekannt. Hier sind jetzt Germanen eingetroffen. Sie sind auf fünf Tempel in Yamagoe verteilt. Sie sind ruhig. Ich habe Mitleid mit ihnen."

Beim Brunnen waren für die Gefangenen Waschschüsseln hingelegt. Aber die Gefangenen brachten jeder eigene Sachen, spülten sich den Mund, wuschen sich Gesicht, Hände und Körper. Die Gefangenen im Kokaido brauchten fur die Haare zum Teil Pomade und bespritzten sich mit Parfum. Das kommt wohl daher, daß im Kokaido viele Reservisten liegen. Aber unsere japanischen Soldaten staunten darüber.

Nach der Toilette fragte ein Gefangener einen japanischen Soldaten: "Bist Du verheiratet?" Da fuhr schon der Wachhabende dazwischen. Es ist nicht erlaubt, mit Gefangenen zu sprechen.

Die Gefangenen laufen in Socken herum. Erkältungen werden vorkommen. Die Gefangenen saßen zuerst auf Wollmatten. Später kamen Tische und Bänke.

Der Dolmetscher Meißner hat schon 9 Jahre in Japan gelebt. Er hat in Tokyo, Osaka und Moji Filialen. Der Uniformempfänger [?] S. Strauss ist Angestellter in der Firma Cooper, die ihr Hauptbüro in Yokohama hat.

Am 20. Nov.ember mußte Meißner morgens um 6 Uhr mit der Eisenbahn zum 2. Mal nach Takahama, um einen neuen Trupp Gefangener in Empfang zu nehmen. Es waren 20 bis 30 Japaner da, die mit ihm in der I. Klasse fuhren. Meißner sagte: "Ich vertraue meinen Körper diesem Eisenbahnwagen an, der in meinem Vaterland hergestellt ist." Als der Autor dieses Buches 50 Jahre später Dr. Meißner in Tokyo besuchte, war Dr. Meißner, den ich groB und schlank erinnerte, schwer und würdevoll geworden, aber seine Augen glänzten noch. Mit leiser Stimme sagte der Doktor: "Ich habe das noch nicht beachtet [?]."

Nun kamen die Zeitungsleute herbei und Meißner wurde ausgefragt. Meißner war von Tokyo über Korea und China im August nach Tsingtau gefahren und hatte sich gestellt. Dort wurde er mit dem Gewehr ausgebildet, für andere Ausbildung war keine Zeit. "Bis etwa zum 20. Oktober lag seine Kompanie im Vorgelände der Iltis-Batterie. Dann im Feuer der japanischen Batterien. Es war ein Artilleriekampf. Die Infanterie konnte dabei kaum etwas tun. Wir hatten 80 cm Beton. Die Japaner feuerten 30 Schüsse in 1 Minute aus ihren Kanonen. Es war ein schöner Anblick, wenn die 28-cm-Granaten über uns ihre feurigen Linien zogen." Meißners Erinnerung war nur einen Monat alt. Wir dachten, er hat Glück gehabt. 28 cm Granaten durchschlagen 70 cm Beton.

Hauptmann Walther Stecher, der mit dem zweiten Trupp in Takahama ankam, machte ein verschlossenes Gesicht. Leutnant Solger ist ein Schreibtischmensch. Er hat in Leipzig studiert. Hauptmann Stecher war 1907 nach Japan gekommen und 1910 wurde er an die deutsche Botschaft in Tokyo attachiert. Zwar hatte er ein verschlossenes Gesicht, doch hatte er viele japanische Bekannte. Er war vom japanischen Kaiser in Audienz empfangen worden. 1908 wurde er an das 14. Artillerie-Regiment in Setagaya attachiert. Er kehrte nach Deutschland heim, wurde aber 1913 nach Tsingtau kommandiert.

