Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Von Hongkong nach Tsingtau

Tagebuch (1) von Paul Beushausen
 

Über seine Erlebnisse im Krieg berichtet Paul Beushausen (1893-1950) in zwei Tagebüchern. Das hier wiedergegebene erste Tagebuch berichtet über die Erlebnisse von Anfang August bis Mitte Oktober 1914.
 

Am 2. August 1914 wurde in Hongkong die Nachricht von den Zeitungen gebracht, dass der drohende Krieg zwischen Deutschland und Russland ausgebrochen war und das deutsche Truppen in Belgien einmarschiert seien, um von dort aus in Frankreich einzudringen.

Mich erreichte die Nachricht, als ich mich auf dem Wege nach der Firma Knell & Co. befand, um dort ein Geschäft mit elektrischen Öfen anzubahnen. Ob die teilweise sehr wertvollen Muster Wendt & Co. zurückbekommen haben, weiß ich nicht, da ich keine Gelegenheit mehr fand, mich darum zu kümmern.

Die Reservisten aus Canton waren bereits am Sonnabend, den 1. August, vom deutschen Konsul aufgefordert worden, sich unverzüglich nach Tsingtau zu begeben. Auch ein Teil [der Besatzung] des Flusskanonenbootes S.M.S "Tsingtau" war am Sonnabend von Canton nach Hongkong gefahren, natürlich in Civil. Diese Leute fuhren am Sonntag um 12 Uhr mit dem Dampfer weiter nach Shanghai.

Auch 4 Hongkong-Leute, Carstens, Buchner, Hallier und Zimmermann konnten diesen Dampfer noch erreichen, da sie vorgebeugt hatten und ihre Koffer schon gepackt waren.

Ich begab mich sofort nach Bekanntmachung der Kriegstelegramme auf das Konsulat und bat um Auskunft, was ich zu tun hätte. Es wurde mir hier der eigentümliche Bescheid gegeben, dass ich nicht verpflichtet wäre, mich in Tsingtau zu stellen. Ich könnte höchstens als Kriegsfreiwilliger eintreten, doch zweifelten sie, ob dies gewünscht wird. Bei der genauen Durchsicht meiner Militärpapiere fand ich jedoch sehr deutlich ausgedrückt, dass meine Zurücksetzung im Falle einer Mobilmachung ungültig wird und ich mich sofort zu stellen habe. Ich ging daher trotz der gegenteiligen Meinung des deutschen Konsulats zu Dr. Hoch und lies mich auf meine Tauglichkeit untersuchen.. Dieser war gerade mit der Untersuchung von John beschäftigt, auch ein zurückgesetzter Einjähriger Freiwilliger wie ich. Wir wurden beide tauglich befunden.

Ich ging nun in den Club, wo natürlich großes Leben war. Einigen Leuten merkte man allerdings die bedrückte Stimmung an. Es waren meistens Leute, die vor der Kriegserklärung den größten Mund gehabt hatten und stets erklärt hatten, sie würden auf jeden Fall mit nach Tsingtau gehen. Ein großer Teil dieser Maulhelden hat sich aber nun die Sache, wo es ernst wurde, anders überlegt und drückt sich feig.

Mit Freese, der mit Wehle [?] und mir eine Messe am 1. August in Kowloon begründet hatte,, fuhr ich dann rüber nach Kowloon, wo wir ein sehr fideles Tiffin hatten. Nachmittags fuhr ich wieder zum Club. Hier kamen wir überein, am 4. August mit der "Chigo Maru" nach Shanghai zu fahren. Von dort würde sich schon Gelegenheit finden nach Tsingtau weiterzukommen.

Am Montag den 3. August war Bankfeiertag, doch arbeiteten wir noch bis spät zum Abend, um die Bücher in Ordnung zu bekommen, da Herr Wendt fürchtete, dass, wenn Deutschland auch noch in einen Krieg mit England verwickelt würde, die Deutschen aus Hongkong ausgewiesen würden und eventuell die Güter der deutschen Firmen beschlagnahmt würden. Mittags lud mich Herr Wendt noch zum Tiffin in den Club ein, dass mir viel Vergnügen gemacht hat. Abends waren wir in unserer Messe und feierten Abschied. Freese hatte noch einen Bekannten mitgebracht, ein Schulkollege von ihm, der auf einer Geschäftsreise von Shanghai nach Hongkong gekommen war. Es war Lorenze [?] von Garrels, Börner & Co, Vertreter der Farbwerke Weiler ter Meer. Freese sang nun einige Soldatenlieder vor, er war Unteroffizier der Reserve. Dazu wurde natürlich viel Bier, Whisky und Likör getrunken, sodass alle die nötige Bettschwere hatten.

Den nächsten Morgen, den 4. August war ich auf dem Weg zur Fähre in einer Rikscha, als mir Holzwarth [?], Häuteexport von Melchers & Co., begegnete, der mir erzählte, die Engländer ließen keinen Deutschen mehr aufs Schiff oder ich müsste schon so schnell wie möglich machen, auf einer Privat-Launch [?] möglichst unauffällig an Bord zu kommen. Ich kam nun mit Freese überein, in einer halben Stunde mit dem Boot von Blackhead & Co ans Schiff zu fahren. Ich ging schleunigst ins Office, verabschiedete mich dort von Allen, doch waren nun natürlich meine Koffer nicht von A meiner Wohnung ins Geschäft gebracht worden. Ich ging in ziemlicher Aufregung fort und vergaß ganz, mir Geld von der Firma vorschießen zu lassen. Herr Landolf [?] war noch so liebenswürdig, mir den Rest meines Guthabens sowie das nötige Gepäck an Bord nachzuschicken. Auf der "Chiyo Maru" angekommen, erfuhren wir dann, dass alle unsere Befürchtungen grundlos waren, denn wir wurden ohne weiteres an Bord gelassen. Das einzige, was uns auffiel, waren 2 Leute, die uns scharf musterten, anscheinend Geheimpolizisten. Erst nach Stunden kamen die anderen deutschen Reservisten an Bord. Es waren auch viele Deutsche mit aufs Schiff gekommen, um hier Abschied von den Bekannten zu nehmen. Es setzte natürlich bald eine scharfe Trinkerei an, vor allen Dingen, da es gutes Bier vom Fass gab, in Hongkong eine Seltenheit.

Der Dampfer war sehr gut besetzt, fast alle Kabinen der 1. Klasse voll. Es waren ca. 70 Reservisten an Bord, außerdem viele amerikanische Herren und Damen, auch einige Franzosen und Engländer. Unter den Passagieren war Mr. Pink, der Vertreter der Great Western Union Smelting & Co, mit seiner angeblichen Frau.

Der Hafen von Hongkong lag sehr ruhig, war nicht so in Bewegung wie an anderen Tagen. Es lag noch ein deutsches Schiff im Hafen, dass dem Norddeutschen Lloyd gehört. Es trug den Abfahrtswimpel, wollte also auch noch am 4. auslaufen. Der englische Kreuzer "Triumph" wurde frisch gestrichen, und ab und zu kam ein Torpedoboot von einer Patrouille herein.

