Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Besetztes Tsingtau

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Geschäftsbericht 1914 der Tsingtauer Justizverwaltung

von Oberrichter Dr. Georg Crusen
 

Der Kaiserliche Oberrichter des Kiautschou-Gebiets und Chef der Justizverwaltung, Dr. Georg Crusen, ging im Dezember 1914 nach Shanghai und erstattete von dort aus am 31.12.1914 seinen routinemäßigen "Geschäftsbericht" an die vorgesetzte Behörde, das Reichsmarineamt. Darin schilderte er aus seiner Sicht vor allem die Maßnahmen der japanischen Besatzungsmacht nach der Kapitulation.
Der folgende Text liegt als Kopie beim Bundesarchiv in Freiburg/Breisgau und wird hier mit einigen Verknüpfungen, im Übrigen unverändert wiedergegeben.
 

Euer Exzellenz beehre ich mich, nachstehend über die wichtigsten Ereignisse aus dem Bereich der Justizverwaltung des Schutzgebietes während des Jahres 1914 zu berichten, so weit mir das ohne den Besitz irgendwelcher Akten möglich ist.

Wie für fast alle Zweige der Schutzgebietsverwaltung bedeutete die erste Hälfte des Jahres auch für die Justiz eine Periode ruhiger Weiterentwicklung. Nach wie vor war die Kriminalität der europäischen Bevölkerung gering, die der chinesischen normal; Zivilprozesse und Grundbuchsachen wiesen eine geringe Zunahme auf. Am 1. April wurde das ebenso schöne wie zweckmäßige neue Justizgebäude in Benutzung genommen und damit eine Quelle zahlreicher Unbequemlichkeiten für Beamte und Publikum beseitigt. Die Frage der späteren Erbauung eines praktischen Zentralgefängnisses wurde erörtert und ihre Lösung durch Besichtigungen moderner Chinesengefängnisse in Peking und Tientsin durch mich vorbereitet. Als Ersatz für die im Februar in die Heimat zurückgekehrten Referendare Dr. v. Schnitzler, Dr. v. Erdmannsdorff und Schlieb waren die drei preußischen Referendare Dr. Knoll, Dr. Lepsius und Dr. Lohmann zur Beschäftigung überwiesen und mit dem Kiautschoutransport eingetroffen. Als Vertreter des Rechtsanwalts und Notars Zimmermann, der Ende Juli einen Heimaturlaub antreten wollte, war Rechtsanwalt Dr. Rumpf aus Hankau eingetroffen. Sonstige Personalveränderungen waren nicht zu verzeichnen. An den Arbeiten der Deutsch-Chinesischen Hochschule beteiligte sich (durch Abhaltung von Vorlesung über allgemeine Rechtsgeschichte und Encyklopädie) der Oberrichter, dem im Juli der Charakter als Geheimer Justizrat verliehen wurde. Gleichzeitig wurde dem Sekretär Gerlach der Kronenorden IV. Klasse verliehen.

Der Ausbruch des Krieges rief das gesamte Personal der Justiz mit Ausnahme des Gerichtsdolmetschers sowie die meisten Beisitzer des Obergerichts und des Gerichts zu den Waffen. Zunächst kehrten die Kommandierten zu ihren Marineteilen zurück. Bei Beginn der Blockade waren tätig: Obersekretär Bergemann als Oberleutnant der Seewehr in der Bismarckberg-Batterie, Richter Lehmann als Hilfs-Oberleutnant und Führer des zweiten Landsturmzuges, Richter Wegener als aktiver Kriegsgerichtsrat, Sekretär Tabbert als Leutnant der Reserve im Infanteriewerk I, Rechtsanwalt Zimmermann als Leutnant der Reserve bei einer Kompagnie des III. Seebataillons, Rechtsanwalt Dr. Rumpf als Leutnant der Reserve bei der Feldbatterie, die drei Referendare als Vizewachtmeister bezw. Vizefeldwebel der Reserve im III. Seebataillon, Kanzlist Ketelsen als Unteroffizier im Landsturm, Sekretär Gerlach, Rechtsanwalt Klinke und Oberrichter Dr. Crusen (letzterer freiwillig) als Landsturmmänner. Von ihnen wurde Klinke zum Gefreiten und bald darauf zum Unteroffizier befördert, Dr. Crusen Anfang Oktober auf Anordnung des Gouvernements entlassen, um bei den Übergabeverhandlungen als Beamter mitzuwirken.

