Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Kriegstagebuch

von Josef Jung
 

Der im südsauerländischen 200-Seelen-Dorf Varste beheimatete Josef Jung wurde Ende 1913 zur Marinefeldbatterie in Tsingtau entsandt. Er berichtet in seinem Tagebuch ausführlich über die Hinreise und das Kampfgeschehen. Seine Gefangenschaft im Lager Nagoya handelt er mit wenigen Stichworten ab, umso ausführlicher wiederum die Heimkehr (1920).
Das Tagebuch wurde durch seinen Sohn Hermann Josef Jung zur Verfügung gestellt, dem dafür herzlich gedankt sei.

Der Redakteur hat die Rechtschreibung maßvoll angepasst, Abkürzungen aufgelöst, Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert und Anmerkungen in [...] oder als Fußnote hinzugesetzt.
 

Inhalt

  1. Eintritt zur Marine und Ausreise nach Ostasien
  2. Mobilmachung in Tsingtau. Die Kämpfe im Vorgelände
  3. Der Festungskrieg Tsingtaus. Meine Erlebnisse in Zwischenstreiche 3
  4. In Kriegsgefangenschaft
  5. Heimreise

 

»1. Eintritt zur Marine und Ausreise nach Ostasien«

Es war am Mittag des 30. September 1913, als ich von meinen Eltern und Geschwistern und meinem trauten Gebirgsdörfchen Abschied nahm, um mich laut meinem Gestellungsbefehl zur Weiterbeförderung zur Stammbatterie des III. Seebatallion auf dem Bezirkskommando zu stellen.1 Unser Gestellungstermin war abends sechs Uhr, und so begab ich mich dann zur Bahn, um mich anderen, die denselben Weg hatten, anzuschließen.

Am Ende unserer Fahrt angekommen, begaben wir uns sofort zum Bezirkskommando, wo man uns schon mit Sehnsucht erwartete, und wurden dortselbst mit allen Komplimenten für einen Rekruten empfangen. Nachdem wir alle verlesen und unsere Reisespesen empfangen hatten, wurden wir wieder entlassen, um uns noch einmal für die kommende Reise zu stärken. Punkt 10:00 Uhr waren wir wieder alle zur Stelle und warteten auf den Abmarsch. Wir bekamen die Verhaltensmaßregeln vorgelesen und marschierten sodann unter den Klängen der Stadtkapelle zum Bahnhof, um hier den Militärzug abzuwarten. Wir waren ungefähr achtzig Mann stark, die zur Marine eingezogen waren, acht von diesen waren nach Cuxhaven, alle übrigen nach Wilhelmshaven eingezogen, zu ersteren gehörte auch ich, ohne jedoch Näheres über meinen Truppenteil zu wissen. Am Bahnhof traf ich dann einen ehemaligen Angehörigen meines Truppenteils, welcher mir sodann über vieles Auskunft gab.

Die Stammbatterie des III. Seebatallions stellte den Ersatz für die Marinefeldbatterie des III. Seebatallions, welches in Tsingtau im Schutzgebiet Kiautschou garnisoniert war. Wir hatten nun die Aussicht, auch nach Tsingtau zu kommen und uns die Welt mal näher anzusehen. Währenddessen lief der Militärzug ein, und ein jeder suchte so gut wie möglich unterzukommen; wir hatten Glück und fanden uns in einem D-Zug-Wagen 2. Klasse wieder. Die Fahrt ging in nächtlicher Stille über manche Station den Ufern der Nordsee zu. Als der Morgen graute, hatten wir die Heimat schon viele Kilometer hinter uns. Endlich mittags um zwei Uhr, nachdem wir die Freuden einer fünfzehnstündigen Bahnfahrt genossen hatten, erreichten wir Cuxhaven und wurden am Bahnhof von Unteroffizieren des III. Seebatallions in Empfang genommen. Nachdem sich der erste Sturm der Begrüßung gelegt und man uns auf nicht allzu zarte Weise sortiert hatte, marschierten wir unter dem üblichen Willkommensgruße der Zivilisten zur Seedeichkaserne, welche, wie der Name schon sagt, an der Nordsee und zwar an der Elbmündung lag. Wir wurden nur provisorisch auf Stuben verteilt und verbrachten so die erste Nacht unter militärischer Obhut. Am anderen Tage, als so ziemlich alle Rekruten eingetroffen waren, wurden wir auf die einzelnen Kompanien verteilt und erhielten unsere Stuben angewiesen; die Stammbatterie war der 2. Kompanie zugeteilt, deren Chef Hauptmann Lancelle war. Am dritten Tage wurden wir eingekleidet und waren so als kaiserlich-deutsche Soldaten ausstaffiert. Jetzt begann nun eine fieberhafte Tätigkeit auf dem Kasernenhof, wo es von früh bis spät von Kommandos und Koseworten widerhallte, um unseren Knochen die nötige Zähigkeit und Gelenkigkeit zu geben.2

Am 18. Oktober, am Gedenktag der Völkerschlacht zu Leipzig, fand unsere Vereidigung statt; die Vereidigung war für die ganze Garnison, und so lief die Feier in schönster Weise. Inzwischen erfuhren wir auch, dass wir am 29. Oktober eingeschifft werden sollten. Täglich hatten wir nun Unterricht über unsere bevorstehende Weltreise, empfingen Sommer- und Winteruniformen und hatten einige Tage Arbeit, um all die einzelnen Stücke mit Namen zu versehen. Am 23. Oktober hielt Hauptmann Graf Hertzberg die Besichtigung ab, welche über uns entschied. Unterdessen rückte der Tag unserer Abreise immer näher heran, und wir hatten unsere liebe Arbeit, um alles für die große Reise einzurichten. Urlaub, um unseren Lieben »Lebewohl« sagen zu können, gab es nicht.3 Wir mussten uns eben auf einige Jahre gedulden. Am Nachmittag des 28. Oktober verluden wir unsere Kleidersäcke auf die Bahn. Am anderen Morgen, es war der 29. Oktober, wurde in aller Frühe geweckt, um 4:30 Uhr kam der Befehl zum Abmarsch. Ein dreifaches kräftiges Hurra war der Abschiedsgruß für unsere Heimat der letzten vier Wochen. Sodann marschierten wir durch die dunklen Straßen Cuxhavens zum Bahnhof, wo uns die Kapelle des III. Seebatallions mit Klang empfing. Wir nahmen sodann in dem bereitstehenden Zug Platz und unter den Klängen des Liedes »Muß i denn...« setzte sich der Zug in Bewegung und brachte uns nach Geestemünde, wo wir unseren Marsch nach Bremerhaven wieder antraten.

Bei unserer Ankunft am Hafen lag das stolze Schiff, welches für sieben Wochen unsere Heimat werden sollte, fest verankert an der Mole und wartete auf die letzten Passagiere, um diese in seinen großen Rumpf aufzunehmen. Es war der Reichpostdampfer Bülow vom Norddeutschen Lloyd, ein Schiff von 9000 t [BRT] und im Jahre 1906 von der Firma Tecklenborg & Co. erbaut. Er hatte eine Geschwindigkeit von 18 Seemeilen/Stunde, fuhr jedoch durchschnittlich nur 15, und war mit drahtloser Telegraphie ausgerüstet. Mittags Punkt 12 Uhr wurden die Anker gelichtet, ein Zittern durchlief das ganze Schiff, und unter den Klängen der Bordkapelle durchschnitt das Schiff die blauen Wogen des Hafens und bahnte sich seinen Weg in die Nordsee. Ein letztes Tücherschwenken von hüben und drüben, und Bremerhaven entschwand mehr und mehr aus unseren Blicken. Nach zweistündiger Fahrt passierten wir den Rotesand-Leuchtturm, welcher an der Wesermündung liegt und den Schiffen in Nacht und Nebel den Weg zeigt. Nachdem sich die erste Neugier etwas gelegt hatte, suchte sich jeder so gut wie möglich mit seinem Kleidersack einzurichten. Unsere Unterkunftsräume befanden sich im Zwischendeck im Mittelschiff, ein jeder bekam seine Koje angewiesen, und so verbrachten wir die erste Nacht auf dem Wasser.

Als wir am anderen Morgen erwachten, sichteten wir bereits die holländische Küste. Der Dampfer fuhr sodann flussaufwärts an dem holländischen Städtchen Vlissingen vorbei, bis wir endlich um 11 Uhr in Rotterdam anlegten. Während das Schiff hierselbst Kohlen nahm und die Ladung wechselte, verließen wir das Schiff, um die Stadt näher in Augenschein zu nehmen. Nachdem wir dortselbst einige Stunden verbracht hatten, kehrten wir gegen Abend auf unseren Bülow zurück, der nachts 1 Uhr seine Weiterreise antrat. Die Fahrt ging weiter an der Küste entlang, bis wir am 31. Oktober morgens den berühmten Handelshafen Antwerpen erreichten. Im Hafen selbst lagen viele große und kleine Schiffe aller Nationen. An der Scheldemündung erblickten wir die Mündungen großer Kanonen, die den Eingang zum Hafen schützen sollen. Am ersten Tag konnten wir wegen Regenwetter das Schiff nicht verlassen, wurden am nächsten jedoch dafür entschädigt, indem wir von früh bis spät auf den Beinen waren, um all die berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu sehen. Am meisten interessierte uns der Zoologische Garten, welcher mit seiner Fülle fast endlos schien. Während der dreitägigen Rast hatte der Dampfer inzwischen seine ungeheure Ladung genommen, um dieselbe in den vielen Häfen, die wir noch anlaufen sollten, zu verladen.

Am 3. November verließen wir Antwerpen, und der Dampfer bahnte [sich] seinen Weg durch den Ärmelkanal nach der englischen Küste, um Southampton anzulaufen. Wir blieben hierselbst auf der Außenreede liegen, und zwar vor dem großen und schönen Schloss Victoria, welches aber in letzter Zeit in ein Hospital verwandelt worden ist. In der Ferne sahen wir Kriegsschiffe und schwimmende Forts der Engländer, welche den Eingang zum Kriegshafen Portsmouth schützen sollen. Nachdem das Schiff die Ladung, bestehend aus Silberbarren und einigen Postsachen, eingenommen hatte, drehte der Dampfer und nahm seinen Kurs um die Insel Wight herum und gelangte sodann in den Atlantischen Ozean.