Um 3 Uhr gingen wir in See. Bei der Durchfahrt Lacinoon-Pass begegneten wir einem hereinkommenden englischen Kreuzer, dessen Name mir entfallen ist.

Die See war wunderbar ruhig. Auf dem Schiff keinerlei Schwankungen bemerkbar.

Das Essen an Bord zufriedenstellend. Bei jeder Mahlzeit 10-12 Gänge. Mittags und Abends spielte eine kleine mäßige Kapelle. Die Bedienung bestand aus chinesischen Boys, die viel zu wünschen übrig ließen. Die Badegelegenheit funktionierte leidlich.

Im übrigen das gewöhnliche langweilige Bordleben. Shuffle-board wurde gespielt sowie das übliche Werfen mit Sandsäckchen auf ein mit Feldern und Zeilen versehenes Brett. Dies Spiel wurde dadurch etwas interessanter gemacht, dass wir auf bestimmte Felder kleine Summen setzten. Außerdem wurde natürlich viel Skat und Bridge gespielt. Den Rest der Zeit vertrieben wir uns mit Unterhaltung, Schlafen, Essen und vor allen Dingen trinken, denn es herrschte eine knuffige Hitze.

Am 5. August abends kam die drahtlose Nachricht, dass auch England uns den Krieg erklärt hatte. Es herrschte in den ersten Augenblicken große Bestürzung unter uns Deutschen, doch beruhigten sich bald alle wieder, in dem guten Glauben an die Stärke unseres Heeres. Claasen von Melchers & Co setzte sich ans Klavier, dass sich oben an Deck beim Rauchsalon befand und spielte deutsche Nationallieder, in die alle mit einfielen. Auch viele Amerikanerinnen, die diese Lieder kannten, stimmten mit ein.

Es ging das Gerücht um, dass wir auf Formosa ausgeschifft werden sollten, doch kam es glücklicherweise nicht soweit. Wie ich später in Shanghai erfuhr, hat die japanische Regierung tatsächlich Order gegeben, uns auf Formosa an Land zu setzen, doch ist angeblich das drahtlose Telegramm zu spät angekommen.

Am 6. August morgens gegen 6 Uhr liefen wir in den Hafen von Keelung ein. Ich bin gar nicht an Land gegangen, da das Nest einen geradezu trostlosen Anblick bot. Das einzige, was das Ansehen wert war, war der weisse Leuchtturm bei der Einfahrt in den Hafen. Auf Formosa monatelang gefangen zu sitzen, muss einfach furchtbar sein. Auf ganz Formosa gibt es 2 oder 3 Europäer, sonst ist die Insel wenig besiedelt. Es wird hier Tee und Reis angebaut. Auch unser Dampfer nahm einige Leichter voll Tee mit. Im Sommer herrscht auf Formosa eine enorme Hitze und wird im Spätsommer häufig von gewaltigen Taifunen heimgesucht. Gegen 12 Uhr, nachdem wir allen Tee übernommen hatten, dampften wir wieder aus dem Hafen. Das Meer war noch immer ruhig und blaugrün, ab und zu sah man einen Schwarm fliegender Fische oder vereinzelte Möwen.

Am Morgen des 7. August hatte sich doch alles geändert. Das Wasser dick und lehmig, in der Ferne einige Dschunken und gegen Mittag am Horizont flaches Ufer, bestehend aus diesen unendlichen von Schlick-Mengen die der Jangtze hier im Laufe der Jahrhunderte abgelagert hatte. Man merkte aus alledem, dass wir uns der Chinesischen Küste näherten.

Nachmittags gegen 2 Uhr warfen wir auf der Reede von Woosung Anker aus. Es wurde hier allen deutschen Reservisten bekanntgegeben, dass sie den Dampfer "Chiyo Maru" sofort zu verlassen hätten, die verspätete Order der japanischen Regierung, die uns bereits in Formosa treffen sollte. Aber diese Anweisung konnte uns nicht mehr viel anhaben, da hier in Woosung die Passagiere der großen Dampfer für Shanghai durch kleine Dampfboote weiterbefördert werden, wir also ohnehin Mittag aussteigen müssen. Doch zeigte diese kleine Sache, dass die Japaner feindlich gesinnt wurden im Augenblick, wo der Krieg zwischen Deutschland und England ausbrach.

Um 5 Abends kamen wir in der Fremdenniederlassung Shanghais an. Die meisten von uns begaben sich in den deutschen Club "Concordia", um dort weitere Informationen über unsere Weiterreise zu empfangen. Wir wurden hier gebeten, uns um 9 Uhr alle im deutschen Konsulat einzufinden. Im Club wurde Bezahlung von uns nicht angenommen, doch kümmerte sich sonst niemand um uns. Abends beim Konsul mussten wir unsere Papiere vorzeigen, unsere Namen wurden telegraphisch nach Tsingtau weitergegeben. Fast jedem wurde ein Paket aufgehängt, das beim Gestellungsbüro in Tsingtau abzugeben war. Diese Pakete waren schwer und unhandlich eingepackt in Zeitungspapier. Der Inhalt dieser Pakete sollte sein: Patronen, Geld, elektrische Batterien etc.

Vom Konsulat ging es wieder in den Club, wo zum Abschied noch tüchtig einer gehoben wurde. Hierüber wurde es natürlich sehr spät, und nur durch Übertölpeln des Portiers konnte ich ein Auto bekommen, in dem ich zusammen mit Freese, Jasse und Findorff noch rechtzeitig den Bahnhof erreichen konnte.

Der Zug war bereits ziemlich besetzt, und nur mit knapper Not konnte ich noch einen Platz erwischen. Ich hatte bei dieser Gelegenheit noch eine kleine Auseinandersetzung mit Rolfs, die ich dem Mann bis heute noch nicht vergessen habe. Es waren sehr viele Deutsche an der Bahn, die von Bekannten und Verwandten Abschied nahmen. Auch Hans Koch traf ich hier, der in den nächsten Tagen nachkommen wollte nach Tsingtau. Unter den Mitreisenden befand sich Frau Dunkel, die sich dem Roten Kreuz in Tsingtau zur Verfügung stellen wollte.

Gegen 11 Uhr fahren wir ab nach Nanking. Bei der Abfahrt ist alles ruhig, es werden keine Hochrufe ausgebracht und keine Kundgebungen veranstaltet. Denn die Bahn ist zum größten Teil in englischen Händen mit englischen Ingenieuren und englischen Beamten. Machten wir uns mausig, so lag die Gefahr nahe, dass uns Schwierigkeiten in den Weg gelegt wurden.