Da sämtliche Beamten versuchten, ihren Gerichtsdienst neben dem militärischen Dienst weiter zu versehen, so wurde bis etwa zum 23. August der Betrieb nach Möglichkeit aufrecht erhalten. Die chinesischen Angestellten verließen bis auf 2 Tsingtau. Schwierigkeiten entstanden durch das Aufhören der Verbindung mit Europa und durch den Mangel an größeren Barmitteln bei den europäischen Firmen. Die deutsche Kaufmannschaft beantragte den Erlaß eines Moratoriums durch den Gouverneur, jedoch konnte dem nicht stattgegeben werden. Zunächst fehlte es an einer Bestimmung, die den Gouverneur dazu ermächtigt, außerdem war nicht bekannt, ob nicht bereits reichsgesetzlich ein auch für die Schutzgebiete wirksames Moratorium eingeführt war, und endlich war die Kaufmannschaft unter sich insofern nicht einig, als einige Firmenchefs zwar selbst nicht zahlen, aber andererseits ihre japanischen und chinesischen Schuldner zur Zahlung zwingen wollten. Nachdem verschiedene Besprechungen der Frage ohne positives Ergebnis geblieben waren, ist schließlich die Schwierigkeit praktisch dadurch überwunden, daß Zwangsmittel gegen Schuldner, die nicht zahlten, nur von ganz vereinzelten Gläubigern (von diesen meist ohne praktischen Erfolg) angewendet wurden. Die übrigen warten, bis das Schutzgebiet wieder deutsch ist. Eine Änderung des Schutzgebietsgesetzes dahin, daß im Falle der Unterbrechung jeder Verbindung des Schutzgebietes mit der Heimat dem Gouverneur die gesetzgebende Gewalt für alle keinen Aufschub vertragenden Maßnahmen zusteht, halte ich für erwünscht, da andernfalls erhebliche Schwierigkeiten entstehen können.

Entsprechend den Bestimmungen für die Mobilmachung wurden die Prisengerichtsordnung vom 15.4.11 und die Verfügung des Reichskanzlers betreffend die Errichtung von Prisenämtern in den Schutzgebieten vom 1.8.11 in den Nr. 43 und 45 des Amtsblattes vom 7. und 8. August veröffentlicht und die Funktionen des Prisenamts für das Schutzgebiet von der Abteilung 1 des Gerichts (Richter Lehmann) übernommen. Nach Paragraph 9 der Kaiserlichen Verordnung vom 15. April 1911 hat der bei jedem Prisengericht zu bestellende Kaiserliche Kommissar die Interessen des Reiches auch bei den im Bezirk des Prisengerichts gelegenen Prisenämtern wahrzunehmen. Wegen der Unterbrechung der telegraphischen Verbindung ist eine Nachricht, zu welchem Prisengerichtsbezirk das Kiautschougebiet gehört, nicht mehr nach Tsingtau gelangt. Da außerdem einerseits eine tatsächliche Wirksamkeit des in Deutschland befindlichen Kommissars ausgeschlossen war, andererseits die Interessen des Reichs eine Vertretung erforderten, so wurde durch den Herrn Gouverneur vorbehaltlich der Allerhöchsten Bestätigung der Oberrichter zum Vertreter des Prisenkommissars für den Bezirk des Prisenamts Tsingtau bestellt. Die Wegnahme des russischen Dampfers "Rjäsan" durch S.M.S. Emden gab den Prisenbehörden bald willkommene Gelegenheit zur Betätigung. Die darüber entstandenen Akten sind Euer Exzellenz am 22. August durch Vermittlung des Konsulats Tsinanfu übersandt worden. Nachzutragen ist, daß der sehr erhebliche Teil der Ladung, welche aus Nahrungsmitteln und Kleiderstoffen bestand, zu Gunsten des Fiskus eingezogen und für die Ernährung und Bekleidung unserer Truppen verwendet worden ist. Der Rest war der Kajenverwaltung zur Aufbewahrung übergeben und ist den Japanern in die Hände gefallen.

Es dürfte sich empfehlen, die Mobilmachungsvorschriften dahin zu ergänzen, daß für jedes Schutzgebiet entweder ein Vertreter des Prisenkommissars, am besten wohl der Inhaber eines bestimmten Amtes, von vornherein ernannt oder die Ernennung dem Gouverneur übertragen wird.

Solange nur die europäischen Mächte am Kriege beteiligt waren, erschienen besondere Maßnahmen für die Justizverwaltung nicht erforderlich. Erst nach Bekanntgabe des japanischen Ultimatums wurden die bei dem Gericht hinterlegten Gegenstände und die wichtigsten Akten, namentlich die Tabellen zu den Grundbüchern, Qualifikationsberichte, Personalbogen und einzelne Generalakten von dauerndem Wert den benachbarten Konsulaten Tientsin und Tsinanfu mit der Bitte um Aufbewahrung übersandt. Die Geschäfte der Gerichte nahmen allmählich ab, namentlich auf dem Gebiete der streitigen Gerichtsbarkeit. Außer der Militärgerichtsbarkeit, die der erheblichen Vermehrung der Garnison entsprechend sowie infolge zahlreicher, meist unbegründeter Anzeigen wegen Spionageverdachts vermehrte Arbeit erforderte, nahmen allerdings die Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit und die Zahl der Hinterlegungen zu. Zahlreiche Einwohner, namentlich die unter den Fahnen befindlichen, hatten den Wunsch, wichtige Dokumente und die von ihnen als Beweismittel für spätere Schadenersatzansprüche gefertigten Vermögensverzeichnisse sicher aufzubewahren, und beantragten ihre Annahme zur gerichtlichen Verwahrung. Obgleich die Hinterlegungsordnung derartige Fälle nicht vorsieht, ist den Anträgen stattgegeben, da immerhin die Aufbewahrung im Gerichtstresor eine relativ große Aussicht bot, die Papiere auch im Falle einer Beschießung des Gerichtsgebäudes zu erhalten. Tatsächlich ist der Tresorraum mit dem gesamten Inhalt (namentlich auch das Grundbuch) unverletzt geblieben, während in der Nacht zum 7. November der daneben liegende Büroraum durch eine Sprenggranate völlig demoliert ist. In der Zeit bis Ende Oktober blieb das Gerichtsgebäude unverletzt; erst bei der letzten fortgesetzten planmäßigen Beschießung der Stadt erhielt es sechs oder sieben Treffer (die genaue Zahl kann nur durch Besichtigung des Dachs festgestellt werden). Zunächst wurde die im nördlichen Flügel gelegene Hauptwache sowie die darüberliegende Gerichtsbibliothek durch eine Granate getroffen; um den Einsturz des Daches zu verhindern, wurden durch die Garnisonbauverwaltung sofort Stützbalken angebracht; eine weitere Reparatur war wegen des Fehlens von chinesischen Arbeitern unmöglich. Die übrigen Treffer ereigneten sich in der Nacht zum 7. November. Personen wurden nicht verletzt. Ende Oktober war das Gerichtsgebäude von etwa 100 Mann der Marinekompagnie sowie vom Kommando der Reserve (Korvettenkapitän Sachse) bezogen, nur die für die Ausübung der Gerichtsbarkeit unbedingt nötigen Räume blieben unbelegt. Auch hatten sich in den letzten Tagen vor der Übergabe einige der Gerichtsbeamten im Keller einquartiert, weil die Straßen von ihren Wohnungen zum Gericht ständig unter Feuer gehalten wurden und dadurch der Weg zum Dienst erschwert war.