Am 5. November fuhr der Dampfer in den von den Passagieren so gefürchteten Golf von Biskaya. Die See war sehr stürmisch, so dass auch die ersten von der Seekrankheit befallen wurden. Um einen Begriff von dieser Krankheit zu bekommen, muss man sie selbst erlebt haben. Am anderen Tag hatten wir dasselbe Schauspiel; in der Ferne erblickten wir das Cap Finisterre, und bald fuhren wir an der klippenreichen Küste von Spanien und Portugal vorüber. Scharen von Schweinsfischen, von 2 m Länge und noch darüber, begleiteten uns, um die Abfälle, welche aus den Ausgüssen ins Meer fielen, mit einem wahren Heißhunger zu verschlingen. Am 7. November gegen Mittag wurde die See ruhiger, und wir genossen nach den schlimmen Tagen an den vielen Grotten und Brandungen der portugiesischen Küste einen schönen Anblick.

Am Morgen des 8. November lag unser Bülow vor Gibraltar auf Außenreede, denn in einem englischen Hafen besteht eine Vorschrift, die einem fremden Schiff vor Sonnenauf- oder nach Sonnenuntergang die Ein- oder Ausfahrt verbietet. Gegen 6 Uhr fuhren wir dann in den Hafen ein. Gibraltar, dessen Häuser terassenförmig übereinander liegen, bietet einen wunderschönen Anblick. Wegen des kurzen Aufenthalts gingen wir nicht an Land, sondern fuhren um 10 Uhr wieder ab, um unseren Weg ins Mittelmeer zu nehmen. Wir durchquerten das Mittelmeer und erreichten am 9. November nachmittags 3 Uhr den französischen Hafen Algier mit den ebenfalls terassenförmig übereinander liegenden, zum Teil schneeweißen Häusern. Wir fuhren mit einer Dampfpinasse an Land, um die durch die Fremdenlegion bekannte Stadt näher kennen zu lernen. Wir hatten jedoch die Nase bald voll, da die Stadt vom Hafen aus gesehen einen weit besseren Eindruck macht wie vom Inneren selbst. Schmutzige, enge Straßen, dazu ein pestilenzartiger Geruch machten den Aufenthalt in der unteren Stadt nicht gerade angenehm. Wir begaben uns dann in die obere Stadt, wo es etwas besser aussah. Der Verkehr in den Straßen war ein ziemlich reger. Die Eingeborenen (Araber) in weißen Kleidern mit hohem Turban, dazu die tief verschleierten Weiber erregten unsere Neugier, doch alles konnte uns nicht bewegen, länger in der Stadt zu verweilen. Und wir waren herzlich froh, als wir unseren Bülow wieder betraten.

Nachts 1 Uhr verließen wir Algier und nahmen unseren Kurs nordöstlich dem sonnigen Italien zu, wo wir nach zweitägiger Fahrt in Genua anlangten. Im Hafen lagen außer italienischen noch zwei amerikanische Kriegsschiffe, welche Flaggenparade hatten. Am anderen Morgen, es war der 12. November, gingen wir an Land und besuchten den weltberühmten Campo Santo, den schönsten Friedhof der Welt. Herrliche aus Marmor gehauene Statuen und Denkmäler, Meisterwerke berühmter Bildhauer, Kapellen und vieles andere konnten wir bewundern. Später besuchten wir die Anunziatkirche mit ihren 16 Seitenkapellen, das Columbus- und Victor-Emanuel-Denkmal. Abends folgten wir dann einer Einladung vom Vorstand des deutschen Seemannsheims, wo wir recht gut bewirtet wurden; auch für Gesang und Vorträge war Sorge getragen, da sich unsere Gastgeberin als deutsche Sängerin vorstellte. Gegen 12 Uhr nachts fuhren wir mit dem Bewusstsein, einen schönen Abend im fremden Land verbracht zu haben, zu unserem Bülow zurück.

Um 10 Uhr morgens traf ein Transportschiff italienischer Truppen aus dem Tripoliskrieg ein und wurde auf dem Bahnhof feierlich abgeholt. Am 13. November mittags 1 Uhr verließen wir die schöne Stadt, um nach kaum einstündiger Fahrt den Kampf mit den Wellen wieder aufzunehmen. Die ganze Nacht über hielt der Sturm mit unverminderter Heftigkeit an. Haushohe Wellen türmten sich zu beiden Seiten des Schiffes auf und brachten es so in eine rollende Bewegung. Unter dem ungeheuren Druck der Wellen schien das Schiff zerbersten zu wollen. Abends gegen 6 Uhr fuhren wir zwischen den Inseln Korsika und Elba durch. Gegen Morgen legte sich der Sturm, und so langten wir bei schönem Wetter am 14. November nachmittags in Neapel an. Rechts der Einfahrt erblickten wir den Vesuv, dessen Spitze in dichten Nebel gehüllt war. Das Panorama, welches sich unseren Blicken bot, war eines der schönsten von der ganzen Fahrt. Nachdem wir angelegt hatten, verließen wir das Schiff und besuchten einige Weinhäuser der Stadt. Der Wein ist hier sehr gut und auch billig. Wir kehrten sodann wieder an Bord zurück, da der Dampfer sich schon wieder reisefertig machte. Als wir am nächsten Morgen erwachten, fuhren wir bereits wieder auf hoher See. Die Fahrt war von schönstem Wetter begünstigt. Nach einer etwa 16-stündigen Fahrt erblickten wir vor uns die vulkanischen Liparischen Inseln, deren nördlichste, der Stromboli, ein 920 m hoher Vulkan, seine Rauchwolken gegen das Firmament sendet. Dann tauchten die Küste von Kalabrien und die von Sizilien auf. Alsbald lief das Schiff in die nur 3150 m breite Straße von Messina ein. Es bietet sich uns ein prachtvolles Landschaftsbild. Weiter im Hintergrund erblickten wir die vom Erdbeben zerstörte Stadt Messina.4 Auf der Weiterfahrt sieht man noch in weiter Ferne den 3313 m hohen Ätna, welcher auf Sizilien liegt und ein gefürchteter Vulkan ist.

Nach abermaliger 24-stündiger Fahrt sieht man die Berge der Insel Kreta, sodann steuerte unser Schiff auf Port Said zu. Jetzt spürte man, dass die Hitze größer wurde, und wir trugen deshalb unsere Khakiuniform. Am Sonntag hielt ein evangelischer Missionar, welcher nach Indien reiste, Gottesdienst ab. Nicht zu vergessen sind die schönen Abende, die wir hier im warmen Süden verbrachten; bis spät in die Nacht lagen wir auf dem Vorderschiff und ergötzten uns an den Fischen und an dem schönen Meerleuchten. Am 18. November erreichten wir Port Said, welches der Eingang zum Suez-Kanal ist. Wir besuchten die Stadt, kauften einige Hundert Simon Arzt [Zigaretten], welche hier besonders billig sind, und kehrten, nachdem wir dem Lesseps-Denkmal noch einen Besuch abgestattet hatten, an Bord zurück. Das Lesseps-Denkmal ist eine 16 Meter hohe, weithin sichtbare Statue und dem Kanalbauer zu Ehren errichtet.

Abends 6:30 Uhr verließen wir Port Said und fuhren, mit zwei riesigen Scheinwerfern versehen, in den Kanal ein. Die Passage des Kanals ist ziemlich teuer, für unseren Dampfer kostete sie über 20.000 Mark.5 Der Kanal hat eine Länge von 160 km, eine Breite von 100–160 m und eine Tiefe von 9,50 m. Wegen der geringen Tiefe und schmalen Fahrtstraße müssen die Schiffe sehr langsam fahren; ständig sind Baggermaschinen damit beschäftigt, den Sand, der von den Ufern nachrutscht, auszuwerfen. Der Suezkanal durchschneidet die Ausläufer der arabischen Wüste und verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer. Rechts vom Kanal liegt das fruchtbare Ägypten, woselbst wir auch die Bahn sahen, welche Port Said und Kairo verbindet. Gegen Morgen kamen wir in den Bittersee, wo der Dampfer wieder eine größere Schnelligkeit entwickelte. Zur Linken erblickten wir sodann die Halbinsel Sinai mit dem 2600 m hohen Berg gleichen Namens, welcher uns aus früherer Zeit bekannt ist. Gegen 10 Uhr langten wir dann in Suez am Ausgang des Kanals an. Hier begegnete uns ein Schwesterschiff, der Derfflinger, welcher auf der Heimreise begriffen war. Wir blieben auf Außenreede liegen und fuhren um 2 Uhr weiter und gelangten bald darauf ins Rote Meer. Nichts war zu sehen als eine Wüste zur Linken und dann eine spiegelglatte Wasserfläche. Den folgenden Tag fuhren wir bei ruhiger See und spürten so recht die tropische Sonnenglut. Nach kurzer Zeit passierten wir eine Inselgruppe, die so genannten »Zwölf Apostel«, eine Gruppe von zwölf Inseln, die dicht beieinander liegen. Auch kamen wir an der englischen Verbrecherinsel »Coni Eiland« vorüber. Am 22. November passierten wir die Straße von Bab-el-Mandeb, das heißt Tor der Tränen, welches seinen Namen von den dort sehr zahlreichen Klippen hat, die schon so vielen Seeleuten einen frühen Tod gebracht haben.

Beim Passieren der Straße verließen wir das Rote Meer, wendeten halblinks und kamen bald nach Mittag in Aden, der Südspitze Arabiens an. Die Stadt ist ebenfalls englischer Besitz und liegt am Felsen wie angeklebt. Wir blieben auf Außenreede liegen; kaum hatten jedoch die Anker Grund gefasst, so war auch die ganze See um das Schiff herum ein Boot am anderen, mit Händlern besetzt, welche uns ihre Artikel, Zigaretten und allerlei Südfrüchte anboten. Die Kaufverbindung stellten sie mittels eines an einer Schnur befestigten Körbchens her, durch welche auch Bezahlung bewerkstelligt wurde. Auf der anderen Seite boten uns einige arabische Knaben ihre Künste im Tauchen: Sobald man ein Geldstück, es musste allerdings Nickel oder Silber sein, ins Wasser warf, tauchten diese kleinen Kerle sofort unter und brachten das Geld nach kurzer Zeit freudestrahlend wieder an die Oberfläche. Im Hafen selbst lag ein englischer Kreuzer mit Heimatwimpeln. Da in Aden, infolge der Wüste und großer Hitze, das Trinkwasser sehr knapp ist, wird solches aus Meerwasser hergestellt. Auch wird das Regenwasser in großen Zisternen aufgegangen und aufbewahrt.