Ich war ziemlich müde und schlief sofort nach Abfahrt des Zuges ein. Aus dem Schlaf erwachte ich ziemlich zerschlagen erst, als wir in die Nähe Nankings kamen. Ich sah noch nie wie wir an einem alten Teil der uralten Stadtmauer vorbeifahren. Gegen 6 Uhr morgens 8. August fahren wir in den kümmerlichen Bahnhof Nanking ein. Durch Kulis ließ ich mein Gepäck auf die Fähre bringen, die uns über den Jangtze bringen sollte. Der Fluss ist hier etwa 1 ½ km breit, die Ufer öde, flach und trostlos, das Wasser schlammig und gelb, der Verkehr in den frühen Morgenstunden sehr klein. Nach unendlich langer Wartezeit und nachdem das Fahrzeug häufiger seine Sirene in Tätigkeit gesetzt hatte, ging es rüber. Am jenseitigen Ufer wieder ein ebenso öder Bahnhof und stundenlanges Warten auf den Abgang des Zuges. Glücklicherweise stand der Zug schon da und da ich einer der ersten war, konnte ich ein schönes Abteil belegen, das ich mit Jasse, Findorff und Freese bezog.

Wir mussten hier etwa 2 Stunden warten, denn gleichzeitig ging ein großer Geld-Transport nach Tsingtau. Es wurde Kiste um Kiste, gefüllt mit Silberdollars, bewacht von einer größeren Abteilung Soldaten, eingeladen. Endlich ging die Fahrt los, hinein ins Innere. Die Stimmung ist fröhlich und niemand denkt an Tod und Elend. In einem der Durchgangswagen befand sich ein größeres Abteil, das den Eindruck eines kleinen Rauchsalons machte: Schwere Ledersessel im Halbkreis. Dies machte einen sehr gemütlichen Eindruck und ein großer Teil der Reservisten hatte sich hier schleunigst einquartiert. Tagsüber war dann hier auch ein fideles Leben und alles ging drunter und drüber. Doch Abends merkten die, die keine Schlafwagenkarte hatten, was sie für eine Dummheit gemacht hatten. Niemand konnte sich ausstrecken oder hinlegen und nachts konnte man die ungewöhnlichsten Stellungen beobachten. Die Lehnen der Sessel waren nicht hoch genug, um den Kopf darauf legen zu können. Der dicke Danielsen wackelte mit seinem Schädel in der Gegend herum und machte ein kreuzunglückliches Gesicht. Ebenso konnte der gute Tospann seine Beine durchaus nicht in eine gemütliche Lage bringen. Jedenfalls sah ich, dass ich mit meinem Abteil einen guten Griff getan hatte. Nebenan war Frau Dunkel, die im Laufe des Tages schön belegte Brötchen anbrachte. Es war immer Leben und Bewegung, und die Zeit wurde nicht lang. Der landschaftliche Charakter der Gegend wechselte. Zuerst öde Gegend, wenig bebaut, nur ab und zu Lotospflanzungen. Dann ein etwas hügeliges und spärlich bewaldetes Gebiet. Darauf wieder flache Gegend, reich bepflanzt mit Reis und Lotos. Der Menschenschlag hier ist groß und breit gebaut, im Gegensatz zu den sonstigen Chinesen. Der Tag verging ziemlich schnell. Während der Nacht erwachte ich einige Male, teilweise durch die Bewegung des Zuges, teilweise durch das Beißen der Wanzen, die sehr geschäftig waren. Es war dies das erste Mal, dass ich mit diesen lieblichen Geschöpfen Bekanntschaft machte.

Am 9. August gegen 6 Uhr morgens, also nach etwa 22 Stunden ununterbrochener Fahrt, langten wir in Tsinanfor an. Wir fuhren alle sofort in ein deutsches Hotel und frühstückten dort sehr gut. Das europäische Viertel machte ganz den Eindruck einer kleinen deutschen Stadt. Die Häuser ganz nach deutschem Muster, die Wege gut gepflastert, die Felder regelmäßig und gut bebaut. Im Hotel gab es Bier aus Halblitergläsern und vom Fass. Das Frühstück wurde im Garten aufgetragen, Kaffee, Butter, Wurst, Käse, Konserven. Bei diesem Frühstück fehlt selbst die Fliege nicht, die in großer Anzahl den Tisch umschwärmt. Als wir wieder zum Bahnhof zurück, kamen erhielten wir von einem Beamten ein Billet 2. Klasse bis Tsingtau, Reserve-Feldwebel und Offiziere ein Billet 1. Klasse.

Von nun an gab es Unterschiede. Bisher waren wir alle friedlich vereint 1. Klasse gefahren. Der Zug war überfüllt, denn es fuhren auch Reservisten aus Japan mit, die am Abend vorher in Tsinanfor über Korea angekommen waren. Unter diesen traf ich auch Bobrik, der vorher bei der D.A.B. in Hongkong gewesen war. Gegen 8 Uhr ging die Fahrt los. Die Shantung Eisenbahn ist durchaus deutsch. Mit deutschem Kapital gebaut, das Material deutsch, deutsche Beamte, deutsch sprechende Boys in den Speisewagen, Fahrkarten mit deutscher Aufschrift. Vor allen Dingen die deutsch sprechende Bedienung machte auf Leute aus dem Süden Chinas einen eigenartigen Eindruck. Es gibt sogar einen Automaten wie in der Eisenbahn zu Hause, aus dem man für 5 Cent Seife & Handtuch ausziehen kann. Die Gegend, die wir passieren, ist zum größten Teil flach ohne wesentlichen Erhöhungen. Das Land ist sehr gut bebaut, man sieht den Einfluss der Deutschen. Ja, man sieht sogar vereinzelte Wäldchen, was man sonst in China überhaupt nicht kennt.

Nachmittags passierten wir die Grenze, und hier sahen wir die ersten deutschen Soldaten, die scharf nach dem Feinde ausspähten, der allerdings noch einige 1000 km entfernt war.

Wir konnten nun auch schon die zerrissenen Gebirgszüge des Laushan erkennen.

Dann näherten wir uns schnell Tsingtau. Wir kamen wieder ans Meer, die Kiautschou-Bucht, die sich unendlich ins Land erstreckt. Von Tsingtau selbst sahen wir zuerst den großen Kran, der als Wahrzeichen des Tsingtauer Hafens seinen Arm emporreckt. Dann sah man eine Ziegelei liegen, man sah mehrere Schlote, nun sieht man Geschäftshäuser und Lagerplätze, und zuletzt fielen uns die Schilder wie Schwarzkopf & Co, Dietrichsen & Co etc. in die Augen. Auf dem Bahnhof eine große Menschenmenge, viel mit Militär vermischt. An Bekannten traf ich dort Gadow, der Vertreter der Kalleschen Farbwerke in China, mit dem ich in Hongkong geschäftlich und auch privat zu tun gehabt hatte. Er war am Bahnhof in Unteroffizieruniform. Bei seiner Ankunft in Hongkong hatte er noch erzählt, ohne dass ich es wissen wollte, dass er Reserve-Offizier sei. Dasselbe hat er meinen Bekanten in Shanghai erzählt, wie ich später zufällig mal hörte. Daran hat er wohl nie gedacht, dass er sobald überführt werden würde. Mit der ganzen Kapelle des III. S.B. wurden wir durch die Stadt geleitet.