Am Morgen des 7. November nach der Übergabe der Festung drangen zunächst kleine Gruppen von Japanern teils unter Führung von Unteroffizieren, teils ohne solche, jedenfalls durchweg ohne Offiziere, in die Stadt und begannen eine regelrechte Plünderung. Namentlich die Häuser in der Nähe des Gouvernements hatten darunter zu leiden, auch das Gericht. Die Marinekompagnie war am Abend des 6. November ausgerückt und, soweit die Leute nicht gefallen waren, in der Front gefangen genommen. Die reichen von ihr zurückgelassenen Vorräte fielen den Japanern in die Hände, die außerdem einen Teil der fiskalischen Möbel und der Möbel des auf Heimaturlaub befindlichen Gerichtsdieners Preiß demolierten - anscheinend, weil das Gebäude alle Anzeichen der Benutzung als Kaserne trug. Es verlautete auch, daß das Gouverneur-Wohnhaus ausgeplündert und namentlich alle Silbersachen gestohlen seien; ob das zutrifft, kann ich nicht sagen.

Gegen die Plünderungen der Mannschaften, bei denen in erster Linie Nahrungsmittel und Getränke, vielfach aber auch Geld und Wertsachen gestohlen wurden, ist in den ersten Tagen von den japanischen Vorgesetzten nicht wirksam eingeschritten, obgleich höhere Offiziere mehrfach erklärten, daß den Soldaten das Betreten von Privathäusern verboten sei, und baten, Zuwiderhandlungen einem Offizier zu melden. Allerdings sind mir mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Offiziere wenigstens versucht haben einzuschreiten (ich habe persönlich in meinem Hause, wo ich 6 plündernde Soldaten traf, diese Erfahrung gemacht). Auch verbreitete sich das Gerücht unter den Deutschen, es seien am 7. November 70 von ihren Vorgesetzten beim Plündern betroffene japanische Soldaten kurzerhand an Ort und Stelle erschossen. Aber meine Versuche, diesen Fällen auf den Grund zu gehen, ergaben, daß niemand dabei gewesen war und jeder nur Gerüchte weiter erzählte; schließlich blieb noch ein Fall von 2 Soldaten, die in Gegenwart von Deutschen im Garten des Offizierkasinos erschossen sein sollten, aber die angeblichen Augenzeugen waren nicht aufzufinden. Ich glaube danach annehmen zu dürfen, daß in den ersten Tagen den einzelnen Plünderern nichts oder wenigstens nicht viel geschehen ist. Ob das Gerücht stimmt, daß zur Strafe für die vorgekommenen Ausschreitungen die beteiligten Truppen drei Tage länger, als ursprünglich beabsichtigt war, haben biwakieren müssen, entzieht sich meiner Kenntnis. Gewalttätigkeiten gegen Personen sind anscheinend nicht begangen; die von einer älteren Dame gegen einen Leutnant erstattete Anzeige wegen Notzuchtsversuch wurde, soviel ich weiß, auch von deutscher Seite für eine Übertreibung gehalten. Im Übrigen sind Roheiten gegen Frauen und Kinder nicht bekannt geworden; im Gegenteil bildete bald die mit deutschen Kindern spielende Wachmannschaft ein typisches Straßenbild.
Die Japaner haben auf die zahlreichen eingegangenen Anzeigen von Plünderungen teilweise versucht, sie den Chinesen in die Schuhe zu schieben, außerdem aber erklärt, es sei ein zu großer Prozentsatz ihrer Offiziere gefallen, daß sie nicht in der Lage gewesen seien, den kleinen Gruppen von Mannschaften Offiziere mitzugeben. Nachdem die militärische Besetzung der Stadt durch die Japaner durchgeführt war, sind anscheinend die Plünderungen stark zurückgegangen, aber ganz aufgehört haben sie keineswegs. Im Gegenteil sind mir teils aus eigener Erfahrung, teils durch glaubwürdige Schilderungen Bekannter bis zu meiner Abreise aus Tsingtau (10. Dezember) zahlreiche Fälle bekannt geworden. Der Oberpfarrer ergriff auf frischer Tat einen Unteroffizier, der mit mehreren Leuten in die Kirche eingedrungen war, die Schränke erbrochen und den Abendmahlswein (1 1/2 Flaschen) ausgetrunken hatte, er nahm ihm die Mütze sofort, brachte ihn zur Anzeige und erreichte wenigstens so viel, daß in seiner Gegenwart dem Täter ein strenger Verweis erteilt wurde. In anderen Fällen wurden darüber geklagt, daß die von den Japanern bereitwilligst zur Bewachung von Privathäusern gestellten Sicherheitsposten selbst Einbrüche verübt hätten. Observatoriumsdirektor Dr. Meyermann hat mir erzählt, daß er einen Major in Uniform in seiner Wohnung beim Durchsuchen von Schubladen pp. vorgefunden hätte, dessen Vertreibung ihm nur unter großen Schwierigkeiten gelungen sei. Andererseits möchte ich nicht verschweigen, daß mir auch auf unserer Seite ein Fall von Plünderung bekannt geworden ist. Ich wurde am 9. November von den chinesischen Dienern des Rechnungsrats Solf um Beistand gebeten, weil ein Japaner in Abwesenheit ihres Herrn in das Haus eingedrungen sei, sie geschlagen und verschiedenes gestohlen habe. Ich fand dann zwar keinen Japaner, wohl aber einen kleinen, mongolisch aussehenden österreichischen Matrosen (anscheinend Ungarn), der angetrunken war. Er hatte keine Mütze, dafür einen langen Stock und eine halbgeleerte Weinflasche, außerdem ersichtlich in den Taschen verschiedene Gegenstände. Da er meiner Aufforderung, die Sachen herauszugeben und fortzugehen, nicht Folge leistete, habe ich ihn der Lazarettwache übergeben; er dürfte inzwischen in Japan durch das zuständige japanische Kriegsgericht abgeurteilt sein.