Nachdem wir uns wieder mit allem versehen hatten, stach der Dampfer nach eineinhalbstündiger Rast wieder in See. Auf der jetzt folgenden achttägigen Fahrt musste man sich mit dem Anblick des Wassers und der uns stets begleitenden Fische, unter welchen sich auch einige größere Haie befanden, begnügen. Außerdem war die Hitze schier unerträglich. Des Morgens in aller Frühe badeten wir im Seewasser, nachmittags gab es Eislimonade, welche stets gerne getrunken wurde. Überhaupt war die Verpflegung an Bord eine sehr gute, wir erhielten außerdem täglich eine Biermarke auf 0,4 Liter Bier, welche uns in der heißen Zone sehr zustatten kam. Dienst machten wir sehr wenig, da ja auch auf andere Passagiere Rücksicht genommen werden musste.

Am Morgen des 30. November erblickten wir zu unserer Freude mal wieder das Land, und bald nachher fuhren wir in den Hafen von Colombo ein. Colombo ist die Hauptstadt der Insel Ceylon, englischer Besitz und macht einen sauberen Eindruck. Auf einem Ausgang, den wir machten, sahen wir die ersten tropischen Gewächse. An den schön angelegten Straßen standen schöne große Palmen, Akazien und riesige Kaktusbäume. Außerdem begegneten wir englischen Truppen, welche in ihre am Strand gelegenen Kasernen einmarschierten. Wir wurden sodann von einem Regenschauer überrascht und kehrten durchnässt wie ein Pudel zu unserem Bülow zurück, der gegen 5 Uhr den Hafen verließ und südlichen Kurs nahm. Lange Zeit konnten wir auch das herrliche Landschaftsbild Indiens bewundern. Am nächsten Tage kamen wir wieder in den Indischen Ozean, nahmen den Kurs nordöstlich und steuerten zwischen den Sunda-Inseln auf Penang zu.

Am 3. Dezember kam die zweitgrößte der Sunda-Inseln, Sumatra, in Sicht. Es bot sich uns mit der sehr zerklüfteten Küste und den bewaldeten Höhen ein schönes Landschaftsbild dar. Sumatra wird von Malaien bewohnt. Ihre Haupterzeugnisse sind Kaffee und Tabak. Die Tierwelt ist sehr reich vertreten, unter anderem befinden sich daselbst Nashörner, Elefanten, Tiger und Affen. An diesem Tage fand auch ein Sportfest für uns statt, welches von einem reichen Amerikaner veranstaltet wurde. Am Morgen fanden Spiele und Hindernislaufen statt, am Nachmittag noch Tauziehen. Abends fand dann das Fest auf Achtern seinen Fortgang bei einem guten Glas Bier, das reichlich ausgegeben wurde; für Unterhaltung sorgte die Bordkapelle. Gegen 2 Uhr nachts suchte jeder befriedigt seine Koje auf. Am anderen Tage, es war der 4. Dezember, erreichten wir Penang, konnten jedoch wegen des kurzen Aufenthalts nicht an Land gehen. Wir fuhren gegen Abend wieder ab, und zwar mit südöstlichem Kurs. Am Morgen des 5. Dezember durchfuhren wir die Straße von Malakka. Die Fahrt führte zwischen Korallenriffen und kleinen Koralleninseln vorbei. Es war ein wunderschöner Morgen, und man konnte so recht den Sonnenaufgang betrachten. Die hinter dem Felsen aufgehende Sonne erschien wie ein riesiger Feuerball. Die See war ruhig, und so ging die Fahrt schnell vonstatten.

Wir erreichten daher am Morgen des 6. Dezember Singapore, welches ebenfalls in englischem Besitz ist. Auf unserem Ausgang, den wir hier machten, besuchten wir auch den botanischen Garten, in welchem alle Arten der Südfrüchte vertreten waren. Wir machten sodann noch einen Rundgang durch das Chinesen- und Eingeborenenviertel und kehrten gegen Mittag zum Dampfer zurück. Abends 7 Uhr lichtete das Schiff die Anker und nahm seinen Kurs nordöstlich auf Hongkong zu. Wir hatten wieder stürmische See und mussten wegen der merklich zunehmenden Kälte unsere Khakiuniformen mit der wärmeren Winterkleidung vertauschen. Bei der Annäherung an Hongkong kamen kleine [Inseln], dann die schön geformte Felseninsel Hongkong in Sicht. Die vorgelagerte, etwa 30 m hohe Cap Klippe-trägt einen weißgebauten Leuchtturm mit einem Leuchtfeuer von ca. 18 Seemeilen Sichtweite, von dem ankommende Dampfer telegraphisch gemeldet werden.

Am 11. Dezember morgens 8 Uhr erreichten wir Hongkong und ankerten im Hafen. Der Hafen ist stark belebt, außer einigen englischen und japanischen Kriegsschiffen sahen wir noch welche von unserem Ostasiatischen Kreuzergeschwader. Wir fuhren sodann mittels einer Dampfpinasse an Land und besuchten die Stadt Victoria, welche sich am Fuße der Insel Hongkong aufbaut und mit ihren großen palastartigen Häusern einen schönen Eindruck macht. Nachdem wir einen kleinen Rundgang durch die untere Stadt gemacht hatten, fuhren wir mit einer Tramseilbahn auf den 551 m hohen Victoria Peak, wo wir eine schöne Aussicht auf Stadt und Hafen hatten. Die Fahrt bezahlte ein englischer Feldwebel, welcher ebenfalls die Reise mit unserem Bülow gemacht hatte und in Hongkong seine Garnison hatte. Auf dem Berge selbst befindet sich eine Signalstation. Nach der Rückkehr besuchten wir nochmals die Stadt und kehrten sodann am Mittag zum Dampfer zurück.

Am 13. Dezember verließen wir Hongkong und nahmen Kurs an der chinesischen Küste entlang durch die Formosa- oder Fukienstraße. Diese Gewässer sind reich an Seetieren, unter anderem sieht man Menschenhaie, Walfische, Delphine und große fliegende Fische sowie große dunkelbraune Möwen und andere Seevögel. Die See war stürmisch, so dass der Seegott wieder seinen Tribut forderte. Die Ostseite der Formosastraße bildet die Insel Formosa, welche ebenso groß wie Ostpreußen [ist] und seit 1895 den Japanern gehört, welche sie im Chinesisch-Japanischen Krieg als Entschädigung von China erhielten. Unsere Fahrt ging dann weiter bis zur Mündung des Jangtsekiang, ein Riesenfluss, der China durchquert und seine lehmigen Fluten ins Gelbe Meer sendet. Hier blieben wir bis zur Flutzeit liegen und fuhren sodann einige Meilen stromaufwärts bis Shanghai, wo wir dann vor Anker gingen. Wir fuhren mittels Tender zur Stadt und besuchten zuerst das Iltisdenkmal, welches zum Andenken an die Besatzung des am 23. Juli 1896 gestrandeten Kanonenbootes Iltis errichtet worden ist. Da die Witterung unfreundlich war, sahen wir von einem längeren Spaziergang ab, suchten uns vielmehr eine deutsche Schlachterei, wo wir gut frühstückten, und kehrten dann an Bord zurück.

Am nächsten Morgen drehte unser Dampfer und verließ Shanghai, um unserem Bestimmungsort Tsingtau zuzustreben. Trotzdem wir noch vor 10–12 Tagen eine Hitze von 50–60 Grad hatten, herrschte hier eine ziemliche Kälte; dazu trug auch noch der sibirische Nordwind seinen guten Teil bei. Die Weiterfahrt ging bei dem stürmischen Wetter ziemlich langsam vonstatten, so dass wir einige Stunden Verspätung erlitten. Am Abend des 17. Dezember erblickten wir dann das Leuchtfeuer von Yunuisan, welches auf einer Halbinsel dem Hafen von Tsingtau vorgelagert ist. Nach einigem Warten fuhren wir dann in den großen Hafen ein und legten an der Mole an. Nachdem der erste Willkommensgruß gesprochen war, verluden wir unsere Kleidersäcke auf die bereitstehenden Wagen der Marinefeldbatterie und sagten dem uns allen so lieb gewordenen Schiff Lebewohl und marschierten bei bitterster Kälte nach unser außerhalb der Stadt gelegenen Kaserne, wo wir um 1 ½ Uhr anlangten. Hierauf packte jeder seinen Kleidersack auf die Schulter und begab sich auf die ihm angewiesene Stube. Ich lag mit noch acht Kameraden auf Stube 54 in der II. Etage und verbrachte hier meine erste Nacht in der neuen Heimat Kiautschou.
 

»2. Mobilmachung in Tsingtau. Die Kämpfe im Vorgelände.«

Als am 2. August die Mobilmachung befohlen wurde, da wurde auch über das Schutzgebiet Kiautschou der Kriegszustand verhängt, und die Garnison Tsingtau nahm ein ernsteres Gepräge an. Von allen Himmelsrichtungen Ostasiens strömten Deutsche herbei, um den Ruf des Vaterlandes nach Tsingtau zu folgen. Auch die Truppen vom Ostasiatischen Marine-Detachement (OMD) aus Peking und Tientsin trafen ein, um der bedrohten Kolonie helfend beizuspringen. Zu Anfang der Mobilmachung hatten wir jedoch noch keine Ahnung, von wem und ob Tsingtau überhaupt angegriffen würde. Unser erster Gedanke galt der englischen Niederlassung Weiheiwai, ob diese es wohl versuchen würde, uns anzugreifen, was aber nicht der Fall war. Die Engländer zogen es vielmehr vor, ihren gelben Bundesgenossen vorzuschicken und diesen die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen.6 Dieser besaß auch die Liebenswürdigkeit, einerseits um seine alten Schulden abzutragen, andererseits aber auch, um Gebiete zu erwerben, um so mehr Macht in China zu bekommen. So kam es dann, dass Japan, dessen Abgesandter einige Tage zuvor noch in Tsingtau noch Gastfreundschaft genossen hatte, an Deutschland ein Ultimatum stellte, das die bedingungslose Übergabe von Tsingtau forderte und in einem scheinheiligen Wortlaut abgefasst war.