Tsingtau macht einen absolut deutschen Eindruck. Wenn man nicht die Rikschas und Kulis sähe, würde man nicht merken, dass man sich in China befindet. Man glaubt sich in ein reiches Viertel eines Vorortes von Hamburg oder Berlin versetzt. Die Häuser zeigen jenen typischen Bau, wie man ihn in den Villenorten findet. Wir kamen an dem Prinz Heinrich Hotel vorüber, einem großen schönen Haus, dessen Veranda voll von Menschen war, darunter Offiziere, die uns neugierig beäugten. Nachdem wir die Stadt passiert hatten, bogen wir in eine Allee aus hohen schönen Bäumen ab, die nach der Bismarckkaserne führt. Die Kaserne sind große helle Bauten aus Ziegelsteinen, wie man sie auch in Deutschland bei den neuen Kasernen findet. Der Exerzierplatz hat eine ungeheure Ausdehnung. Am Fuße des Platzes liegen die Räumlichkeiten der 1. und 3. Kompanie. Auch ist hier die Bataillonsstube, Anmeldebüro etc. Seitlich nach Süden zu ist der Platz begrenzt durch Pferdestall, Kompaniekammer, Unteroffizierkantine, Mannschaftskantine und Feldwebelmesse. Oberhalb des Platzes liegen die Gebäude der 2. und 4. Kompanie.

In der Bismarckkaserne angekommen wurden uns unsere Pässe abgenommen und den einzelnen Kompanien zugeteilt. Ich kam zur 6. Kompanie.

Ich traf gleich einige alte Bekannte, unter anderem Vissering, früher Canton, und Weitz aus Shanghai, Farbonkel von Weiler ter Meer, den ich in Hongkong kennen lernte.

Vorläufig wurde uns nun das Gebäude der 1. Kompanie zur Verfügung gestellt. Das Gepäck war natürlich nicht vollzählig vom Bahnhof nach der Kaserne geschafft worden, und mir fehlte mein Lederkoffer. Ich musste also in der Dunkelheit durch die Stadt zum Bahnhof. Laternen brannten nicht in der Stadt, um einem sich vielleicht heranschleichenden feindlichen Schiff kein Ziel zu bieten. Ich fand zum Glück bald eine Rikscha und fand auch nach einigen Irrfahrten hin zum Bahnhof. Der Koffer wurde mir anstandslos ausgeliefert, trotzdem ich keinen Schein hatte. Die Nacht verbrachte ich in irgendeiner Mannschaftsstube, in der noch ein Bett frei war. Es gab einige Wanzen, doch war es auszuhalten.

Um 6 Uhr war Wecken, und wir mussten auf dem Exerzierplatz antreten. Es wurde uns nun durch einen brüllenden Unteroffizier oder Feldwebel mitgeteilt, das wir erst um 8 Uhr wieder zur Untersuchung anzutreten hätten, bis dahin könnten wir in die Stadt gehen und frühstücken. Ich machte mit Findorff und Jasse zusammen einen kleinen Strandbummel, darauf frühstückten wir in einem kleinen Hotel. Punkt 8 Uhr fanden wir uns wieder in der Kaserne ein.

Stundenlang mussten wir nun in Reih und Glied stehen und warten, bis wir zur Untersuchung rankamen. Diese wurde ziemlich genau vorgenommen, doch wurden alle eingestellt, obwohl Leute darunter waren, die kaum tauglich waren. Auch ich wurde genommen, trotzdem der Arzt einige Bedenken hatte, da er der Meinung war, dass ich den kommenden Strapazen nicht gewachsen sei, Nachdem wir in der Unteroffiziermesse gegessen hatten, bauten wir uns vor der Kammer auf und warteten geduldig, bis der Herr Kammersergeant gefällig war, zu kommen. Das dauerte einige Stunden, aber schließlich kam er doch. Wir bekamen nur neue Sachen: einen Khakianzug, neue Stiefel, Mantel, Patronentaschen, Kochgeschirr, viel Riemenzeug und auch eine Zeltbahn, in die wir alle diese Schätze packen mussten. Angepasst von allen Sachen, die wir bekamen, wurden nur Stiefel, Helm, Koppel. Viel Schwierigkeiten hatte ich mit den Stiefeln und dem Koppel. Alles war für mich zu groß. Ich habe schließlich ein Paar Stiefel genommen, in denen ich zur Not gehen konnte, wenn ich 2 Paar Strümpfe anzog. Ein passendes Koppel habe ich nicht bekommen, das Ding hielt sich nur an den Uniformknöpfen.

Mit unseren sämtlichen Sachen mussten wir nun nach der Iltiskaserne umziehen. Es war schwer, für den Gepäcktransport noch Rikschakulis aufzutreiben, da die meisten sofort nach der Kriegserklärung Hals über Kopf ausgerückt waren. Schließlich gelang es aber doch, durch standhaftes Warten einen Kuli aufzutreiben, dem wir dann mit 3 Mann unsere Sachen aufpackten. Wir trotteten nun gemütlich hinterdrein. Der Weg führte über den Ausläufer des Bismarckberges, durch ein kleines Laubwäldchen zu der schön am Abhang des Iltisberges gelegenen Kaserne. Die Kaserne diente früher zur Beherbergung der Matrosenartilleristen, doch war sie jetzt verlassen und uns in einem wüsten Zustand, wenn nicht schweinischen, überlassen. Da wir noch keinem direkten Kommando unterstanden, wurde natürlich auch von uns nichts zur Besserung dieses Zustandes getan. Außerdem hatten wir keine Werkzeuge, Besen, Eimer, Waschbecken, wir wussten nicht, wo die Plätze waren, wo der Dreck abgeladen wurde. Auf diese Weise sammelte sich natürlich immer mehr Dreck in den Zimmern und mir graut, wenn ich daran zurückdenke. Natürlich musste man sich den Abort selbst suchen. Da war einer so schlau und fragt Oberleutnant Buttersack, ob er ihm sagen könnte, wo der Abort sei. Buttersack hat den Mann natürlich bös angekotzt und beschwerte sich darüber später nochmals vor versammelter Kompanie. Er hat die Sache bös aufgenommen, während wir uns alle köstlich amüsierten.

Am selben Abend wurden uns auch noch unsere Gewehre eingehändigt. Auch fast nur neue. Ich bekam Gewehr No. 52 von 1913, das ich recht vorsichtig auf meinen Platz stellte. Doch kaum hatte ich das Zimmer mal auf ein paar Augenblicke verlassen, als auch meine Knarre schon futsch war. Ich fing nun in der Dunkelheit an zu suchen. Licht durfte nicht gemacht werden. Schließlich fand ich mein Gewehr hinter einen Schrank geklemmt. In dieser Weise ging es mit allen Sachen, und nicht nur mir, sondern allen Leuten ging es ähnlich.