In den nächsten drei bis vier Tagen beschäftigten sich die Japaner damit, in der er ihnen eigenen umständlichen und schwerfälligen Weise die äußere Ordnung in der Stadt, namentlich durch Aufstellung von Posten an allen Straßenkreuzungen und sonstigen wichtigen Punkten, herzustellen. Die meisten deutschen Behörden durften unterdessen weiter funktionieren, so namentlich auch die Justiz, die Polizei, die Landesverwaltung und die Gouvernementskasse. Zur Vorbereitung der Übergabe wurden deutsch-japanische Kommissionen gebildet, darunter eine nicht-militärische, die sogenannte Verwaltungskommission, der ich als Mitglied angehörte. Die beiden Sitzungen dieser Kommission, die aus etwa 30 Mitgliedern bestand und unter dem Vorsitz des Chefs der Stabes, Generalmajor Yamanaschi tagte, ließen keinen Zweifel darüber, daß das vorhandene japanische Personal den schwierigen nicht-militärischen Aufgaben, die nach der Besitzergreifung zu lösen waren, in keiner Weise gewachsen war. Es fehlte vollständig an tüchtigen und einigermaßen vorgebildeten Beamten, auch waren die Sprachkenntnisse der Beamten völlig ungenügend, während unter den Offizieren zahlreiche gut deutsch sprechende waren. Nur der als Polizeichef in Aussicht genommene Hauptmann Akita wußte anscheinend, wozu er da war. Einen besonders ungeschickten Eindruck machte der kommissarische Zivilverwaltungsbeamte, ein Professor aus Tokyo, der durch zahlreiche törichte Fragen wiederholt den Unwillen seiner militärischen Vorgesetzten erregte und ein Bild völliger Hilfslosigkeit bot. Irgendwelche praktischen Ergebnisse hatten die Beratungen nicht; die Japaner verlangten z. B. in wenigen Stunden Verzeichnisse und Listen (z. B. sämtlicher Einwohner der Stadt), deren Anfertigung Wochen gedauert hätte. Gegen die Anregung von deutscher Seite, die Beamten, die für die Überleitung der Verwaltung erforderlich sein würden, nicht gleich in Kriegsgefangenschaft abzuführen, sondern zunächst zur Erteilung von Auskünften in Tsingtau zu lassen, verhielten sich die Japaner teilweise ablehnend. Allerdings gelang es dem bereits erwähnten Hauptmann Arita, den Polizeichef und die meisten Polizeibeamten noch längere Zeit in Tsingtau zu behalten. Dagegen wurden - was die Japaner nachher selbst bereut haben, alle Beamte des Landamtes, die sämtlich die Waffen getragen hatten, nach Japan geschickt, so daß niemand vorhanden war, um die den Japanern sehr am Herzen liegenden Akten des Landamts zu erläutern. Von dem Personal der Justizverwaltung blieben außer dem Oberrichter und dem Dolmetscher in Tsingtau: Richter Lehmann und Sekretär Gerlach, die als Angehörige des nicht-mobilen Landsturms (nach langem Schwanken der japanischen Behörden) von der Kriegsgefangenschaft verschont blieben, außerdem Kanzlist Ketelsen, dieser aber nur, weil er seit Wochen mit schwerem Rheumatismus im Lazarett lag.