Dieses Ultimatum wurde jedoch nicht beantwortet, und man traf daher alle Vorkehrungen, um Tsingtau in Verteidigungszustand zu bringen. An einem Sonntagmorgen wurde auch unsere Batterie kriegsmäßig ausgerüstet, am Nachmittag noch eine Reservebatterie auf dem Artillerie-Depot zusammengestellt. Die Mannschaften der Reservebatterie waren aus Reservisten, Landwehrleuten und einigen Infanteristen, die noch nachträglich ausgebildet wurden, zusammengestellt. Am 10. August wurde der zweite Zug der Marine-Feldbatterie (MFB) unter der Führung von Leutnant Martin nach Schatzykou beordert, um etwaige feindliche Truppenlandungen zu verhindern. Da aber kein Feind sichtbar wurde und eine starke Regenzeit einsetzte, kehrte der Zug am anderen Tage, nachdem er einige stark reißende Flüsse mit großer Gefahr durchquert hatte, zur Kaserne zurück. Unsere weitere Tätigkeit beschränkte sich dann vorläufig auf das Bauen von Wagen und Artilleriestellungen im Vorgelände von Tsingtau.

Zu diesem Zweck waren wir auch am Sonntag, den 13. September nach Tsangkou ausgerückt, als uns am Mittag der Befehl traf: »Die Marinefeldbatterie bezieht die Seidenspinnerei von Tsangkou, um dem gemeldeten Feind schnell entgegentreten zu können.« Die Patrouillen der 5. Kompanie, welche die ganze Zeit unter Führung von Leutnant Reymann im Inneren des Schutzgebietes waren, hatten Fühlung mit dem Feind genommen und meldeten das Anrücken stärkerer Truppenmassen. Abends 10 Uhr rückten wir in Tsangkou ein und brachten unsere Pferde und Geschütze in den Gebäuden der Spinnerei unter. Wir selbst schlugen unser Lager in Gebäuden, welche wohl als Arbeiterwohnungen für Chinesen gedient hatten, auf. Auf dem requirierten Stroh verbrachten wir nach dem guten Ritt eine ruhige Nacht. Die nächsten Tage verbrachten wir wieder beim Ausbessern von unseren Stellungen. An einem der nächstfolgenden Abende wurde unser, der dritte, Zug auf Feldwache befohlen, da stärkere [feindliche] Abteilungen gemeldet waren. Wir fuhren zum Spitzberg und besetzten mit einer halben Kompanie Infanterie als Sicherung unsere Stellungen. Nachts bemerkten wir feindliche Lichtsignale vom Nükutempel und der Bucht, konnten jedoch nichts Näheres erkunden. Am Morgen wurden wir durch Infanterie abgelöst und kehrten nach der Spinnerei zurück. Einige Tage später wurden der erste und zweite Zug der MFB nebst vier Munitionswagen nach Litsun beordert, da auch auf unserem rechten Flügel große Truppenbewegungen vor sich gingen. Von jetzt an fuhr unser Zug nebst zwei Munitionswagen täglich früh morgens vor zum Spitzberg in Stellung, da immer ein Morgenvorstoß zu erwarten war. Tag für Tag überflogen feindliche Flieger unsere Stellungen, ohne uns näher zu belästigen; hierzu mag auch wohl unsere gut maskierte Stellung beigetragen haben.

Am Morgen des 25. September wurden wir in den Schützengraben auf dem Spitzberg geschickt, um hier der Beschießung des Nükutempels durch SMS Torpedoboot S 90 beizuwohnen. Der Nükutempel lag auf einer spitzen Kuppe, dem Spitzberg gegenüber nahe der Bucht, und diente den Japanern als Stützpunkt bei den Überfällen auf unsere Aufklärungstruppen. Als ihnen jedoch die 8,8-cm-Granaten auf den Leib rückten, gaben sie Fersengeld und suchten ihr Heil in der Flucht. Am 26. September waren wir ebenfalls in unserer Stellung und warteten auf den Angriff; aber kein Feind ließ sich sehen. Als die vorgeschickten Patrouillen nicht zur bestimmten Zeit zurück waren, erhielt unser Zug den Befehl zum Einrücken, wir sollten uns jedoch alarmbereit halten. Es war 9 Uhr morgens, als wir die Stellung verließen; wir fuhren im ruhigen Trab zurück und stellten unsere Pferde gesattelt in den Stall. Es waren jedoch noch keine 5 Minuten verstrichen, als auch schon die Nachricht eintraf, dass der Feind im Vorgehen sei und bereits mit der Infanterie und Artillerie den Peischaho überschritten hätte. Wir verfügten uns so schnell wie möglich mit unseren beiden Geschützen zum Spitzberg und besetzten unsere Stellung in der Hoffnung, den Feind endlich fassen zu können.

Wir brauchten auch nicht mehr lange zu warten, denn auch der Feind suchte vorwärts zu kommen, und so sandten wir ihm unsere ersten eisernen Grüße. Feindliche Infanterie versuchte, ein vor uns liegendes Dorf zu besetzen, was ihnen bei ihrer Übermacht auch gelang. Um vier Uhr wurde unser Feuer auch durch feindliche Artillerie, welche hinter dem vorgenannten Dorfe Stellung genommen hatte, beantwortet. Wir verlegten unser Feuer auf diesen neuen Gegner und hatten auch bald sichtbaren Erfolg, denn von den vier feindlichen Geschützen antworteten nach halbstündigem Kampf nur noch drei. Unser Zug hatte keine Verluste, dagegen verlor die 5. Kompanie einige Pferde, welche in einem chinesischen Dorf gestanden hatten. Unser Glück verdankten wir auch einer Scheinbatterie, welche wir rechts seitwärts von uns aufgestellt hatten und so den Feind täuschten. Um fünf Uhr erhielten wir Verstärkung durch das vierte Geschütz und einen Munitionswagen aus Litsun, welche im Galopp einfuhren.

Doch unser Bleiben dauerte wirklich nur noch einige Stunden, da man uns mit vielfacher Übermacht angriff und zu umgehen versuchte. Um diesem vorzubeugen, wurde um 7 Uhr der Befehl zum Rückzug gegeben. Wir protzten unsere Geschütze auf und suchten die Straße zu gewinnen, wo wir neue Munition fassten, da unsere zur Neige gegangen war. Nachdem auch dieses erledigt war, bezogen wir eine neue Stellung, die einige Hundert Meter rückwärts lag. Wir mussten jedoch noch weiter zurück, da der Feind auf der ganzen Front angriff und der allgemeine Rückzug befohlen war. Unsere Streitkräfte in Tsangkou betrugen: eine Kompanie Infanterie mit zwei Maschinengewehren, ein Zug der 5. Kompanie und der dritte Zug der MFB. Diesen standen auf feindlicher Seite eine verstärkte Infanteriebrigade und drei Feldbatterien gegenüber. Als die Nacht alles ins tiefste Dunkel gehüllt hatte, suchten wir wieder auf ordentliche Wege zu kommen und stellten uns auf der Straße Tsangkou–Tsingtau auf. Um vor Umgehung gesichert zu sein, wurde eine Feldwache als Flankensicherung aufgestellt; zu dieser gehörte außer meinem Geschützführer und Kanonier I auch ich. Wir nahmen einige hundert Meter seitlich vor den Geschützen in einem Erdnußfeld Stellung und verbrachten hier drei spannende Stunden im nassen Felde. Inzwischen traf auch noch der erste Zug der MFB zur Unterstützung ein, jedoch schon um einige Stunden zu spät.

Als die Morgendämmerung kam, setzten wir unseren Weg zu fünf Geschützen fort. Auf der ganzen Front wurde es lebendig, alle wichtigen Gebäude, wie das Bahnhofsgebäude von Tsangkou, das Litsuner Wasserwerk und andere staatliche Gebäude in Litsun wurden gesprengt; währenddem zogen wir uns auf Schuitschingkou zurück und nahmen auf Höhe 65,5 eine neue Stellung ein. Von hier unterstützten wir einen Zug der Reservebatterie und das dritte Geschütz unserer Batterie, welche vor Litsun mit einer Übermacht von Infanterie und Artillerie im Kampfe waren. Jedoch auch vor unserer Front wurde es lebendig, unaufhörlich zogen feindliche Infanterieabteilungen heran und entwickelten sich vor unseren Stellungen, so dass unsere Schrapnells und Maschinengewehre furchtbare Ernte halten konnten. Aber unaufhaltsam kamen die Japaner näher und näher, so dass wir gezwungen unsere Stellungen aufgeben mussten. Wir suchten daher, da wir auf einer dem Feind gut sichtbaren Straße fahren mussten, unsere auf dem Schuitschingkou-Paß gelegene Stellung im Galopp zu erreichen. Wir hatten Glück und trafen eine Batterie von zwei 9-cm-Geschützen der Matrosenartillerie, welche schon am feuern war. Wir besetzten unsere neben dieser Batterie gelegene Stellung und nahmen feindliche Infanterie in den Rawinen und auf den uns gegenüberliegenden Höhen unter Feuer. Währenddem wurde Tsingtau von der Seeseite mit 30,5-cm-Granaten unter Feuer genommen.

Wir blieben bis zur Dunkelheit in Stellung und zogen uns sodann nach Syfang zurück, wo wir unsere Geschütze auf der Straße in Kolonnen zu einem aufstellten; auch wurden unsere Pferde, die seit einigen Tagen gesattelt waren, mal wieder auf zwei Stunden abgesattelt. Auch wir hatten Gelegenheit. uns seit langer Zeit mal wieder richtig zu stärken. Beim Morgengrauen besetzten wir wieder unsere alte Stellung und nahmen vorgehende Infanterie und eine Batterie in der Nähe von Tsangkou unter Feuer. Auch mussten wir die Seidenspinnerei, unser früheres Lager in Tsangkou, unter Feuer nehmen, da feindliche Kavallerie dort einrückte. Aber unaufhaltsam, trotz Granaten und Maschinengewehrfeuer, stürmten die Reserven des Feindes vor, um die Lücken zu füllen, und so waren wir abermals gezwungen, unsere Stellung aufzugeben. Obschon wir ziemlich nahe an die Infanteriewerke [IW] herangekommen waren, versuchten wir nochmals unser Glück und gingen auf der Below-Höhe, nahe Syfang, erneut in Stellung und zwar diesmal mit der ganzen Batterie zu sechs Geschützen, da das dritte Geschütz auch wieder eingetroffen war.

