Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Augenzeugenberichte

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Marinesoldat in Tsingtau, Kriegsgefangener in Japan

von Erich Kaul
 
Teil 3: Vom Lager Narashino (1915) bis zur Heimreise (1920)
 

Vorbemerkungen des RedakteursTeil 1. – Wie bei vielen anderen Tagebuchschreibern weisen die Eintragungen ab 1916 mehr oder weniger große Lücken auf, teilweise bis zu drei Monaten; das ist ein Zeichen dafür, wie eintönig das Lagerleben sich gestaltete. Nach den Beobachtungen des Verfassers verschlecherte sich die Situation insgesamt ab 1916 merklich; dies galt insbesondere für die Verpflegung (siehe Eintragungen vom 1.12.1916 und 10.7.1917).
 

Inhalt des Teils 3

1. Im Lager Narashino (1915)
2. Im Lager Narashino (1916/17)
3. Im Lager Narashino (1918/19
4. Entlassung und Heimreise

Teil 1: Bei der Marine bis zur Gefangennahme
Teil 2: Von der Gefangennahme bis zur Auflösung des Lagers Tokyo-Asakusa
 

1. Im Lager Narashino (1915)

[7.9.15] Nach einer Stunde erreichten wir unser Ziel, Narashino, auf der Chiba-Halbinsel. Unser Quartier sind vier große Baracken, wie wir sie auch in Deutschland auf den Truppenübungsplätzen haben. Die Vorteile hier sind, dass man zu jeder Zeit aus der Baracke herausgehen kann, dass hier herrliche frische Luft und viel mehr Platz ist mit Rasen; andererseits wir aber noch mehr von der Welt abgeschnitten sind als in Tokyo. Wir erhielten hier Matratzen und hatten unsere Decken mitnehmen können. Auch gesundheitlich sind wir hier sehr im Vorteil.
Wenn ich keinen Dienst habe, mache ich nach dem Frühstück einige Freiübungen oder einen Spaziergang. Das Frühstück besteht auch hier aus Brot, Tee und einem Ei. Danach wird gearbeitet, geistig, oder geschnitzt und dergleichen. Einen Mittagsschlaf von einer Stunde halte ich nach dem Essen. Dann wieder Arbeit, und nach dem Abendessen folgt ein Spaziergang oder allerlei Kurzweil. So ist auch hier ein Tag gleich dem anderen im ewigen Einerlei, und das Hoffen auf baldigen Frieden bleibt unser Trost.

11.9.15. Ein japanischer General besichtigte heute das Lager. 12.9.15. Am Vormittag Gottesdienst mit Herrn Pastor Schröder. Ich erhielt die erste Nachricht aus Wilster, eine Karte mit Photographie.

19.9.15. Zu meiner Freude erhielt ich heute aus der Heimat einige Zeitungen, Fürstenwalder und Berliner.

21.9.15. Meine Schwester schickte einige Zeitungen aus Berlin, große Freude. Es ist dies während meines Aufenthaltes in Ostasien das erste Lebenszeichen von ihr.

26.9.15. Fortsetzung des Vortrages von Herrn Dr. Überschär über den »deutschen Staat«. 30.9.15. Erhielt eine Karte von meiner Schwester, außerdem Berliner Zeitungen. Auch mein alter Freund Karl gedachte meiner durch eine Karte. 2.10.15. Nach langer Zeit erhielt ich heute von meinen Eltern einen Brief, der am 18.6. abgeschickt war. 3.10.15. Erhielt einen Feldpostbrief von Bertha mit sechs Zigarren, die leider alle entzwei waren. Ich konnte sie aber trotzdem gebrauchen. Auch kam von meiner Schwester die zweite Sendung Zeitungen an.

7.10.15. Zu meiner großen Freude traf ein Paket von meinen Eltern ein mit dem seit langem bestellten Tabak. Hoffentlich brauche ich auf eine zweite Sendung nicht allzu lange zu warten.

8.10.15. An einem stürmischen Tag hatte ich heute die seltene Gelegerheit, den Fujiyama im Glanze der untergehenden Sonne besonders klar zu sehen.

13.10.15. Freudig überrascht wurde ich heute durch ein kleines Paket von Bertha mit 20 Zigaretten. Hoffentlich kann ich mich für die vielen Gaben bald und reichlich revanchieren.

14.10.15. Aus Wilster erhielt ich heute eine kleine Unterstützung von 3,58 Yen (10,75 Franken). Jeden Tag etwas, gestern 20 Zigaretten, heute Geld. Ja, wenn die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten. Man kann also gar nicht untergehen.

19.10.15. Am Vormittag war ärztliche Untersuchung auf Gewicht und Zähne. Mein Gewicht: 18,61. Heute begann ich mit dem Unterricht in Geometrie bei Oberleutnant zur See Oehler.

24.10.15. Fortsetzung des Vortrags des Herrn Dr. Überschär über den »deutschen Staatsbegriff«.

26.10.15. Gottesdienst mit Herrn Pastor Schröder aus Yokohama. Vortrag des Oberingenieurs über »Dampfturbinen«.

31.10.15. Beendigung des Vortrags über den deutschen Staatsbegriff; Übergang zum »japanischen Staatsbegriff«. Geburtstag des Kaisers von Japan. Obst zu den Mahlzeiten und Zucker.

10.11.15. Krönungsfeier des Kaisers von Japan. Besseres Essen. Sonderbare Zeremonien der Wache. Das bestellte Buch aus der Heimat eingetroffen.

12.11.15. Nachts starkes Erdbeben. Weitere leichte Erdbeben im Laufe des Tages. In Japan gibt es ca. 150 Erdbeben im Jahr.

14.11.15. Einen interessanten Tag erlebte ich heute durch die Veranstaltung eines Sportfestes. Es gab einen 1500-Meter-Lauf, Schleuderball, Steinstoßen, Diskuswerfen, 500-Meter-Lauf, Faustball, Weitsprung, Hochsprung, Stabhochsprung, 100-Meter-Lauf, Wettlauf mit Eiern, Stafette, Fußball, Tauziehen, Kartoffelwettlauf und Hindernislaufen mit darauffolgender Preisverteilung. Es entfielen auf Jaguar und Marinekompanie sechs erste, vier zweite Preise und ein dritter Preis. Die Preise waren den Verhältnissen entsprechend. Mit einem Hoch auf unseren Kaiser wurde die Veranstaltung beendet.

15.11.15. Heute war Löhnung, 1,30 Yen pro Mann. Nach langer Zeit kam ein Brief aus der Heimat (von den Eltern). 16.11.15. Starke Erdstöße während des ganzen Tages. 21.11.15. Heute Totensonntag mit Gottesdienst.

30.11.15. Ausgabe von Winter-Unterzeug. Von den Deutschen in Kobe erhielt jeder ein Päckchen und zwei Paar Strümpfe. Vormittags war Gottesdienst mit Pfarrer Schröder. 2.12.15. Karte von den Eltern erhalten, abgesandt am 2.11., tags zuvor eine Karte, die bereits am 22.10. abgeschickt worden war.

3.12.15. Habe heute einen Bilderrahmen in Arbeit genommen, der unserem Oberingenieur zum Weihnachtsfest geschenkt werden soll. Die Anfertigung wurde mir von den Unteroffizieren des Jaguar übertragen. Auch andere Vorbereitungen für das Weihnachtsfest haben begonnen.4.12.15. Eine Karte von den Eltern erhalten, abgeschickt am 25.9.

11.12.15. Von meiner Schwester abgesandtes Weihnachtspaket mit großer Freude erhalten.

17.12.15. Ärztliche Untersuchung. Gewicht 18,28. Vortrag: Japanische Erziehung. 21.12.15. Löhnung, pro Mann 1,15 Yen. Bilderrahmen für den Oberingenieur fertiggestellt.

