Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Augenzeugenberichte

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»Bericht«

von Erich Fischer

– Teil 1: Vorwort; Ausreise nach Ostasien (1914)
 

Vorbemerkungen des Redakteurs (H.-J. Schmidt)

Der Schweinfurter Erich Fischer hat einen umfangreichen »Bericht« in Tagebuchform hinterlassen, der seine Erlebnisse von der Ausreise nach Tsingtau (1914) bis zur Heimreise aus der Gefangenschaft (1920) beschreibt. Er hat seine Erlebnisse zeitnah notiert und später in Maschinenschrift übertragen.
Die maschinenschriftliche Fassung – fast 300 DIN-A4-Seiten in zwei Bänden – gelangte vor einigen Jahrzehnten in die Sammlung von Walter Jäckisch, der sie mit Hinweisen versah und später dem Redakteur für dessen Projekt zugänglich machte.

In der vorliegenden Fassung hat der Redakteur Zwischenüberschriften eingefügt und zum Teil den Umbruch geändert. Er hat Schreibfehler berichtigt, die Rechtschreibung maßvoll modernisiert, Abkürzungen aufgelöst und sachbezogene Anmerkungen im Text (in [ ]) oder in Fußnoten hinzugefügt; im Übrigen blieb der Text unverändert.

Es erschien zweckmäßig, den Text in neun Teile zu gliedern. Dieser erste Teil enthält neben einem Vorwort (nebst Widmung) des Autors dessen sehr lebendige und detailfreudige Darstellung der Ausreise nach Tsingtau, die er im Januar 1914 antrat.
 

Inhaltsübersicht des Redakteurs

  1. Reise nach Ostasien (1914)
    1. Widmung/Motto
    2. »Vorwort« und »Inhaltsübersicht«
    3. Reise nach Tsingtau [mit den Zwischenstationen La Valetta, Port Said, Singapore, Hongkong]
  2. Vor Beginn der Kämpfe in Tsingtau (1914)
  3. Wache und Kampf im Vorgelände
  4. Verteidigung der Festung
  5. Im Tempellager Kumamoto (erste Hälfte)
  6. Im Tempellager Kumamoto (zweite Hälfte)
  7. Im Lager Kurume (1915 bis 1918)
  8. Im Lager Kurume (1919)
  9. Heimreise (1920)

 

1. Widmung/Motto1

Meiner lieben, allzeit munteren Frau GISELA gewidmet! / Graz, im März 1966. / Erich Fischer

Vor vielen Jahren / China und Japan — einmal ganz anders! / »Wissen können wir von andern lernen, Weisheit müssen wir uns selber lehren.« (Munthe)
 

2. »Vorwort« [1945] und »Inhalts-Verzeichnis«2

Mehr als 30 Jahre sind vergangen, mehr als ein Menschenalter, seit ich als Einjährig-Freiwilliger den Kampf um Tsingtau miterlebte. Die Erinnerung daran verblasst beinahe, wenn man an die Geschehnisse des letzten Jahrfünfts denkt, das wieder mit einem furchtbaren Krieg ausgefüllt war. Millionen von Menschen sind Waffen und Krankheit, Hunger und Kälte, Habgier und Mordlust, Not und Elend zum Opfer gefallen, Millionen Menschen von Heimat, Haus und Hof vertrieben worden; Millionen Familien sind auseinandergerissen und für ewig getrennt; Hunderttausende müssen als Krüppel ein beschwerliches Leben führen. Alle Begriffe der Kultur und Zivilisation, des Rechts und Eigentums sind zerbrochen, die Fundamente der Sicherheit haben aufgehört, zu sein – es gibt kein »bürgerliches« Leben mehr.
Wie klein erscheinen dagegen die Ereignisse in Tsingtau, wie unbedeutend die des Weltkrieges 1914–1918 überhaupt nach dem gefährlichen Leben, das wir seit 1939 führen mussten. Man hat den Krieg 1914 [bis] 1918 den Weltkrieg genannt, weil zum ersten Mal alle Kontinente an ihm beteiligt waren – wie wird die Geschichte diesen zweiten Krieg nennen, der nicht nur in Europa, sondern auch in Asien ungeheure Werte vernichtete? War es wirklich der letzte Krieg, oder wird die Auseinandersetzung zwischen den Erdteilen, der Weltenbrand, noch kommen?

Leider sprechen viele Anzeichen dafür, obwohl alle nichts mehr vom Waffenhandwerk wissen wollen, die die Schrecknisse der modernen Waffen aus der Luft und von der Erde aus kennen gelernt haben. Aber kommt es auf das Wollen des Einzelnen an? Die Völker werden geführt von Männern, die doch nur Menschen mit allen Schwächen und Fehlern sind, wie immer sie auch zur Macht gelangen; weil sich in diesen Menschen alle Leidenschaften in verstärktem Maße zu verkörpern pflegen, konnten sie sich aus der Masse hervorheben. Welch ein Unheil, wenn ihnen das Vermögen der Selbstbeherrschung, der Selbstdisziplin fehlt, wenn nur »historisch« zu denken ihr Bestreben, in die Geschichte einzugehen, ihr Ehrgeiz ist?
Was bedeutet ihnen das Leben des Einzelnen?
Und doch setzt sich das Schicksal der Völker aus den Einzelschicksalen der Hunderttausenden und Millionen zusammen.

Das Schicksal war mir gnädig; es hat mich über die zwei schweren Kriege hinweggeführt, und es hat die, wenn auch nur kärglichen, Unterlagen und Notizen aus meiner Seereise- und Tsingtauer Kriegszeit sowie die Tagebücher aus der japanischen Kriegsgefangenschaft erhalten. Freilich mag es merkwürdig erscheinen, dass sie jetzt hervorgeholt werden, dass ich über militärische Dinge in einer Zeit schreibe, in der wir Deutsche uns endgültig vom Militarismus abwenden müssen, wenn wirklich wir den geistigen Anschluss an die übrige Welt finden wollen. Aber – es soll kein Heldengesang werden, den ich schreiben will, obwohl man uns damals die »Helden von Tsingtau« genannt hat. Wir, die dabei waren, haben diesen Titel immer abgelehnt, weil wir wussten, dass wir nur unsere Pflicht auf uns genommen hatten, wie Millionen von Menschen mit uns, vor uns und nach uns.
Was mich bewegt, meine damaligen Erlebnisse niederzuschreiben, ist die »Lust zu fabulieren« und das Gefühl, dass nicht alles verloren und vernichtet sein soll, was für uns doch auch einmal das Leben bedeutet hat!
Geschichten will ich schreiben – sie sollen beileibe nicht Geschichte werden!

Hamburg, im Dezember 1945
 

»Inhalts-Verzeichnis«3
  Fischer_Inhaltsverzeichnis
 

3. »Ausreise von Cuxhaven nach Tsingtau (Kiautschau)
mit D]ampfer] Patricia vom 12. Januar bis 22. Februar 1914«4

Da lag er, der 12.000 Tonnen [BRT] große Hapagdampfer, die Patricia, deren Luken an den Seitenwänden noch daran erinnerten, dass das Schiff einst dem Viehtransport zwischen Deutsch-Südwestafrika und Argentinien gedient hatte, an der »Alten Liebe« zu Cuxhaven.