Wir waren noch nicht richtig in Stellung, als auch schon die feindliche Infanterie die Wasserwerkstraße entlang kam und den Schuangschan besetzte. Sofort eröffneten das erste und sechste Geschütz ein Schnellfeuer auf diesen Feind, wo wir dann auch deutlich die Wirkung wahrnehmen konnten. Inzwischen wurde es auch auf dem Schuitschingkou-Paß lebendig, und die vier anderen Geschütze eröffneten hierauf das Feuer. Nach halbstündigem Kampfe erhielten wir plötzlich lebhaftes Flankenfeuer, so dass der Befehl zum schleunigen Rückzug gegeben wurde. Beim Aufprotzen verloren wir ein Pferd durch Infanteriekugel, sonstige Verluste hatten wir keine. Wir setzten unseren Rückzug unter lebhaftem Infanteriefeuer bis hinter das Haupthindernis fort und gingen auf der Frobelhöhe, neben der Reservebatterie, in Stellung. Um drei Uhr zogen wir uns in unsere Moltkekaserne zurück, um uns etwas zu erholen und auch um neue Winteruniformen zu empfangen. Unsere Infanteriewerke und Landbatterien hielten den Feind schon in angemessener Entfernung von Tsingtau zurück. So endeten am 28. September die Kämpfe im Vorgelände mit einem Gesamtverlust von 107 Mann, von einer Truppe in Stärke von 700 Mann,7 die auf einer Front von dreißig Kilometern verteilt war.
 

»3. Der Festungskrieg Tsingtaus. Meine Erlebnisse in Zwischenstreiche 3«

Als wir am 28. September aus dem Vorgelände in die Festung zurückgedrängt wurden, ging der dritte Zug der Marinefeldbatterie unter Führung von Leutnant der Reserve Rumpf mit zwei Geschützen am Abend als Besatzung der Zwischenstreiche 3 [in Stellung]; zudem kam noch ein Scheinwerfer von ziemlicher Größe mit den dazu nötigen Bedienungsmannschaften. Die Besatzung war wie folgt:

V. GeschützVI. GeschützScheinwerfer8
Wallbott (Geschützführer)
Heinrichs
Erbe
Halama
Krug
Gottschalk
Gerber (Telefonist)
Guski (Geschützführer)
Wolf
Jung (Richtkanonier)
Sanders
Krollmann
Schwamm
Melcher (Telefonist)
Meyer-Cohn
Sperling
Weihs
Kühne
Müller
Meyer
Hirth

Diese Zwischenstreiche hatte den Befehl, nur bei einem Sturm zwischen IW-3 und IW-4 einzugreifen, den Scheinwerfer nur während eines Sturmes oder auf direkten Befehl des Kommandeurs der Landfront leuchten zu lassen. Die Zwischenstreiche wurden von abends 6 und bis morgens 7 Uhr voll besetzt gehalten, während am Tage eine Wache von 4 Mann zurückblieb. Der Rest kehrte in die Moltkekaserne zurück, wurde dort verpflegt und konnte ruhen; bei Nebel wurde die Streiche auch am Tage voll besetzt gehalten. Der Scheinwerfer stand von Einbruch der Dunkelheit bis zum Morgengrauen leuchtbereit. In den Nächten bis zum 30. Oktober wurden die Scheinwerferstellung, die Geschützstellungen, die Mannschaftsunterstände und der Beobachtungsstand ausgebaut und splittersicher eingedeckt sowie Verbindungsgräben und Telefonleitungen angelegt. Mitte Oktober wurde als zweiter Offizier Leutnant der Reserve von Weyhe zugeteilt (dessen Ballon zerschossen war).

31. Oktober 1914
Am Morgen 6:15 Uhr eröffnete der Feind mit seinen sämtlichen Geschützen das Feuer auf sämtliche Batterien Tsingtaus. Unsere Batterien standen stundenlang unter den Rauchwolken der krepierenden Granaten. Um 8 Uhr wurden die großen Petroleumtanks in Brand geschossen. Eine mächtige Rauchwolke stieg mehrere hundert Meter empor und verdunkelte die ganze Umgegend. Wir in unserer Zwischenstreiche wurden, wie ganz Tsingtau, unter Schrapnellfeuer gehalten, die Telefonleitung nach IW-3 und zur Maschine [?] wurden zerschossen, sie wurde nachts wiederhergestellt. Da wir keinen Proviant hatten, gingen Sergeant Guski, Gefreiter Wolf und Marineartillerist Krug nach der Moltkekaserne, um von dort welchen zu holen. Als Beförderungsmittel benutzten sie den Eselwagen von unserem Batteriechef. Auf dem Rückweg kamen sie in den Straßen von Taitungtschen in starkes Schrapnellfeuer, so dass sie zeitweise gezwungen waren, ihren Karren im Stich zu lassen, um Deckung zu nehmen. Nach langem Hin und Her trafen sie dann wohlbehalten in der Stellung ein.

1. November 1914
Tagsüber schlugen feindliche 15-cm-Granaten in unmittelbarer Nähe unserer Stellung ein, ohne jedoch irgendwelchen Schaden anzurichten. Nur die Telefonleitung wurde wieder zerschossen und wurde in der folgenden Nacht wieder in Ordnung gebracht. Etwa um 11 Uhr abends setzte der Feind zu einem Sturm zwischen IW-4 und IW-3 an. Wir mussten dann mit unserem Scheinwerfer in Tätigkeit treten. Kaum traf der Schein die feindlichen Reihen, als aus mindestens 30 Geschützen verschiedener Kaliber das Feuer auf den Scheinwerfer eröffnet wurde. Nach kurzer Zeit wurde das Fernlenkkabel zerstört, und der Scheinwerfer musste mit der Hand gesteuert werden. Unterbrechung trat dadurch nicht ein. Verschiedene Sprengstücke und Schrapnellkugeln trafen den Scheinwerfer, ohne ihn ernst zu verletzen. Nachdem wir etwa 15 Minuten geleuchtet hatten, traf ein Zünder das untere Gehäuse und setzte den Scheinwerfer außer Betrieb. Zur gleichen Zeit traf von IW-3 die Meldung durchs Telefon ein, dass der Sturm abgeschlagen sei. Von dieser Zeit an hielt der Feind unsere Umgebung unter besonders heftigem Schrapnellfeuer. Der Kommandeur der Landfront sprach der Besatzung der Zwischenstreiche telegraphisch seine Anerkennung für das gute Arbeiten des Scheinwerfers aus.

2. November 1914
Beim Morgengrauen wurde der Scheinwerfer zwecks Instandsetzung nach dem verdeckten Weg gebracht und durch Ersatzstücke, die aus Tsingtau herbeigeholt worden waren, wieder vollständig hergestellt. Am Vormittag suchte der Feind unsere Umgebung mit schwerem Geschütz ab, ohne unserer Stellung zu schaden. Die zerschossenen Telefonleitungen wurden in der Dunkelheit wieder instand gesetzt. Etwa um 11:30 Uhr abends schlug ein Volltreffer in den oberen Mannschaftsunterstand ein, durchschlug die 20 cm starke Holzdeckung, den 25 cm starken Holzträger und krepierte erst dann auf dem Boden. Im Unterstand befanden sich die beiden Offiziere und 5 Mann; verletzt wurde wie durch ein Wunder niemand.

3. November 1914
Da uns von dem vielen Leitungsflicken das Kabel alle geworden war, begab sich Sergeant Guski zum Batallion, um Ersatz zu holen. Er brachte diesen beim Einbruch der Dunkelheit nebst unserer Löhnung, welches unsere letzte war, in der Stellung an. Für mich brachte er noch eine besondere Überraschung in der Beförderung zum Gefreiten laut Batallionsbefehl. In der Nacht wurde eine neue Leitung nach der Maschine gelegt und eingegraben, die bis zum Schluss intakt blieb, ebenso wurde die Leitung nach IW-3 wieder in Ordnung gebracht. Vor Beginn der Beschießung hatten wir schon einige Male die Leitung eingegraben, mussten diese aber jedes Mal wieder herausnehmen, da durch den vielen Regen in der schwachen Leitung Kurzschluss entstand.

4. November 1914
Außer einigen Schüssen verlief der Tag ruhig. In der Nacht wurde die Leitung nach IW-3 eingegraben. Die Klingelleitung vom Beobachtungsstand nach den Geschützen wurde, da sie am Tage zerschossen worden war, wieder in Ordnung gebracht. Hierbei wurden wir, da es eine mondhelle Nacht war, bemerkt und gleich unter lebhaftes Maschinengewehrfeuer genommen; wir waren daher gezwungen, diese Reparaturen auf dem Bauche kriechend auszuführen.

5. November 1914
Der Tag verlief ruhig. In der Nacht musste unser Scheinwerfer wieder mal in Tätigkeit treten, da der Feind versuchte, zwischen IW-4 und IW-5 zum Sturm anzusetzen. Sobald der Schein ihn traf, ratterten unsere Maschinengewehre aus den Infanteriewerken und zwangen ihn zum Rückzug, worauf er sich in seine Sturmstellungen, die etwa 40 m vom Haupthindernis entfernt lagen, zurückzog. Unsere Stellung wurde sodann durch schweres Artillerie-, Maschinengewehr- und Infanteriefeuer überschüttet. Der Scheinwerfer erhielt einige Treffer, ohne ihn jedoch ernst zu beschädigen.