23.12.15. Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. Großes Schweineschlachten und Wurstmachen.

24.12.15. Heiligabend. Meine Hoffnungen, dass ich diese Weihnachten in der Heimat verleben würde, haben sich nicht erfüllt. Ich bin wie viele andere dazu verurteilt, unser schönstes Fest in weiter Ferne zu verleben. Hoffentlich ist das nächste Jahr das Friedensjahr. Die erste Freude, die mir heute zuteil wurde, war ein Brief von Bertha. Abends war Gottesdienst mit darauffolgender Bescherung. Auch der liebe Weihnachtsmann fehlte nicht. Die im ganzen Lager herrschende niedergedrückte Stimmung versuchten unsere Offiziere durch fröhliche Gesichter und Witze zu vertreiben. Nach der Bescherung war Verlosung, bei der jeder etwas gewann. Wir hatten von den Japanern bis 11:15 Uhr frei bekommen und konnten uns bis dahin unserer Feier hingeben. Nach und nach kam mehr Stimmung unter uns auf, besser gesagt Galgenhumor. Dann ging es in die Kojen. Mit Gedanken in Richtung Heimat schlief ich ein.

25.12.15. Nach gut verbrachter Nacht und dem Frühstück gruppierten wir uns um den Ofen zu einem Frühschoppen. Von kleinen Ersparnissen, die fast jeder hatte, konnte man sich ein paar Flaschen Bier leisten. So verbrachten wir den Vormittag. Mittags war Gottesdienst, am Nachmittag ein Konzert unter Mitwirkung von Offizieren und Mannschaften auf einem Klavier und zum Teil selbst gebauten Geigen. Mit meinen engsten Kameraden war später ein gemütlicher Kaffeeklatsch, wozu natürlich jeder den Kuchen seines Heimatpaketes hergeben musste. Unter lustigen Witzen und vorgetragenen Couplets blieben wir bis 8 Uhr beisammen.

26.12.15. Heute leistete ich mir ein gutes zweites Frühstück aus dem Weihnachtspaket. Ein Brief von Onkel Karl kam an. Den 31.12.15 verlebte ich ziemlich zurückgezogen. Trotzdem wir bis eine halbe Stunde nach Mitternacht freihatten, legte ich mich schon früh schlafen.
 

2. Im Lager Narashino (1916/17)

1.1.1916. Am Nachmittag gab der Chor, dem auch ich angehöre, ein Konzert. 5.1.16. Nach langer Zeit zwei Briefe von den Eltern. 6.1.16. Einen Brief von Bruno erhalten; es freut mich, dass er gesund und noch unter den Lebenden ist.

8.1.16. Vortrag: »Die Schulen Japans.« 12.1.16. Zweites Paket mit Tabak von Bertha, abgeschickt am 6.12. Nach langer Zeit wieder eine Sendung Fürstenwalder Zeitungen vom 12.12.15.

14.1.16. Vortrag: »Japans Stellung im Weltkrieg.« Über Okuma, den Botschafter in England, und Takato, dessen Schüler.

17.1.16. Plötzliche Untersuchung des ganzen Lagers auf Zivilzeug.1 21.1.16. Vortrag: »Der seelische Unterschied zwischen Deutschen und Japanern.«

22.1.16. Groß war heute meine Freude, als ich einen Brief von meiner Schwester erhielt, ein paar liebe Zeilen, wie ich sie lange nicht erhalten habe. Auch kam ein Brief von meinen Eltern, aus dem ich ersehen konnte, dass noch einige Pakete für mich unterwegs sind.

27.1.16. Kaiser-Geburtstagsfeier. Am Vormittag Gottesdienst. Ansprache von Oberstleutnant Kuhlo. Vortrag des Gesangvereins. Fünfzig Sen vom Oberingenieur. Außerdem für die Allgemeinheit pro Kopf zwanzig Sen und zwei Flaschen Bier.

29.1.16. Erhielt heute drei Briefe, einen von meinen Eltern und nach langer Zeit auch eine Nachricht von Frau Wendt, wodurch ich die genaue Adresse von Willy erhielt. Frau Schmidtke sandte mir Grüße von Bruno.

7.2.16. Erster Schneefall während des ganzen Tages. Ganz unverhofft erhielt ich ein Paket von Familie Kube und die Fürstenwalder Zeitung. Ein Freudentag.

11.2.16. Vortrag: »Der Unterschied zwischen Deutschen und Japanern.« Der Tag, an dem nach alter japanischer Überlieferung der erste Kaiser vom Himmel gestiegen sein soll.

14.2.16. Das ersehnte Weihnachtspaket von den Eltern erhalten. 21.2.16. Zweiter großer Schneefall.

23.2.16. Vortrag des Oberingenieurs über »Explosionsmotoren«. 24.2.16. Spende aus Tientsin angekommen: Pro Kopf 1,31 Yen. 25.2.15. Besichtigung des Lagers durch drei Damen vom amerikanischen Roten Kreuz.

2.3.16. Vortrag: »Die Ernährung der Japaner im Vergleich mit den Deutschen.« Nach einer Statistik von 1911 ist der durchsclnittliche Tagesverdienst eines japanischen Arbeiters 60 Sen; 20 Sen davon, das ist ein Drittel, für Ernährung. Durchschnittslohn eines deutschen Arbeiters pro Tag (Metallarbeiter und Maurer) 3,60 bis 4,00 Mark, davon 90 Pfennig für Ernährung, also ein Viertel.

6.3.16. Brief von Bruno erhalten. 8.3.16. Plötzlich erkrankt. Unterleibserkältung. 11.3.16. Heute aus dem Revier entlassen.

13.3.16. Als Mitglied des Gesangvereins wurde ich eingeladen zum Geburtstag des Hauptmanns von Wilucki.

15.3.16. Besichtigung des Lagers durch zwei Mitglieder der amerikanischen Gesandtschaft in Tokyo.

26.3.16. Gottesdienst, gehalten von einem Schweizer Pfarrer [Hunziker]. 30.3.16. Eine Karte an Frl. Leibner und einen Brief an Bertha abgeschickt. 31.3.16. Seit längerer Zeit kam heute wieder eine Sendung mit Fürstenwalder Zeitungen an. Vortrag: »Japanische Verfassung.«

5.4.16. Löhnung 1,30 Yen für gänzlich Unbemittelte. 7.4.16. Vortrag über »Japans Entwicklung«. 22.4.16. 40 Sen vom Oberstleutnant [Kuhlo].

23.4.16. Ostern! Wieder bin ich gezwungen, ein so schönes Fest in der Gefangenschaft zu verleben, und wer weiß, wieviel ihrer noch in meiner jetzigen Lage folgen werden. Wann wird der Friede kommen? Die lange Zeit der Gefangenschaft hat uns schon gelehrt, die Feiertage, unserer Lage entsprechend, selber so schön wie möglich zu gestalten. Das geschah auch heute. Gottesdienst am Vormittag, abends Konzert des Chores unter Mitwirkung der Offiziere. Auch Oberstleutnant Kuhlo beteiligte sich daran. Wir hatten uns dadurch ein paar schöne Stunden verschafft und fühlten uns durch Singen vertrauter Lieder in unsere Heimat versetzt. Befriedigt und mit neuen Hoffnungen ging es dann zu Bett.

27.4.16. Geburtstag des Oberstleutnants Kuhlo, zu dem auch der Chor am Abend eingeladen wurde. Unter Gesang und Vertilgung der gestifteten 70 Liter Bier hatten wir auch diesen Abend so angenehm wie möglich verlebt.