Gegen 11 Uhr war Probealarm, der auch einigermaßen klappte, denn es wurde uns um 6 Uhr beim Appell gesagt, dass ein Alarm stattfinden würde.

Am nächsten Morgen um 6 Uhr wecken. Es regnete in Strömen, und wir hatten deshalb Instruktionsunterricht in den Gängen und Veranden der Kaserne. Um halb acht Uhr wurden die Wachen bestimmt. Da ich noch nicht vereidigt war, wurde ich zum Kalfaktor bestimmt, zusammen mit Findorff und Jasse. Es wurde uns je eine Blechkanne in die Faust gedrückt, die wir erst von Dreck und Rost zu reinigen hatten (an einer schlecht arbeitenden Pumpe mit Sand) und die dann mit einer braunen Flüssigkeit angefüllt wurden. Es wurde mir gesagt, es sei Kaffee, leider war es mir unmöglich, eine Ähnlichkeit festzustellen. Wir bekamen nun Befehl, diesen Kaffee nach der Hauptwache zu bringen. Jasse sollte zum Artilleriedepot mit seinem Topf marschieren. Die Hauptwache sei da irgendwo mitten in Tsingtau, wurde uns gesagt. Wir sind dann auch im dicksten Regen losgetrabt und haben auch gefunden, was wir suchten.

An diesem Tage liefen in Tsingtau bereits Gerüchte, dass die Japaner uns ein Ultimatum gestellt hätten. Wir wurden den ganzen Tag instruiert, wie das Gewehr auseinander zu nehmen sei, wie es zu reinigen und zu ölen sei. Wie zu ziehen und wie zu halten. Ab und zu hörte es für kurze Zeit auf zu regnen, und es wurde versucht, draußen zu üben, aber stets nach einigen Minuten musste wieder des Regens wegen abgebrochen werden.. Morgens wurde ich mit abkommandiert, um die Bismarckkaserne in Ordnung zu bringen, in die wir nachmittags einziehen sollten. Wir mussten auch hier erst Berge von Schmutz beseitigen, doch war es nicht so schlimm wie in der Iltiskaserne. Um 2 Uhr marschierte die Kompagnie mit vollem Sturmgepäck nach der Bismarckkaserne. Es war sehr heiß und wir schwitzten natürlich alle außerordentlich, da niemand von uns allen Derartiges gewohnt war. Kaum waren wir weggetreten und auf die Stuben verteilt worden, als auch schon Wacker aus Hongkong von Baedecker & Co zu seinem Corporalschaftsführer lief und ihn mit flehenden Augen bat, ihm doch ja einen Posten als Schreiber zu verschaffen. Einen derartigen Schrecken hatte ihm also dieser kleine Marsch schon eingejagt. Er wurde natürlich unter Hohngelächter abgewiesen, und musste sich den Spott der ganzen Kompagnie gefallen lassen.

Es ging nun an die gründliche Säuberung der Stuben von Wanzen. Was die Matratzen hier alles an diesen lieblichen Tieren fassen konnten, war einfach erstaunlich. Die Falten waren schwarz von ihnen. Wir haben die Matratzen sorgfältig mit Petroleum ausgebürstet, die Bettgestelle mit Petroleum abgewaschen, die Zimmerwände mit Petroleum getränkt. Auf meiner Stube, ich glaube es war Nr. 57 lagen etwa 20 Mann. Von diesen erinnere ich noch Frisch von der Hamburg-Amerika-Linie aus Shanghai, Rudolf von Blume und Reif [?] aus Kobe, Ribbe von der Rickmerslinie, Koll, Jäger und von Hongkongs Bekannten Findorff. Am 13.8.14 wurde die Säuberung der Zimmer vormittags fortgesetzt und es war anzunehmen, dass der Kampf gegen die Wanzen erfolgreich gewesen war.

Nachmittags wurden wir vereidigt, wir waren etwa 50 Mann, die übrigen waren schon früher vereidigt worden. Wir stellten uns im Kreise auf und schworen auf den Degen von Leutnant Hake.

Nach und nach lernte ich nun die Kameraden kennen. Die Kompagnie bestand aus etwa 220 Leuten. Hiervon wurden noch 40 Mann abkommandiert zur 7. Kompagnie, und zwar wurden die kommandiert, die Mitglieder der Freiwilligenkorps von Shanghai und Tientsin gewesen waren. Wir hatten 7 Offiziere: Hauptmann Buttersack, Leutnant Hake, Rollhausen, Adamczewski, Solger, Jaspersen und Kleinschmidt. 19 Feldwebel, 34 Unteroffiziere und 4 Gefreite.

Die Mannschaften setzten sich zusammen aus Einjährig-Freiwilligen, Ersatzreservisten, ungedientem Landsturm und Kriegsfreiwilligen. Wohl 3/4 der Kompagnie bestand aus Kaufleuten, der Rest kam von den Handelsschiffen oder war draußen im Osten als Lehrer, Ingenieure etc. Die Disziplin ließ viel zu wünschen übrig, denn alle Unteroffiziere und Feldwebel hatten Bekannte und Freunde unter den Mannschaften, so dass sie nicht so schroff auftreten konnten, wie es manchmal nötig war.

Es ging nun die Zeit des Drillens und Wacheschiebens los. Um 3 1/2 Uhr wecken, um 4 1/2 Uhr raustreten zum Appell. Dann ging es los. Griffe kloppen, marschieren, schwenken, hinlegen, auf, hinlegen, auf, Zielübungen, schießen mit Platzpatronen. Wenn es regnete, wurden Instruktionsstunden abgehalten, oder es wurde auf den Korridoren knien geübt, oder Anschlag im Stehen, liegen und Knien.. Dann wieder ging es zum Schießstand bei dem Iltisplatz. Wir mussten unsere Gewehre kennen lernen. Ich habe immer ganz gut beim Schießen abgeschlossen. Wache habe ich immer nur im Artilleriedepot geschoben. Zuerst immer auf Posten III. Dieser Posten hatte etwa 12 Gebäude zu bewachen, Dynamitschuppen, Lagerschuppen für Artilleriegeschossen usw. Alle Gebäude mussten abpatrouilliert werden. Der Weg führte bergauf und bergab und war außerordentlich anstrengend. Mir taten nachher immer die Füße derart weh, dass ich kaum auftreten mochte. Aber alles hat schließlich ein Ende und auch 24 Stunden Wache.