Bereits um halb 9 Uhr des 12. Januar 1914 marschierten wir aus der Kaserne und betraten vom Kai aus auf dem Laufsteg das Schiff. Während die Mannschaften in den verschiedenen Decks wohnten und dort mit ihrem Seesack in Hängematten untergebracht waren, hatte man für die Offiziere, Deckoffiziere, Feldwebel und ähnliche Chargen, die oft Familie bei sich hatten, Kajüten I. und II. Klasse reserviert.
Wir Einjährigen wohnten irgendwo mitschiffs in der III. Kajüte, hatten aber den Vorteil, in einem Raum zu zweit zu sein, der für sechs Personen eingerichtet war. So packten Stegemann und ich die überflüssigen Sachen aufeinander und bauten aus Koffern Tisch und Stühle – einfach, aber praktisch! An den Wänden freilich huschten, wenn das Licht aufleuchtete, zahllose Kakerlaken umher, die wir mit den Hausschuhen erschlugen, sofern sie nicht flinker waren als wir und sich hinter Koffern und Kojen verbargen.

Mit dem Einrichten unseres Schlafraums verbrachten wir den Vormittag, und um 3 Uhr nachmittags machte der Dampfer los mit den 2400 Mann, mit Gewehren, Geschützen, Munition und dergleichen für Tsingtau. Kurz vor der Abfahrt erhielt ich noch ein Eilpaket mit einem Zeissfernstecher als Abschiedsgeschenk meiner Eltern. Der Fernstecher tat mir gute Dienste! Am Kai stand unser Cuxhavener Kommandeur, Major von Bernuth im Kreise der zurückbleibenden Offiziere, dahinter in respektvoller Entfernung die Unteroffiziere und Mannschaften, darunter mein Unteroffizier Werner, dem ein Gerichtsurteil wegen Soldatenmisshandlung die Ausfahrt nach Tsingtau verboten hatte. Ganz im Hintergrund standen die Zivilisten, von denen manche einen Sohn an Bord geleitet hatten. Unter dem brausenden »Hurra« all dieser Leute und den Klängen des »Muss i denn« fuhr der Dampfer der Nordsee zu, wo um halb 5 Uhr die Leuchtfeuer von Helgoland gesichtet wurden. Im Übrigen war es eiskalt!
An Bord unterstanden wir Einjährigen, zu denen noch acht von der Matrosenartillerie gekommen waren, nicht mehr unserm Kompagniechef Graf von Hertzberg, sondern dem Oberleutnant Charrière, an den wir Bitten und Gesuche herantragen mussten. Zum Beispiel mochten uns die Deckoffiziere nicht in ihrem Raum, wo wir in einer Ecke unsere Messe aufgeschlagen hatten!5 Der Ober[leutnant] sagte uns zu, dass eine der Ochsenluken ausgeräumt würde, wo wir ungestört wären!

Unser normaler Tageslauf war folgender: Um 6 Uhr »rise, rise« (Aufstehen!); um 7 Uhr gab es Kaffee mit Brötchen, Gelee und Butter, dazu zwei Eier und eine »kleine« Fleischspeise (Leber, Beefsteak und dergleichen). Von 7:30 bis 8:30 Uhr war Unterricht und anschließend Dienst, bestehend aus Freiübungen, Turnen, Griffen und Erklärung der vorübergleitenden Küste. Mir ging es insofern gut, als mein Unteroffizier ja nicht mitfuhr und ich immer vor der Front stand! Zweimal in der Woche musste Zeug gewaschen werden, das zum Trocknen am Mast in die Höhe gehievt wurde. Ab und zu löste sich ein Knoten, mit dem eine Mütze, eine Unterhose oder dergleichen befestigt war, und das Meer nahm das Kleidungsstück auf. Dann war beim Herablassen immer großer Kampf, denn wehe dem, der bei der wöchentlichen Seesackkontrolle nicht alle seine Klamotten beisammen hatte! Wir Einjährigen ließen natürlich vornehm beim Chinesen waschen, den der Dampfer wie alle größeren Schiffe an Bord hatte.
Der Dienst dauerte bis 11:30 Uhr, und um 12 Uhr war Mittagessen, ein Gang (Dienstag, Donnerstag, Sonntag zwei Gänge!), Süßspeise, Obst. Bis 2 Uhr wurde geschlafen, und dann war wieder Dienst bis 3:45 Uhr. Um 4 Uhr gab es Kaffee mit Kuchen, und von 4:30 bis 5:30 Uhr hatten wir wieder Dienst. Um 6 Uhr folgte das Abendessen mit einem warmen Gang, Tee und Hors d'œuvres wie kalten Braten, Wurst, Salate, Käse, Ölsardinen und dergleichen. Man konnte essen, soviel man wollte, und musste für alles nur eine Mark bezahlen!

Am 13. Januar sahen wir um 3:30 Uhr nachmittags wunderschön die englische Küste. Es war bewölkt, aber die See war ruhig. Leider war es schon dunkel, als wir die Linie Dover–Calais passierten, die für den deutschen Soldaten und Matrosen insofern eine Rolle spielt, als bei ihr die höhere Auslandsbesoldung anfängt. Auch wir Einjährigen bekamen eine Mark pro Tag, womit der oben erwähnte Betrag wieder ausgeglichen ist!

Am 14. Januar wurde die Bretagne gesichtet, es war gegen 2:30 Uhr nachmittags. Brest konnte man nur ahnen!

Am 16. Januar passierten wir um 2 Uhr nachmittags die Felseninseln von Cap Carvoeiro und um 4:30 Uhr Cap da Roca. Wir fuhren immer an der Küste von Portugal entlang, allerdings in respektvoller Entfernung, da die Brandung hoch an den Felsen hinaufstieg. Ich sah kaum etwas Schöneres: Aus dem Meer stiegen unmittelbar die Felsen empor, abgelöst durch grüne Alpenmatten mit den wie angeklebt erscheinenden Häusern. Hoch oben im Nebel lag Cintra, die alte Königsresidenz; dagegen konnte man Lissabon nur ahnen, das im Binnenland am Tajo lag.

17. Januar: Nachdem wir an dem berühmten Cap Trafalgar vorübergekommen waren, sollten wir um halb 3 Uhr den Felsen von Gibraltar sehen. Es war aber so dunstig, dass nur mit dem Fernglas etwas zu erwischen war; ebenso war es auf der anderen Seite, wo die Atlasberge und Tanger sichtbar sein sollten.