5.5.16. Vortrag des Oberstleutnants über den »Russisch-Japanischen Krieg«. 14.5.16. Veranstaltung eines zweiten Sportfestes. 17.5.16. Der japanische Stabsarzt wird abgelöst.

25.5.16. Heute abend hatte ich Gelegenheit, einen selten schönen Sonnenuntergang zu beobachten.

5.6.16. Heute hatte ich eine ernste Mission zu erfüllen. Es galt, einem Kameraden der Marine-Kompanie [Stertze], der im Lazarett an Lungentuberkolose verstorben war, die letzte Ehre zu erweisen. Die Japaner hatten erlaubt, dass jeder, der will, sich an der Trauerfeier beteiligen kann. Die Beerdigung fand auf dem Militärfriedhof bei Narashino statt. Die Grabrede hielten die beiden Missionare unseres Lagers. Der Chor sang die Lieder »Auferstehn« und »Ich hatt' einen Kameraden«. Von den japanischen Offizieren nahmen Oberstleutnant Saigo, Oberleutnant Harata und der Stabsarzt teil.

11.6.16. Erster Pfingstfeiertag. Auch in diesem Jahr bin ich gezwungen, dieses Fest in der Gefangenschaft zu verbringen. Am Vormittag war Gottesdienst und am Abend gemütliches Beisammensein zwischen den Baracken. Für die Unterhaltung sorgte eine Kapelle, bestehend aus Cello, zwei Geigen und Bandonion. Auch der Chor beteiligte sich. Leider war ich nicht in der Lage, mir eine Flasche Bier zu leisten, weil dies meine Finanzen nicht zuließen. Der zweite Feiertag verlief wie all die anderen Tage ohne nennenswerte Unterbrechung.

13.6.16. Heute habe ich einen Wandteller abgeliefert, den ich auf Bestellung für Oberleutnant Leffler als dessen Geschenk nach Yokohama anfertigte.

17.6.16. Ärztliche Untersuchung, mein Gewicht 18,80. Vortrag von Oberleutnant Leffler über die »Seeschlachten im Russisch-Japanischen Krieg«.

7.7.16. Große Freude bereiteten mir heute zwei Feldpostpakete mit Zigaretten und Tabak, in denen ich auch ein Bild von Else fand. 24.7.16. Brief an Eltern abgeschickt. Das lang erwartete Paket vom 13.1. erhalten. 8.8.16. Paket von Frau Kube erhalten. Leider nur noch zwei Büchsen Ölsardinen zu genießen. Ein Erdbeben, ziemlich stark, mehrere Sekunden Dauer.

16.8.16. Ärztliche Untersuchung, mein Gewicht 17,79. Rapide Gewichtsabnahme durch ruhrartigen Durchfall.

20.9.16. Ärztliche Untersuchung. Gewicht 18,99.

25.9.16. Löhnung 1,30 Yen.

11.10.16. Brief von Eltern erhalten. Laut Bestimmung der Japaner darf jeder Mann pro Monat nur einen Brief und eine Karte abschicken. Briefpapier und Karten werden von den Japanern gestempelt geliefert.

21.10.16. Heute fanden turnerische Übungen statt, veranstaltet vom Turnverein, der sich hier gebildet hat.

22.10.16. Eintreffen von 73 Mann aus dem Lager von Fukuoka. Unser Lager hat jetzt ungefähr 500 Mann. Mit Erlaubnis der Japaner können wir jetzt Weihnachtskarten schicken. Da dies aber mit einer mir widerstrebenden Bedingung verknüpft ist, verzichte ich lieber darauf.2

26.10.16. Löhnung, pro Mann 1,30 Yen.

1.11.16. Ein Sohn des japanischen Kaisers zum Kronprinzen proklamiert.

1.12.16. In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass die Japaner gegenüber den Gefangenen strengere Maßnahmen anwenden, z.B. die sofortige Bestrafung mit Arrest bei den geringfügigsten Anlässen. Unsere Offiziere müssen jetzt zur selben Zeit aufstehen wie die Mannschaften; auch dürfen sie die Mannschaftsräume nicht mehr betreten und Zeitungsnachrichten nicht mehr vorlesen.
Und nun das Essen. Trotzdem 73 Mann vom Lager Fukuoka hierher gekommen sind, gibt es nicht mehr Fleisch als vorher. Das einzige, was es reichlich gibt, sind Kartoffeln. Das Fleisch ist im Sommer fast nie zu genießen, weil es schon riecht, wenn es hier ankommt. Auch ist es meistens fettes Fleisch, das niemand essen kann. Es ist vorgekommen, dass gelieferte Leber so verdorben war, dass sie sofort vergraben werden musste. Das Mittagessen besteht meist aus Kartoffeln oder Reis mit Gulasch. Das Fleisch ist aber auf dem Teller selten zu finden. Die Portionen sind oft erschreckend klein. Das Abendessen soll aus Gemüse wie Kohl, schwarzen Erbsen, Saubohnen, Mohrrüben und Wachsbohnen bestehen. Seine Bestandteile sind aber fast nur Wasser, viel Zwiebeln und einige Kartoffeln. Das Gemüse kommt jetzt in so kleinen Quantitäten, dass man es beim besten Willen nicht finden kann. Das Fleisch erscheint in einigen Fettbrocken, die man, falls man sie auf dem Teller sieht, lieber gleich entfernt. Augenblicklich ist das Essen nach Qualität und Quantität so, dass man sich damit am Leben erhalten kann. Je länger wir hier sind, desto schlechter ist die Behandlung geworden.

3.12.16. Ein Feldpostpaket vom 19.9. von Else erhalten. Inhalt: ein Buch, drei Päckchen Tabak und ein Bild.

18.12.16. Von Bertha ein Feldpostpaket mit 50 Zigaretten erhalten, abgeschickt am 2.11.

20.12.16. Empfang der Gitarren-Schule.

21.12.16. Ärztliche Untersuchung. Gewicht 18,78.

28.12.16. Weihnachten ist vorüber, das dritte dieses schönen Festes war ich gezwungen, in Gefangenschaft zu verleben. Trotz der reichlichen Gaben an Geld und Sachen von unseren Landsleuten aus der Heimat, aus China, Japan und Amerika ist es doch sehr trostlos, das Fest nicht im Kreise seiner Lieben im Heimatland feiern zu dürfen. Doch die Macht der Gewohnheit ist groß, und wir haben uns schon lange daran gewöhnen müssen, ohne die vertrauten heimatlichen Genüsse auszukommen. Ich kann nur hoffen, dass dies die letzten Weihnachten gewesen sind, die ich ohne Heimatland und Elternhaus verlebte. Schön wäre es gewesen, wenn ich wenigstens einen Brief oder eine Karte erhalten hätte, aber nichts von dem. Hoffentlich kommt es noch.

30.12.16. Nach langer Zeit erhielt ich heute eine Karte aus Obergörzig, aus der ich ersah, dass meine Eltern dort sind.

2.1.17. Das alte Jahr ist vorüber. Mit mehr Hoffnungen als vor Jahresfrist trete ich in das neue Jahr. Friedensgerüchte und leise Friedensklänge kommen hierher in unsere Einsamkeit, und es ist wohl anzunehmen, dass das neue Jahr das Friedensjahr sein wird. Es ist auch an der Zeit, dass das große Ringen und das Leben in der Gefangenschaft ein Ende nehmen.

25.1.17. Ein Paket von Frau Kube mit Tabak und zwölf Zigarren erhalten. 9.2.17. Ein Paket von Frau Kube erhalten. Inhalt: Kekse, Schokolade und Ölsardinen. 19.2.17. Brief von Eltern erhalten. 24.2.17. Ein Paket von Heinrich erhalten, abgeschickt am 8.10.16, Kuchen, 35 Zigarren, 25 Zigaretten, eine Dose Heringe, Ölsardinen und ein Päckchen Tabak.