6. November 1914
Der Feind gedachte unser schon am frühen Morgen und begrüßte uns mit Schrapnellfeuer. Nachmittags 3 Uhr riss infolge starken Windes das Zeltbahndach, das gegen Fliegersicht über der Ausfahrt des Scheinwerfers angebracht war, los. Das Emporschlagen derselben genügte, um den Feind unsere Stellung zu verraten. Sofort eröffnete er mit acht 15-cm-Haubitzen das Feuer gegen unsere Stellung, hauptsächlich gegen den Scheinwerferunterstand und verfeuerte dabei etwa 300 Schuss. Ein Geschoß schlug in einen Geschützstand ein, das Geschütz blieb jedoch gefechtsbereit. Der Scheinwerfer, der in seiner Versenkung stand, wurde bis über die Räder verschüttet. Ein Volltreffer traf den Scheinwerfer, krepierte jedoch nicht. Bei Beginn der Dämmerung wurde der Scheinwerfer untersucht, es stellte sich dabei heraus, dass er durch die vielen Sprengstückverletzungen wenig gelitten hatte und nach kurzer Reparatur wieder leuchten konnte. Nun hatten wir eine gute Stunde harte Arbeit, um den Scheinwerfer wieder vollständig auszugraben. Bei der Ausfahrt mussten wir über einen Blindgänger (15 cm) fahren, der sich vor ein Rad gelegt hatte und fest eingeklemmt lag. Zu unserem Glück blieb er jedoch neutral und ließ den schweren Scheinwerfer über sich hinwegrollen. Um 9:30 Uhr abends stand der Scheinwerfer wieder leuchtbereit. Um 10 Uhr fing der Feind an, mit einem Scheinwerfer, der hinter dem Grabhügel auf der Below-Höhe (30,5) stand, die IW 4 und 5 und die dazwischen liegenden Zwischenstellungen abzusuchen. Der Scheinwerfer erfreute sich jedoch keiner langen Lebensdauer, als er zum dritten Male ansetzte, wurde er durch einige wohlgezielte Schrapnellschüsse der Marinefeldbatterie außer Betrieb gesetzt. Etwa 11 Uhr abends meldete das IW-4, dass der Feind versuche, an der kleinen Haipobrücke durchzubrechen. Wir leuchteten sofort mit unserem Scheinwerfer dorthin, worauf sich der Feind vor dem einsetzenden Maschinengewehrfeuer zurückzog.

7. November 1914
Um Mitternacht hörten wir von IW-3 »Bansai«-Geschrei. Da es nach kurzer Zeit aufhörte und das Feuer auch nachgelassen hatte, waren wir in dem festen Glauben, dass der Angriff abgeschlagen sei. Bis 4 Uhr morgens versuchte der Feind noch einige Male, zwischen den beiden Haipobrücken durchzubrechen; das eine Mal waren schon etwa 30 Mann über das Hindernis hinaus, zogen sich jedoch, sobald der Schein sie traf und [sie] von Maschinengewehren erfasst wurden, zurück. Die ganze Nacht wurden wir unter Feuer gehalten; der Scheinwerfer wurde oft durch Infanteriekugeln getroffen, blieb aber in Ordnung. Etwa um 4 Uhr morgens wurden kurz hintereinander der Obermatrose der Reserve Kühne und Matrose Hirth durch Infanteriekugeln am Kopf und Hals verwundet, beide wurden im Unterstand verbunden und blieben auf ihrem Posten. Hirth musste später infolge der Verwundung die Stellung verlassen. Zwischen 4:15 und 4:30 Uhr wurde der Scheinwerfer von Maschinengewehren gefasst und vollständig wie ein Sieb durchlöchert, er wurde hierdurch gänzlich außer Betrieb gesetzt. Er wurde sodann, zwecks Versuch einer Instandsetzung am nächsten Tage, nach unten gebracht. Als das geschehen war, schickte Leutnant Rumpf den Maat Sperling und den Obermatrosen Kühne zur Maschine [?] zurück, die in einer Rawine bei Tungtschiawa stand.
Etwa um 5:15 Uhr kam der Befehl zum Schließen der Geschützstandsblenden, welches etwa um 5:45 Uhr geschehen war. Wir waren kaum mit dieser Arbeit fertig und warteten der nächsten Befehle, als plötzlich der Befehl kam: »Alles an die Karabiner und am gedeckten Weg auf weiteren Befehl warten.« Doch dieses war nicht mehr nötig, und wir gingen unter der Führung von Sergeant Guski an einem Flussufer in Schützenlinie, um hier den uns hart verfolgenden Feind aufzuhalten. Wir waren der Ansicht, dass es sich nur um eine stärkere Patrouille handelte und erhielten zu fünf Mann den Befehl, uns in die Rawine, welche auf den Weg nach Tsangtschau führte, zurückzuziehen, um hier den Rest unserer Leute zu decken. Wir gerieten jedoch in die unrechte und mussten uns, da wir schon umgangen und keinen Ausgang mehr hatten und obendrein von Maschinengewehren unter Kreuzfeuer gehalten wurden, dem anstürmenden Feinde ergeben, ein Mann wurde dabei durch Armschuß verwundet. Wir mussten unsere Waffen abgeben und wurden sodann durch Rawinen und Waldungen, wobei wir noch von japanischer Artillerie beschossen wurden, zur Bismarckkaserne geführt, wo schon viele Truppen der Besatzung Tsingtaus waren. Als wir nun unsere Leute zusammen suchten, fehlten uns neun Mann; mehr als die Hälfte. Wie sich später herausstellte, waren hiervon fünf Mann gefallen und vier verwundet.
Den Heldentod starben: Unteroffizier der Reserve Meyer-Cohn, Marinefeldartilleristen Gerber, Halama, Schramm, Melcher.
Verwundet wurden: Leutnant der Reseve von Weyhe (am rechten Fuß) , Gefreiter Walbott (Kopfschuß), Gefreiter Krollmann (Armschuß), Marinefeldartillerist Heinrichs (Lungenschuß, Kolben- und Spatenschläge in den Gelenken).

Den Tag über mussten wir auf dem Kasernenhof der Bismarckkaserne bleiben, suchten uns jedoch so gut wie möglich einzurichten. Am Abend konnten wir uns dann einen Platz in der Kaserne suchen; wir verbrachten sodann nach all den Aufregungen eine ungewohnt ruhige Nacht, wenn auch nur auf einer kalten Eisenbettstelle mit nur einer Decke.

Am Morgen des 8. November wurden die Schlachtfelder nach Toten abgesucht. (Die Verwundeten waren schon während und nach dem Sturm auf die Werke von deutschen und japanischen Sanitätern eingeliefert worden.) Während eine Abteilung die Schlachtfelder absuchte, war eine andere damit beschäftigt, zwei Massengräber auf dem Tsingtauer Friedhof aufzuwerfen. Sodann wurden die inzwischen eingetroffenen gefallenen Helden in die Gräber versenkt und mit Tannenreisig verdeckt. Gar mancher fand einen guten Freund oder Kameraden unter den lieben Toten; auch ich fand alle meine Kameraden unter den toten Helden; sie wurden alle in ein gemeinsames Grab gebettet.

Am nächstfolgenden Tage, am 9. November 1914, fand nachmittags die Totenfeier auf dem Friedhof statt. Prediger beider Konfessionen hielten eine fesselnde Ansprache und gedachten der lieben Toten. Alles, was deutsch war und abkommen konnte, hatte sich eingefunden, um den Gefallenen die letzte Ehre zu erweisen. Selbst ein Abgesandter unseres Feindes, der Japaner, hatte sich eingefunden und wohnte der Feier, obschon er gar nichts oder doch sehr wenig verstand, sichtlich ergriffen bei. Eine Ehrenkompanie, welche zu diesem Zweck nochmals die Gewehre gebrauchen durfte, feuerte drei Salven über die Gräber zum blauen Himmel, und damit fand die Feier ihr Ende. Auf den Bismarckplatz zurückgekommen, hielt unser Herr Oberstleutnant noch eine Rede und dankte nochmals allen in ergreifenden Worten;
 

»4. In Kriegsgefangenschaft«

10. November 1914
Mittags 1 Uhr: Abmarsch von Tsingtau nach Taitungtschen; Aufenthalt dortselbst bis zum 14. November 1914 in Chinesen-Wohnungen. 4 Uhr morgens Abmarsch nach Schatzykou über Litsun usw.; Ankunft mittags 1:30 Uhr; 3:00 Uhr Einschiffung auf dem Transportdampfer Europa Maru Nr. 2.

15. November 1914
Abfahrt morgens 8 Uhr; Begleitung: Torpedoboote.

18. November 1914
Ankunft in Hiroshima.

20. November 1914
Ausschiffung, morgens 9 Uhr Marsch zum Bahnhof. Abfahrt per Bahn nachmittags 3:30 Uhr.

21. November 1914
Nachtfahrt; 7 Uhr morgens Ankunft in Kobe; Frühstück; 8 Uhr Weiterfahrt. Nachmittags 5 Uhr Ankunft in Nagoya; Fahrtdauer 25 Stunden. Fahrt mit elektrischer Bahn zum Gefangenenheim, Nebengebäude von einem japanischen Tempel. Lagerstärke: 300 Mann.9 Wache: 1 Unteroffizier, 14 Mann, abwechselnd vom 6. und 33. Infanterie-Regiment; Lagerverwaltung: Oberstleutnant, 2 Oberleutnants, 1 Zahlmeister, 3 Unteroffiziere, 1 Militärarzt, 1 Sanitätsfeldwebel, 1 Sanitätsgefreiter.

18. Dezember 1914
Pocken-Impfung.

24. Januar 1915
Erste Typhus-Impfung.

02. Februar 1915
Zweite Typhus-Impfung.

13. Februar 1915 Vizewachtmeister der Reserve Jansen †.

02. September 1915
Umzug in ein Barackenlager.

20. September 1916
125 Mann von Fukuoka [eingetroffen].

10. November 1915
Krönungsfeier in Kyoto.

24. Januar 1916 bis 05. April 1916
Arbeitsdienst Exerzierplatz. Löhnung 4 Yen.

31. Mai 1916
Seesoldat Karl Schmidt †.

[18.] Juni 1916
Unteroffizier Willy Schmidt †.

21. Oktober 1916
70 Mann (Matrosenartillerie) von Fukuoka. Jetzige Lagerstärke 500 Mann. 1 Gruppe 30 Mann (13,5 m lang)10

12. Januar 1917
Ausflug – 6 Mann.

16. Februar 1917
Arbeiten in Fahrradfabrik Okamoto, pro Tag 0,40 Yen, 6 Stunden Arbeitszeit; Anfangs 7 Mann, dann steigend.