Da mir eine Übergabe der Gerichtsgeschäfte an die Gesamtkommission (wie sie bezüglich der Geschäfte der Landesverwaltung vorgenommen war) zwecklos erschien, verabredete ich mit dem ältesten anwesenden Juristen, Oberkriegsgerichtsrat (mit dem Rang eines Oberstleutnants) Iwakoshi, daß ich ihm am 11. November die Geschäfte übergeben würde. Er erschien dann in Begleitung eines Sekretärs und eines sogenannten Dolmetschers, der aber kein Deutsch konnte; die sprachliche Verständigung machte aber, da ich etwas Japanisch verstehe und der Gerichtsdolmetscher ziemlich fließend Japanisch spricht, keine Schwierigkeit. Die Übergabe beschränkte sich darauf, daß die Japaner sich die Bestimmung der Räume und den Inhalt der Aktenschränke erklären ließen. Mein Interesse konzentrierte sich auf die Sicherung der Depots, die Herausgabe der wichtigsten Generalakten und die Belassung der Rechtsanwälte und Notare (die, wie bereits erwähnt, sämtlich die Waffen getragen hatten) in Tsingtau. Letzteres war deswegen wichtig, weil sie von zahlreichen Personen, die von Tsingtau abwesend waren, Vollmacht zur Vertretung ihrer Interessen im Werte von vielen Millionen erhalten hatten und außerdem auch für die Beratung der in Tsingtau verbleibenden Deutschen die Anwesenheit von Anwälten erwünscht war. Ich habe in dieser Beziehung die energische Unterstützung des Kaiserlichen Gouvernements erhalten, und auch Iwakoshi, der zwar keinen besonders intelligenten Eindruck machte, aber im Großen und Ganzen höflich und entgegenkommend war, zeigte Verständnis für diesen Wunsch und versprach, ihn zu befürworten. Es schien zunächst so, als ob die Anwälte, namentlich Klinke, der dem Landsturm (allerdings dem mobilen Zuge) angehört hatte, bleiben könnten; indes kam sehr bald die Mitteilung, daß die zuständige militärische Stelle den sofortigen Transport nach Japan angeordnet habe. Ob hierfür rein militärische Gründe maßgebend gewesen sind, namentlich der Wunsch nach einer möglichst hohen Zahl von Kriegsgefangenen oder vielleicht gerade der Wunsch, die erheblichen deutschen Interessen nach Möglichkeit schutzlos zu lassen, entzieht sich meiner Kenntnis.

Bezüglich der beiden anderen Punkte dagegen hatten meine Bemühungen Erfolg. Unter Hinweis auf die im Übergabevertrage versprochene Respektierung des Privateigentums und die auch in Japan bekannte Einrichtung der gerichtlichen Hinterlegung wurden dem japanischen Beamten die im Tresor liegenden Depots gezeigt und gefragt, ob er bereit sei, sie den gehörig legitimierten Hinterlegern wieder auszuhändigen. Er bejahte das, äußerte aber den Wunsch, daß die Herausgabe möglich noch durch die deutschen Beamten erfolgen möge, da die Prüfung der Legitimation für ihn und seine Beamten schwierig sein würde. Es wurde dann verabredet, dass die Verwahrungsbeamten (Sekretär Gerlach und Gerichtsdolmetscher Ferring) sich zur Herausgabe täglich von 10 bis 11 1/2 Uhr im Kassenraume des Gerichts aufhalten würden. Dieses wurde von mir durch Anschlag bekannt gemacht und die noch in Tsingtau anwesenden Hinterleger haben bis auf einige Ausnahmen in der Zeit bis Anfang Dezember ihre Depots zurück erhalten. Namentlich sind Personalpapiere der Offiziere und Militärbeamten, die der Chef des Stabes, und Löhnungs- und Gehaltslisten der Offiziere und Beamte, die der Gouvernementsintendant hinterlegt hatte, dem Bevollmächtigten des Gouvernements, Geheimen Regierungsrat Günther, ausgehändigt wurden. Bei meiner Abreise von Tsingtau, die etwa zusammenfiel mit der Ersetzung des Iwakoshi und seines Stabes durch andere japanische Beamte, waren fast nur noch Depots von Kriegsgefangenen vorhanden. Meinen von Iwakoshi gebilligten Plan, sie mit nach Shanghai zu nehmen und von hier aus zurückzugeben, konnte ich nicht ausführen, weil für die Reise nur der Landweg zur Verfügung stand und die Japaner jede Verantwortung für das Kriegsgepäck abgelehnten. Unter diesen Umständen trug ich Bedenken, die zum Teil aus Wertpapieren bestehenden Depots der Gefahr der Reise auszusetzen; sie befinden sich also noch im japanischen Gewahrsam.