Wenn ich später wieder auf Wache kam zum Artilleriedepot, nahm ich immer Posten II. Dieser Posten stand tagsüber vor dem Nordausgang, an dem eine Chaussee nach den Iltiswerken vorbeiführte, wo andauernd Wagen, Pferde, Automobile, Radfahrer vorbeikamen. Man hatte da also andauernde Ablenkung und die 2 Stunden verflossen sehr schnell. Hier stand ich auch eines Tages, als ein Automobil vorfuhr, in dem 2 Unteroffiziere saßen. Der eine stieg aus, es war Steevens aus Hongkong von Siemssen & Co., während der andere sitzen blieb. Das Gesicht des letzteren kam mir so bekannt vor, und auch er sah mich an, als ob er sich besinne, wo er mich schon mal gesehen habe. Da endlich geht mir ein Licht auf, es ist Stolle, mit dem ich manchen Abend in Hamburg verbummelt habe. Er war damals bei der Vereinsbank und ich lernte ihn durch Wilhelm Scheel kennen. Jetzt war er Unteroffizier bei der 7. Komp. Und zeitweise abkommandiert zur Brieftaubenabteilung, zusammen mit Steevens. Die beiden führten anscheinend ein Herrenleben, morgens mit Automobil und Tauben ins Vorgelände, nachmittags meistens nichts zu tun.

Ich wusste gar nicht, dass Stolle hier draußen im Osten war, und konnte auch erst nicht darauf kommen, wer er war. Er erzählte mir nun, dass er vor einigen Monaten nach Japan gekommen sei für die Firma. Leider durfte ich mich nicht lange mit ihm unterhalten, da ich auf Posten war und er auch wenig Zeit hatte.

Auf Iltishook wurde geschanzt, wenn wir nicht anderweitig beschäftigt waren. Daran schlossen sich meistens Schießübungen an. Es bekam jeder 2o bis 25 Patronen, die wir auf Ziele verknallten, die etwa 800 m von uns im Sande aufgebaut waren. Wir haben verhältnismäßig gut bei dieser Schießerei abgeschlossen. Es war immer ein guter Prozentsatz Treffer dabei.

Am 23.8.1914 lief das unverschämte japanische Ultimatum ab und wir befanden uns von mittags um 12 Uhr im Kriegszustand mit Japan.

An meinem Geburtstag, 28.8. hatte ich wieder Wache, fühlte mich aber sehr unwohl, da ich Darmbeschwerden hatte. Dieser Übelstand nahm immer mehr zu, so dass ich mich schließlich am 28.8. krank meldete und ins Revier zur Untersuchung ging. Ich wurde gleich dabehalten und musste ins Bett, da ich Fieber hatte. Ich bekam nun einige Tage nur Rizinusöl und Schleimsuppen zu essen, doch das Fieber ließ nicht nach und das Befinden wurde nicht besser. Schließlich wurde ich als ruhrverdächtig ins Lazarett geschickt, das war am 2. September, gerade am Sedantage. Auf dem Wege zum Lazarett nahm ich die Gelegenheit wahr und verleibte mit einige starke Bittere ein in der Kantine.

Das Gouvernements-Lazarett ist in großem Stil angelegt. In den ersten Baracken liegen die Genesenden und je weiter man nach oben kommt, das Lazarett liegt am Fuße eines Hügels, je ansteckender und gefährlicher werden die Fälle. Die Baracke für Ruhrkranke lag ganz oben, ein heller, luftiger, großer Raum mit etwa 40 Betten, von denen nur 2 frei sind. In eins werde ich gepackt, bekomme einen gewärmten Wattebausch auf den Leib, dann wird meine Temperatur gemessen und ich habe nun weiter nichts zu tun als ruhig zu liegen, und die Medizinen zu schlucken, die mir in den Mund geschüttet werden. Der Arzt stellt bei der Untersuchung fest, dass ich Amöbenruhr habe. Da die Krankheit noch nicht weit fortgeschritten ist, bekomme ich als Gegengift nur ein braunes Pulver zu schlucken. Bei schwereren Fällen wird eine Flüssigkeit in die Venen des Arms gepumpt. Das braune Pulver übt einen außerordentlichen Brechreiz aus und ich konnte es nur mit äußerster Willensanstrengung bei mir behalten. Zu essen gab es morgens Tee und Schleimsuppe, mittags Reiswasser und Schleimsuppe, abends Tee und Schleimsuppe. Da man natürlich nur geringe Mengen auf die Dauer von diesem Zeugs essen kann, bleibt einem nichts anderes übrig, als zu hungern. Etwas anderes zu bekommen ist ganz unmöglich, da das Aufsichtspersonal der Ansteckungsgefahr wegen das Lazarett nicht verlassen darf und so also keine Lebensmittel schmuggeln kann. Es war da nur ein Sanitätsgast, der es fertigbrachte, für teures Geld schlechte Schokolade zu schmuggeln. Das Personal bestand aus 3 freiwilligen Krankenpflegerinnen ,1 freiw. Krankenpfleger und 2 Sanitätsgästen. Die Baracke fegen und aufwischen mußten die leichten Kranken selbst und auch ich wurde stets dazu rangeholt. Ich habe geflucht und geschimpft, aber es half nichts.

Die Ärzte kamen zweimal am Tage, morgens gegen 9 Uhr der Oberstabsarzt und der Oberassistenzarzt, abends gegen 6 Uhr kam nur der Oberassistenzarzt. Morgens wurden auch nur die Emiteneinspritzungen vorgenommen. Epignana sollte zweimal am Tage genommen werden. Ich habe aber vorsichtshalber immer ein Pulver am Tage verschwinden lassen.

Während ich im Lazarett lag, landeten die ersten Japaner. Feindliche Kriegsschiffe hatten schon die Blockade Tsingtaus Ende August eröffnet. Das erste Flugzeug erschien über Tsingtau am 18. September. Es flog zu Anfang sehr niedrig, da aber alles, was Gewehre hatte, ein rasendes Feuer eröffnete, zog er doch vor, in höhere Schichten zu gehen. Er wurde mit Schrapnells beschossen, doch war das Schießen wirkungslos, da wir in Tsingtau keine Ballonabwehrkanonen hatten.

Der Flieger kam jetzt jeden Tag, wenn es das Wetter irgend erlaubte. Er warf ab und zu Bomben, doch taten die Dinger keinen Schaden. Am 21.9. explodierte eine Bombe in der Nähe des Lazaretts, und einzelne Bleikugeln konnten wir auch bei unserem Pavillon finden. Doch war diese Bombe wohl nicht auf uns, sondern auf die Beobachtungsstation mit der drahtlosen Telegraphie gemünzt, die ganz in unserer Nähe gelegen war. Am 24.9.1914 wurde ich als geheilt aus dem Lazarett entlassen. In dieser Zeit, wo ich mich im Lazarett befand, hatte die Kompanie begonnen, eine neue Stellung bei Chan-Shan auszuheben. Unsere neue Aufgabe war, einen Durchbruch der Japaner zwischen dem Infanterie-Werk I und dem Meer zu verhindern. Früh um 3 1/2 Uhr wurden wir geweckt und mussten noch vor Hellwerden in Chan-Shan ankommen, es war dies ein Weg von etwa 40 Minuten. Hier wurden wir zur Beaufsichtigung der Kulis herangezogen, die immer neue Gräben ausheben, Blockhäuser bauen und Unterstände decken mussten. Die Beaufsichtigung war ja nicht gerade anstrengend, aber es ermüdete mich doch sehr, da ich noch immer durch das lange Bettliegen und die Hungerkur sehr geschwächt war.