3.3.17. Heute verlebte ich in aller Stille meinen 26. Geburtstag.

8.4.17. Öde Ostern! Das einzige Interessante war ein Konzert, veranstaltet von Offizieren und vom Gesangverein.

11.4.17. Eine einmalige Löhnung in Höhe von 15,3 Yen wurde ausgezahlt (voraussichtlich zurückzuzahlen nach dem Kriege).

17.5.17. Zu meiner Überraschung erhielt ich heute einen Brief von Frl. L. Poetschke.

27.5.17. Verlauf der Pfingstfeiertage wie gewöhnlich. Einzige Abwechslung war die Aufführung zweier kleiner Theaterstücke, welche sehr nett gespielt wurden. Sonst waren Eintönigkeit und Stumpfsinn stark vertreten.

10.6.17. Für Oberleutnant Fliegelskamp einen Kasten angefertigt, der drei Yen einbrachte.

10.7.17. Augenblicklich herrschen Zustände in unserem Lager, die zu berechtigten Klagen Anlaß geben. Ganz besonders schlecht ist es mit dem Essen. Es sollte zum Beispiel Salzfleisch verarbeitet werden, dass bereits stark roch und teilweise von Maden wimmelte. Trotzdem erklärte der Stabsarzt, dass das Fleisch zwar nicht mehr ganz gut sei, aber noch gegessen werden kann. Die Köche verweigerten das Kochen des Fleisches, und die Folge war, dass der Kochmaat in Arrest gesteckt wurde. Auch gab es einige Male stinkenden Fisch, der natürlich von niemandem abgeholt wurde. Auffällig ist, daß jedes kleine Vergehen mit Arrest bestraft wird. Beispiel: Eine kleine Verspätung beim Morgenappell mit fünf Tagen.

19.9.17. Heute erhielt ich ein kleines Paket von Frau Eva Schramm aus Yokohama; eine Mettwurst und zwei Halbpfund-Büchsen Leberwurst.

1.10.17. Vergangene Nacht erlebte ich einen Sturm wie noch nie vorher in meinem Leben. Nur einem glücklichen Zufall hatten wir es zu verdanken, dass unsere Baracken nicht einstürzten oder gar von der Erdoberfläche verschwanden.
Es war gegen vier Uhr morgens, als ich plötzlich durch Stimmengewirr aufwachte. Zu meinem Erstaunen waren die meisten meiner Kameraden schon auf und legten ihre Kojen in einer Ecke des Raumes aufeinander. Nach dem Grund ihres frühen Aufstehens brauchte ich nicht zu fragen, denn ein unheimlich heulender Sturm und prasselnder Regen gaben mir genügend Aufschluss. Ich also raus aus der Koje. Überall regnete es durch, und bei jedem Windstoß zitterte und krachte die Baracke, als ob sie jeden Augenblick zusammenstürzen wollte. Zum Glück geschah aber nichts dergleichen.
Als es hell wurde und ich hinausging, bot sich mir ein trauriger Anblick. Die Gebäude innerhalb des Lagers waren zwar nur wenig beschädigt, abgesehen von einigen Blechkappen und -platten von den Dächern. Aber desto trauriger sah es in unserem und im Offiziersgarten und außerhalb des Lagers aus. Von den Gärten, die tags zuvor noch in voller Blüte standen, war nichts mehr zu sehen. Die Lauben waren entweder Trümmerhaufen oder ganz verschwunden. Die Schilderhäuser unserer japanischen Posten lagen als Trümmer weit verstreut umher oder waren plattgedrückt an den Zaun geworfen. Die dicht hinter unserem Lager gestandenen Baracken (Stallungen für Militärpferde) waren vollständig eingestürzt. Von den etwas weiter gelegenen Militärbaracken waren die meisten Dächer abgerissen oder abgedeckt. Das Haus eines Bauern, das dicht hinter dem unser Lager umgebenden doppelten Drahtzaun stand, war zertrümmert und hatte fast die ganze Familie vernichtet. Teile des Hauses und der Inneneinrichtung lagen auf unserem Platz. Auch die elektrischen Leitungen sind zerstört, und wir sind gezwungen, unsere an und für sich schon eintönigen Abende beim Talglicht zuzubringen.
Dies sind die Schäden, die ich, soweit mein kleiner Horizont es hier zuließ, selbst beobachtet habe. Viel größer sind die Schäden, die ich aus der Zeitung (Japan Advertiser) herauslesen konnte. Bis heute abend waren gemeldet: 150.000 Obdachlose allein in Tokyo, 16.000 untergegangene Fischerboote, 53 zerstörte Schulen auf der Chiba-Halbinsel. Schaden bei der Reisernte und bei anderen landwirtschaftlichen Produkten: sechs Millionen Yen. Eine Insel mit 300 Bewohnern verschwand spurlos in der See. Sechs Walfische wurden an Land getrieben. An der Küste strandete ein größerer Handelsdampfer. Der Taifun war schon einige Tage vorher angekündigt worden und hatte sein Zentrum 60 Kilometer nach See hinaus. Am meisten in Mitleidenschaft gezogen war das Land zwischen Tokyo und Narashino. Wir hatten das Glück, nur die Ausläufer des Taifuns zu spüren bekommen zu haben.

2.10.17. Von schönstem Wetter begünstigt fand heute das alljährliche Turnerfest statt, bei dem sehr gute Leistungen gezeigt wurden. Es gab vokstümliches Turnen und Geräteturnen mit anschließendem Schauturnen und Pyramiden.

31.10.17. Heute abend fand eine kleine Feier statt zur 400-jährigen Wiederkehr des Reformationstages mit einem hochinteressanten Vortrag des Dr. phil. Überschär über die Entwicklung des deutschen Volkes seit seinem Eintritt in die vor 400 Jahren begonnene Neuzeit. Ein neu gebildetes Streichorchester, bestehend aus 30 Mann, und der Chor wirkten bei der Feier mit.

18.11.17. Die Unzulänglichkeit des Essens ist es, die mir schon wieder die Feder in die Hand drückt, um darüber einige Notizen zu machen. Ganz besonders schlecht ist das Abendessen, das aus Kartoffeln und Gemüse mit Fleisch bestehen soll und früher auch daraus bestanden hat. Jetzt ist das Essen so minderwertig, dass man oft nicht feststellen kann, was für einen Stoff man eigentlich zu sich nimmt. Es sind 85 Prozent Wasser, fünf Prozent Mehl, zwei Prozent Kartoffeln, zwei Prozent Fleisch, fünf Prozent Gemüse und ein Prozent Gewürz. Auf 485 Mann kommen 15 Pfund Erbsen oder Bohnen oder Kohl. Das Mittagessen ist viel schlechter als früher. Fleisch in der Größe und Stärke eines Fünf-Mark-Stücks für eine Portion ist keine Seltenheit, dazu drei bis fünf Stücke Kartoffeln. Es ist gerade so viel, dass man sich am Leben erhält.

20.11.17. Zur Verbesserung des Essens erhalten wir jetzt eine kleine Zulage an Gemüse, Kartoffeln und Rüben von Herrn Drenkhahn. Viel gebessert ist dadurch nicht, denn was wir an Zulage bekommen, zieht der Japaner wieder ab. Beschwerden an höherer Stelle sind zwecklos. Trotz dieser Zustände werden von Leuten, die hier monatlich ihr Gehalt haben, Berichte nach Deutschland geschickt, in denen zu lesen ist, dass es uns sehr gut geht und dass nur der Dung für den Garten fehlt.

22.11.17. Seit dem 27.6. erhielt ich heute den ersten Brief von meinen Eltern. 24.11.17. Von Frau Schramm aus Yokohama heute ein Paket mit zwei Würsten.