Heute am 18. Januar fuhren wir dauernd in sichtbarer Nähe der Küste Afrikas. Wenn wir von Nordafrika hörten, dachten wir nur an Sand, Sand und wiederum Sand, kurz an die Wüste der Sahara. Wie überrascht war ich drum, als ich die aus der tiefblauen See mit grünen Grasmatten bewachsenen Berge emporsteigen sah! Ich konnte mir schon vorstellen, dass sich vor einigen Jahren Europa um Marokko stritt!6
Heute, am Sonntag, war natürlich kein Dienst. Es war nur ein einfacher Gottesdienst, bei dem ein Offizier aus der Bibel vorlas; denn einen Pfarrer haben wir nicht. In der Unteroffiziers-Messe, wohin wir manchmal flüchteten, spielte die Kapelle. Wir Einjährigen hatten also das schönste Leben, und ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die ganze Dienstzeit so vorübergegangen wäre! Allerdings hatten wir großes Glück mit dem Wetter, das keinen das Meer bewegenden Sturm aufkommen ließ. Um 10 Uhr nachts mussten wir ungefähr auf der Höhe von Algier sein.

Am 19. Januar war nichts zu sehen, nur am Morgen in grauer Ferne die afrikanische Küste.

20. Januar: Wir bekamen die Insel Pantelaria in Sicht, wohin die Italiener ihre Verbrecher zu schicken pflegen; sie lag wunderschön in der gleißenden Sonne! Um 10 Uhr abends liefen wir in den Hafen von La Valetta ein, das die Hauptstadt der englischen Kronkolonie Malta ist.

La Valetta

21. Januar [1914]: Einige Unannehmlichkeiten drohten uns die Freude am Landgang zu verderben, denn in La Valetta, Colombo und Hongkong sollte Alles an Land kommen. Um 4 Uhr in der Frühe hieß es bereits »Aufstehen!«, und dann müssten wir uns bis 11 Uhr an Bord herumdrücken. Als es gegen halb 8 Uhr Tag wurde, trat La Valetta, dessen Umrisse wir nach den Lichtern nur ahnen konnten, in seiner malerischen Schönheit hervor: Rings erhoben sich die gelblich-weißen Kalksteinfelsen, sodass ein von der Natur geschützter Hafen entstand. Unser Schiff lag mittendrin so, dass wir steuerbords die Gebäude des Observatoriums, am Heck, wie verwachsen mit dem gelben Sandstein und bewehrt mit zahlreichen Schießscharten, die Festungswerke und an Backbord La Valetta, die schöne Hauptstadt Maltas, hatten.

Im Hafen wimmelte es um unseren Dampfer herum von kleinen Booten, deren Insassen, meist dunkle Italiener, mit großem Wortschwall den »German Soldiers« ihre mehr oder minder schundigen Waren anboten, z.B. Mandarinen, Postkarten, Cigaretten, Spitzen. Ab und zu gelang es einem Händler, an Bord zu kommen; das war strengstens verboten, nur einen maltesischen Bettelmönch hatte man zugelassen. Sonst vermittelten Körbchen den Verkehr zwischen Wasser und Schiff, aber da hieß es: Erst das Geld – dann die Ware, und so war es immer ein wenig riskant!
Um halb 8 Uhr früh wurde der erste Teil der Mannschaften ausgebootet, und zwar mussten sie, auf zwei Leichtern stehend, sich an einander festhalten, damit sie nicht ins Wasser fielen. Sie kamen um halb 12 Uhr zurück, und der zweite Teil, darunter ich, ging an Land. Wir waren natürlich in Uniform, aber ohne Waffe. Wir Einjährigen trugen die Extrauniform mit der hohen Mütze, die unser Kompagniechef in Cuxhaven verboten hatte.

La Valetta, ein Kriegshafen, in dem Fotografieren verboten war, war die erste Stadt italienisch-orientalischen Gepräges, die wir sahen und infolgedessen uns allen interessant: die Häuser mit den flachen Dächern, alle gleichartig gebaut und mit grünen Balkonen versehen, an denen bunte Wäsche hing; die Straßen waren eng, aber sauber, was wohl mit der englischen Verwaltung zusammenhing oder auch damit, dass die Stadt sehr bergig ist und es vorher geregnet hatte, der Schmutz also weggeschwemmt war!
Die Unterstadt am Hafen war mit der eigentlichen Stadt, der Oberstadt, durch einen Aufzug verbunden, viel schöner aber war der in die Felsen gesprengte Serpentinenweg, der in 10 Minuten noch oben führte und zauberhafte Blicke auf den Hafen bot. Die Vegetation war von der unsern verschieden, denn da gab es Palmen, im Freien blühende Pelargonien; die Straßenhändler boten Schlüsselblumen und Narzissen an, die offenbar von den Einheimischen gerne gekauft wurden.

Die Bevölkerung bestand im Wesentlichen aus Italienern, einem zwar kleinen, aber schönen Menschenschlag; sie sind schwarzlockig und von der Sonne gebräunt. Die Männer waren schöner als die Frauen, die im Alter zu fett und nur in der Jugend hübsch waren. Dazu kamen die Berufssoldaten, die die englische Herrschaft repräsentieren; es sind durchweg große, schlanke, trainierte Menschen, die einen guten Eindruck machen; besonders ihre Uniform sticht von der schlecht sitzenden Kommiss-Uniform unserer Leute ab. Außer Dienst pflegt der englische Soldat kein Seitengewehr, der Offizier keinen Degen zu tragen.
Ulkig war das Postenstehen und die Ablösung vor dem Gouverneuerpalast. Während wir leger vor dem Schilderhaus auf und ab gehen, muss der englische Soldat stramm marschieren, wenn er seinen Platz verlässt.

An Sehenswürdigkeiten bietet die Stadt wenig, das Wenige ist aber interessant genug: Die Straßen sind durchweg italienisch benannt, ein Zeichen, wie nachsichtig und klug die englische Verwaltung ist; die Geschäftssprache soll englisch–deutsch sein, ich habe sie nicht gehört.
An der Piazza Regina liegt die St.-Johns-Cathedral, die zahlreiche wunderschöne Gemälde aufweist, eines sogar von Raffael, wie uns der geschwätzige Führer erklärte. Er zeigte uns auch ein prächtiges, silbergetriebenes Tor, das irgend jemand gestiftet hat. Wände und Fußboden der Kirche sind mit Marmor verkleidet. Weniger prächtig als originell ist die Schädelstätte, in der, schön geordnet und kunstvoll zusammengestellt, die Schädel und Gebeine von 2000 im 16. Jahrhundert im Kampf gegen die Türken gefallenen Malteserrittern liegen sollen. Das Malteserkreuz spielt überhaupt in Kunst und Kitsch in La Valetta eine große Rolle. Die Führung übernahm ein Mönch, der andauernd aus seinem Brevier Gebete herplapperte, wenn er nichts zu erklären hatte. Vom Botanischen Garten aus hatten wir einen prachtvollen Rundblick über den Hafen und seine Ausbuchtungen. Im Kriegshafen lagen fünf englische Kriegsschiffe und der Dreadnought Indomitable.