Die Gefangenen gehen im Lager in Gruppen von zwei oder drei immer spazieren. Der Verkaufsladen im Lager darf keinen Alkohol verkaufen, aber Slipper (Pantoffel) und dergl. Sachen. Am 23. November kamen 70 Telegramme und eine große Kiste voll mit Briefen an. Vom Delikatessengeschäft Langfeld in Yokohama kam eine Kiste mit sieben Schwarzbroten. In Tokyo hatte Herr Drenckhahn von Siemens für die Gefangenen 6000 Yen. Ein Maler aus Kobe durfte zwei Tempel in Yamagoe malen. In einem einzigen Monat kamen Yen 10.446 an. Dezember 1915 hatte Leutnant Goldschmidt Yen 5.000 in der Matsuyama-Bank deponiert.

Eduard Leipold schrieb, als das Lager nach Bando verlegt war, in einem Brief, es gibt Gefangene, die jeden Monat Yen 200 erhalten. Es wurde erlaubt, daß jeder Gefangene an jedem Donnerstag eine Flasche Bier kaufen durfte, sie stammen ja aus dem Lande des Biers. Die Offiziere durften Eßbestecke (5 Teile) für 33 Sen kaufen. Die Preise im Laden waren billig. Zum Tee gab es 60 g Brot und 2 Stück Zucker, die Offiziere erhielten Gehälter.

Am 12. Dezember wurde der erste Ausflug gemacht, 200 Mann nahmen teil. Es ging aber nicht nach Dogo Onsen (heißes Quellbad), wo 10 Jahre früher die Russen hingingen, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Dr. Meißner protestierte gegen die Bajonette auf den Gewehren der begleitenden Wachen.

24.-26. Dezember feierten die Gefangenen Weihnachten. Ein 2 Meter hoher Tannenbaum aus Sendai war im Kokaido aufgestellt. Schlafengehen war von 9 Uhr bis 12 Uhr verschoben. In Dairinji und in den Tempeln von Yamagoe und bei den Offizieren wurde ähnlich gefeiert wie im Kokaido. Die aktiven Soldaten hatten aber nicht so viel Geld. Schaefer, Steinfeld und Meißner in Hokkaido feierten mit 4 Kisten Bier! (?) Sechsmal Weihnachten feierten die Gefangenen, davon drei in Matsuyama.

Weihnachten war vorbei. Zu Neujahr wurden den Gefangenen leckere japanische Gerichte zubereitet, aber es schmeckte ihnen nicht.

Besuche einiger japanischer Ehefrauen waren in verschiedenen Lagern erlaubt worden. Jetzt kamen Gesuche deutscher Frauen (Gröninger, Gaul, Frohenfels [richtig: Hofenfels, Josef [?]). Die vier Anträge wurden abgelehnt. Am 2. Januar kam A. Goepferts Frau Kanni (phonetisch) mit Töchterchen. Kanni war 28 Jahre alt, sie kam per Riksha und zeigte Erlaubnis vom Hauptquartier vor. Zeit 2 Uhr 30 bis 8 Uhr. Die 5-jährige Gassho (phonetisch) hatte eine Puppe und sang "moshimoshi kameo". Hauptmann Stecher gab ihr Birnen und "Mikan", dann schlief sie auf Stechers Bett ein. Hauptmann Shiraishi beaufsichtigte den Besuch. Aber weitere Besuche wurden abgelehnt. Da stieg Kanni mit einer Freundin am 5.1. auf einen Berg und winkte mit einem roten Tuch. Leutnant Goepfert lag auf einem long-chair und sah zu ihr hinauf. Später wurden Frau Goepferts Gesuche manchmal genehmigt.

Hauptmann Stecher lernte Japanisch. Leutnant Mueller lernte chinesische Charaktere [= Schriftzeichen] durch die japanischen zwölf Schulbücher. Wer Japanisch konnte, erhielt ein Armband, auf dem in drei Charakteren stand: "Versteht die japanische Sprache". Meißner wurde zum Lehrer, studierte alle japanischen Schulbücher und stellte schwierige Fragen. Er verfaßte im Lager Lehrbücher in deutscher Sprache fur Japanisch. Gradinger schrieb 50 Jahre spater, er möchte gerne Japanisch lernen, obwohl 50 Jahre verflossen seien.