Am 27. September eröffneten unsere Fats das Geschützfeuer, um den Rückzug unserer Leute, die sich im Vorgelände befanden, zu decken. Es befanden sich von uns etwa 500 im Vorgelände, die sich den Japanern gegenüber nicht mehr halten konnten, da diese mit über 10.000 Mann angriffen. Die Japaner sollten bei ihrem Vorstoß ungeheuere Verluste gehabt haben, vor allen Dingen im Litsunflussgebiet, wo sie in das Kreuzfeuer unserer Maschinengewehre und das Flankenfeuer des österreichischen Kreuzers "Kaiserin Elisabeth" kamen.

Auf Höhe 60, die einige Kilometer vor unserer Stellung liegt, befanden sich noch 2 leichte Geschütze, die ich glaube 8,5 cm , die an diesem Tage unbedingt zurückgeholt werden mussten. Es wurden daher 12 Freiwillige in unserer Kompanie gesucht, um diese Kanonen unter dem Schütze der Dunkelheit mit ca. 100 Kulis zurückzuholen. Obwohl ich den ganzen Tag Tätig gewesen war, meldete ich mich und wir machten uns auf den Weg unter der Leitung von Leutnant Rollhausen und Feldwebel Jebsen. Bis zu Höhe 60 war ein unendlicher Weg mit vielen Windungen durch halb ausgetrocknete Flüsse, über Höhen usw. Bei unserer Ankunft wurden die Geschütze aus ihren Stellungen genommen und zusammengekoppelt, ebenfalls die Protzen. Eine kleine Ruhepause wurde dazu benutzt, um eine große Kiste mit Wein auszuplündern, die uns überlassen wurde. Diese Kiste, die Rotwein, Rum und Cognac enthielt, war für die Verteidiger des Adlernestes bestimmt, konnte aber nicht mehr dorthin transportiert werden, weil die Verbindung bereits unterbrochen war. Das Adlernest war eine kleine Stellung oben in den höchsten Felsen der Prinz Heinrich Berge. Sie hatte die Aufgabe, die Bewegungen des Feines zu beobachten und durch Lichtsignale an die Beobachtungsstation in Tsingtau weiterzugeben. Diese Felsenstellung galt als uneinnehmbar, doch wurde sie von den Japanern ohne große Mühe gestürmt, mit Hilfe der Artillerie, die die Verteidiger so zudeckte, dass an starke Gegenwehr nicht zu denken war. Der Inhalt der Flaschen wurde auf dem Rückwege vertilgt. Die Kulis wurden vor die Kanonen gespannt und im Schritt ging es in dichter Dunkelheit den Weg zurück. Bis hinter die weiße Mauer bewachten wir den Transport und halfen auch mitunter an schwierigen Stellen, so zum Beispiel durch die Flüsse, mit schieben.

Da hatten wir unsere Pflicht erfüllt und überließen den Weitertransport den Artilleristen. Zur Bedienung der Geschütze gehörte auch Geffers, ein Bekannter aus Hongkong, er war Maat d.R.. Um halb 12 Uhr nachts kamen wir dann glücklich wieder in der Bismarckkaserne an. Natürlich total zerschlagen, denn wir waren von halb vier Uhr morgens unterwegs, also ca. 20 Stunden.

Am nächsten Morgen um 3 1/2 Uhr ging es wieder los nach Chan-Shan. Wir hatten jedoch noch nicht lange gearbeitet, als gegen 7 Uhr die ersten feindlichen Schiffsgeschosse angebrummt kamen. Diese ersten explodierenden Granaten haben auf mich einen großen Eindruck gemacht. Die Schiffe konnten wir von unserer Stellung nicht sehen. Es waren große japanische Panzerkreuzer zusammen mit dem englischen Kreuzer Triumph, ein Schiff, das ich in Hongkong oft gesehen habe. Die Geschosse, die bei unserer Stellung einschlugen, hatten ein Kaliber von 30,5 cm. Es sah fürchterlich aus, wenn diese Biester, die wir Musterkoffer tauften, krepierten. Man sah gewaltige Massen von Erde, Felsen, Rauch und Sprengstücke in der Luft umherwirbeln und fühlte sich völlig machtlos. Doch war die Wirkung entschieden geringer als ihr gefährliches Aussehen. Es wurden an diesem Morgen 40 Schuss abgefeuert, und das Resultat war ein zerschossener Schweinestall bei der Bismarckkaserne, sowie 2 tote Gäule und ein verstümmelter Chinese. Die beschossenen Batterien hatten nicht den geringsten Schaden erlitten. Auch bei unserer Stellung gingen einige Granaten in den Erdboden, ohne irgend etwas zu schaden.

Unsere Kulis waren natürlich bei den ersten Schüssen so schnell wie möglich ausgerissen. Da aber unsere bombensichere Kaserne auf jeden Fall vor dem eigentlichen Sturm der Japaner auf Tsingtau fertiggestellt werden musste, hatten wir jetzt selbst Beton zu mischen, Steine zu fahren, Sand zu schaufeln, und den fertiggestellten Beton an den Bestimmungsort zu schleppen. Es war eine fürchterliche Arbeit, die an diesem Tage nur unterbrochen wurde, wenn die Schiffe wieder anfingen zu schießen.

Nachmittags marschierten wir wieder zur Bismarckkaserne zurück. Wir bekamen Order, unsere Sachen zu packen, da wir nach der Iltiskaserne umquartiert werden sollten. Erstens lag die Bismarckkaserne in der Schusslinie und zweitens fürchtete man wahrscheinlich einen plötzlichen Überfall der Japaner, und da die Iltiskaserne näher bei Chan-Shan lag, konnten wir unsere Stellung im Falle eines Alarms schneller erreichen. Um 7 Uhr sollte marschiert werden, und um 8 Uhr ging es denn auch wirklich los, doch wurde ich noch im letzten Augenblick zurückgehalten und sollte Bedeckung für den nächtlichen Transport des Gepäcks spielen. Mit 2 Wagen haben wir dann auch den Laden bis 4 Uhr morgens geschmissen. Gegen 5 Uhr kam auch die Kompagnie zurück. Die Leute fluchten und schimpften nicht schlecht, denn sie hatten die ganze Nacht Zement und Beton rühren müssen. Das ging nun über 2 Wochen so. Die Nacht von 7 Uhr abends bis 3 Uhr morgens ununterbrochen arbeiten, Beton mischen, Steine und Sand schaufeln, Wasser tragen und weitere Scherze mehr. Ich bin in den ersten 4 Tagen eigentlich gar nicht zur Besinnung gekommen. Nachts gearbeitet, von 3-5 Uhr morgens im Unterstand geschlafen, dann nach der Iltiskaserne marschiert. Dort wurde erst Kaffee getrunken, dann Bettruhe bis 10 1/2 Uhr. Darauf Gewehrreinigen und Mittagessen. Weiter wieder Bettruhe bis 5 Uhr nachmittags.