Inzwischen hatten sich die armen Seesoldaten von den geriebenen italienischen Spitzbuben in den »trattorias« die letzte Mark aus dem Portemonnaie, d.h. aus dem Brustbeutel ziehen lassen. Wir aber waren froh, wieder an Bord zu kommen, da wir durch die Fülle der Eindrücke todmüde waren, die in den fünf Stunden auf uns eingestürmt waren.
Um halb 6 Uhr abends lichteten wir die Anker; kurz darauf kam die Post, die mir einen Brief brachte, den Vater nach Malta geschickt hatte.

Am 22. und 23. Januar fuhren wir im Mittelmeer gen Osten, ohne etwas anderes zu sehen als graues Wasser!

Am 24. Januar kündigte sich durch sein schmutzig-graues Wasser der Nil an. Die Sonne brannte schon tüchtig, und um 4 bis 5 Uhr nachmittags sollten wir nach Port Said kommen; aber wie immer wurde es etwas später, zumal wir nur mit halber Kraft fuhren. Da wir in Port Said nur 4 Stunden Aufenthalt hatten, durften die Mannschaften nicht an Land, nur die Offiziere und, wie verlautete, die Herren Einjährigen!
Auf alle Fälle ließ ich mich ablösen, denn ausgerechnet von heute mittag 12 Uhr bis morgen 12 Uhr hatte ich an der Schiffskasse mit gezogenem Seitengewehr Wache zu stehen!
Also – es ist entschieden: Wir Einjährigen hatten die Ehre und das Vergnügen, für zwei Stunden an Land zu gehen. Seit Malta hatten wir übrigens unsere eigene Messe in der Ochsenluke. Die Wände waren zwar aus Eisen und mit Ölfarbe gestrichen, aber auf den Tischen lag ein weißes Tuch, und die Kommissbänke hatten wir durch Zivilisten-Sessel aus Malta ersetzt. So war es einigermaßen gemütlich, und die Hauptsache war: Die Herren Deckoffiziere hatten nichts mehr zu meckern, und wir waren unter uns!

Post Said

Am Denkmal von Lesseps kamen wir vorbei, der den Suezkanal gebaut hatte und am Panamakanal kläglich gescheitert war. Die Umrisse des Denkmals konnten wir gut erkennen, da die Leuchttürme den Eingang zum Kanal erhellten. Am Gebäude der Kanalgesellschaft ließ unser Schiff die Anker fallen – es war ungefähr 10 Uhr abends. Wie in La Valetta waren auch hier sofort eine Menge kleiner Boote mit Händlern um den Dampfer; aber nur Cigarettenmänner durften an Bord, und so bestürmte eine Masse solcher Leute mit Erlaubnisscheinen den Offizier der Hapag am Fallreep. Erst ein kräftiger Wasserstrahl von oben schaffte Luft, denn vor Wasser scheint die Masse in allen Ländern Respekt zu haben!
Um halb 11 Uhr wurden wir Einjährigen endlich ausgebootet. Sofort umgab uns eine Menge barfüßiger Jungens, die Päckchen anboten und mit den Rufen: »Schweinerei – nix Polizei!« auf uns einstürmten. Einer kaufte aus Spaß so ein Päckchen – Es waren einfache Spielkarten, wie sich später herausstellte!
Einen allgemeinen Eindruck von Port Said konnte ich natürlich in der kurzen Zeit und in der Dunkelheit nicht empfangen. Aber die Läden an der Rue du Commerce waren offen, wie man ja im Osten zu jeder Tages- und Nachtzeit kaufen konnte.

Wir nahmen einen der vielen sich anbietenden Führer – »dragoman« nennt man sie dort wohl! –, der nicht nur die vielen Kinder vertreiben, sondern auch uns ein wenig von Port Said zeigen sollte, das dunkel vor uns lag. Er führte uns zuerst in ein Warenhaus europäischen Stils, wo wir unseren Bedarf an Postkarten, Cigaretten und dergleichen deckten. Das Warenhaus trug den Namen des berühmten Juden Simon Arzt, der die gesamte bessere Welt mit Cigaretten versorgt. Dabei gibt es in Ägypten gar keinen Tabak! Aber das Klima ist für die Lagerung und Reifung des Tabaks besonders geeignet. Das erkannte als erster Simon Arzt, der Tabake aus der Türkei, Bulgarien, Mazedonien importierte und dessen Kopf die schmucken verlöteten Blechschachteln ziert. Die Cigaretten waren sehr billig – ein Pfennig das Stück; nur die größeren, die man anlässlich des Besuches von Prinz Heinrich hatte anfertigen lassen, kosteten drei Pfennige, während in Deutschland eine gute Cigarette fünf bis sechs Pfennige kostete. Diese Billigkeit war es auch, die mich dazu verführte, wieder das Rauchen aufzunehmen, das ich am 1. Oktober 1913 aufgegeben hatte!

Wir strolchten so in den düsteren Straßen Port Saids umher, immer verfolgt von erwachsenen, schreienden Arabern, die ihre Waren, Decken und Teppiche anboten. Auch in ein Freudenhaus durften wir durch ein Guckloch einen Blick werfen; dort warteten halbnackte Suleikas auf Gäste. Das war im Preis inbegriffen – das Gucken nämlich! Schließlich landeten wir in einem Café, wo eine gute Tasse Mokka die letzte Darbietung Port Saids war, wenn man von den Buben absieht, die uns wieder empfingen, als wir an Bord gingen.
Um 12:30 Uhr nachts mussten wir wieder an Bord sein, wo inzwischen der große Scheinwerfer aufmontiert war, der uns in der Dunkelheit den Weg durch den Kanal zeigen sollte.

Um 5 Uhr des 25. Januar musste ich meinen zweistündigen Dienst an der Schiffskasse antreten. Diese lag mittschiffs, außen an Backbord, und so konnte ich um 6 Uhr die im Osten aufgehende Sonne beobachten. Die Landstriche längst des Kanals, der eigentlich nur eine gewaltige Rinne im Sand war, zogen an mir vorüber, manchmal eine Oase mit verfallenen Häusern, dann eine Kanalstation und eine Ausweichstelle, an der die Dampfer aufeinander warten mussten. Der See von Ismailia, der Timahsee, wurde passiert, aber sonst war nur Sand zu sehen. Ab und zu liefen Araber mit dem langsam fahrenden Dampfer um die Wette, langsam [fahrend], damit die Ufer nicht abgeschwemmt würden. So eintönig also die Gegend, sie bot doch immer ein neues Bild!
Um halb 4 Uhr waren wir in Port Said abgefahren, und nach fünfeinhalb Stunden, um 9 Uhr früh, kamen wir in Suez an, wo wir nur eine Stunde vor Anker gingen, um den Scheinwerfer abzuliefern. Zu sehen war nichts.

26. Januar: Wir schwammen im Roten Meer, das sich durch einen besonders hohen Salzgehalt auszeichnet. Es begann »warm« zu werden. Auf der Backbordseite lag das Sinaigebirge.

27. Januar: Heute ist Kaisers Geburtstag, an dem sicher ein Offizier eine kernige Rede gehalten hat, nicht träumend, dass es keine deutschen Kaiser mehr geben würde, wenn wir das Rote Meer wieder passierten. Nach der Rede wurde angetreten zum Photographieren: vorne die Frauen, dann die Offiziere, die Deckoffiziere, immer hübsch dem Rang nach, endlich die Mannschaften und in den Wanten, d.h. in den Schiffsmasten, die Matrosen! Um 3 Uhr war Diner und abends von 6 bis 10 Uhr Theater. Land war nicht zu sehen.