Bezüglich der Akten konnte nur die Rettung der allerwichtigsten in Betracht kommen. Kriegsgerichtsrat Wegener erreichte ohne weiteres die Herausgabe der laufenden militärgerichtlichen Akten, die er mit nach Japan genommen hat. Auch erklärte sich Iwakoshi bereit, mir die laufenden nicht-militärischen Akten über noch nicht erledigte Zivil- und Strafprozesse zu übergeben, wenn ihm bis zum folgenden Tage ein vollständiges Verzeichnis der in Frage kommenden Akten gegeben werde. Diese Bedingung konnte nicht erfüllt werden; von den Beamten, die sämtlich in der Zeit vor der Übergabe intensiven militärischen Dienst gehabt hatten, war niemand völlig informiert, die Register, aus denen das Verzeichnis hätte hergestellt werden können, waren teilweise bei der plötzlichen Verwandlung des Gerichts in eine Kaserne verlegt. Ich bin deshalb auf diese Forderung, deren Durchsetzung ich für weniger wichtig hielt, nicht zurückgekommen. Dagegen gelang es mir nach einiger Zeit mit Hilfe eines inzwischen eingetroffenen sehr verständigen und deutschfreundlichen Dolmetschers (Higaschi, hat vier Jahre in Berlin Jura studiert), fast alle wichtigen Generalakten ausgeliefert zu erhalten und dem Zivilkommissar zur Aufbewahrung zu übergeben; die zurückgelassenen wurden in der Bibliothek deponiert und die Japaner gebeten, sie nicht zu vernichten. Ob von den sonstigen Akten noch etwas vorgefunden werden wird, erscheint zweifelhaft; bei meiner Abreise waren die Japaner gerade damit beschäftigt, einen Teil der Möbel des Gerichts, namentlich die Aktenschränke, auf ihre Transportdampfer zu verladen und nach Japan zu schicken.

Am 11. November übernahm dann die Iwakoshi die Ausübung der gesamten Gerichtsbarkeit im Schutzgebiete; meine Frage, ob die deutschen Richter auch weiter Akte freiwilliger Gerichtsbarkeit vornehmen könnten, wurde von ihm verneint.

Nachdem der Herrn Gouverneur mit dem Stabe die Kolonie verlassen hatte, gingen die Geschäfte des Gouvernements auf Grund einer von seiner Exzellenz ausgestellten Generalvollmacht auf den Zivilkommissar über. Dazu gehörten neben der Auszahlung der Gehälter an die in Tsingtau verbliebenen Beamten und der Unterstützung der zahlreichen Mittellosen und daher hülfsbedürftigen Familien namentlich die Entgegennahme der zahlreichen Beschwerden wegen Übergriffe der Japaner und die Verhandlungen mit den japanischen Behörden. Unsere Hoffnung, daß die angeblich so flinken Japaner in wenigen Tagen Telegraph, Post, Eisenbahn, Elektrizitätswerk, Wasserwerk, Schlachthof u.s.w. wieder in Betrieb setzen, überhaupt bemüht sein würden, Handel und Verkehr möglichst bald wieder ins Leben zu rufen, erwies sich als völlig trügerisch. Nur das Haipu-Wasserwerk wurde mit Hilfe der deutschen Beamten bald wieder betriebsfähig gemacht. Dafür trafen sie aber im Laufe der Zeit eine Reihe von Maßregeln (Absperrungen, Verkehrsverbote, Meldepflichten u.s.w.), die so töricht waren, daß sie anfangs als Akte der Willkür und Schikane angesehen wurden, bis allmählich bekannt wurde, daß sie gegen Japaner noch rigoroser durchgeführt wurden als gegen Deutsche. Tatsächlich waren sie wohl nur der Ausfluß der völligen Hülfslosigkeit der japanischen Behörden, die weder aus noch ein wußten. Es waren hauptsächlich drei Behörden, die für die deutsche Bevölkerung in Betracht kam: das Polizeiamt, das Militärverwaltungsamt und das Oberkommando. Über die Zuständigkeit herrschte auch bei den Japanern völlige Unklarheit. Es war ganz gleich, bei welcher Instanz man einen Antrag anbrachte, man wurde unfehlbar mit der Antwort, die andere Behörde sei zuständig, weiter geschickt und kam bald bei der zuerst angegangenen wieder an. Sachlich etwas zu erreichen, war unter diesen Umständen sehr schwer. Etwas besser wurden die Verhältnisse, nachdem Mitte November mehrere Dolmetscher angekommen waren, die in Deutschland studiert hatten und außer guten Sprachkenntnissen und Vertrautheit mit europäischen Verwaltungsmethoden auch das deutliche Bestreben hatten, der deutschen Bevölkerung nach Möglichkeit behülflich zu sein. Sie wurden bald die vielgeplagten Mittler zwischen Deutschen und japanischen Behörden, waren aber naturgemäß in ihrer unselbstständigen Tätigkeit an die Weisungen ihrer Vorgesetzten gebunden, die anscheinend wieder vielfach auf Grund bindender Instruktionen von Tokyo handelten.