07. April 1917
Acht Stunden Arbeitszeit 0,58 Yen. Abmarsch morgens 7 oder 8 Uhr, halbstündiger Marsch, viertelstündige Fahrt mit elektrischer Bahn bis zum Tsurumai-Park, dann noch 10 Minuten bis zur Fabrik Okamoto. Begleitung: 1 Posten, 1 Schutzmann, letzterer in Zivil. Mittagessen dortselbst in der Fabrik. Abends um 4 oder 5 Uhr den Weg zurück. War dort beschäftigt bis zum 14. Januar 1918, blieb dann im Lager.

17. Januar 1918
Gottesdienst; abgehalten von einem schwedischen Pfarrer [Neander], der in Deutschland zuerst die russischen Kriegsgefangenenlager, dann in Russland und Japan die deutschen Lager besuchte. Nagoya war sein letztes Lager, welches er besuchte. Er fuhr von hier wieder heimwärts, reichlich beladen mit guten oder schlechten Erinnerungen.

28. Januar 1918
Seesoldat der Landwehr II Wilhelm Oppel †.

02. Mai 1918
Arbeitsdienst auf dem Exerzierplatz vom 33. Infanterie-Regiment und Schießstand. 4 Yen.

05. August 1918
Zuwachs von 5 Feldwebeln und 10 Unteroffizieren aus dem Lager von Kurume.

15. August 1918
Bau einer Theaterbühne.

25. August 1918
Mobilmachung in Nagoya.11

Oktober 1918
»Spanische Grippe«.

14. November 1918
Seesoldat Jakob, 5. Kompanie †.

17. November 1918
Seesoldat Robert Schulze, 5. Kompanie †.

21. November 1918
Arbeiten in Waggonfabrik Nippon-Shario-Hai-sha, 0,48 Yen vom 1. Januar an 0,60 Yen

23. November 1918
Obermaat Flögel †.

25. November 1918
Pionier Phillips, M.P.K. †.

26. November 1918
Seesoldat Georgi, M.G.K. †.

26. November 1918
Seesoldat Wilh. Puchardt OMD †.

01. Dezember 1918
Seesoldat Kardinal, MGK †.

08. Februar 1919
Rückkehr einiger japanischer Truppen aus Sibirien.

03. Juni 1919
Abreise 12 Els. Bater. nachts 3 Uhr.12

15. Dezember 1919
Arbeitseinstellung.

18. Dezember 1919
Japanische Frauen überreichen eine Gedenkmünze.

21. Dezember 1919
Verlosung für den 3. Dampfer Himalaya Maru. Ziehe Nr. 1, Teilnehmer: 72 Mannschaften, 155 Bewerber.

22. Dezember 1919
Japanische Damen machen Musik im Lager.

24. Dezember 1919
Japanische Ärzte, welche in Deutschland studiert haben, besuchen das Lager und überreichen eine [Spende] von 190 Yen. Der Bürgermeister von Nagoya überreicht eine von der Stadt gestiftete Krawattennadel.
 

5. Heimreise

25. Dezember 1919
230 Mann verlassen das Lager, fahren per Bahn nach Kobe und werden dort auf den japanischen Dampfer Hofuku Maru eingeschifft nach der Heimat. Schöne Weihnachten.

26. Dezember 1919
Morgens 6 Uhr Abmarsch. 90 Mann, darunter auch ich, fahren mit der Bahn nach Shimonoseki; 46 Stunden Bahnfahrt. Verpflegung: 2 Brote, 1 Leberwurst; japanische Bewachung. Vom ersten Transport hat ein Mann durch Herausfallen aus dem Zuge den rechten Arm verloren, liegt im Hospital in Kobe. Ankunft in Shimonoseki morgens 6 ½ Uhr. Werden auf einem Fährboot nach Moji übergesetzt. Diese beiden Hafenstädte bilden den Eingang zur japanischen Inlandsee. Vom Hafen wandern wir nach einem Vereinslokal japanischer christlicher Jünglinge [CVJM]; bleiben dort bis 12 Uhr. Eine japanische Dame singt einige englische Lieder. 12 Uhr abrücken zu einem japanischen Tempel. Werden in einem großen Raum direkt vor dem Hauptaltar, nur durch ein vergoldetes Gitter getrennt, untergebracht. Am ersten Abend erhalten wir hier ungeschälte Kartoffeln, mit etwas Fleisch zu Brei gekocht, als Abendessen. Zum Schlafen hatten wir japanische wattierte Decken, jedoch ungenügend; in der letzten Nacht erhielten wir noch um 12 Uhr pro Mann je eine rote Decke. Der Boden im Tempel bestand wie auch in den Häusern aus den bekannten Strohmatten. Die anderen Tage kochten Köche von uns das Essen selbst auf Not-Herden.

31. Dezember 1919
Um 1 Uhr zogen wir aus und trafen mit noch 40 Mann aus Ninoshima zusammen. Sodann erfolgte unsere Übernahme durch den japanischen Oberst vom Lager Kurume an Herrn Kestner vom Hilfsausschuß Tokyo, zur Abnahmekommission gehörig, auf einem großen Platz mitten in der Stadt. Sodann marschierten wir zum Hafen und wurden dortselbst auf Leichtern zum Transportdampfer Himalaya Maru übergesetzt. Abends erhielten wir Punsch zur Silvesterfeier und gleichzeitig zur Befreiungsfeier.

1. Januar 1920
800 Mann wurden von Kurume übernommen.

2. Januar 1920
Nachmittags 4:30 Uhr fuhr der Dampfer von Moji ab nach Kobe, um dort weitere Ladung zu nehmen. Der Dampfer war nämlich nur zur Hälfte von der deutschen Regierung gechartert. Die unteren Lagerräume gingen auf japanische Rechnung.

3. Januar 1920
Wir erreichten Kobe mittags um 1 Uhr. Gegen Abend konnte an Land gegangen werden; jedoch sollte jeder dafür sorgen, am anderen Tage um 2 Uhr mittags wieder an Bord zu sein. Wegen der japanischen Neujahrsfeiertage konnte jedoch die Ladung nicht gleich ganz übernommen werden, die Abfahrt verschob sich daher um einen Tag, infolgedessen auch unser Urlaub. Weil unser Dampfer weit draußen im Hafen lag, musste der Verkehr mit dem Land mit Motorbooten und Sampans hergestellt werden. Motorboote waren frei, weil zum Dampfer gehörig; die Sampans, von einem Mann gerudert, mussten dagegen bezahlt werden. So zogen die Boote bis spät in die Nacht hin und, her immer voll besetzt. Leider mussten auch einige Kameraden in Kobe zurückgelassen werden, darunter ein Toter vom Dampfer Hofuku Maru aus dem Lager Bando und zwei Schwerkranke vom Lager Kurume, für deren Leben man fürchtete.13 Beide wurden gegen Mittag von einem deutschen Arzt und Krankenpfleger an Land gebracht und ins Hospital eingeliefert. Gegen 4 Uhr verließen wir den Hafen, um dem Lande, welches uns so lange Jahre unwillkommenen Aufenthalt gewährt hatte, Lebewohl zu sagen. Leider etwas zu früh; die Krankenpfleger waren noch nicht zurück, und wir hatten einen zweistündigen Aufenthalt vor dem Hafen. Sodann dampften wir auf der Linschotenstraße in Richtung auf Hongkong und Singapore weiter.

6. Januar 1920
Der Dampfer fuhr noch immer unter Land (japanische Inseln).

7. Januar 1920
Wir hatten freie See. Weil der Dampfer sehr wenig Ladung hatte, wurde er von den Wellen gleich tüchtig geschaukelt. Nach Mittag meldeten sich auch schon wieder die ersten Seekranken. Abends steigerte sich der Wellengang noch um ein Bedeutendes, und gar mancher opferte dem Gott Neptun seinen Tribut. Es war ein toller Betrieb, bei einer tausendköpfigen Besatzung nach fünf entbehrungsreichen Jahren so eine Anstrengung durchzumachen. Der Dampfer lief an diesem Tage um 160 Seemeilen, während er an guten Tagen seine 260 bis 296 lief.

8. Januar 1920
Die See wurde wieder ruhig; sogar die Sonne war uns hold und schien während des ganzen Tages aufs Deck nieder, das sich nach und nach bevölkerte. All die bleichen Gesichter suchten nach den Schrecken der Seekrankheit ein sonniges Plätzchen zu erhaschen. Die ganzen drei Tage kreuzte kein Schiff unseren Weg, nur am Abend des 8. einige kleine Fischerboote, welche auf Land schließen ließen.

9. Januar 1920
Wir passierten die Formosastraße. Abends kam unser Dampfer in die Höhe von Hongkong. Hunderte von Fischerbooten belebten die See. Von Land war außer einigen Inseln und Bergkuppen nichts zu sehen.

10. Januar 1920
An diesem Tag (Sonntag) fand an Bord ein kleines Konzert der Lagerkapelle Kurume statt. Die Luft im Zwischendeck wurde schon dicker, so dass sich alles auf Deck niederließ, wo eine wahre Frühlingsluft wehte. An diesem Tag wurde die japanische Schiffsbesatzung alarmiert, und zwar durch viermaliges Tuten mit der Dampfsirene, worauf alle Mann, mit der Schwimmweste angetan, oben an Bord antraten. Ein jeder Mann, Passagiere wie Matrosen, besaß diese Schwimmweste für etwaige Zwischenfälle, wo ein Verlassen des Schiffes nötig wurde. Auch hatte ein jeder seinen Platz im Rettungsboot oder Floß, so gehörte ich zum japanischen Schiffsboot Nr. 4.

12. Januar 1920
Heute fand eine Notfall-Übung mit Besatzung und Passagieren statt.

16. Januar 1920
Früh morgens langte der Dampfer vor Singapore an, um 7 Uhr fuhren wir in den Hafen und gingen vor Anker. Da uns das Anlandgehen von den Engländern verboten war, wurden wir dauernd von einem englischen Postboot umkreist, damit ja keiner entwischen konnte. Die Besatzung des Bootes waren indische Polizeisoldaten. An der Mole lagen viele ehemalige deutsche Dampfer vom Norddeutschen Lloyd, so der Dampfer Rheinland, der am 17.1. den Hafen verließ. Es waren die schönsten Schiffe im ganzen Hafen.