Heute haben wir übrigens die schmucke, graugrüne Litewka und die blauen Hosen mit den wesentlich leichteren Khaki-Uniformen vertauscht, denn am 28. Januar war es sehr heiß, und diese Hitze hat uns auch bis auf Weiteres begleitet.

Am 29. Januar passierten wir die »12 Apostel« an Backbord, 12 Inselchen, die felsig aus dem Meer ragen und mit einer Salzkruste weiß bedeckt sind. Die mittelste Insel war wohl bewohnt, denn sie hatte ein Leuchtfeuer.

30. Januar: Alle Luken an Bord sind offen, auch unsere Ochsenluke, vor die die Hapag-Matrosen ein Netz spannten, damit keiner hinausfiele! Die Sonnensegel waren aufgespannt, und die Ventilatoren zum Schiffsbauch waren verlängert. An Deck plätschern die nackten Seesoldaten in den mit Meerwasser angefüllten Segeltuchbehältern, und die deutschen Kindermädchen und Gouvernanten vom Oberdeck riskierten ab und zu einen Blick!
Besonders spürt man die Hitze im Bett: Früh ist man durchnässt und nicht angenehm ausgeschlafen wie in der Heimat! Arme Seesoldaten, die mit ihrer Hängematte in der Hitze des Unterdecks schmoren!

Am 31. Januar passierten wir an Steuerbord Cap Guardafui, die östlichste Spitze von Afrika. Und nun waren wir im Indischen Ozean.

Vom 1. bis 4. Februar fuhren wir in der Mitte der spiegelglatten See, und weit und breit war kein Land zu sehen, nur ab und zu ein Hai, ein Paar fliegende Fische oder Schweinsfische, die vor dem Bug spielten. Oder es kam uns ein Schiff entgegen, was jedesmal ein großes Ereignis war, bis wir die Nationalität ausgemacht hatten, denn nicht jedes Schiff war wie unseres mit drahtloser Telegraphie ausgerüstet, die gewöhnlich nur auf 50 Kilometer reichte.
Fast melancholisch wurde man, wenn die Mannschaften an Deck saßen und in der Nacht das »Weserlied« oder »Stormy the night« sangen! Am Himmel glitzerten die Sterne, und der Mond schien vom nördlichen Horizont, das Kreuz des Südens kam immer näher. Nur das Meer in der Ferne ist schwarz. Wenn man sich aber über die Reling beugte, leuchtete es grünlich und rauschte phosphoreszierend an der Bordwand entlang. Im »Revier«, wohin ich meine Kranken jeden Morgen führen muss, werden den meisten die Ohren ausgepinselt, in denen sich das Salz vor allem des Roten Meeres festgesetzt hatte.

Am 5. Februar erhielten wir aus Colombo die drahtlose Nachricht, dass auf der Insel Ceylon die Pest ausgebrochen sei und dass wir infolgedessen von dem Landgang absehen sollten, auf den wir Einjährigen uns bereits eingestellt hatten. (Unter anderem Fahrt nach Kandy!) Ein Postdampfer sollte unsere Post abholen, blieb aber aus.

Am 6. Februar sahen wir in weiter Ferne die Insel Ceylon, das »Verlorene Paradies«, liegen. Wir aber fuhren, einen kleineren Hapagdampfer am 7. Februar überholend, in östlicher Richtung der Straße von Malakka zu; statt Colombo sollte Singapore unser nächstes Landziel sein. Natürlich wurde das Süßwasser knapp, weil die Schiffsleitung nicht mit einer 4 bis 5 Tage längeren Fahrt gerechnet hatte; die Zapfstellen an Bord wurden plombiert, und in die Waschschüsseln gab es nur wenig Wasser. Das Waschen des »Zeugs« wurde sistiert, bis wir in Singapore wieder Süßwasser fassten.

Am 8. Februar war es sehr schwül und nachts Gewitter. Übrigens mit dem W.C. war es ein Krampf! Die Deckoffiziere hätten uns am liebsten zu den Mannschaften geschickt, für die offene Latrinen aus Holz gebaut waren. Diese mochten wir aber nicht, benützten vielmehr inoffiziell ein W.C. in der I. Klasse. Heute prangt dort ein Schild »Für Einjährige«, sodass wir I. Klasse unsere Bedürfnisse verrichten, II. Klasse essen und trinken, III. Klasse schlafen und im Zwischendeck arbeiten – das alles für Mark 42,–, die wir teilweise wieder zurückerhalten!

Am nächsten Morgen, am 9. Februar, war ein tüchtiger Regen. Wir waren in der Nikobaren-Straße und nahmen Kurs auf Sumatra, an den Inseln Sabang und Weh auf der Steuerbordseite vorbei. Es musste eine prachtvolle Vegetation auf Sumatra sein, wie sich durch das Fernglas erkennen ließ; der Urwald erstreckte sich bis an das Meer.

Heute, am 10. Februar ist ein Soldat an Lungenentzündung gestorben. Eine kurze Trauerfeier, ein kurzes Gebet, dann kam der Tote im verlöteten Zinnsarg ins tiefste Verdeck, um erst in Deutschland wieder emporgeholt und vielleicht von den Angehörigen in Empfang genommen zu werden. Früher hätte man die Leiche in Segeltuch genäht und, mit Blei beschwert, über die Reling gleiten lassen; heute hat man einen Toten an Bord, ein eigenartiges Gefühl!

Singapore

Am 11. Februar war schönstes Wetter! Das brauchten wir auch, denn früh um 9 Uhr lag uns gegenüber der Kreuzer Scharnhorst, auf den die Ablösungsmannschaften übergesetzt wurden. Er begleitete uns, bis wir am Ende der Straße von Malakka die Hafeneinfahrt von Singapore erreichten. Dort stoppte der Kreuzer ab, wir aber fuhren weiter durch eine Unzahl kleiner, bewaldeter, teilweise bewohnter Inseln. Langsam und vorsichtig navigierten wir, bis wir in den Hafen kamen, wo wir am St.-Johns-Pier festmachten. Dicke Taue wurden von Bord geworfen und an den Dückdalben festgemacht; auch wurde nicht vergessen, die Taue durch Bleche zu sichern, damit nicht die Ratten auf den Tauen an Bord spazierten!
In dem geräumigen Hafen lagen Schiffe aller Nationen, darunter auch das deutsche Kanonenboot Iltis. Während die Mannschaften sich einstweilen den Hafen von Bord aus ansehen mussten, durften wir Einjährige bereits um 5 Uhr nachmittags an Land. Wir stiegen die steile Treppe hinunter, die Landungssteg und Schiff verband, und hatten nach 14 Tagen wieder festen Boden unter den Füßen. Wie richtige Seeleute schwankten wir dahin!