22.12.17. Einen Brief von Familie Schramm aus Yokohama erhalten.

25.12.17. Heute war ein wahrer Glückstag für mich, denn ich erhielt erstens zwei Pakete aus Yokohama, eines von Familie Schramm und eines von Familie Pohl. Außerdem eine Wurst von Frau Altschüler aus Yokohama. Was mich ganz besonders freute, waren die Geldsendung aus der Heimat und ein Brief von meinem Freunde Bruno.

27.12.17. Das Weihnachtsfest verlief wie gewöhnlich. Der Reihe nach waren Gottesdienst, Bescherung und allgemeine Feier bis nachts 12 Uhr.
 

3. Im Lager Narashino (1918/19)

2.1.18. Auch das Neujahrsfest verlief in gewohnter Weise. Durch den Empfang des Geldes war ich in der Lage, mir den Silvester-Abend so gemütlich wie möglich zu machen. Na, hoffentlich war es das letzte Neujahrsfest, das ich in diesem Lande verlebt habe.

8.1.18. Brief nach Yokohama an Familie Schramm und an Frau Pohl. 11.3.18. Einen Brief von Herrn Schuffner aus Yokohama erhalten. An die Direktion der städtischen Gewerbeschule zu Berlin geschrieben.

13.3.18. Ein Paket von Familie Schramm aus Yokohama: eine Wurst und eine Flasche Wein. 14.3.18. Ein Paket von Herrn Schuffner aus Yokohama: eine Wurst, sieben Taschentücher und ein Stück Seife.

25.3.18. Heute traf der Rest der in Fukuoka untergebracht gewesenen Kriegsgefangenen ein, 75 Mann einschließlich Meyer-Waldeck, ehemals Gouverneur von Tsingtau, und Stabsoffiziere.

4.4.18. Heute kam ein Paket mit Gebäck von meinen Eltern an. Trotzdem alles zerdrückt war, konnte ich es noch genießen.

25.4.18. Heute erhielt ich mein Löhnungs-Guthaben in Höhe von 27,54 Yen. Ich war freudig überrascht, denn ich hatte mit höchstens zwei bis drei Yen gerechnet.

2.5.18. Soeben traf ein Brief von meinen Eltern ein.

5.6.18. Heute wurden wir zum ersten Mal ausgeführt. Der Ausflug dehnte sich aus bis zu einem Dorfe, welches ungefähr zweieinhalb Stunden von unserem Lager entfernt liegt. Wir machten dort eine halbe Stunde Rast und konnten uns innerhalb des Dorfes frei bewegen und in den Geschäften kleine Einkäufe machen. Auf dem Rückweg kamen wir durch einige Dörfer, in denen wir Europäer viel Interessantes sahen.

7.6.18. Überrascht wurde ich heute, als ich von einem Besucher aus Yokohama eine Wurst erhielt, die Familie Schramm für mich mitgeschickt hat.

16.6.18. Heute fand wieder ein kleines Sportfest statt, an dem auch ich beim Tauziehen außer Konkurrenz beteiligt war.

8.7.18. Einen Brief von meinem kleinen Freund Gerhard aus Yokohama erhalten. 4.10.18. Antwort von der Gewerbeschule Berlin erhalten.

3.11.18. Ein altes Leiden, das ich im Laufe des Jahres mehrere Male hatte, zwang mich auch heute wieder, das Revier aufzusuchen.

8.11.18. Familie Schramm aus Yokohama besuchte heute das Lager. Leider konnte ich sie nicht begrüßen, weil ich meiner Kranheit wegen im Bett bleiben mußte. Sie brachten für mich ein Paket mit Wein, Wurst und Keksen.

18.11.18. Heute konnte ich das Revier wieder verlassen.

25.11.18. Große Aufregung im Lager wegen ungerechter Verteilung von Geldspenden. Versammlung der Soldaten. Wahl einer Deputation. Vorstelligwerden beim Chef des Stabes zwecks Abhilfe.

5.12.18. Heute verstarb im Landlazarett der Arzt M. Schulz.3 Laut Anordnung des Kriegsministeriums wird der Leichnam verbrannt, nicht beerdigt.

18.12.18. Mein kleiner Freund sandte mir einen Brief aus Yokohama, in dem er mir wieder ein Paket ankündigte.

24.12.18. Zu meiner Freude erhielt ich heute eine Geldsendung von meinen Eltern; 30 Mark = 8,33 Yen. Auch das Paket aus Yokohama traf heute ein.

7.1.1919. Wegen der ernsten Lage in der Heimat verlief das Weihnachtsfest sehr ruhig. Es herrschte allgemein eine sehr niedergedrückte Stimmung. Das neue Jahr nahm für mich einen traurigen Anfang. Ich war wieder krank und mußte mich ins Bett legen. Überhaupt ist es mit meiner Gesundheit schlecht bestellt. Ja, eine vier Jahre dauernde Gefangenschaft kann einen Menschen allmählich zu einem Wrack werden lassen. Ein Verbrechen ist es an der Menschheit, gesunde, denkende und unschuldige Menschen hinter einem Drahtzaun einzusperren. Und das über vier Jahre lang. Das nennt sich nun Fortschritt des 20. Jahrhunderts.

9.1.19. Die erste Post im neuen Jahr sandte ich an Bruno und Eltern. Eine Karte an Familie Schramm.

22.1.19. Nach fünfmonatiger Pause erhielt ich heute wieder mal einen Brief von Else und Eltern.

26.1.19. Selten erlebt man einen zweiten Sonntag, wie der heutige einer war. Seit ungefähr sechs Tagen herrscht im Lager die Grippe. Heute hat die Krankheit ihren Höhepunkt erreicht. Es liegen ca. 650 Mann. Acht Schwerkranke wurden mit Tragen zum Militärlazarett geschafft, das eine Dreiviertelstunde von unserem Lager entfernt ist. Die Wege sind fast grundlos. Vier Mann tragen den Kranken, weitere vier Mann müssen die Träger stützen und andere vier Mann gehen zur Ablösung mit. Im Lazarett müssen die Kranken stundenlang stehen, bevor sie untergebracht werden. Es herrschen trostlose Zustände. Ein Mann ist heute im Lazarett gestorben.0

27.1.19. Heute wurden wieder acht Kranke ins Lazarett geschafft. Auch haben wir heute wieder einen Toten.

28.1.19. Die letzten vier Schwerkranken wurden ins Lazarett geschafft.

29.1.19. Wegen Überfüllung des Militärlazaretts wurde heute eine ganze Baracke als Lazarett eingerichtet. 130 Schwerkranke sind dort untergebracht. Fünf Ärzte und mehrere Sanitäts-Unteroffiziere und -Mannschaften sind jetzt hier im Lager. Zwei Mann sind im Landlazarett gestorben, einer hier im Lager. Die wenigen Gesunden haben jetzt schwer zu tun, entweder Krankentransporte, Beerdigungen, Nachtwachen oder Pflegedienst und dazu noch die Lagerarbeit.

30.1.19. Heute starben ein Mann im Lagerlazarett und einer im Landlazarett.

1.2.19. Heute wieder drei Tote, zwei im Lagerlazarett und einer im Landlazarett.

2.2.19. Zwei Mann starben im Lagerlazarett, einer im Landlazarett.

3.2.19. Heute starben im Lagerlazarett und im Landlazarett je ein Mann.

6.2.19. Ein Mann starb heute und einer gestern im Lagerlazarett.

8.2.19. Ein Toter heute im Lagerlazarett.

10.2.19. Zwei Mann starben heute im Lagerlazarett.

22.2.19. Heute wurde eine Totenfeier für die an der Grippe Gestorbenen abgehalten. Für die Evangelischen predigte Pfarrer Schröder, mit den Katholiken wurde eine stille Messe gehalten.