Eine der wenigen verständigen Maßnahmen der japanischen Verwaltung war die Bekanntmachung, daß die deutschen Gesetze und Verordnungen bis auf weiteres in Geltung bleiben sollten. Dann kam die Anordnung, daß jeder Grundbesitzer Lage, Beschaffenheit und Größe seines Grundbesitzes umgehend anzumelden habe. Wenn auch weder eine Frist gesetzt noch für die Unterlassung ein Rechtsnachteil angedroht war, so war doch nicht ausgeschlossen, daß die Maßregel die Vorbereitung zu einer Vermögenskonfiskation sein könne. Es wurde auch bekannt, daß England auf Japan einen Druck ausübe, in Tsingtau gegen Deutsche ähnlich vorzugehen wie die englische Regierung in Hongkong. Jedenfalls war der Meldezwang gefährlich für die zahlreichen Grundeigentümer, die von Tsingtau abwesend waren. Ich versuchte daher, den Chef des Militärverwaltungsamts Oberstleutnant Yoshimura zur Zurücknahme der Anordnung zu bewegen. Ich stellte ihm vor, daß die Anmeldung wegen der Abwesenheit vieler Eigentümer keine vollständige sein könne, daß aber andererseits die Einsicht in das Grundbuch mit verhältnismäßig wenig Zeitaufwand ihm eine völlig zuverlässige Übersicht über die Eigentumsverhältnisse verschaffen würde, und daß zur Hülfeleistung ihm die Grundbuchbeamten zur Verfügung ständen. Der deutsch sprechende Offizier war sehr höflich, bedankte sich für die Anregung, erklärte aber, auf die Anmeldung nicht verzichten zu können; es sei zur Kenntnis der japanischen Behörden gekommen, daß während der Belagerung Schiebungen gemacht seien, die durch die Anmeldung aufgedeckt werden sollten. Ich erwiderte, von derartigen Schiebungen sei mir nichts bekannt, wenn sie aber vorgekommen seien, könnten sie aus dem Grundbuch, nicht aber durch die Anmeldung auf Grund des vorgeschriebenen Formulars ermittelt werden. Oberstleutnant Yoshimura blieb aber bei seinem Entschluß. Ob die Anmeldung wirklich von allen vorgenommen ist, weiß ich nicht; der Sohn des Generalgouverneurs Tschan erh hsün erzählte mir, die Chinesen hätten sich verabredet, überhaupt nicht anzumelden. Mit den Schiebungen meinen die Japaner vielleicht die Tatsache, daß während der Belagerung sämtlichen Missionen die ihnen bisher steuerfrei zur Benutzung überlassenen Grundstücke zum Preise von 1 Cent für den Quadratmeter verkauft sind, um sie dagegen zu schützen, daß die Japaner ihre Grundstücke als fiskalisch mit Beschlag belegten. Der Eigentumsübergang ist selbstverständlich mit richtigem Datum in das Grundbuch eingetragen und von einer Schiebung kann keine Rede sein.

Wie notwendig diese Maßregel war, bewies das Vorgehen der Japaner. Nachdem alle öffentlichen Gebäude besetzt waren, wurden alle Mieter fiskalischer Wohnungen unter völliger Ignorierung ihrer Mietsrechte gezwungen, binnen 24 Stunden auszuziehen, wobei viele einen Teil ihrer Sachen eingebüßt haben, obgleich die in Tsingtau gebliebenen Beamten, namentlich die der Justiz, bemüht waren, zwischen den Behörden und den Mietern zu vermitteln. Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Legende von der Findigkeit der Japaner arbeiteten sie dabei mit völlig veralteten Stadtplänen, die zu Tausenden im Besitz der Offiziere und Mannschaften waren. So kam es, daß nicht nur die Flieger fortgesetzt Bomben auf die Schuppen des Verpflegungsamtes warfen, in dem sie noch das Munitionsdepot vermuteten, sondern daß auch zahlreiche Grundstücke besetzt wurden, die auf diesen Plänen noch als fiskalisch bezeichnet, inzwischen aber längst an Private verkauft waren, so z. B. das Grundstück, auf dem die Öltanks der Standard Oil Co. stehen. Auch abgesehen davon kamen zahlreiche "Versehen" vor; namentlich wurden vielfach Häuser besetzt, die neben fiskalischen Grundstücken lagen und mit solchen verwechselt oder als deren Zubehör angesehen wurden (zum Beispiel die neben dem Elektrizitätswerk liegende Fabrik von Oster). Vielfach erbaten die geschädigten Eigentümer unsere Vermittlung, aber es war sehr schwer, die Japaner aus einmal von ihnen besetzten Grundstücken zu vertreiben. Das Angebot, durch Einsichtnahme in das Grundbuch sich über die Eigentumsverhältnisse Klarheit zu verschaffen, lehnten sämtliche maßgebenden Beamten und Offiziere regelmäßig ab, obgleich sie durchweg behaupteten, Zweck und Bedeutung des Grundbuches zu kennen. Unter der Behauptung, daß sie fiskalisches Eigentum seien, sind auch die Christuskirche, die Deutsch-Asiatische Bank und die Schantung-Eisenbahn mit Beschlag belegt - alle zu Unrecht. Für die Kirche beanspruchen die Japaner nur das Eigentums-, nicht das Benutzungsrecht und gestatten die Abhaltung von Gottesdiensten sowie die Benutzung zu sonstigen kirchlichen Handlungen.