Die Stadt selbst zieht sich lang am Hafen hin, und wir hätten, wie uns gesagt wurde, eine Stunde gebraucht, um in das eigentliche Singapore zu kommen. Wir benutzten infolgedessen das dort übliche, bequeme Beförderungsmittel, die Riksha. Sie ist ein Wägelchen auf Gummirädern, worin ein Mensch sitzen kann, mit einem Menschen als Gespann. Es ist erstaunlich, was die Kulis aushalten: Nur mit einer Badehose und einem Halstuch bekleidet, springen sie stundenlang mit ihrem Karren, nur ab und zu ein langsameres Tempo einschlagend. Sie geraten natürlich sehr in Schweiß und benutzen das Halstuch, um sich abzutrocknen. Wenig angenehm ist es für den Europäer, den triefenden, nackten braunen Rücken vor sich zu haben, abgesehen von dem durchdringenden, uns Europäern ungewohnten Geruch! Mit solchen Rikshas, die schon unten am Dampfer auf Kundschaft warteten, fuhren wir los, nachdem wir den Preis zu einem »money changer« in der Stadt vereinbart hatten.

Rechts und links der Straße standen die Häuser der eingeborenen Chinesen, einstöckige Baracken ohne Fenster, nur mit Fensterläden, meist blau gestrichen. Im Gegensatz zu Port Said waren hier die Händler gar nicht aufdringlich, und Bettlervolk gab es wenig; nur ab und zu kam ein kleiner Malayenjunge und bat um ein Geschenk. Nach einer Fahrt von 20 Minuten kamen wir in das Geschäftsviertel, wo Plakate mit chinesischen Schriftzeichen und Figuren als Reklame vor den besser gepflegten Häusern und Läden hingen. Auf einmal bogen unsere Kulis ab und stoppten in der »Spring Street«. Weiß angemalte Japanerinnen winkten vom hohen Altan und luden uns Seesoldaten zu Sake und so ein – das wollten wir aber nicht. Unsere Kulis wankten und wichen nicht: Mit Gebärden und einigen englischen Brocken deuteten sie an, dass wir am Ende der Fahrt angekommen seien. Es blieb uns nichts anderes übrig, als zu Fuß zur Hauptstraße zurück zu gehen, wohin uns die Kulis nachrannten, da sie nicht um ihr Geldkommen wollten. Dort trafen wir einen bärtigen Sikh, einen Inder, der wie in allen englischen Protektoraten des Ostens Polizeidienste leistete; er hatte den Kulis schnell beigebracht, dass sie uns zum nahegelegenen Post-Office zu bringen hätten, wo wir ihnen den vereinbarten Lohn zahlten.

Unter einer kleinen Brücke fuhren mit den Früchten des Landes beladene chinesische und malayische Boote mit Ananas, mit Popeia, mit Kopra, der Frucht der Kokosnuss etc. Singapore, das den englischen Straits Settlements angehört, hat viele Kirchen und Tempel. Wir verschoben die Besichtigung eines solchen auf den nächsten Tag und bummelten am Gouvernementsgebäude vorbei zum Chinesengeschäftsviertel. Hier betrachteten wir die großenteils sehr schundigen Auslagen, die im Osten ohne Schaufenster sind und nach der Straße zu gehen. Schließlich landeten wir nach einer weiteren halben Stunde im »Hotel de l'Europe«. Hier gab es ein feudales Abendessen von 12 Gängen — ach, es waren nur Gängchen, aber hinter jedem von uns stand ein Ober, ein Malaye in weißem Gewande, und eine malayische Musik spielte dazu!

So gestärkt, nahmen wir wieder eine Riksha und beteiligten uns auf der Esplanade an dem Corso. Hunderte von Lichtern erhellten die Dunkelheit und boten ein eigenartiges, unvergessliches Bild: Salbenduftende, reiche Chinesen fuhren da mit ihren Frauen und Kindern im Auto, im Wagen und in der Riksha; dazwischen waren Europäer und europäisch gekleidete Eingeborene mit weißen Tropenanzügen und, obwohl die Sonne um 7 Uhr schon untergegangen war, Tropenhelmen.
An das Ende des Corsos schlossen wir noch eine Fahrt durch das Hafenviertel [an], wo beiderseits der Straße fliegende Händler ihre Buden aufgeschlagen hatten und wo es fürchterlich stank. Wir entließen unsere Kulis und fuhren mit der Elektrischen [Straßenbahn] zum Dampfer zurück, um 10 Uhr, die für die Rückkehr festgesetzte Stunde, nicht zu versäumen. Mit einem von der Hitze, dem vielen Gehen und Sehen wüsten Kopf schrieb ich noch einen Stoß Ansichtskarten mit mehr oder minder herzlich gemeinten Grüßen; aber um 12 Uhr lag ich in der Koje.

Um 4 Uhr wurden wir am Morgen, am 12. Februar, schon geweckt, da wir um 6 Uhr in der Frühe Landgang hatten, diesmal auch die Mannschaften! Den Gang in die Stadt machten wir zu Fuß, da es noch nicht zu heiß war und wir etwas sehen wollten. Vor ihren Häusern saßen die Chinesen, mit der Reinigung ihres Körpers beschäftigt, wobei besonders Mund und Zähne einer eingehenden Behandlung unterzogen wurden. Nur in der Höhe unseres Piers standen auf Pfählen im Wasser Malayenhütten, denn bis zur eigentlichen Stadt zog sich das Chinesenviertel, und erst im Norden wohnten primitiver die Malayen. Die Chinesen zeichnen sich meist durch einen Zopf aus, die Malayen durch ein Goldplättchen, mit dem sie einen ihrer Schneidezähne überzogen. Außerdem waren diese natürlich dunkelbraun, jene aber dunkelgelb. Händler boten Ananas an, das Stück zu 7 und 10 Cents, Kokosnüsse und Litschis, die wie Erdbeeren aussahen und einen schleimigen, weißen, nach Haselnüssen schmeckenden Kern enthalten, ganze Stauden von Bananen für 10 und 20 Cents, eingemachte Früchte, schmutzige Eislimonade, billige Cigaretten, Ansichtskarten, eine Art von Pfannekuchen, in stinkigem Oel gebraten, und sonstige Delikatessen aus Fisch und Fleisch!

Immer wieder entdeckten unsere Augen und Nasen etwas Neues, bis wir zur Post kamen, deren Schalter bereits durch Seesoldaten belagert waren. Ganz in der Nähe war, für uns etwas ganz Neues, mit geschweiftem Dach, ein buddhistischer Tempel, den wir besehen mussten. Er funkelte vor lauter Gold, die Statue, die Weihgefäße, die vielen Tafeln und Täfelchen, die von der Decke hingen; aber es war alles nur mit Gold lackiertes Holz und hat uns ein wenig enttäuscht.
Wir gingen durch die belebten Straßen und warfen einen Blick in Raffles Museum, wo alle Erzeugnisse Singapores und der Umgebung ausgestellt waren. Raffle war so eine Art Gründer Singapores, das nur einhalb Grad über dem Äquator liegt. Nach ihm war nicht nur ein großes Hotel benannt, sondern er hatte auch sein Denkmal!