3.3.19. Heute erlebte ich meinen 28. Geburtstag, den fünften in der Gefangenschaft.

5.3.19. Familie Schramm aus Yokohama war heute hier und besuchte Major Siebel und mich. Abgesehen von den Kleinigkeiten, die sie mir mitbrachten, machte mir das kurze Gespräch mit ihnen Freude. Es ist äußerst angenehm, wenn man sich nach langen Jahren mit deutschen Landsleuten im Fernen Osten ein wenig unterhalten kann.

7.3.19. Überrascht wurde ich heute durch einen Brief von Frl. Wuttig. Es ist der zweite in fünf Jahren.

17.4.19. Nach mir endlos erscheinendem Warten erhielt ich heute einen Brief von meinen Eltern. Sonderbar, dass ich nicht mehr die rechte Freude darüber empfinde wie früher. Die Zeilen kommen mir immer nichtssagender vor. Ich will meinen lieben Eltern keinen Vorwurf machen; ich kann aber auch nichts dafür, dass es so ist.

22.4.19. Wieder ist ein Osterfest vorüber, das fünfte in der Kriegsgefangenschaft. Freudlos und ohne irgendwelche Erinnerungen an ein paar hier fröhlich verlebte Stunden ist es vorbeigezogen. Wie anders war es doch vor Jahren in der lieben alten Heimat gewesen. Werden mir noch einmal solche Stunden beschert werden? Ach, was schreibe ich hier für einen Unsinn, weg mit der Sentimentalität.

26.4.19. Heute erhielt ich einen Brief aus Yokohama von meinem kleinen Freunde Gerhard. Er teilt mir mit, dass er mich mit seinen Eltern am nächsten Sonntag besuchen wird. Am nächsten Sonntag ist hier im Lager nämlich ein Turnfest und die Deutschen Tokyos und Yokohamas haben vom Ministerium die Erlaubnis erhalten, das Lager zu besuchen. Das gibt wieder eine kleine Abwechslung in unserem Dahindämmern.

27.4.19. Soeben habe ich wieder ein Buch ausgelesen, eines der guten Bücher aus unserer Lagerbibliothek. Ein wahrer Schatz ist diese für uns alle und im Besonderen für mich. Viele Bücher habe ich schon davon gelesen, und vieles habe ich daraus gelernt. Sie sind eine Quelle, aus der ich geistige Nahrung schöpfe. Sie regen meine Gedanken an und führen mich in Welten, in denen zu leben mir versagt bleibt. Durch sie lerne ich Gesinnung, Vielseitigkeit, Charaktere und Leben der Menschen in anderen Kreisen kennen und, was die Hauptsache ist, beurteilen. Sie bieten mir eine Fülle guter Lehren und Weisheiten und machen mich reicher an Geist und Seele.

16.5.19. Ein Brief von meinem Freunde Bruno war heute wieder einmal eine kleine Abwechslung für mich. Zu meinem Erstaunen ersah ich aus seinen Zeilen, dass er sich getroffen fühlte, wenn ich ihn bat, mir doch öfter zu schreiben. Wenn ich Narr gedacht habe, mir bei einem alten Freund diese Bitte erlauben zu können, so habe ich mich gründlich getäuscht. Ja, such is life.

28.5.19. Heute erhielt ich einen Brief von meinen Eltern. Sie vermuten mich schon auf der Heimreise, und doch sitze ich hier noch hinterm Drahtzaun.

8.7.19. Nach einer kurzen Krankheit starb heute hier im Lager ein Reservist [Lehmann], Kapitän eines Handelsschiffes. Die Leiche wurde eingeäschert. Zu meiner Freude erhielt ich einen Brief von meinen Eltern.

11.7.19. Nach längerer Zeit sandte ich heute wieder einmal einige Zeilen in die Heimat, einen Brief an die Eltern und einen an meinen Freund Bruno.

14.7.19. Nach fast Jahresfrist war es heute wieder möglich, einige Stunden außerhalb des Drahtzaus zu verbringen. Es wurde ein Spaziergang an die Pazifikküste gemacht, die in ungefähr eineinhalb Stunden zu erreichen ist. Der Weg ging durch Reisfelder, Wälder und Dörfer, und ich hatte Gelegenheit, einen Blick in das japanische Landleben zu tun. Es ist doch so ganz anders hier als daheim. Das Meer erreichten wir gerade zur Zeit der Ebbe. Ach, wie wohltuend ist es für das Auge, nach fast fünf Jahren wieder einmal blaues Meer zu sehen und wenn der Gesichtskreis für eine Stunde mal ein anderer ist. Eine Stunde lang konnten wir am Strand bleiben, im Dorf frei herumgehen und auch kleine Einkäufe machen. Dann ging's auf einem anderen Wege wieder zurück und wieder hinter den Stacheldrahtzaun.

23.7.19. Zum Schauturnen unseres Turnvereins waren heute viele deutsche Landsleute aus Yokohama und Tokyo hier zu Besuch. Leider konnten sie aber das Turnen nicht mit ansehen, da es ihnen nicht erlaubt wurde, in das Lager hinein zu kommen. Echte japanische Gemeinheit. Unter den Besuchern war auch mein Gönner Herr Schramm nebst Sohn aus Yokohama. Nur das Kind erhielt die Erlaubnis, ins Lager zu kommen, und ich hatte das Vergnügen, meinem in der Kriegsgefangenschaft gewonnenen 9-jährigen Freund die sportlichen Leistungen der Turner und die »Herrlichkeiten« des Lagers zu zeigen.

9.9.19. Nach langen Verhandlungen mit dem japanischen Lagerbüro ist es endlich gelungen, durchzusetzen, dass hier im Lager Kinovorträge gezeigt werden können. Eine Vorstellung hat bereits stattgefunden.

14.9.19. Heute abend war Kinovorstellung, gestört durch strömenden Regen. Trotzdem hielten alle Zuschauer bis zum Schluss durch. Alle waren bis auf die Haut durchnässt. So etwas können sich auch nur die blödsinnigen Kriegsgefangenen von Narashino leisten.

22.9.19. Endlich scheint man sich auch um die Kriegsgefangenen hier in Japan zu kümmern. Heute kam die Meldung, dass wir noch vor der Ratifizierung des Friedensvertrages5 freigelassen werden sollen. Die Schweizer Gesandtschaft übernimmt unsern Heimtransport. Die Vorbereitungen dazu werden beschleunigt.
Gott sei Dank, dass es endlich einmal so weit ist, weiß man doch nun etwas Positives. Sollten die Vorbereitungen noch vier bis sechs Wochen in Anspruch nehmen, so können wir vielleicht noch zum Weihnachtsfeste in der Heimat sein.

16.10.19. Die Schweizer Gesandtschaft übermittelte uns heute die Nachricht, dass sie auf telegraphischem Wege von der deutschen Regierung die Vollmacht erhalten habe, die deutschen Kriegsgefangenen zu übernehmen und nach Hause zu befördern. Es wird angenommen, dass für die Vorbereitungen sechs Wochen benötigt werden.

20.10.19. Kapitän Saxer erhielt die Erlaubnis, nach Tokyo zu fahren und mit dem Schweizer Gesandten und einigen Herren der japanischen Regierung wegen des Heimtransports zu konferieren.

31.10.19. Wurde wegen plötzlicher Erkrankung in das Militärlazarett gebracht. 9.11.19. Als geheilt aus dem Lazarett entlassen.