Von der Bank behaupteten sie, sie sei ein Staatsinstitut, obgleich aus dem Handelsregister in Kobe, Yokohama und Tsingtau das Gegenteil klar hervorgeht. Allerdings lässt sich nicht verkennen, daß einer gewissen Verwirrung Vorschub geleistet wird durch die Tatsache, daß die Silbervorräte der Bank zum Teil in dem unter der Hauptwache im Gerichtsgebäude gelegenen fiskalischen Keller untergebracht sind. Da der Bankleiter sich geweigert hat, den Japanern die Schlüssel zu den Tresors herauszugeben, so sind die Barbestände der Bank noch vorhanden; die Türen sind von den Japanern versiegelt, und das Gebäude wird militärisch bewacht. Aber die Bank ist an jeder geschäftlichen Maßnahme, namentlich an der Einnahme und Auszahlung von Geld gehindert. Dadurch ist für die in Tsingtau ansässigen Deutschen die durch den Krieg geschaffene schwierige Lage noch erheblich verschärft. Wer vorsichtig war, hat sich zu Beginn der Beschießung einiges Bargeld verschafft, das aber inzwischen fast durchweg aufgezehrt ist. Neues Geld ist nicht zu bekommen, weil die Geschäfte (mit Ausnahme der Ladengeschäfte und jetzt vielleicht der Baugeschäfte) völlig danieder liegen und die Bank nicht zahlen kann. Darunter leiden auch die Gouvernementsangehörigen; der Zivilkommissar hat sich zwar von einigen großen Firmen mehrere Tausend Dollar verschafft, die aber nur zur Zahlung der nötigsten Unterstützungen reichen. Die einzige Maßnahme, welche die Japaner der Bank Anfang Dezember gestattet haben, ist die Überweisung von Geld an Kriegsgefangene, die in Tsingtau ein Bankguthaben hatten. Die Überweisung geschieht nicht durch Übersendung von Bargeld, sondern durch Anweisungen an die Niederlassungen der Bank in Yokohama und Kobe, und ist offensichtlich von den Japanern nur gestattet, um den Orten, in denen die Gefangenen untergebracht sind, Einnahmen zuzuwenden.

Über das Vorgehen gegen die Schantung-Eisenbahn werden Eure Exzellenz auf anderem Wege unterrichtet sein. Völkerrechtswidrig ist auch die von den Japanern begonnene Abholzung des Forstgeländes; sie widerspricht dem Grundsatze, daß bei einer vorläufigen militärischen Besetzung die feindliche Staatsgewalt bei Behandlung von unbeweglichem Eigentum nur die Rechte eines Nutznießers hat. Daß endlich das Benehmen gegen die chinesischen Einwohner von Schantung und die zwangsweise Schließung des chinesischen Seezollamts ein völkerrechtliches Delikt gegen China bildet, sei zum Schluß ebenfalls erwähnt.

Von sonstigen wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen seien hervor gehoben: die Festsetzung von willkürlichen Zwangskursen für deutsches, japanisches und chinesisches Geld und die Anordnungen zur Fernhaltung Deutscher von Tsingtau. Die Japaner zahlen mit Kriegsscheinen, die auf Silber-Yen oder Bruchteile von solchen lauten und von ihnen als gleich 0,80 Gold-Yen bewertet werden; charakteristisch ist, daß die japanische Post ihre Annahme ablehnt, während andererseits die Eisenbahn die Annahme von Gold-Yen verweigert. Der Kurs der japanischen Goldwährung im Verhältnis zur deutschen Währung ist auf 1 Yen = 2,45 M. festgesetzt, während der höchste Stand im Frieden 2,11 M. beträgt. Deutschen und Österreichern ist das Betreten des Schutzgebietes verboten; wer Tsingtau verlassen will, bekommt nach wochenlangem Warten einen Paß, erhält aber nicht die Erlaubnis zur Rückkehr und muß außerdem vorher unterschreiben, daß er die japanische Regierung für Beschädigungen oder Verlust seines im Schutzgebiet zurückgelassenen Eigentums nicht verantwortlich machen kann. Auch die Frauen und Kinder der in Tsingtau verbliebenen Männer, die zu Beginn der Belagerung die Festung verlassen haben, erhalten (von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen) nicht die Erlaubnis zur Rückkehr.

Der Herr Gouverneur hatte durch den Zivilkommissar den in Tsingtau verbliebenen Beamten mitteilen lassen, dem Verlassen des Schutzgebietes und dem Aufenthalt an einem beliebigen Orte Ostasien stehe nichts im Wege, er erwarte, daß jeder Beamte bemüht sein werde, an seinem Aufenthaltsorte im Interesse des Deutschtums zu wirken. Da von den Justizbeamten Richter Lehmann, Sekretär Gerlach und Dolmetscher Ferring in Tsingtau bleiben wollten, bin ich am 10. Dezember abgereist und am 13. hier angekommen und habe mich dem Kaiserlichen Generalkonsul, Herrn Legationsrat Knipping, zur Verfügung gestellt. Mit seiner Zustimmung arbeite ich auf dem Generalkonsulat, dessen Personal infolge des Krieges verschiedene Lücken aufweist und an dem z. B. zur Zeit nur ein Vizekonsul tätig ist. Ich bearbeite die auf Japan bezüglichen Presse-Angelegenheiten und beteilige mich an der Bearbeitung der Tsingtau-Angelegenheiten, von denen augenblicklich namentlich die Heimbeförderung der Familien der Kriegsgefangenen der Behörde erhebliche Arbeit verursacht. Auch die Bezirksamtmänner Dr. Michelsen und Mootz haben ihre Arbeitskraft dem Generalkonsulat zur Verfügung gestellt. Wir alle hoffen, daß wir bald in der Lage sein werden, unsere Arbeit im wiedergewonnenen Kiautschougebiet wieder aufzunehmen.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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