Noch hatten wir Zeit und besuchten den berühmten, eine halbe Stunde vor der Stadt liegenden Botanischen Garten. Dorthin fuhren wir – for fun! – in einer Droschke, einem viereckigen, durch Läden verschließbaren Kasten, klein wie ein Kinderspielzeug! Der Fahrer hatte einen lackierten Hut auf, und die Pferdchen waren zierlich wie Ponies! Der Botanische Garten ist mit Recht berühmt: Die mächtigsten und prächtigsten Bäume waren dort zu sehen, Orchideen und Sträucher, die wir nicht einmal dem Namen nach kannten, wuchsen da nahe dem Äquator, kurz, es war eine Blütenpracht, wie wir sie nur in Treibhäusern zu sehen gewohnt waren. Zum Schluss machten wir noch einen Gang durch den »Urwald«, und in eineinviertelstündiger Fahrt durch bekannte Gegenden der Stadt brachten uns die kleinen Pferdchen um 12 Uhr mittags zum Schiff zurück.
Es gab ein exquisites Essen, weil die Schiffsleitung auf dem Markt allerlei gekauft hatte: frische Fische, Fleisch, Gemüse, Ananas und Litschis-Kompott! Am stolzesten war aber der Koch, dass er uns Eiscreme aus der Heimat vorsetzen konnte – als Nachtisch, weil wir doch so nahe am Äquator seien. Eine Eismaschine gab es damals noch nicht! – Nach dem Essen hatte ich ein kleines Geplänkel mit einem Edelsteinhändler, der für einen Aquamarin erst vier Dollar wollte und mir ihn unter Stöhnen für 50 Cents überließ, wobei er wahrscheinlich noch ein gutes Geschäft gemacht hat.

Dann legte ich mich schlafen, denn ich hatte ein unbezwingbares Ruhebedürfnis, da die Augen übermüdet waren und den Körper die Hitze mitnahm – in unserer Koje waren es 56 bis 57 Grad! Dabei konnten wir von Glück sagen, dass wir bedeckten Himmel hatten. So verschlief ich die Abfahrt um 3 Uhr nachmittags und kam erst wieder an Deck, als wir schon eine Stunde in See waren. Bald war das Land außer Sicht, und mühsam, so schien es, stampfte das Schiff seinen Weg durch die aufspritzenden Wellen, denn wir hatten starken Gegenwind!

Am 12. Februar war das Meer – wir müssen schon im Südchinesischen Meer sein – etwas unruhig, und am 14. Februar wurde es erfreulicherweise etwas kühler, zumal wir uns, immer in nördlicher Richtung fahrend, vom Äquator immer mehr entfernten.

Auch am 15. und 16. Februar sahen wir nur Wasser, kein Land.

Hongkong

Am 17. Februar mussten wir, wie die Inseln andeuteten, kurz vor unserm nächsten Landeplatz, Hongkong, sein. Während wir beim Mittagessen saßen, erhob sich plötzlich ein kalter, dichter Nebel; Sirenengeheul von verschiedenen Seiten. Schließlich gingen wir vor Anker, und die Glocke läutete in regelmäßigen Abständen. Als gegen 5 Uhr nachmittags das Wetter aufklarte, lag kaum 100 m von uns entfernt ein anderer Dampfer, um dessentwillen wir wohl die Anker hatten fallen lassen, denn der schrecklichste Feind des Seemanns ist außer dem Eisberg der Nebel! Aber jetzt schien wieder die Sonne, der Lotse kam an Bord, und wir konnten uns durch die schwierige Hafeneinfahrt hindurchlavieren. Rechts und links lagen hochaufgetürmt Felsen, von denen Batterien drohend niederschauten, bereit, jedes Schiff in Grund und Boden zu feuern, das es unrechtmäßig wagen sollte, in Hongkongs Hafen einzufahren! Nach halbstündiger, ganz langsamer Fahrt gingen wir um 4 Uhr im Hafen vor Anker, und vor uns lag Hongkong mit dem Peak und den vielen Villen im Europäerstil, das Geschäfts- und das Chinesenviertel, dessen Straßen und Gässchen sich hoch am Berg hinzogen.

Um 5 Uhr nachmittags durften wir an Land, und zwar auf kleinen Dampferchen, die in der Stadt landeten. Am Hafen ist sie oft nur eine Straße breit, aber an den Bergen zog sie sich hin an den Hügeln, die sie umsäumen.
Auch Hongkong ist eine Kolonie der Engländer, die sich an allen neuralgischen Punkten der Erde festgesetzt haben. Sie sind stolz darauf, dass auf dem Gipfel des Victoria Peak (551 m) das Wohnhaus ihres Gouverneurs steht und auf halber Höhe die Universität ist, die viel von Chinesen besucht wird, wie wir hören.
Unser erster Gang war zur Post in allernächster Nähe des Hafens, denn wer zuerst kommt, mahlt zuerst! Wir benutzten unsern kurzen Landurlaub dazu, uns das Straßenleben anzusehen und ein paar Einkäufe zu machen. Mit einem neuen Beförderungsmittel machten wir Bekanntschaft, mit der Sänfte, einem von zwei Kulis getragenen Sitzkorb, der auf Bambusstangen ruhte; sie war ein unentbehrliches Beförderungsmittel, da bei den steilen Straßen Hongkongs Pferde- oder Rikshabetrieb ausgeschlossen ist.

Wir fuhren mit einer der in den ebenen Straßen verkehrenden Rikshas, wo moderne Gebäude im europäischen Stil auf der einen Seite und Wasser auf der anderen Seite waren, und kamen schließlich ins Chinesenviertel: Frauen in roten und blauen Hosen, Männer in Röcken, den Zopf hängend oder wie ein Krönchen auf dem Kopf tragend, dazwischen viele Kinder, kurz, ein reger Verkehr, durch den sich Kulis mit ihren Lasten laut rufend ihren Weg bahnten. Enge Straßen führten den Berg hinan, mit hohen Häusern bebaut, mit Veranden versehen und über und über mit Schildern behängt!

Dort stiegen wir aus, um die steilen Straßen emporzuklettern und das chinesische Volksleben kennen zu lernen: Hier ließ sich einer rasieren, da briet einer in nach unseren Begriffen stinkigem Oel Gedärme, dort hingen, von Mücken übersät, an Bastschnüren Fleischfetzen (sie sahen aus wie gedörrte Leber!), da lagen getrocknete Fische zur Schau eines kommenden Käufers, dort hatte ein Schuster, Schmied oder Schreiber seine Werkstatt, da zwitscherten Kanarien und andere exotische Vögel in einem Vogelladen – kurz, es war ein buntes Durcheinander, dem die Beleuchtung ein eigenartiges Gepräge verlieh, da es mittlerweile dunkel geworden war.
Es war wirklich ein schönes Bild, das die Laute der fremden Sprache romantisch machten. Aber der Gestank in den engen Gassen war unsern europäischen Nasen ungewohnt, er war so entsetzlich, dass wir bald wieder zur Hafenstraße niederstiegen, wo es zwar auch von Männern und Frauen des Chinesenvolkes wimmelte, aber das Meer eine frischere Luft in das Getümmel brachte.