17.11.19. Die Verhandlungen zwischen Kapitän Saxer, der Schweizer Gesandtschaft und der japanischen Regierung sowie mit einigen Reedereien führte zur Charter von drei Dampfern, die am 15. und 20. Dezember und Ende Dezember abfahren sollen.

18.11.19. Letzten Brief aus Japan an Eltern und Schwester abgeschickt. Tags darauf ebensolchen an Richard.

26.11.19. Die drei Ponapesen Wilhelm, Georg und Samuel, die in Tsingtau an Bord der Jaguar Dienst taten, wurden heute von hier entlassen. Sie sind jetzt japanische Untertanen, und es ist sonderbar, dass sie nicht schon früher in ihre Heimat zurückgeschickt worden sind.

12.12.19. Durch die Unvorsichtigkeit des neben mir liegenden Kameraden verunglückte heute meine Gitarre, die ich im Jahre 1916 mit den primitivsten Werkzeugen selbst gebaut hatte. Manches Mal hatte ich mir mit ihr die trüben Stunden der Gefangenschaft vertrieben, und gern hätte ich sie als Andenken mit in die Heimat genommen.

15.12.19. Von Herrn Schramm aus Yokohama erhielt ich heute einen Brief. Er äußerte darin den Wunsch, dass ich Urlaub nach dort nehmen sollte, um ihn und seine Familie vor meiner Abreise nach Deutschland noch einmal zu sehen. Auch möchte er mir Yokohama zeigen. Aus verschiedenen Gründen ist dies leider nicht möglich.

17.12.19. Unerwartet erschien heute Herr Schramm und besuchte Herrn Major Siebel und mich. Er wollte uns vor unserer Abreise noch einmal sehen und sprechen. Er brachte uns Grüße von seiner Familie und mir persönlich ein Abschiedsgeschenk in Gestalt eines Photoalbums mit Lackeinband.

18.12.19. Große Tätigkeit im ganzen Lager. Packen und Verschnüren der Kisten für den Transport. Abtransport der Kisten zur Bahn.

19.12.19. Heute verließ das Vorbereitungs-Kommando in Stärke von einem Offizier und 32 Mann das Lager, um im Hafen von Kobe den für das Lager Narashino bestimmten Dampfer Kifuku Maru bis zu unserem Eintreffen einzurichten. Trotz der kurzen Zeitspanne, die uns nur noch von unserer Befreiung trennt, war es ein Abschiednehmen, als würden wir uns nicht mehr wiedersehen.

23.12.19. Heute erhielten wir den Besuch des ersten Deutschen, der direkt aus der Heimat kam. Er brachte uns erfreuliche Nachrichten.

24.12.19. Vorbereitungen für die Abreise. Verteilung des Proviants, Einteilung in Wagenklassen und Bord-Korporalschaften. Gott sei Dank! Nun wird es endlich Ernst mit unserer Heimreise. Um 11 Uhr vormittags ließ uns unser Divisionsoffizier Oberleutnant Diesing zu sich bitten, um von uns Abschied zu nehmen, weil er schon mit dem ersten Transport das Lager verlässt. Mit ernsten Worten gedachte er unseres Zusammenlebens bei der Marine und während der Gefangenschaft und wünschte uns gute Reise und gute Ankunft in der Heimat.
Mit etwas mehr Geld und Proviant versehen, versuchten wir, uns den letzten Weihnachtsabend in diesem Land so gemütlich wie nur irgend möglich zu gestalten. Wir bereiteten uns ein schönes Abendessen und schwelgten schon in den Genüssen der Heimreise und der Ankunft im lieben Vaterlande.
Aus der schönsten Unterhaltung herausgerissen wurde ich durch den Wunsch meines Oberingenieurs, zu ihm auf sein Zimmer zu kommen. Nach einem eineinhalbstündigen Gespräch kehrte ich wieder zu meinen Kameraden zurück. Wir leerten das letzte Glas auf unsere bevorstehende Reise und gingen zu Bett mit dem Gedanken, dass nun endlich unsere Befreiungsstunde geschlagen hat und wir das letzte Mal hinter Drahtverhau schlafen müssen.
 

4. Entlassung und Heimreise 1919/20

25.12.19. Erster Weihnachtsfeiertag. Großes Aufräumen und Fertigmachen zur Abreise. Zehn Minuten nach 10 Uhr Antreten auf dem großen Platz. Abschiedsrede des japanischen Lagerkommandanten. Um 11:18 Uhr am 25.12. tat ich den ersten Schritt in die wiedererlangte Freiheit. Um 12:50 Uhr Ankunft am Bahnhof Tsudanuma. Hier erhielt ich den letzten Brief aus der Heimat von meinen Eltern. Um 1:27 Uhr nachmittags Abfahrt von Tsudanuma. Nachts um 12:40 Uhr passierten wir Yokohama, wo uns am Bahnsteig einige Deutsche erwarteten.

26.12.19. In Shinagawa angekommen, hatten wir vier Stunden Aufenthalt. Kurz nach sechs Uhr am Morgen fuhr unser Zug am Fujiyama vorbei, der wie zum Abschied mit seinem schneebedeckten Haupte grüßte.

27.12.19. Morgens um 8:38 Uhr trafen wir in Kobe ein, um 1:30 Uhr mittags war Abmarsch zum Hafen. Meine Krankheit hatte mir während der letzten Stunden der Bahnfahrt sehr zu schaffen gemacht, und so musste ich mit einer Rikscha zum Hafen befördert werden. Um 10 Uhr waren wir an der Pier. Im Auftrag der Schweizer Gesandtschaft übernahm Herr Kestner vom Hilfsausschuß Tokyo die Gefangenen. Nun waren wir wirklich frei und freie Bürger. Ein erhebendes Gefühl, frei zu sein und gehen zu können, wohin man will. Nach dieser Übernahme ging es sofort an Bord der Kifuku Maru. Der Nachmittag wurde ausgefüllt mit Gepäckübernahme. Nachdem jeder sein Bett erhalten hatte, konnten wir an Land gehen.

28.12.19. Bei schlechtem Wetter fuhren wir heute morgen um 8 Uhr von Kobe ab.

29.12.19. 4 Uhr nachmittags Ankunft in Moji, einem kleinen Hafen an der Straße von Shimonoseki, im Norden der Insel Kyushu. Übernahme einiger Nachzügler und deren Gepäck.

30.12.19. 10:50 Uhr vormittags Abfahrt von Moji bei sehr kaltem und schmuddeligem Wetter. Um 7 Uhr abends kurzer Aufenthalt auf See wegen eines Maschinendefekts.

31.12.19. Erstes Auftreten meiner alten Krankheit an Bord der Kifuku Maru. Neujahrsnacht auf hoher See zwischen Japan und China. Krank.

2.1.20. Um 2 Uhr nachts waren wir auf der Außenreede von Tsingtau angekommen und liefen um 8:15 Uhr morgens in den Hafen ein. Erwartet wurden wir von wenigen Deutschen mit brausendem Hurra und Tücherschwenken. Viele Chinesen erwarteten ihren ehemaligen Herrn und freuten sich, wenn sie ihn unter den Angekommenen fanden. Abends begann die Übernahme unseres in Tsingtau 1914 zurückgebliebenen Gepäcks.

4.1.20. Urlaub. Dr. Weischer vom Faber-Krankenhaus erbot sich, die Kranken zu untersuchen und ihnen mit Rat und, wenn möglich, mit Arzneien zu helfen. Ich machte mich also mit auf den Weg. Leider hätte die Untersuchung erst am späten Nachmittag stattfinden können, und so sah ich davon ab, weil ich für den Nachmittag mit einigen Kameraden zu einer Frau Eger eingeladen war. Dort angekommen, bekam jeder von uns ein warmes Wannenbad und ein Mittagessen, bestehend aus Hasenbraten, Kartoffeln und Rotkohl. Eine zwanglose Unterhaltung folgte nun bis zum Abend. Nochmals gestärkt durch ein kaltes Abendessen, verließen wir, reichlich versehen mit Zigarren und Zigaretten, das gastliche Haus. Auf dem Wege zum Schiff besuchten wir das chinesische Café unseres alten Peter [?].