Nach Verlauf einer Woche hatte man sich langsam an dies blöde Leben gewöhnt und ich hatte mitunter lichte Momente, wo ich mich auch mal wieder für etwas anderes als Schlafen interessiert.

Als ein großes Glück wurde es in dieser Zeit betrachtet, wenn man auf Wache kommandiert wurde. Da hatte man Zeit und Gelegenheit, die müden Glieder auszuruhen. Ich hatte zweimal die Chance in den 2 Wochen, und ich habe sie ausgenutzt. Von den 24 Stunden habe ich 8 Stunden auf Posten verbracht, etwa 1 Stunde für Essen etc. gebraucht und die restlichen 15 Stunden habe ich geschlafen wie eine Ratte.

Am 10. Oktober 1914 war unsere bombensichere Kaserne fertiggestellt. 70 Kubikmeter Beton, vermischt mit Eisenschienen, Eisenbändern usw., darüber noch etwa 1 m Erde. Die Kaserne bot Raum für 200 Leute. Jetzt konnte uns ruhig ein kleineres Haubitzengeschoss auf den Kopf fallen, schaden konnte es uns nicht viel.

Die Offiziere stifteten zur Feier dieses Tages 3 Fass Bier. Da jedoch nur 1 Fass an dem Abend ankam, die restlichen 2 waren unterwegs mit dem Kutscher liegengeblieben, da die Kutscher vermutlich durch den Dunst benebelt waren, so verlief die Feier recht munter. Am nächsten Abend wurden dann die beiden anderen Fässer ausgetrunken, und es herrschte eine ausgezeichnete Stimmung. Es wurde gesungen, Vorträge wurden gehalten, Ulkgedichte auf die Kompanie und auf die vergebliche Beschießung durch die Engländer und Japsen vorgelesen.

Die D.U.-Kompanie Von Lt. d. R. Prof. Solger.

Herr Kessinger sprach: Bei Tschau-Shan da rechts,
da erscheint mir zu groß noch die Lücke,
wen stell ich dahin, für den Fall des Gefechts,
dass den Japsen der Durchbruch nicht glücke?
Wer war dafür wohl so passend wie sie,
die Kompanie 6, die D.U.-Kompanie.

Wer stellt der Kommandos und Wachen so viel,
ringsum auf der Tsingtauer Landzung'
Wer stellt die Fahrer zum Automobil,
und baut doch so fest die Verschanzung?
Wer macht das alles so prompt wie sie,
die Kompanie 6, die D.U.-Kompanie.

Da plötzlich dröhnt's in den Menschenschwall,
Bum-Bum, die Riesengranaten,
und zerstoben waren die Kulis all,
wer führte nun weiter die Spaten?
Sei drum ohne Sorg, verlaß Dich auf sie,
auf die Kompanie 6, die D.U.-Kompanie.

Und die Nacht sank herab auf das Ttschau-Shan Gefild,
da regen sich hundert Hände,
und ehe der Mond seinen Lauf noch erfüllt,
war die Arbeit dort schon zu Ende.
So hatte geschaufelt von spät bis früh,
die Kompanie 6, die D.U.-Kompanie.

Und fragt Ihr warum man D.U. sie genannt,
so soll'n wir die Deutung Euch weisen,
Aus Deutschlands Urkraft nach Asien gesandt,
das sollen die Zeichen mehr heißen.
Im Dienst unermüdlich, so nennt man sie,
seit Tag wohl mit Recht, die D.U.-Kompanie.
Du Vaterland weißt es, wir steh'n unsern Mann,
auch wenn uns die Kugeln umfliegen,
wir Handvoll Menschen, was kommts darauf an,
nur Deutschland, Du Deutschland musst siegen.
Doch strahlst Du im Glanze, dann denk auch an sie,
an die Kompanie 6, die D.U.-Kompanie.

Tschau-Shan
Von Jacob Wagner aus Hankow

Draußen vor Tsingtaus grünenden Fluren,
ruhte das friedliche Dörfchen Tschau-Shan,
Mancher Wanderer auf lustigen Touren
lagerte dort und machte KanKan.
Plötzlich aber ists anders geworden,
denn es begann ein Brennen und Morden.
Langsam, langsam auf leisen Sohlen,
kommt der Japaner, will Tsingtau sich holen.
Sprach Oberleutnant Buttersack,
in diese herrliche Ravine,
da ziehn wir hin mit Sack und Pack,
da hinten hin kommt die Latrine.
So ziehn nach Tschau-Shan, um dort zu baun,
beim Dunkelwerden alle Streiter,
hier wird sehr fleißig Holz gehaun,
dort tummeln sich Zementarbeiter.
Uns Leutnant, wisst Ihr, Hake heißt er,
erscheint plötzlich nach süßer Ruh,
Feldwebel, Unteroffizier, Gefreiter
greift plötzlich selber fest mit zu.
Nicht stehen bleiben, weitermachen,
2 Schaufeln Sand, einmal Zement.
Schon sieht man dort den tapfern Wacker,
wie er mit Frisch nach Wasser rennt.
Wohlbekannt ist jene Stelle,
wo man sitzt an muntrer Quelle,
und man hört des Öftern munkeln,
dort drückt sich Borcherding im Dunkeln.
Doch jetzt eilen sie herbei,
da der Leutnant nahe sei.
Nach der Minuten ca. dreißig,
nachdem er überzeugt sich hat,
dass alle Arbeiter sehr fleißig,
zieht Leutnant Hake fix am Draht.
Den 1. Zug kann das nicht rühren,
er arbeitet a tempo fort.
Der zweit indes, auf allen Vieren,
nimmt Druckpunkt schnell am sichern Ort.
Noch einmal wird man aufgeschreckt,
denn dicke Luft hat man entdeckt.
Frisch fallt vor Eifer in den Dreck,
hier baut Herr Jaspersen.
Na endlich wird's doch 3 Uhr sicher,
vorbei ist alle Wut und Last,
der 1. Zug muss Wache schieben,
der zweite legt sich hier zur Rast.
Um 5 Uhr wird dann angetreten,
schnell will nach Hause man zurück,
Doch halt, man ist in größten Nöten,
Freund Griesing fehlt,welch Ungeschick.
Dort sieht man ihn am Wege gehen,
man glaubt es nicht, er schläft im Stehen.
Die Sonne scheint, der Tag wird heller,
K. 6 ruht aus von saurem Werke.
Dort unten in dem Iltiskeller,
da sammelt sie sich neue Stärke.
Nach zweimal sieben sauren Tagen,
ists große Werk mit Fleiß vollbracht.
Hurrah, jetzt können wir uns schlagen,
denn die Käsern ist eingedacht.
Die wenigen übrigen Sachen,
die kann jetzt getrost Zug 3 wohl machen.
Zuletzt als Dank der Herren Offiziere,
folgt ein Kommers bei deutschem Biere.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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