Um 8 Uhr abends mussten wir an Bord sein, und nach einigem Kartenschreiben ging es in die Koje, damit wir für den kommenden Tag gestärkt seien!

Schon um 4 Uhr früh gellte [am 18. Februar] die Pfeife des Unteroffiziers vom Dienst durch das Schiff und erscholl der übliche Ruf: »Rise, rise!«, aufstehen! Um halb 7 Uhr gingen oder vielmehr fuhren wir los, mit einem der kleinen Dampfer wieder an Land.
Diesmal nahmen wir uns ein Auto und ließen uns in dreistündiger Fahrt die Sehenswürdigkeiten in und um Hongkong zeigen – dies hätten wir schon in Singapore tun sollen! Zunächst fuhren wir in Serpentinen hinauf zur halben Höhe des Victoria Peak und wieder hinunter zu dem an einem Sumpf liegenden Dörflein Aberdeen. Die Bewohner nähren sich anscheinend von den Fischen, die die Flut in dem Morast zurücklässt, denn allenthalben lagen am Straßenrand Fische zum Trocknen, und der Gestank war übel.
Wir warfen noch einen Blick hinüber nach China und fuhren dann zurück, an Tempeln vorbei, an Altären, auf denen Weihrauch schwelte, an Friedhöfen vorbei, an Chinesen vorüber, die mühselig Bambusrohre und Steine schleppten und wahrscheinlich billiger waren als Wagen auf den mangelhaften, staubigen Straßen. Die Vegetation, von den Engländern offenbar gefördert, ähnelte der unsrigen, war natürlich infolge des subtropischen Klimas mit allerlei Gewächsen wie Palmen, Bananenstauden und dergleichen vermischt.

In langsamer Fahrt brachte uns das Auto auf dem holprigen Wege zurück durch ganz Hongkong. So sahen wir die Rennbahn, die Werften, bei Tage nochmals das Chinesenviertel, bis wir an der Tramway-Station zum Peak Halt machten. Für 50 Cents brachte uns die außerordentlich steile Drahtseil-Schienenbahn zur Peak-Station, wo sich unsern Blicken eine prachtvolle Rundsicht bot, die leider nach kurzer Zeit durch Nebelschwaden unterbrochen wurde.
Weithin erstreckte sich Hongkong mit seinen Häusern und Villen der Europäer, mit dem Chinesenviertel. Zu unsern Füßen lag der Hafen mit den unzähligen Handelsschiffen – auch unsere Patricia entdeckten wir. Der östereichische Kreuzer Kaiserin Elisabeth war mit seiner braunen Farbe nicht zu verkennen, ebenso wenig unser graues Flusskanonenboot Tsingtau. Weiter draußen lagen die Felseninseln, wuchtig und drohend die Hafeneinfahrt beschirmend!
Nach einem kleinen Spaziergang zur wunderschön gelegenen Gouverneurswohnung, vor der ein Soldat Wache stand, brachte uns die Bahn wieder talwärts. Um 12 Uhr fuhren wir wieder an Bord zurück, wo sich inzwischen ein lebhafter Handel entwickelt hatte: mit Eiern, Mandarinen, Postkarten, Porzellansachen, die wie Rohrstühle billig waren, von denen ich einen um drei Hongkong-Dollar für Tsingtau erstand.

Während des Mittagessens, um 2 Uhr, fuhren wir ab, und bald verschwanden Hongkong und seine Inseln – nur Wasser war zu sehen! In der Nacht zum 19. Februar müssen wir die Straße von Formosa passiert haben; es wurde kühler und infolgedessen Blauzeug angezogen. Nachmittags war dichter Nebel, sonst nichts Neues!

Am 20. Februar waren wir im Nordchinesischen Meer, das nicht so freundlich, aber auch nicht so heiß war wie der Indische Ozean. Eine kleine Nervosität war am 21. Februar zu spüren: Wie mochte es wohl in Tsingtau sein? Die Koffer wurden gepackt, und am Abend fand ein Abschiedsessen mit solenner Sauferei in unserer Messe statt, wo die Luke wieder geschlossen worden war.

Tsingtau — Am nächsten Tag, dem 22. Februar, kamen wir schon im großen Hafen von Tsingtau an, nachdem wir die vorgelagerten Inseln und die Stadt passiert hatten, die wir neugierig betrachteten. Drunten am Pier standen die Zivilisten unter Schirmen und die Seesoldaten, die in ein paar Tagen in die Heimat fahren sollten, wobei von den Masten der Patricia die Heimatswimpel flatterten! Halb schneite es, halb regnete es – der Empfang-war also nicht einladend.

Ich musste jedenfalls wieder zurück ins Glied, und die Schindereien auf dem Exerzierplatz und bei den Felddienstübungen begannen wieder. Am schlimmsten war es aber für uns Einjährige, dass wir vier Wochen in der Kaserne schlafen müssten, wie uns angekündigt wurde; in Cuxhaven waren wir nämlich infolge der Enge der Baracken vom Kasernenschlafen befreit worden: Schon am ersten Tag, am 1. Oktober 1913, zogen wir mit einem Kommissbrot unter dem Arm los, damit wir jeden Vorgesetzten und jede höhere Charge durch stramme Haltung des rechten Armes grüßen konnten.
So rückten wir unter den Klängen der Musikkapelle in Tsingtau ein! Drei unserer Mit-Einjährigen von der Matrosenartillerie,7 die ebenfalls in ihre Kaserne marschierten, hätten ausrufen können: »Ave, Tsingtau, morituri te salutant!« (+).
Aber damals wussten wir noch nicht, was uns bevorstand!

[Zusatz am Seitenende:] + Huldigung der Gladiatoren an den Kaiser (Caesar): »Heil, Caesar, es grüßen Dich, die da sterben werden!«
 

Anmerkungen

1. Auf dem unpaginierten zweiten und dritten Blatt des Typoskripts.

2. Auf Blatt 1 und 1a des Typoskripts.

3. Auf unpaginiertem Blatt nach dem Vorwort. Die unter «Anhang« aufgeführten Materialien sind nicht (mehr) vorhanden.

4. Entspricht den Seiten I bis XVI des Typoskripts.

5. In der Kaiserlichen Marine waren die Laufbahngruppen bewusst sehr stark voneinander geschieden, und so, wie sich insbesondere die Seeoffiziere von den Deckoffizieren abgrenzten, betonten die Letzteren auch den Abstand zwischen ihnen und den Unteroffizieren, den Einjährig-Freiwilligen und den übrigen Mannschaften.

6. Der Autor bezieht sich hier auf die Erste und Zweite Marokko-Krise (1904/06 bzw. 1911).

7. Welche drei Personen gemeint sind, konnte nicht ermittelt werden.
 

©  Hans-Joachim Schmidt (für diese Fassung)
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