5.1.20. Um 2 Uhr nachmittags verließen wir unter Tücherschwenken der Zurückbleibenden den Hafen von Tsingtau. Leider mußten wir einen Toten [?] zurücklassen. Unsere Fahrt ging weiter nach Niederländisch-Indien.

17.1.20. Heute starb nach 24-stündiger Krankheit der Feuerwerker Weiß an Lungementzündung. Um zwei Uhr nachmittags wurde er auf hoher See, zwischen Singapore und Sabang, bestattet.

18.1.20. Hatte heute meinen ersten Anfall an Bord der Kifuku Maru. Um 10 Uhr vormittags liefen wir in den Hafen von Sabang ein und gingen vor Anker. Am Nachmittag machte unser Schiff an der Mole fest. Um 4 Uhr war Landgang möglich, doch war ich nicht fähig, davon Gebrauch zu machen.

19.1.20. Übernahme von Kohlen, Vieh, Proviant, Eis und Wasser.

20.1.20. Um 4:30 am Nachmittag verließen wir Sabang. Einige unserer Leute, die in Sabang eine Stellung angenommen hatten, blieben zurück.

24.1.20. Um 9 Uhr vormittags auf der Höhe von Ceylon.

25.1.20. Meine vor Sabang eingetretenen Atembeschwerden sind wieder so stark, dass ich heute das Bett nicht verlassen konnte. Es ist ein Jammer mit meiner Krankheit. Vielleicht erreiche ich die Heimat nicht mehr lebend.

28.1.20. Mein Zustand hat sich wieder soweit gebessert, dass ich aufstehen konnte.

29.1.20. Plötzlicher Rückschlag, ich musste ins Schiffslazarett gebracht werden.

31.1.20. Keine Besserung. Ich gebe bald die Hoffnung auf, meine Lieben daheim wiederzusehen.

1.2.20. Nach ziemlich gut verbrachter Nacht gegen Morgen leichte Besserung. Die Fahrt geht an Aden vorbei, Einfahrt in die Straße von Bab el Mandeb.

2.2.20. Während der Nacht und des Tages stetige Besserung.

5.2.20. Zum ersten Mal das Bett verlassen.

6.2.20. Erholung in der Mittagssonne des Roten Meeres bei guter Lektüre, eingehüllt in Decken und auf einem Schemel sitzend.

7.2.20. Mittagszeit. Wieder gut eingepackt an der Reling sitzend, gedenke ich meiner baldigen Heimkehr. Aus dem Lazarett entlassen. Brief an Eltern geschrieben. 10 Uhr abends Suez erreicht.

8.2.20. Fahrt durch den Suezkanal. Wie hat sich doch so vieles hier verändert seit meiner ersten Durchreise im Mai 1914. Deutlich sieht man die Spuren der Kämpfe zwischen Türken und Engländern. Passieren eines großen englischen Truppenlagers auf beiden Seiten des Kanals.

9.2.20. Wir sahen mehrere ehemals deutsche Schiffe mit englischen Truppen an Bord. 10 Uhr vormittags in Port Said.

10.2.20. In Port Said Übernahme von Proviant, lebendem Vieh und Wasser. 2 Uhr nachmittags Abfahrt. Schweres Wetter im Mittelmeer.

17.2.20. Plötzlicher Kurswechsel nach Norden wegen Minengefahr.

19.2.20. Nach neun Tagen Fahrt durch das Mittelmeer bei anhaltend schwerem Wetter erreichten wir heute abend die Meerenge von Gibraltar.

24.2.20. Anzeichen eines Anfalls.

25.2.20. 10 Uhr abends Dover–Calais passiert. Wegen Krankheit im Bett.

26.2.20. Am Nachmittag im dichtesten Nebel mehrmaliges Stoppen, um Haake-Feuerschiff zu finden. Vergebliche Suche, schon 33 Seemeilen zu weit nach Norden. 5 Uhr abends geankert. Telegraphische Anfrage in Wilhelmshaven, ob ohne Lotsen weitergefahren werden soll. Angabe des Schiffsortes und Bitte um Kursangabe.

27.2.20. Um 6 Uhr morgens Anker auf. Antwort aus Wilhelmshaven eingetroffen. Unser Schiff liegt direkt vor einem Minenfeld. Neuer Kurs ist angegeben, es soll ohne Lotsen weitergefahren werden. Mein Zustand hat sich soweit gebessert, dass ich wieder aufstehen kann.

28.2.20. Kurz nach Mitternacht erreichten wir das Jade-Feuerschiff, von dem der Lotse an Bord genommen wurde. Nun ging die Fahrt die Außenweser hinauf bis zur Wilhelmshavener Schleuse, wo wir um drei Uhr morgens ankerten. Wir hatten nun das letzte Stück unserer Seereise hinter uns und lagen geborgen vor unserm deutschen Hafen. 64 Tage hat die Reise gedauert, und von Glück kann ich sagen, dass ich sie trotz Krankheit, schwerem Wetter und ständiger Minengefahr gut überstanden habe. Von Seekrankheit habe ich während der ganzen Reise nichts gespürt.
Um 8 Uhr morgens fuhren wir durch die Schleuse in den Innenhafen von Wilhelmshaven. Während unseres Aufenthalts in der Schleuse wurden wir von einem höheren Marineoffizier mit bewegten Worten willkommen geheißen. Eine Ehrenkompanie hatte Aufstellung genommen, und unter präsentiertem Gewehr und den Klängen einer Marinekapelle ging es langsam in den Innenhafen.
Trotz des herzlichen Empfangs waren wir erschrocken von dem Bild, das der Hafen bot mit den vielen Wracks und der fast unheimlichen Ruhe. Bei meiner Ausfahrt am 22.4.1914 lagen hier stolze Schiffe, und es herrschte reges und geschäftiges Leben überall. Ein trauriges Bild! Wie mag es im übrigen Deutschland aussehen?
Kurz vor unserer Anlegestelle fanden wir die Hofuku Maru, die einige Tage vor uns mit entlassenen deutschen Kriegsgefangenen aus Japan hier eingelaufen war. Um 10 Uhr machten wir fest und gingen mit unserem Gepäck geordnet an Land. Nun stand ich erstmals wieder, seit sechs Jahren, auf dem Boden meiner Heimat und harrte der kommenden Ereignisse. Auf den in der Nähe liegenden Wohnschiffen erhielten wir Verpflegung, Bad, ärztliche Untersuchung und Einkleidung. Es gab die Gelegenheit, letztes japanisches Geld zu wechseln (1 Yen = 40 Mark). Ich telegraphierte sofort nach Hause und kündigte meine nahe bevorstehende Ankunft an. In einer Kaserne in der Nähe fanden wir Unterkunft für die Nacht.
 

Anmerkungen

1. Vermutlich war das eine Folge des Entweichens von fünf Offizieren aus dem Lager Fukuoka im November 1915.

2. Nichts Näheres dazu bekannt.

3. Der Tod eines »Arztes« namens »M. Schulz« ist nicht dokumentiert; am 5.12.18 starb vielmehr der Artilleristenmaat GustavSchulze.

4. Zu den Namen der 25 Grippe-Opfer in Narashino siehe diese Liste.

5. [Fußnote Hans Zabel:] Vertrag von Versailles am 26.6.1919.
 

© Sigrid Zabel; für diese Ausgabe auch: Hans-Joachim Schmidt.
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