18. Januar 1920
Nachmittags 2 Uhr hatten wir einen Sterbefall zu verzeichnen; es starb ein Matrose vom Lager Kurume, nachdem er nur einige Tage krank gelegen hatte, an Lungenentzündung. Der schnelle Klimawechsel warf gar manchen danieder. Als wir Japan verließen, herrschte dort eine ziemliche Kälte, nach elf Tagen Fahrt hatten wir dagegen schon tropische Sonnenglut, und das hatte manchen dazu verleitet, sich etwas zu weit gehen zu lassen, welches sie mit langem Fieber büßen mussten.

19. Januar 1920
Nachmittags 3 Uhr wurde die Leiche von einem holländischen Vertreter an Land überführt. Deutscherseits durfte keiner mit an Land, vor einem Toten brauchten die Engländer ja keine Angst mehr haben. Als der Todesfall bekannt wurde, ging die japanische Schiffsflagge auf Halbmast, bis dass der Sarg das Schiff verlassen hatte. Während des Aufenthaltes im Hafen nahm das Schiff eine größere Ladung, bestehend aus Tabakballen und Kopra. Der Tabak war meistens für Rotterdam in Holland bestimmt. Kopra, in Säcken verpackt, aus überreifen Kokosnüssen hergestellt, wird zur Herstellung von Ölen und Pflanzenbutter verwendet. An der ganzen Behandlung, wie mit dem Zeug umgegangen wurde, konnte man sehen, wie billig der ganze Kram sein musste: Ganze Bündel Tabak auseinander gerissener Ballen schwammen im Wasser. Ganze Säcke Kopra gingen über Bord. Teekisten platzten auseinander, und der Inhalt ergoß sich über den ganzen Brahen [?]. Ja sogar ein ganzer Brahen mit Inhalt verschwand in den Wellen. Als nun unsere Liegezeit um war, musste mit der Ladung Schluß gemacht werden, und wir fuhren am 21. Abend 7 Uhr aus dem Hafen, um in nordwestlicher Richtung auf Sabang zuzusteuern.

24. Januar 1920
Wir erreichten Sabang. Sabang liegt in Niederländisch-Indien, und zwar an der Nordspitze der Insel Sumatra, und ist ein wunderschönes Fleckchen Erde. Um 10 Uhr konnten wir an Land gehen. Da der Dampfer an der Mole anlegte, ging es den ganzen Tag wie in einem Bienenstock zu. Die einen kehrten zurück, um ihre Einkäufe unterzubringen, die anderen, um Einkäufe zu machen. Gleich am Hafen wurden wir von den holländischen Soldaten begrüßt und dann von ihnen in der Stadt herumgeführt. Wir zogen sodann durch die ganze Stadt nach auswärts auf die Plantagen und in die Urwälder, um all die Naturschönheiten zu bewundern. Auch in die Kasernen konnten wir gehen und hier das Leben von Weißen und Eingeborenen betrachten.

25. Januar 1920
Abends 5 Uhr fuhren wir von Sabang ab, um eine lange Fahrt nach Port Said aufzunehmen.

3. Februar 1920
Wir passierten die Insel Sokotra an Backbordseite. Die Insel ist englischer Besitz und reich an Gummi und Kautschuk.

5. Februar 1920
Wir kamen in die Höhe von Aden.

6. Februar 1920
Am Morgen passierten wir die Straße von Bab-el-Mandeb und kamen hierauf ins Rote Meer. Mittags 3 Uhr begegnete uns der ehemalige deutsche Dampfer Friedrichsruh mit Truppen an Bord in Richtung Aden. Im Roten Meer herrschte starker Wind, der zeitweise zum Orkan ausartete, sodass sich keiner an Deck aufhalten konnte.

10. Februar 1920
Am Mittag fuhren wir in den Golf von Suez ein und sichteten auf beiden Seiten Land. Hier begegnete uns auch wieder ein ehemaliger deutscher Dampfer, und zwar der Postdampfer Prinz Ludwig, ein Schiff mit zwei Schornsteinen und von ziemlicher Größe. Bis Suez haben wir noch rund 170 Meilen, diese erreichten wir am Morgen des 11. Februar um 4 Uhr und blieben hierselbst liegen bis abends 5 Uhr, worauf wir dann in den Suezkanal einfuhren. Zur rechten Seite sah man noch die Feldbefestigungen, gegen die unsere Kameraden im Verein mit den Türken im Weltkrieg vorgegangen waren. Dann brach die Dunkelheit herein, und das Weitere entzog sich unseren Blicken. Nachts passierten wir noch einige Heerlager der Alliierten, die noch voll besetzt waren, darum unsere nächtliche Fahrt durch den Kanal. Morgens um ½ 8 Uhr liefen wir dann in Port Said ein.

13. Februar 1920
Bei der Ausfahrt aus dem Hafen, mittags um 2 Uhr, begegneten wir auch einigen alliierten Transportdampfern, einem mit englischen Truppen und einem ehemaligen deutschen Dampfer mit farbigen Arbeitern an Bord. Rechts von der Ausfahrt lagen einige Dampfer, die während des Krieges versenkt worden waren; ebenso in Suez am Eingang des Kanals ein italienisches Kriegsschiff, an dem schon Hebungsversuche gemacht waren. In Port Said erhielten wir Zuwachs von einem Mann, der in Ostafrika gekämpft hatte; er war 1916 gefangen genommen worden, nach Indien interniert und im Januar 1920 nach Port Said überführt worden zusammen mit 700 Mann.

17. Februar 1920
Am Abend passierten wir die Insel Malta an Backbordseite, welche ebenfalls in englischem Besitz ist. Die hell erleuchtete Stadt La Valetta sandte uns stundenlang ihre Lichter nach, bis unser Schiff dann nach Westen abdrehte.

21. Februar 1920
Am Morgen sichteten wir wieder zum ersten Male nach 7 Jahren europäisches Festland, und zwar die Südküste von Spanien.

22. Februar 1920
Morgens um 7 Uhr, es ist Sonntag, fuhren wir in den Hafen von Gibraltar ein. Der Dampfer legte direkt an einem englischen Kohlenschiff fest und übernahm eine ziemliche Ladung Kohlen. Die Übernahme dauerte bis zum nächsten Tag um 4 Uhr. In Gibraltar hatten wir das schönste Frühlingswetter, welches sehr viele Bewohner ins Freie lockte. Alles prangte in schönsten Grün. Die Spanier fuhren in ihren leichten Wagen spazieren und besuchten die Rennen, welche nachmittags in dem Städtchen Salient stattfanden. Leider hatten wir nicht das Vergnügen, an diesen Belustigungen teilzunehmen, mussten vielmehr, da wir einen englischen Hafen angelaufen waren, an Bord bleiben, weil der Japaner seine Kohlen von den Engländern bezog.

23. Februar 1920
Um 5 Uhr fuhren wir wieder aus dem Hafen raus, um unsere letzte Strecke anzutreten. Auf der ganzen Fahrt im Atlantischen Ozean herrschte ein reger Dampferverkehr, wie wir ihn auf der ganzen Reise noch nicht gesehen hatten.

25. Februar 1920
Abends kamen wir wieder in den Golf von Biskaya. Der Golf war sehr ruhig.

26. Februar 1920
Brest in Sicht.

28. Februar 1920
Nachts zwischen 12 und 1 Uhr Dover–Calais. Nehmen Lotsen an Bord, weil Nebel im Kanal und unser Dampfer ein Ausländer ist.

29. Februar 1920
Der Lotse verlässt um 4 Uhr den Dampfer, und die Fahrt geht ohne größere Zwischenfälle weiter. Weil der japanische Kapitän die Reise nach Deutschland zum ersten Male machte, und wegen der Minengefahr, wurde ab und zu bei anderen Schiffen drahtlos nach der Lage des Schiffes angefragt. Eines Morgens sichteten wir zu unserem Erstaunen an der Steuerbordseite eine Stadt mit einem Kirchturm. Auf die Signale unseres Schiffes kam ein Lotse an Bord, um uns in den Hafen zu bringen. Auf die Frage unseres japanischen Kapitäns »Wohin bringen sie uns?« kam die verblüffende Antwort »Nach Amsterdam.« Der Kapitän sagte hierauf: »Ich will doch nach Deutschland.« »Dann auf Wiedersehen«, sagte der Lotse und verließ, ärgerlich über den unnützen Aufenthalt, unser Schiff. Jetzt übernahmen zwei unserer Seeoffiziere im Verein mit dem japanischen Kapitän die Führung über das Schiff und führten es durchs Minenfeld hindurch glücklich nach Wilhelmshaven, wo wir am

2. März 1920
anlangten. Eine große Menschenmenge und eine Reichswehrkapelle waren zum Empfang erschienen, und unter den Klängen des Liedes »Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt« legte der Dampfer an, und wir verließen das Schiff, um nach Abwicklung unserer Entlassungsgeschäfte nach vier Tagen in unsere Heimat entlassen zu werden.
 

Anmerkungen

1. Das Bezirkskommando befand sich in Siegen. – Ob er sich freiwillig zur Marine gemeldet hatte, geht aus dem Text nicht hervor.

2. Von der Ausbildung an den Geschützen wird nicht berichtet; möglich, dass diese erst in Tsingtau stattfand.

3. Im Gegensatz zu den zeitgleich einberufenen Matrosenartilleristen, die Weihnachten 1913 noch zu Hause feiern durften.

4. 1908 hatten Erdbeben und Tsunami 90 % der Gebäude in Trümmer legt und um die 60.000 Menschenleben gefordert!

5. Für die Durchfahrt großer Containerschiffe sind heute durchschnittlich 250.000 € zu entrichten.

6. Hier gibt der Verfasser die allgemeine Auffassung wieder, die freilich durch die Fakten nicht gedeckt ist.

7. Die Zahl »107« wird auch in der Chronik genannt.

8. Die nicht verlinkten Personen konnten nicht zweifelsfrei identifiziert werden.

9. Gut geschätzt – es waren genau 309.

10. Die Angabe »13,5 m« bezieht sich vermutlich auf die Länge des Platzes, den eine Gruppe in der Baracke einnahm,

11. Vermutlich ist die Entsendung von Truppen nach Sibirien gemeint, wo die Japaner in den russischen Bürgerkrieg eingriffen.

12. Gemeint ist die Entlassung von Soldaten, die ins französisch besetzte Elsass-Lothringen zurückkehrten.

13. Die Identität dieser Männer ist nicht bekannt.
 

© Hermann-Josef Jung; für diese Ausgabe auch: Hans-Joachim Schmidt.
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