Die Japaner bewunderten deutsche Technik, aber unter den 4480 Kriegsgefangenen in Japan waren 125 Berufe, darunter aber nur 10 Techniker, 3321 Berufssoldaten und 185 Beamte. Ferner Industrielle 167, Landwirtschaft 15, Wissenschaftler 161.

Goepfert baute einen Kühlschrank und ein Motorboot fur den Matsuta-Teich (ein für Bewässerungszwecke gegrabener Teich) von 100 Meter Durchmesser.

Es wurde erlaubt, im Ishite-Fluß zu baden. Meißner war unzufrieden und sagte: "Im Ishite-Fluß kann man sich nur Wasser übergießen. Den Russen habt Ihr erlaubt, im Dogo-Heißquellbad zu baden." Hinter dem Chokenji Tempel wurde Tennis, Geräteturnen, foot-ball, Catch-ball usw. gespielt. Auch wurde musiziert.

Briefe, Päckchen, Postkarten kamen viel vor Weihnachten 1915, aber verglichen mit dem Vorjahr waren es weniger.

Am 3. Juli 1916 schloß Japan mit Rußland einen Vertrag. Die Gefangenen waren sehr betrübt darüber.

Baerwald kaufte aus Kobe für Yen 280 ein Piano. Es wurde zusammen mit Violine gespielt.

Es gab Bestrafungen: In 2 1/2 Jahren eine für Flucht, dann für Scherzen mit Frauen, Trunkenheit, Verkehr mit Unkraut-Jäterinnen, geschmuggelte Post, Befehl nicht gehorcht, Nachlässigkeit mit Feuer usw.

Am 3.11.1915 machte der Soldat Metzner einen Fluchtversuch. Nach dem Morgenappell stieg er hinterm Kokaido über den Zaun mit Hut, Brille und einem japanischen Überwurf. Bei der Gasanstalt wurde er gesehen und der Polizei gemeldet. Nach nur 2 km wurde er verhaftet. Er sagte, daß er mit einem kleinen Boot vom Meeresufer nach Hiroshima fahren wollte. Er war 25 Jahre alt und hatte in einer groBen Firma in Shanghai eine Stellung mit Yen 400 Monatsgehalt. Von Hiroshima wollte er nach Yokohama und von da mit Schiff nach Shanghai. In seiner Reisetasche hatte er 2 Eier, Schokolade und in den Socken auf der Sohle japanisches Geld Yen 170. Er wurde anläßlich des Tenchasetsu-Festes nach einer Woche begnadigt.

Als Präsident Wilson Ende 1916 eine Friedensrede hielt, glaubten die Gefangenen, der Krieg sei bald zu Ende. Sie riefen einen Photographen und ließen Erinnerungsphotos machen.

Als Februar 1917 Amerika die Beziehungen zu Deutschland abbrach, war die Enttäuschung sehr groß. Aber die Zeit in Matsuyama war doch zu Ende. Die drei Lager Matsuyama, Marugame, Tokushima wurden in Bando zu einem Lager von 1000 Mann zusammengezogen.

Die Matsuyama-Händler wollten gerne mit nach Bando, aber ihre Gesuche wurden abgelehnt.

Am 8. April 1917 morgens um 2 Uhr 40 kommandierte Major Kleemann "Stillgestanden" und Oberstleutnant Maekawa hielt eine Ansprache. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Morgens um 3 Uhr 30, von 50 Soldaten bewacht, außerdem mit Polizisten, marschierten sie durch das noch nachtdunkle Matsuyama. Der Nachtwind wehte durch die Kirschblüten. Auf dem gleichen Wege, auf dem sie vor drei Jahren gekommen waren, zogen sie mit ihrem Waschgeschirr und anderen Sachen, in furoshiki (Einwickeltücher) eingewickelt, ab. 30 Kranke fuhren mit dem 3 Uhr 30 Zug nach Takahama.

48 Soldaten vom Matsuyama-Regiment begleiteten die 414 Gefangenen. Oberstleutnant Maekawa, Oberleutnant Yamade, ein Zahlmeister, ein Militärarzt, ein Dolmetscher, zwei Unteroffiziere, ein Oberkrankenpfleger, 2 Krankenpfleger fuhren mit der Kurenai-Maru durch die Inlandsee gen Bando bzw. nach dem Hafen Komatsushima.

Nach Bando kamen August 1918 aus dem Kurume-Lager noch einige ("mehrere 10") Gefangene. In Bando war alles weniger streng. Bei Ausflügen gingen nur ein paar Polizisten, also keine Soldaten, mit.

Johannes Barth erzählte, zuerst war die Bevölkerung bei Bando den Fremden gegenüber etwas ängstlich, aber dann lernten sie von ihnen die Tomatenzucht auf einem 400 qm Versuchsfeld. Landwirtschaftsfachmann Schmidt gab drei jungen Leuten aus Bando Unterricht. Claußnitzer zeigte Milchwirtschaft. 4 Kühe wurden bis auf 16 Kühe vermehrt. Statt täglich 18 Liter Milch kam man auf 90 Liter; Rahm, Butter und Joghurt wurde gemacht. Die "Deutsche Brücke" und die "Brillen-Brücke" im Park der Oasahigo-Shintoschreine wurden von Gefangenen unter Leutnant Deutschmann gebaut. Das Städtchen nahe bei der Naruto-Meerenge wurde von Tag zu Tag immer deutscher.

Die Gefangenen gaben sich gegenseitig Unterricht. Sie lernten viel Englisch und Französisch und Japanisch, Mathematik, Geographie usw. Lehrbücher dafür wurden im Lager geschrieben. Die Lagerdruckerei lernte bald zweifarbig und dreifarbig zu drucken. In Matsuyama hatten die Gefangenen die Monatsschrift "Das Lagerfeuer" gedruckt, in Matsuyama druckten sie "Die Baracke".

Am 8. März 1918 gab es eine große Ausstellung von Gefangenenarbeiten im Tempel Nr. 1 der 88 Pilgerstätten von Shikoku. Die Ausstellung dauerte bis zum 18. März. Ausgestellt waren Sachen aus Holz, Bauten, Boote, Ölgemälde, Haushaltsgeräte, Eßwaren usw. Ein Katalog war gedruckt. Aber die Sachen wurden nicht verkauft.

Unter den von der Lagerdruckerei gedruckten Sachen gab es auch Konzertprogramme. Beethoven-Symphonien, Kompositionen von Weber, Liszt, Wagner wurden gespielt. Es gab zwei Kapellen mit je 40 bis 50 Instrumenten, die eine nach dem Dirigenten Paul Engel genannt, die andere wurde von Hansen geleitet.

Vor dem Tempel Reizanji als Bühne gab das Engel-Orchester ein öffentliches Konzert. Die Bevölkerung lauschte mit kindlichem Gemüt. Damals gab es noch kein Radio, kein Fernsehen, man kannte in Bando noch keine europäische Musik. (Anmerkung des Übersetzers: Sie klatschten begeistert bei allen forte- und fortissimo-Stellen.) Uns erschien die Musik wie ein Traum aus fernem Land.

Am 25.12.1919, dem sechsten Weihnachten in Japan, reisten 604 Mann ab. Das Gefangenenleben war beendet.

50 Jahre später kam ein Brief von Eduard Leipold aus Coburg. Im Brief stand: "Wir versammeln uns noch einmal in jedem Jahr."

Jetzt müssen sie wohl alle etwa 80 Jahre alt sein ...
 

©  Hans-Joachim Schmidt; für das Original: Tokio Saigami (Anschrift unbekannt)
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